Entscheidungsstichwort (Thema)
Lohnüberzahlung. Ausschlußfrist. Treu und Glauben
Leitsatz (amtlich)
- Der Anspruch des Arbeitgebers auf Rückzahlung überzahlter Vergütung wird im Zeitpunkt der Überzahlung fällig, wenn die Vergütung fehlerhaft berechnet worden ist, obwohl die maßgebenden Umstände bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen. Auf die Kenntnis des Arbeitgebers von seinem Rückzahlungsanspruch kommt es regelmäßig nicht an (Bestätigung der ständigen Rechtsprechung des BAG, vgl. z.B. BAGE 63, 246, 253 = AP Nr. 8 zu § 29 BAT, zu II 3b der Gründe).
- Der Ablauf einer bei Fälligkeit beginnenden tariflichen Ausschlußfrist (hier § 70 BAT) führt nach § 242 BGB nicht zum Verfall des Rückzahlungsanspruchs, wenn der Arbeitnehmer es pflichtwidrig unterlassen hat, dem Arbeitgeber Umstände mitzuteilen, die die Geltendmachung des Rückzahlungsanspruchs innerhalb der Ausschlußfrist ermöglicht hätten. Zu einer solchen Mitteilung ist der Arbeitnehmer verpflichtet, wenn er bemerkt hat, daß er eine gegenüber sonst ungewöhnlich hohe Zahlung erhalten hat, deren Grund er nicht klären kann.
Normenkette
BAT § 70; BGB §§ 242, 812, 814, 818, 387, 389, 394, 271, 284-285, 288; ZPO § 850c
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Rückzahlung überzahlter Vergütung.
Die Beklagte war in einem Krankenhaus des Klägers als Assistenzärztin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand kraft einzelvertraglicher Vereinbarung der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) Anwendung. Im Juli 1991 leistete die Beklagte zwei Bereitschaftsdienste auf dem Notarztwagen, für die ihr insgesamt 525,-- DM brutto als Vergütung zustanden. Bei der im Wege elektronischer Datenverarbeitung vom Kläger erstellten Abrechnung für den Monat September 1991 wurde dieser Betrag aufgrund eines Eingabefehlers der Lohnbuchhaltung des Klägers mit dem Faktor 30 multipliziert, so daß sich für die Notarztwagenbereitschaft ein Betrag von 15.750,-- DM ergab.
Die in der Abrechnung für September 1991 insgesamt errechnete Bruttovergütung betrug 23.475,68 DM (7.725,68 DM Lohn + 15.750,-- DM Bereitschaftsvergütung). Der Beklagten wurden 11.731,56 DM netto überwiesen. Auf die zuviel berechnete Notarztwagenbereitschaft entfiel ein Nettobetrag von 6.074,14 DM. Die durchschnittliche monatliche steuerpflichtige Vergütung der Beklagten betrug im Jahr 1991 einschließlich der Weihnachtszuwendung und der Überzahlung 9.910,75 DM.
In der Zeit vom 28. April bis zum 10. Juli 1992 überprüfte die Gemeindeprüfanstalt das Rechnungswesen des Klägers und stellte die Überzahlung fest. Mit Schreiben vom 17. Juli 1992 machte der Kläger zunächst einen Rückzahlungsanspruch in Höhe von 15.225,-- DM brutto geltend. Darin erklärte er die Aufrechnung gegen einen restlichen Gehaltsanspruch in unstreitiger Höhe von 5.731,93 DM netto, der der Beklagten noch zustand, nachdem das Arbeitsverhältnis am 30. Juni 1992 geendet hatte. Nachdem die Beklagte mit Schreiben vom 28. Juli 1992 auf die Pfändungsgrenzen nach § 850c ZPO hingewiesen hatte, zahlte der Kläger an die Beklagte einvernehmlich einen Betrag von 1.300,-- DM aus. Mit Schreiben vom 10./11. Dezember 1992 mahnte der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 21. Dezember 1992 zur Zahlung eines Betrages von 10.793,07 DM (15.225,-- DM minus 5.731,93 DM plus 1.300,-- DM), den er zunächst auch mit seiner am 19. März 1993 erhobenen Klage verlangt hat. Zuletzt hat er noch einen Betrag in Höhe von 1.642,21 DM geltend gemacht, der sich aus der Differenz der Nettoüberzahlung von 6.074,14 DM und der restlichen Nettogehaltsforderung der Beklagten von 5.731,93 DM zuzüglich des ausgezahlten Betrags von 1.300,-- DM ergibt.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stehe der Rückzahlungsanspruch aus dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung zu. Der Anspruch sei auch nicht nach § 70 BAT verfallen. Die Beklagte könne sich jedenfalls nach § 242 BGB nicht darauf berufen, daß die tarifliche Ausschlußfrist versäumt sei. Denn der Auszahlungsbetrag habe um 73 % über der durchschnittlich erzielten monatlichen Vergütung des Jahres 1991 gelegen und die Beklagte habe dies erkannt.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zur Zahlung von 1.642,21 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 22. Dezember 1992 an den Kläger zu verurteilen.
Die Beklagte hat Klageabweisung und im Wege der Widerklage den Bruttolohnanspruch abzüglich der geleisteten 1.300,-- DM geltend gemacht.
Die Beklagte hat beantragt,
den Kläger zu verurteilen, an sie 4.431,93 DM brutto nebst 12,75 % Zinsen aus 5.731,93 DM seit 1. Juli 1992 bis 3. August 1992 und 12,75 % Zinsen aus 4.431,93 DM seit 4. August 1992 zu zahlen.
Der Kläger hat Abweisung der Widerklage beantragt.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Rückzahlungsanspruch des Klägers sei nach § 70 BAT verfallen, so daß ihr der restliche Vergütungsanspruch in Höhe von 4.431,93 DM zustehe. Der Rückzahlungsanspruch sei bereits im September 1991 fällig geworden, weil der Berechnungsfehler allein in der Sphäre des Klägers gelegen habe. Auch treffe den Kläger ein Organisationsverschulden, weil eine ausreichende Kontrolle vor der Überweisung nicht stattgefunden habe. Ihr sei zwar der hohe Kontostand aufgefallen, sie habe dies aber auf Mehrarbeitsvergütung zurückgeführt, die sie und einige Kollegen zuvor vom Kläger verlangt hätten. Sie hätte sich deshalb bei diesen erkundigt, ob sie ebenfalls eine Nachzahlung erhalten hätten, was diese jedoch nicht bejaht hätten. Sie sei nicht ein einziges Mal auf den Gedanken gekommen, daß dem Kläger bei der Abrechnung ein Fehler unterlaufen sein könnte. Außerdem sei eine etwaige Bereicherung weggefallen, denn sie habe den überzahlten Betrag Ende 1991 für den Kauf einer Eigentumswohnung verwendet.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Der Widerklage hat es im Umfang der Hauptforderung und des Zinsanspruchs in Höhe von 4 % stattgegeben. Im übrigen hat es die Widerklage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte weiterhin die Klageabweisung und den mit der Widerklage geltend gemachten Anspruch. Der Kläger hat beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben und die Widerklage als unbegründet abgewiesen.
I. Die Klage ist begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte nach § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alternative BGB einen Anspruch auf Rückzahlung zuviel gezahlter Vergütung in Höhe von 1.642,21 DM. Um diesen Betrag ist die Beklagte ungerechtfertigt bereichert. Sie hat ihn aufgrund der fehlerhaften Abrechnung der Vergütung für den Monat September 1991 ohne Rechtsgrund erlangt.
1. Die Bestimmung des § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB bezweckt den Ausgleich irrtümlicher Zahlungen, wie die Vorschrift des § 814 1. Alternative BGB zeigt. Danach ist nur die Rückforderung einer bewußten Überzahlung ausgeschlossen. Für den Anspruch ist somit ohne rechtliche Bedeutung, daß die Überzahlung auf einem Eingabefehler der Lohnbuchhaltung des Klägers beruht oder, wie die Beklagte meint, auf einem Organisationsverschulden durch fehlende nachträgliche Kontrolle der eingegebenen Daten.
2. Dem Anspruch steht nicht entgegen, daß die Beklagte nicht mehr bereichert ist (§ 818 Abs. 3 BGB). Die Beklagte hat behauptet, den gesamten Verdienst des Jahres 1991 und somit auch den überzahlten Betrag für den Erwerb einer Eigentumswohnung aufgewendet zu haben. Wenn die Beklagte deshalb außerstande ist, den rechtsgrundlos empfangenen Geldbetrag herauszugeben, so hat sie gem. § 818 Abs. 2 BGB den Wert zu ersetzen. Dieser entspricht in seiner Höhe dem empfangenen Betrag.
a) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß die Verpflichtung der Beklagten zum Wertersatz nicht nach § 818 Abs. 3 BGB ausgeschlossen ist. Ein Wegfall der Bereicherung liegt nur dann vor, wenn das Erlangte ersatzlos weggefallen ist und kein Unterschied zwischen dem vorhandenen Vermögen und dem Vermögen mehr besteht, das ohne den bereichernden Vorgang vorhanden wäre. Kein Wegfall der Bereicherung liegt vor, wenn der Empfänger sich von dem rechtsgrundlos erhaltenen Geldbetrag noch vorhandene Vermögensvorteile geschaffen hat und die rechtsgrundlose Zahlung für diesen Vermögensvorteil ursächlich gewesen ist (vgl. BGH Urteil vom 9. Mai 1984 – IVb ZR 7/83 – NJW 1984, 2095, 2096 und Urteil vom 17. Juni 1992 – XII ZR 119/91 – NJW 1992, 2415, 2416). So liegt der Fall, wenn die Beklagte, wie behauptet, den überzahlten Betrag für den Erwerb der Eigentumswohnung aufgewendet hat.
b) Die Bereicherung ist auch nicht deshalb weggefallen, weil es sich beim Kauf der Eigentumswohnung um eine Luxusausgabe gehandelt hat. Zwar ist die Bereicherung entfallen, wenn eine Überzahlung für außergewöhnliche Dinge verwendet wurde, die der Empfänger sich sonst nicht verschafft hätte. Er könnte dann den Wertersatz nur aufbringen, indem er auf seine Vergütung zurückgreift und diese zu Ausgaben verwendet, die er sonst nicht getätigt hätte, was sich als Verlustgeschäft erweisen könnte, oder indem er versucht, sich mittels Veräußerung, die erfahrungsgemäß nur zu weit herabgesetzten Preisen möglich ist, wenigstens einen Teil der zum Wertersatz benötigten Mittel zu verschaffen (vgl. BGH Urteil vom 20. Oktober 1958 – III ZR 101/57 – MDR 1959, 109; BGHZ 55, 128, 132).
Im Streitfall hat die Beklagte jedoch nicht vorgetragen, daß sie in wirtschaftlichen Verhältnissen lebt, die die Anschaffung der Eigentumswohnung als Luxusausgabe erscheinen lassen, und daß die Eigentumswohnung nur zu einem weit herabgesetzten Preis veräußert werden könnte.
3. Die Klageforderung ist nicht durch die vom Kläger am 17. Juli 1992 erklärte Aufrechnung erloschen, weil in ihrer Höhe keine Aufrechnungslage (§ 389 BGB) bestand. In Höhe des Pfändungsfreibetrages gem. § 850c ZPO folgt dies aus dem Aufrechnungsverbot nach § 394 Satz 1 BGB. Die Parteien sind übereinstimmend davon ausgegangen, daß der Pfändungsfreibetrag sich auf die 1.300,-- DM beläuft, die der Kläger an die Beklagte geleistet hat. Selbst wenn aber das Aufrechnungsverbot einen geringeren Betrag erfaßt hätte, wäre die Klageforderung in Höhe des überschießenden Betrages nach § 812 Abs. 1 Satz 2 2. Alternative BGB wegen Nichteintritts des mit der Leistung bezweckten Erfolgs wieder entstanden. Denn mit der Zahlung der 1.300,-- DM sollte nur die Pfändungsgrenze beachtet werden.
II. Der Kläger hat seinen Anspruch auf Rückzahlung der überzahlten Vergütung zwar nicht innerhalb der Ausschlußfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit (§ 70 BAT) schriftlich geltend gemacht. Dennoch war der Klageanspruch nicht verfallen, als der Kläger ihn geltend machte. Dies folgt aus § 242 BGB.
1. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß der Anspruch des Klägers auf Rückzahlung der Vergütung ein Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis ist, der von der Regelung des § 70 BAT erfaßt wird (ständige Rechtsprechung, vgl. Senatsurteil BAGE 72, 290 = AP Nr. 10 zu § 37 BAT; BAGE 63, 246, 252 = AP Nr. 8 zu § 29 BAT, zu II 3a der Gründe).
2. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts war die Ausschlußfrist des § 70 BAT im Zeitpunkt der erstmaligen schriftlichen Geltendmachung des Anspruchs, am 17. Juli 1992, abgelaufen. Denn der Rückzahlungsanspruch ist nicht, wie das Landesarbeitsgericht meint, erst mit der Kenntnisnahme von der Überzahlung durch den Kläger nach dem 28. April 1992, sondern bereits mit seiner Entstehung im Zeitpunkt der Überzahlung im September 1991 fällig geworden.
Die Fälligkeit tritt grundsätzlich schon mit der Entstehung des Anspruchs ein (§ 271 BGB). Ein anderer Fälligkeitszeitpunkt ergibt sich jedoch, wenn es dem Gläubiger aufgrund besonderer Umstände praktisch unmöglich ist, seinen Anspruch geltend zu machen. Bei Rückforderungsansprüchen liegen diese Voraussetzungen vor, wenn der Gläubiger nicht in der Lage ist, die tatsächlichen Voraussetzungen seines Anspruchs zu erkennen, sowie diesen wenigstens annähernd zu beziffern (vgl. BAGE 63, 246, 253 f. = AP, aaO, zu II 3b der Gründe; BAGE 51, 308 = AP Nr. 67 zu § 1 LohnFG; BAG Urteil vom 16. April 1986 – 5 AZR 360/85 – n.v.).
Von diesen Grundsätzen ausgehend hat das Landesarbeitsgericht zu Unrecht die Fälligkeit des Rückzahlungsanspruches im September 1991 verneint, und stattdessen darauf abgestellt, daß der Kläger von der Überzahlung nicht vor dem 28. April 1992 Kenntnis erlangt habe. Das Landesarbeitsgericht verkennt, daß es nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht auf die Kenntnis des Arbeitgebers von der Überzahlung und damit von seinem Rückzahlungsanspruch ankommt (Urteil vom 26. April 1978 – 5 AZR 62/77 – AP Nr. 64 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, zu II der Gründe; Urteil vom 11. Juni 1980 – 4 AZR 443/78 – AP Nr. 7 zu § 70 BAT; BAGE 63, 246, 253 = AP, aaO, zu II 3b der Gründe; BAG Urteil vom 16. April 1986 – 5 AZR 360/85 – n.v.). Waren die maßgeblichen Umstände bekannt oder hätten sie bekannt sein müssen und wurde die Vergütung gleichwohl fehlerhaft berechnet, so wird der Anspruch des Arbeitgebers auf Rückzahlung überzahlter Vergütungsbeträge bereits im Zeitpunkt der Überzahlung fällig. Das ist gerechtfertigt, weil Fehler bei der Berechnung der Löhne im Normalfall in die Spähre des Arbeitgebers fallen und von ihm viel eher durch Kontrollmaßnahmen entdeckt werden können als vom Empfänger der Leistung (BAGE 63, 246, 253 = AP, aaO, zu II 3b der Gründe; BAG Urteil vom 16. April 1986, aaO).
Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts waren dem Kläger im Zeitpunkt der fehlerhaften Auszahlung alle maßgeblichen Umstände für die Berechnung der Vergütung der Beklagten bekannt. Die Überzahlung beruht allein auf einem Abrechnungsfehler.
3. Trotz Ablaufs der Ausschlußfrist des § 70 BAT ist der Verfall des Klageanspruchs aber durch § 242 BGB ausgeschlossen.
Der Gläubiger kann dem Ablauf der tariflichen Ausschlußfrist mit dem Einwand der unzulässigen Rechtsausübung begegnen, wenn ihn der Schuldner durch aktives Handeln von der Einhaltung der Ausschlußfrist abgehalten oder wenn dieser es pflichtwidrig unterlassen hat, ihm Umstände mitzuteilen, die ihn zur Einhaltung der Ausschlußfrist veranlaßt hätten (Senatsurteil vom 21. Januar 1993 – 6 AZR 174/92 – ZTR 1993, 466; BAG Urteile vom 17. Juli 1995 – 5 AZR 131/84 – n.v.; vom 19. Juni 1985 – 5 AZR 569/82 – n.v.; vom 29. April 1982 – 5 AZR 1229/79 – n.v.; vom 11. Juni 1980 – 4 AZR 443/78 – AP Nr. 7 zu § 70 BAT).
a) Die Beklagte hat den Kläger nicht durch aktives Handeln an der Einhaltung der tariflichen Ausschlußfrist gehindert. Eine pflichtwidrige Unterlassung eines Arbeitnehmers liegt regelmäßig vor, wenn er erkennt, daß seinem Arbeitgeber bei der Überweisung ein Irrtum unterlaufen ist, der zu einer erheblichen Überzahlung geführt hat, und er die Überzahlung nicht anzeigt (BAG Urteile vom 19. Juni 1985, vom 29. April 1982 und vom 11. Juni 1980, jeweils aaO). Auch diese Fallgestaltung ist nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht gegeben.
Die Überzahlung war zwar erheblich. Die Beklagte hatte sie jedoch nicht erkannt, denn der ihr zugrunde liegende Sachverhalt war ihr nicht bekannt. Dies hat das Landesarbeitsgericht festgestellt. Daran ist der Senat mangels eines revisionsrechtlichen Angriffs des Klägers gebunden.
b) Eine pflichtwidrige Unterlassung der Beklagten liegt aber dennoch vor, weil sie die erhebliche Mehrzahlung nicht zum Anlaß genommen hat, sich über deren Grund zu vergewissern. Dabei hätte sie, nachdem sie von sich aus eine Erklärung für den außergewöhnlichen Vergütungsmehrbetrag nicht gefunden hatte, dem Beklagten durch Mitteilung Gelegenheit zur Prüfung und Richtigstellung geben müssen. Dazu war sie aufgrund der Umstände arbeitsvertraglich verpflichtet.
Die Treuepflicht des Arbeitnehmers (§ 242 BGB) beinhaltet, dem Arbeitgeber drohende Schäden anzuzeigen (Hromadka, Festschrift für Söllner, S. 104, 113 f.; allgemein: BGB Urteil vom 23. Februar 1989 – IX ZR 236/86 – AP Nr. 9 zu § 611 BGB Treuepflicht; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 7. Aufl., § 53 I 4 und II 3). Eine Pflicht des Arbeitnehmers zur Überprüfung einer vom Arbeitgeber erstellten Abrechnung besteht deshalb dann, wenn dem Arbeitnehmer konkrete Anhaltspunkte für eine mögliche Überzahlung vorliegen, weil er – wie im Streitfall – eine gegenüber den Vormonaten erhebliche Mehrzahlung erhalten und dies bemerkt hat und es ihm nicht gelingt, sich selbst Gewißheit darüber zu verschaffen, welche Forderung damit erfüllt werden soll und welche Höhe diese hat. Hätte der Arbeitnehmer dabei die Überzahlung feststellen müssen, so ist unter diesen Umständen der Verfall des Rückzahlungsanspruchs nach § 242 BGB ausgeschlossen (vgl. BAG Urteil vom 29. April 1982 – 5 AZR 1229/79 – zu 3d der Gründe; Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr, BAT, Stand Juli 1995, § 70 Rz 77).
Die Beklagte hat, nachdem sie den erheblichen Mehreingang auf ihrem Konto festgestellt hatte, ihre Pflicht zur Überprüfung der Abrechnung für September 1991 nicht dadurch beachtet, daß sie sich bei Kollegen erkundigt hat, ob auch diese eine Mehrzahlung erhalten hätten. Nachdem diese Erkundigung ergebnislos verlaufen war, hätte die Beklagte die eigene Abrechnung prüfen müssen. Dabei hätte sie erkennen müssen, daß sich der Mehrbetrag aufgrund einer erheblichen Überzahlung der von ihr im Juli 1991 geleisteten Notarztwagenbereitschaften ergeben hat, für die eine Bruttovergütung von 15.750,-- DM statt 525,-- DM errechnet worden war. Die Beklagte hat im Schriftsatz vom 19. Juli 1993 selbst eingeräumt, daß die maßgebende Textzeile der Abrechnung “09900 NAW-Bereitschaft aus 0791/525 mal 30” völlig eindeutig war und es einem nur durchschnittlich aufmerksamen Leser jederzeit möglich gewesen wäre einzusehen, daß man in 30 Tagen nicht 60 Bereitschaftsdienste leisten könne. Selbst wenn der Beklagten nach Durchsicht der Abrechnung noch Zweifel geblieben wären, hätte es nahegelegen, sich bei der für die Abrechnung verantwortlichen Stelle des Klägers über den Grund der Mehrzahlung zu vergewissern. Es ist unverständlich, warum die Beklagte, nachdem sie den Eingang auf ihrem Konto bemerkt hatte und die von ihr befragten Kollegen nicht ebenfalls die Mehrzahlung erhalten hatten, die Sache auf sich hat beruhen lassen. Denn die negative Auskunft der Kollegen sprach gegen die Annahme der Klägerin, es habe sich um eine von den Mitarbeitern des Krankenhauses gemeinsam geforderte Nachzahlung von Mehrarbeitsvergütungen gehandelt.
c) Mit dieser Entscheidung setzt der Senat sich nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung des Fünften Senats des Bundesarbeitsgerichts, der entschieden hat, daß den Arbeitnehmer keine allgemeine Pflicht treffe, die durch den Arbeitgeber erstellte Vergütungsabrechnung zu überprüfen (Urteile vom 19. Juni 1985 – 5 AZR 569/82 – n.v. und vom 29. April 1982 – 5 AZR 1229/79 – n.v.). Im Streitfall ergab sich die Pflicht aufgrund der genannten besonderen Umstände.
III. Der Zinsanspruch des Klägers ist nach § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB begründet, weil die Beklagte aufgrund der Mahnung des Klägers vom 11./12. Dezember 1992 seit 22. Dezember 1992 mit der Rückzahlung in Verzug war (§ 284 Abs. 1 Satz 1, § 285 BGB).
IV. Die Widerklage ist unbegründet.
Der Beklagten steht gegen den Kläger kein Vergütungsanspruch mehr zu. Die Beklagte hatte zwar im Zeitpunkt ihres Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis unstreitig noch einen restlichen Vergütungsanspruch in Höhe von 5.731,93 DM. Gegen diese Forderung hat der Kläger jedoch mit dem Schreiben vom 17. Juli 1992 die Aufrechnung mit seinem Rückzahlungsanspruch erklärt. Damit ist der Vergütungsanspruch der Beklagten nach §§ 387, 389 BGB erloschen, soweit die Aufrechnung nicht nach § 394 Satz 1 BGB, § 850c ZPO ausgeschlossen war. Das war in Höhe des mit der Widerklage noch verlangten Betrages von 4.431,93 DM nicht der Fall. Die Parteien gehen übereinstimmend davon aus, daß durch die Zahlung von 1.300,-- DM die Pfändungsgrenze gewahrt wurde, ohne daß deren genaue Höhe festgestellt worden ist.
V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Peifer, Dr. Jobs, Dr. Armbrüster, R. Schwarck
Ehrenamtlicher Richter Mergenthaler ist aus dem Amt ausgeschieden und kann daher nicht unterzeichnen.
Dr. Peifer
Fundstellen
Haufe-Index 440955 |
BAGE, 144 |
NJW 1996, 742 |
NZA 1996, 135 |