Leitsatz (redaktionell)
1. |
Regeln die Tarifpartner, daß aus Anlaß einer Arbeitsunterbrechung wegen Krankheit nicht gekündigt werden darf, so kann bei einer Kündigung im unmittelbaren Anschluß an vorhergehende Arbeitsunfähigkeitszeiten der Beweis des ersten Anscheins dafür sprechen, daß die Arbeitsunterbrechung wegen Krankheit bestimmendes Motiv des Arbeitgebers für die Kündigung war (im Anschluß an die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur sog. Anlaßkündigung bei § 6 LFZG, vgl. u.a. Urteil vom 2. Dezember 1981 - 5 AZR 953/79 - AP Nr. 19 zu § 6 LohnFG). |
2. |
Diesen Beweis des ersten Anscheins kann der Arbeitgeber dadurch entkräften, daß er Tatsachen vorträgt und im Bestreitensfalle beweist, aus denen sich ergibt, daß andere Gründe seinen Kündigungsentschluß bestimmt haben. |
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Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 21.10.1996; Aktenzeichen 5 Sa 1229/96) |
ArbG Stade (Entscheidung vom 29.05.1996; Aktenzeichen 1 Ca 222/96) |
Tatbestand
Die Klägerin war seit 1. Juni 1977 als Apothekenhelferin in der Apotheke der Beklagten, zuletzt im Rahmen einer Teilzeitbeschäftigung (an sechs Werktagen mit insgesamt 24 Stunden, Gehalt 1.878,00 DM brutto) tätig. Außer der Beklagten und der Klägerin arbeiten in der Apotheke lediglich noch der Ehemann der Beklagten und eine Putzfrau. Die Klägerin war vom 13. November 1995 bis 6. Januar 1996 und vom 4. bis 16. März 1996 arbeitsunfähig erkrankt. Mit Schreiben vom 23. März 1996, das der Klägerin persönlich ausgehändigt wurde, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristgerecht zum 30. September 1996.
Die Klägerin hat sich gegen die Kündigung gewandt und im Hinblick auf § 21 Nr. 6 des Bundesrahmentarifvertrages für Apothekenmitarbeiter vom 5. September 1995 (im Folgenden: BRTV), der kraft Tarifgebundenheit beider Parteien anwendbar ist, geltend gemacht, die Kündigung sei nur wegen ihrer Erkrankung erfolgt. Die in Rede stehende Bestimmung des BRTV lautet wie folgt:
"Dem Mitarbeiter, der mindestens ein halbes Jahr im Betrieb beschäftigt ist, darf aus Anlaß einer Arbeitsunterbrechung wegen Krankheit nicht gekündigt werden, es sei denn, daß die Arbeitsunterbrechung im betreffenden Kalenderjahr insgesamt länger als drei Monate dauert oder die Krankheit Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit des Mitarbeiters nach sich zieht."
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die fristgerechte Kündigung der Beklagten vom 23. März 1996 nicht aufgelöst wird.
Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag vorgetragen, der Klägerin sei nicht wegen Krankheit gekündigt worden, sondern wegen des in den letzten Jahren verschlechterten Betriebsklimas. Das habe sich schon vor der ersten Erkrankung der Klägerin gezeigt, die nur noch kurze und barsche Antworten - auch bei den allmorgendlichen Gesprächen im Beisein der Putzfrau - gegeben habe. Auch bei der Wiederaufnahme der Arbeit im März 1996 habe sie auf die Frage nach ihrem Befinden nur erwidert, man werde dies sehen. Sie, die Beklagte, habe auch schon vor der Erkrankung der Klägerin mit der Reinigungskraft und ihrem Ehemann über ihre Trennungsabsicht gesprochen (Beweis: Lisa P , Ralf G ). Ihr sei auch erst während der Fehlzeiten der Klägerin aufgefallen, wie angenehm das Arbeiten ohne sie gewesen sei.
Die Klägerin hat bestritten, daß die Beklagte sich schon vor der Arbeitsunfähigkeit mit Kündigungsabsichten getragen habe. Wenn das Betriebsklima wirklich so schlecht gewesen sei, hätte die Beklagte schon im Januar 1996 gekündigt. Der zeitliche Zusammenhang zwischen Arbeitsunfähigkeit und Kündigung spreche dafür, daß ihr aus Anlaß der Arbeitsunterbrechung wegen Krankheit gekündigt worden sei.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die von der Klägerin eingelegte Berufung ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin nach wie vor eine Entscheidung nach ihrem Feststellungsantrag.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet; sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung, § 565 ZPO.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Von § 21 Nr. 6 BRTV Apothekenmitarbeiter würden nur Kündigungen erfaßt, die während einer Arbeitsunterbrechung ausgesprochen worden seien; daß nur Kündigungen aus Anlaß einer noch bestehenden Arbeitsunterbrechung verboten seien, ergebe sich aus der Formulierung des ersten Ausnahmetatbestandes, in dem die Fortdauer der Arbeitsunterbrechung im betreffenden Kalenderjahr über insgesamt drei Monate hinaus vorausgesetzt werde. Da die Kündigung erst ausgesprochen worden sei, als die Klägerin wieder arbeitsfähig gewesen sei, könne nicht von der Unwirksamkeit der Kündigung ausgegangen werden.
II. Dem folgt der Senat nicht. Die Revision rügt zutreffend die Auslegung der in Rede stehenden tariflichen Vorschrift durch das Landesarbeitsgericht. Der Senat hält dessen Auslegungsergebnis ebenfalls nicht für richtig.
1. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages, über die hier zwischen den Parteien Streit besteht, folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Soweit der Tarifwortlaut jedoch nicht eindeutig ist, ist der wirkliche Wille der Tarifparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifparteien liefern und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Läßt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend heranziehen (vgl. u.a. BAGE 73, 364, 368 f. = AP Nr. 144 zu § 1 TVG Auslegung, zu B II 1 a aa der Gründe und Senatsurteil vom 29. Januar 1997 - 2 AZR 370/96 - AP Nr. 22 zu § 1 TVG Tarifverträge: Textilindustrie, zu II 3 b aa der Gründe, m.w.N.).
a) Wenn insoweit in § 21 Nr. 6 BRTV formuliert ist, dem Apothekenmitarbeiter dürfe "aus Anlaß einer Arbeitsunterbrechung wegen Krankheit nicht gekündigt werden", so läßt diese Formulierung vom Wortlaut her gesehen die enge Interpretation des Landesarbeitsgerichts, wonach eine Kündigung nur während der Arbeitsunfähigkeit verboten sein soll, ebenso zu wie weitergehend eine solche, wonach eine Kündigung untersagt sein soll, deren Ursache und Auslöser eine Arbeitsunfähigkeit ist, wenn auch die Kündigung zur Zeit der wiederhergestellten Arbeitsfähigkeit ausgesprochen wird. Der Begriff "aus Anlaß" ist nämlich vom Sprachgebrauch her weiter als der Begriff "während", wie ihn das Landesarbeitsgericht seiner Interpretation zugrunde legt. Hätten die Tarifparteien hier lediglich auf das Zeitmoment "während" abstellen wollen, hätte nichts näher gelegen, als dies durch die Verwendung des entsprechenden Begriffs klarzustellen, wie dies z.B. in § 2 Abs. 1 ArbPlSchG (Kündigung während einer Wehrübung) im Vergleich zu § 2 Abs. 2 Satz 1 ArbPlSchG (Kündigung aus Anlaß des Wehrdienstes) geschehen ist.
Im übrigen ist nach den vorstehenden Auslegungsgrundsätzen der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen, ohne am Buchstaben zu haften. Der Sinn der Verwendung des Begriffs "aus Anlaß" erschließt sich eher, wenn auf den Grund bzw. die Ursache der Kündigung abgestellt wird. Insofern macht es nämlich wenig Sinn, daß der Arbeitnehmer nur gegen eine Kündigung während der Krankheit geschützt sein soll, während eine Kündigung im Anschluß an eine Arbeitsunfähigkeit ihn ebenso hart trifft. Die Ausnahmetatbestände in § 21 Nr. 6 BRTV besagen insofern - entgegen der Meinung des Landesarbeitsgerichts - nichts anderes. Danach soll das Kündigungsverbot lediglich wieder aufgehoben sein, wenn die Arbeitsunterbrechung im betreffenden Kalenderjahr insgesamt länger als drei Monate dauert oder die Krankheit Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit des Mitarbeiters nach sich zieht. Sinn und Zweck dieser Ausnahmeregelungen bestehen darin, nach einer längeren Erkrankung als drei Monate oder gar einer solchen, die Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit nach sich zieht, dem Arbeitgeber im Hinblick auf diese besonderen Belastungen wieder freie Hand bei dem Ausspruch einer Kündigung zu lassen.
Ersichtlich sehen dies die einschlägigen Tarifpartner nicht anders, denn die von den Parteien in der Revisionsinstanz vorgelegten Stellungnahmen des Arbeitgeberverbandes Deutscher Apotheken e.V. vom 4. Juli 1997 und des Bundesverbandes der Angestellten in Apotheken vom 5. August 1997 stimmen darin überein, daß die Formulierung "aus Anlaß einer Arbeitsunterbrechung wegen Krankheit" keine Festlegung in zeitlicher Hinsicht bedeutet, sondern sich auf den Grund der Kündigung bezieht.
b) Dieses Ergebnis der Auslegung steht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach dann, wenn die Tarifpartner gesetzliche Begriffe übernehmen, grundsätzlich davon auszugehen ist, daß sie den Begriff in seiner allgemein gültigen Bedeutung - nämlich der des Gesetzes - gebraucht haben und nicht anders verstanden wissen wollten (Senatsurteile vom 14. November 1957 - 2 AZR 481/55 - AP Nr. 13 zu § 1 TVG Auslegung; vom 17. Mai 1984 - 2 AZR 161/83 - AP Nr. 3 zu § 55 BAT, zu II 2 d der Gründe und vom 29. August 1991 - 2 AZR 59/91 - AP Nr. 58 zu § 102 BetrVG 1972, zu II 2 a der Gründe).
aa) Auch in § 2 Abs. 2 Satz 1 ArbPlSchG wird der Begriff "Kündigung aus Anlaß des Wehrdienstes" in dem Sinne verwandt, daß der Wehrdienst bestimmendes Motiv des Arbeitgebers für die Kündigung ist (vgl. KR-Weigand, 4. Aufl., § 2 ArbPlSchG Rz 32; Sahmer, ArbPlSchG, 3. Aufl., Stand Juni 1991, E § 2 Erl. 15; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 8. Aufl., § 144 III 2; LAG Frankfurt am Main Urteil vom 7. März 1969 - 3 Sa 443/68 - AP Nr. 1 zu § 2 ArbPlSchG). Eine ähnliche Regelung enthält auch § 2 Abs. 2 EignÜG, wonach aus Anlaß der Teilnahme des Arbeitnehmers an einer Eignungsübung der Arbeitgeber nicht kündigen darf. Auch hier wird auf subjektive, mitbestimmende Kündigungsüberlegungen des Arbeitgebers abgestellt (vgl. Sahmer, EignÜG, § 2 Rz 34). Allerdings sieht der Gesetzgeber in beiden Fällen - und dies im Unterschied zu § 21 Nr. 6 BRTV - eine bestimmte Beweislastverteilung vor, wenn in § 2 Abs. 2 Satz 3 EignÜG eine widerlegliche Vermutung und in § 2 Abs. 2 Satz 3 ArbPlSchG eine Umkehr der Beweislast vorgesehen wird.
bb) Dieselbe Begrifflichkeit wird in § 6 des Lohnfortzahlungsgesetzes vom 27. Juli 1969 wie auch in § 8 des Entgeltfortzahlungsgesetzes vom 26. Mai 1994 benutzt, nämlich daß der Entgeltfortzahlungsanspruch nicht dadurch berührt wird, daß der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus Anlaß der Arbeitsunfähigkeit kündigt. Dazu hat das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung (seit BAGE 24, 1 = AP Nr. 1 zu § 6 LohnFG bis zum Urteil vom 2. Dezember 1981 - 5 AZR 953/79 - AP Nr. 19, aaO) entschieden, "aus Anlaß" beziehe sich auf den zur Kündigung bewegenden Grund; innerhalb der Ursachenkette müsse sich die Arbeitsunfähigkeit allerdings als eine die Kündigung wesentlich mitbestimmende Bedingung darstellen; sie müsse den entscheidenden Anstoß für den Entschluß des Arbeitgebers zum Ausspruch der Kündigung gegeben haben.
Es ist nach alledem davon auszugehen, daß § 21 Nr. 6 BRTV dahin zu verstehen ist, eine Kündigung aus Anlaß einer Arbeitsunterbrechung wegen Krankheit könne auch dann vorliegen, wenn die Kündigung selbst außerhalb der Zeit der Arbeitsunfähigkeit - wie dies hier der Fall ist - ausgesprochen wird. Der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts kann deshalb nicht gefolgt werden.
2. Allerdings liegen bisher - und dies liegt in der Konsequenz der Entscheidung - keine Festellungen des Landesarbeitsgerichts dazu vor, was für die Beklagte Grund für die Kündigung war. Im Anschluß an die zuvor erörterten Gesichtspunkte und die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 6 LohnFG ist festzustellen, ob die Kündigung vom 23. März 1996 ihre objektive Ursache in der Arbeitsunterbrechung wegen Krankheit hatte und diese sich innerhalb der Ursachenkette als eine die Kündigung wesentlich mitbestimmende Bedingung darstellte und den entscheidenden Anstoß für den Entschluß zum Ausspruch der Kündigung gegeben hat. Diese ergänzende Interpretation der Rechtsprechung zu § 6 LohnFG zum Begriff "aus Anlaß" ist für denselben Begriff in § 21 Nr. 6 BRTV zu übernehmen, wenn auch die Stellungnahmen der Sozialpartner in diesem Punkt gegensätzlich sind. Sie entspricht im übrigen auch herkömmlichem Sprachgebrauch, wonach der Begriff "Anlaß" mit Beweggrund, Triebfeder gleichgesetzt wird (Duden, sinn- und sachverwandte Wörter, S. 45, Stichwort Anlaß).
a) Die Klägerin will den Beweggrund für die Kündigung aus dem zeitlichen Zusammenhang zwischen den Arbeitsunfähigkeitszeiten vom 13. November 1995 bis 6. Januar 1996 sowie vom 4. bis 16. März 1996 und der am 23. März 1996 ausgesprochenen Kündigung herleiten. Insofern war in der Rechtsprechung zu § 6 LohnFG entschieden worden (u.a. BAG Urteil vom 20. August 1980 - 5 AZR 218/78 - AP Nr. 11, aaO), kündige der Arbeitgeber in zeitlichem Zusammenhang mit der Krankmeldung eines Arbeitnehmers oder der Anzeige, daß eine bekannte Arbeitsunfähigkeit fortdauere, so spreche ein Beweis des ersten Anscheins dafür, daß die Arbeitsunfähigkeit oder deren Fortdauer Anlaß der Kündigung war; diesen Beweis des ersten Anscheins soll der Arbeitgeber nur dadurch erschüttern können, daß er Tatsachen vorträgt und erforderlichenfalls beweist, aus denen sich ergibt, daß andere Gründe seinen Kündigungsentschluß bestimmt haben.
b) Auch diese Rechtsprechung läßt sich wegen der gleichen Begrifflichkeit auf die vorliegende tarifliche Bestimmung übertragen, wenn auch die oben zu II 1 b aa) genannten gesetzlichen Beweislastregeln als Ausnahmeregelungen nicht analogiefähig sind (ähnlich Senatsurteil vom 5. Dezember 1985 - 2 AZR 3/85 - AP Nr. 47 zu § 613 a BGB, zu B II 2 a der Gründe). Der zeitliche Zusammenhang zwischen Krankmeldung und Kündigung im Falle des § 6 LohnFG bzw. § 8 EFZG indiziert ähnlich wie bei Arbeitsunterbrechung wegen Krankheit und der eine Woche später erfolgten Kündigung des Arbeitsverhältnisses, daß das krankheitsbedingte Fehlen Ursache der Kündigung war. Dafür spricht die Lebenserfahrung, insbesondere bei einem langjährigen unbelasteten Arbeitsverhältnis. Es handelt sich dabei um eine Frage der abgestuften Darlegungs- und Beweislast. Die Klägerin hat mit der Darstellung des zeitlichen Zusammenhangs von einer Woche zwischen Arbeitsunterbrechung wegen Krankheit und der nachfolgenden Kündigung das ihrerseits erforderliche getan. Solange die Beklagte hierauf nicht erwidert, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, daß aus Anlaß der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit gekündigt worden ist. Damit wird weder eine Beweislastumkehr noch über den Tarifwortlaut hinaus eine normative Vermutung aufgestellt, sondern eine Lebenserfahrungsregel, die der Arbeitgeber durch geeigneten Sachvortrag entkräften kann.
c) Einen typischen Geschehensablauf in dem Sinne, daß die Arbeitsunfähigkeit den entscheidenden Anstoß für den Entschluß zum Ausspruch der Kündigung gebracht hat, hat die Beklagte durch schlüssigen Sachvortrag zu entkräften versucht. Danach will sie die Kündigung wegen des seit einigen Jahren angespannten Verhältnisses und des schlechten Betriebsklimas ausgesprochen haben, was die Klägerin zumindest hinsichtlich der zurückliegenden Jahre bestritten hat. Schon in der Klageschrift hat sie vorgetragen, seit der Arbeitsunfähigkeit sei das Arbeitsklima zwischen den Parteien völlig verändert. Die Beklagte hat allerdings weiter behauptet, bei den früheren morgendlichen Gesprächen habe sich die Klägerin immer weniger beteiligt und habe nur noch barsche und kurze Antworten gegeben, so u.a. auch bei der Wiederaufnahme der Arbeit im März 1996, als sie auf die Frage nach ihrem Befinden erwidert habe, man werde dies sehen. Zu dieser Behauptung hat die Klägerin bisher nicht substantiiert Stellung genommen. Die Beklagte hat ferner erstinstanzlich - allerdings von der Klägerin bestritten vorgetragen, sie habe schon vor der Erkrankung der Klägerin sowohl mit ihrem Ehemann wie auch mit der Reinigungskraft Lisa P über eine Trennung von der Klägerin gesprochen, die Kündigungsabsicht sei zurückgestellt worden, weil sie nach einem 19jährigen Arbeitsverhältnis der Klägerin die Kündigung nicht per Post habe zustellen lassen, sondern persönlich übergeben wollen. Danach erscheint der Sachvortrag der Beklagten jedenfalls plausibel, Motivation für die Kündigung sei nicht die Arbeitsunfähigkeit, sondern das Verhalten der Klägerin gewesen. Wird dieser Sachvortrag bewiesen, kann der Beklagten eine weitere Darlegungslast für das Nichtvorliegen eines krankheitsbedingten Kündigungsgrundes außerhalb der Geltung des Kündigungsschutzgesetzes mit der Spezialvorschrift des § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG nicht überbürdet werden. Vielmehr ist es Sache der Klägerin, nähere Umstände vorzutragen, aus denen gefolgert werden könnte, die Kündigung sei doch aus Anlaß der Arbeitsunfähigkeitszeiten ausgesprochen worden. Insofern könnte es erheblich sein, ob die Klägerin auch in früheren Jahren wegen Arbeitsunfähigkeit gefehlt und ggf. wie die Beklagte darauf reagiert hat. Auch um den Parteien in Anbetracht der Rechtsauffassung des Senats Gelegenheit zu ergänzendem Sachvortrag zu geben, ist daher eine Zurückverweisung unumgänglich.
Fundstellen