Entscheidungsstichwort (Thema)

Beschäftigungszeit einer Freundschaftspionierleiterin

 

Orientierungssatz

1. Die Zeit, in der ein Angestellter als Freundschaftspionierleiter tätig war, ist nicht als Beschäftigungszeit anzurechnen. Dies folgt aus Nr 4 Satz 1 Buchst c Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O, wie der Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden hat.

2. Hinweise des Senats:

Fortsetzung der Rechtsprechung des Senats aus den Urteilen vom 19. Januar 1995 (- 6 AZR 560/94 - BAGE 79, 143 = AP Nr 1 zu § 19 BAT-O), vom 16. Oktober 1997 ( - 6 AZR 188/96 - nv) und vom 29. Januar 1998 (- 6 AZR 333/96 - nv)

 

Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sächsischen

Landesarbeitsgerichts vom 7. November 1997 - 3 Sa 521/97 -

wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob Zeiten, die die Klägerin zurückgelegt hat, nach § 19 BAT-O als Beschäftigungszeit anzurechnen sind.

Die Klägerin hat am Institut für Lehrerbildung Nossen die Lehrbefähigung für untere Klassen in den Fächern Deutsch, Mathematik und Wahlfach Körpererziehung erworben. Seit dem 1. August 1971 war sie beim Rat des Kreises D Abteilung Volksbildung, als Lehrerin beschäftigt. Aufgrund von Änderungsverträgen vom 13. Februar 1981, vom 7. September 1982 und vom 14. Oktober 1985 war die Klägerin vom 22. März 1981 bis zum 31. Mai 1983 sowie vom 1. September 1985 bis zum 31. Dezember 1986 als Freundschaftspionierleiterin tätig. Seit der Wiedervereinigung Deutschlands wird die Klägerin von dem beklagten Freistaat weiterbeschäftigt.

Auf das Arbeitsverhältnis findet aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme der Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts - Manteltarifliche Vorschriften - (BAT-O) - vom 10. Dezember 1990 Anwendung. In § 19 BAT-O und den "Übergangsvorschriften für Zeiten vor dem 1. Januar 1991" (fortan: Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O) heißt es:

"§ 19

Beschäftigungszeit

(1) Beschäftigungszeit ist die bei demselben Arbeitgeber nach

Vollendung des 18. Lebensjahres in einem Arbeitsverhältnis

zurückgelegte Zeit, auch wenn sie unterbrochen ist.

...

(2) Übernimmt ein Arbeitgeber eine Dienststelle oder

geschlossene Teile einer solchen von einem Arbeitgeber, der

von diesem Tarifvertrag erfaßt wird oder diesen oder einen

Tarifvertrag wesentlich gleichen Inhalts anwendet, so werden

die bei der Dienststelle bis zur Übernahme zurückgelegten

Zeiten nach Maßgabe des Absatzes 1 als Beschäftigungszeit

angerechnet.

...

Übergangsvor1. Als Übernahme im Sinne des Absatzes 2 gilt auch die

Überführung von Einrichtungen nach Artikel 13 des

Einigungsvertrages.

2. Ist infolge des Beitritts der DDR der frühere

Arbeitgeber weggefallen, ohne daß eine Überführung

nach Artikel 13 des Einigungsvertrages erfolgt ist,

gelten als Beschäftigungszeit nach Maßgabe des

Absatzes 1

...

b) für Angestellte der Länder

Zeiten der Tätigkeit bei zentralen oder örtlichen

Staatsorganen und ihren nachgeordneten Einrichtungen

oder sonstigen Einrichtungen oder Betrieben, soweit

das Land deren Aufgaben bzw. Aufgabenbereiche

derselben ganz oder überwiegend übernommen hat,

...

4. Von der Berücksichtigung als Beschäftigungszeit

sind ausgeschlossen

...

c) Zeiten einer Tätigkeit, die aufgrund einer

besonderen persönlichen Systemnähe übertragen worden

war.

Die Übertragung der Tätigkeit aufgrund einer

besonderen persönlichen Systemnähe wird insbesondere

vermutet, wenn der Angestellte

aa) vor oder bei Übertragung der Tätigkeit eine

hauptamtliche oder hervorgehobene ehrenamtliche

Funktion in der SED, dem FDGB, der FDJ oder einer

vergleichbar systemunterstützenden Partei oder

Organisation innehatte.

...

Der Angestellte kann die Vermutung widerlegen.

Von einer Berücksichtigung als Beschäftigungszeit

ausgeschlossen sind auch diZeiten, die vor einer

Tätigkeit im Sinne des Buchstaben a bis c zurückgelegt

worden sind.

..."

Nachdem das Oberschulamt Dresden zunächst die gesamte Zeit der Tätigkeit der Klägerin seit dem 1. August 1971 als Beschäftigungszeit iSv. § 19 BAT-O anerkannt hatte, setzte es mit Schreiben vom 24. April 1996 den Beginn der Beschäftigungszeit mit Rücksicht darauf, daß die Klägerin als Freundschaftspionierleiterin tätig war, auf den 1. Januar 1987 neu fest.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, auch die Zeit vom 1. August 1971 bis zum 31. Dezember 1986 sei als Beschäftigungszeit anzurechnen. Das Amt einer Freundschaftspionierleiterin habe sie nur widerwillig übernommen und ausgeübt; sie habe nie in einem Arbeitsverhältnis zur FDJ gestanden. Sie sei hauptamtlich Lehrerin gewesen, nicht Freundschaftspionierleiterin. Sie habe auch keine Ausbildung als Freundschaftspionierleiterin erhalten und außerdem sei sie 1973 aus der FDJ ausgetreten. Als Freundschaftspionierleiterin habe sie nur Schulfeste organisiert, Gedichte und Lieder ausgewählt und Rohstoffsammlungen organisiert. Der monatliche Appell sei durch den Schulleiter veranstaltet worden.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, den Beginn der Beschäftigungszeit

der Klägerin gem. § 19 BAT-O ab 1. August 1971 festzusetzen.

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die Zeit der Tätigkeit der Klägerin als Freundschaftspionierleiterin sei nach Nr. 2 Buchst. b und 4 Satz 1 Buchst. c Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O als Beschäftigungszeit nicht zu berücksichtigen. Der Klägerin sei die Tätigkeit als Freundschaftspionierleiterin aufgrund ihrer besonderen persönlichen Systemnähe übertragen worden. Darauf, ob die Klägerin als Freundschaftspionierleiterin ausgebildet worden sei, komme es nicht an. Da die Klägerin die Aufgabe einer Freundschaftspionierleiterin wahrgenommen habe, und die Tarifvertragsparteien eine solche Tätigkeit als besonders systemnah ansähen, sei die Widerlegung der Vermutung nach Nr. 4 Satz 1 Buchst. c Satz 2 Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O ausgeschlossen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg. Zu Recht haben die Vorinstanzen die Klage als unbegründet abgewiesen.

Die Zeit vor dem 1. Januar 1987 ist wegen der Tätigkeit der Klägerin als Freundschaftspionierleiterin von der Anrechnung als Beschäftigungszeit iSv. § 19 BAT-O ausgeschlossen.

1. Die Zeit, in der ein Angestellter als Freundschaftspionierleiter tätig war, ist nicht als Beschäftigungszeit anzurechnen. Dies folgt aus Nr. 4 Satz 1 Buchst. c Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O, wie der Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden hat (vgl. Senatsurteile 19. Januar 1995 - 6 AZR 560/94 - BAGE 79, 143; 16. Oktober 1997 - 6 AZR 188/96 - und vom 29. Januar 1998 - 6 AZR 333/96 - beide nicht veröffentlicht).

a) Nach Nr. 4 Satz 1 Buchst. c Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O sind von der Berücksichtigung als Beschäftigungszeit ausgeschlossen Zeiten einer Tätigkeit, die aufgrund einer besonderen persönlichen Systemnähe übertragen worden war. Dies trifft auf die Tätigkeit der Klägerin als Freundschaftspionierleiterin zu.

Die Verwendung der Klägerin vom 22. März 1981 bis zum 31. Mai 1983 sowie vom 1. September 1985 bis zum 31. Dezember 1986 sind nach der Richtlinie zur Auswahl, zur Delegierung, zum Einsatz und zur Tätigkeit der hauptberuflich tätigen Freundschaftspionierleiter vom 5. April 1976 (Verfügungen und Mitteilungen des Ministeriums für Volksbildung 1976 S 23) - im folgenden: Richtlinie 76 - und nach der Richtlinie zur Tätigkeit der hauptamtlichen Freundschaftspionierleiter (Arbeits-richtlinie) und Regelungen für die Leitungen der FDJ zur Auswahl, zur Delegierung und zum Einsatz der Freundschaftspionierleiter vom 17. April 1984 (Verfügungen und Mitteilungen des Ministeriums für Volksbildung 1984 S 77) - im folgenden: Richtlinie 84 -, zu beurteilen. Der Freundschaftspionierleiter war danach politischer Leiter der Pionierfreundschaft (Abschnitt I Nr. 1 Richtlinie 84). Aus beiden Richtlinien ergibt sich, daß die Tätigkeit des Freundschaftspionierleiters aufgrund einer besonderen persönlichen Systemnähe übertragen worden war. Der Senat hat dazu in seiner grundlegenden Entscheidung vom 19. Januar 1995 (aaO) ausgeführt:

"Der Freundschaftspionierleiter war hauptamtlicher Funktionär der FDJ. In Abschnitt I Nr. 1 der Richtlinie 84 ist seine Stellung unter der Überschrift "Der Freundschaftspionierleiter als hauptamtlicher Funktionär der Freien Deutschen Jugend" beschrieben. ... Er war nach Abschnitt I Nr. 2.1. Richtlinie 84 beauftragt, die Pionierfreundschaft auf der Grundlage der Beschlüsse der SED und der FDJ in Übereinstimmung mit den Bildungs- und Erziehungsaufgaben der Schule politisch und pädagogisch zu führen. Der Freundschaftspionierleiter stützte sich in seiner Tätigkeit auf die Kraft der Schulparteiorganisation der SED und legte vor ihr Rechenschaft über die Erfüllung seiner Aufgaben ab (Abschnitt I Nr. 2.2. Richtlinie 84). Die grundlegende Aufgabe des Freundschaftspionierleiters war es, "den Jungen Pionieren die Politik der SED, die Weltanschauung und Moral der Arbeiterklasse zu vermitteln und sie aktiv in den Kampf des werktätigen Volkes für die Stärkung und den Schutz des sozialistischen Vaterlandes, der Deutschen Demokratischen Republik, einzubeziehen" (Abschnitt I Nr. 3 Richtlinie 84). Bereits aus dieser Stellung und Aufgabenbeschreibung des Freundschaftspionierleiters, wie auch aus seiner Berufung durch das Sekretariat der Kreisleitung der FDJ (Abschnitt I Nr. 4.1. der Richtlinie 84) ergibt sich, daß die Übertragung der Tätigkeit eines Freundschaftspionierleiters eine besondere persönliche Systemnähe voraussetzte."

b) Daraus folgt, daß die Freundschaftspionierleitertätigkeit iSv. Nr. 4 Satz 1 Buchst. c Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O als aufgrund einer besonderen persönlichen Systemnähe übertragen anzusehen ist. Die in Nr. 4 Satz 1 Buchst. c Doppelbuchst. aa Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O geregelte Fallgestaltung, die für die Vermutung einer besonderen persönlichen Systemnähe voraussetzt, daß die Tätigkeit, deren Anrechnung der Angestellte begehrt, nicht mit hauptamtlicher Funktion der FDJ identisch ist, liegt nicht vor. Deshalb ist hier auch für die Widerlegung einer solchen Vermutung nach Nr. 4 Satz 3 Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O kein Raum (vgl. BAG 19. Januar 1995 - 6 AZR 560/94 - aaO).

2. Unerheblich ist, daß die Klägerin auch unterrichtete und somit gemäß ihrer Ausbildung auch als Lehrerin für untere Klassen in den Fächern Deutsch, Mathematik und im Wahlfach Körpererziehung tätig war. Durch diese "Doppelstellung" entfällt nicht die Bewertung ihrer Tätigkeit einer Freundschaftspionierleiterin als hauptamtliche Funktionärin der FDJ mit dem Arbeitsplatz Schule (Abschn. I Nr. 2.1. Richtlinie 84) und die daraus folgende rechtliche Konsequenz nach den Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O.

3. Nach Nr. 4 Satz 4 Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O sind von der Berücksichtigung als Beschäftigungszeit auch die Zeiten ausgeschlossen, die vor einer Tätigkeit als Freundschaftspionierleiter zurückgelegt worden sind. Es bedarf deshalb keiner Entscheidung der Frage, ob diese Zeiten die übrigen Anrechnungsvoraussetzungen nach § 19 BAT-O und den Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O erfüllen würden.

4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Dr. Peifer

Dr. ArmbGräfel H. Lenßen

Augat

 

Fundstellen

Haufe-Index 611007

ZTR 2000, 25

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