Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschlußfrist für die Erstattung von Vorruhestandsgeld - Insolvenzsicherung durch die ZVK
Leitsatz (redaktionell)
Die Prüfungssperre der §§ 65, 73 Abs 2 ArbGG entfällt bei einem Verfahrensverstoß der Vorinstanzen bei der Behandlung der Rüge örtlicher Unzuständigkeit nicht.
Die Ausschlußfristen des § 16 des Bundesrahmentarifvertrages für das Baugewerbe vom 24.9.1990 (BRTV-Bau) finden auf Ansprüche der ausgeschiedenen Arbeitnehmer auf Vorruhestandsleistungen nach dem Tarifvertrag über den Vorruhestand im Baugewerbe (VRTV-Bau) keine Anwendung.
Normenkette
ArbGG §§ 65, 48 Abs. 1; GVG § 17a Abs. 3; ArbGG § 73 Abs. 2; KO § 59 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a; BauRTV § 16 Fassung 1990-09-24
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Entscheidung vom 28.02.1994; Aktenzeichen 10 Sa 506/92) |
ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 16.01.1992; Aktenzeichen 4 Ca 1819/91) |
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Erstattung von Vorruhestandsgeld.
Der Kläger ist ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit. Er hat als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien den Arbeitgebern des Baugewerbes nach den Bestimmungen des allgemein-verbindlichen Tarifvertrags für den Vorruhestand im Baugewerbe (VRTV-Bau) vom 26. September 1984 in der Fassung vom 27. Oktober 1988 seit dem 1. Januar 1986 90 % des von den Arbeitgebern gezahlten tarifvertraglichen Vorruhestandsgeldes zu erstatten, wenn der Vorruhestand nach dem 31. Dezember 1985 begann. Der Kläger hat ferner die vollen tariflichen Vorruhestandsleistungen wie ein Arbeitgeber nach diesen tariflichen Vorschriften zu gewähren, wenn über das Vermögen des Arbeitgebers das Konkursverfahren eröffnet ist oder die Durchsetzung des Anspruchs gegen den Arbeitgeber für den Arbeitnehmer unzumutbar ist. Der Anspruch des Arbeitnehmers auf Vorruhestandsleistung gegen seinen Arbeitgeber geht in diesem Fall auf den Kläger über.
Der Beklagte ist der Konkursverwalter der K GmbH & Co. KG, über deren Vermögen am 20. April 1990 das Konkursverfahren eröffnet wurde. Die Gemeinschuldnerin unterhielt einen baugewerblichen Betrieb, in dem sie mehrere in der Rentenversicherung der Arbeiter versicherte Arbeitnehmer beschäftigte. Einige Arbeitnehmer befanden sich zur Zeit der Eröffnung des Konkursverfahrens im Vorruhestand. Die Gemeinschuldnerin stellte ihre Vorruhestandsleistung ab Februar 1990 ein. Der Kläger gewährte im Rahmen der tarifvertraglich geregelten Insolvenzsicherung von dieser Zeit an die Vorruhestandsgelder in voller Höhe. Mit der 1991 eingereichten Klage verlangt der Kläger von dem Beklagten unter Abzug des dem Arbeitgeber zustehenden 90 %igen Erstattungsbetrages den Ausgleich der auf ihn übergegangenen Vorruhestandsleistungen als Masseforderung in Höhe von 10 % der von ihm an die im Vorruhestand befindlichen ehemaligen Arbeitnehmer für die Zeit vom 1. Februar 1990 bis 20. April 1990 in unstreitiger Höhe geleisteten 7.127,84 DM.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger
7.127,84 DM zu zahlen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Das Arbeitsgericht hat die von dem Beklagten gerügte örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts im Urteil bejaht und der Zahlungsklage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Beklagte sein Klageabweisungsziel weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung des geltend gemachten Betrages nach § 11 Abs. 1 und Abs. 2 VRTV-Bau, § 59 Abs. 1 Nr. 3 a KO. Dieser Anspruch ist nicht nach § 16 BRTV-Bau verfallen.
I. Die Revision weist zu Recht darauf hin, daß das Arbeitsgericht versäumt hat, über die vom Beklagten gerügte örtliche Zuständigkeit in einem besonderen Verfahren nach § 48 ArbGG, § 17 a Abs. 3 GVG zu entscheiden. Darauf und auf die Tatsache, daß das Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts über die örtliche Zuständigkeit im Rahmen seines Urteils einer Überprüfung durch das Berufungsgericht nicht für zugänglich gehalten hat, kann die Revision jedoch nicht gestützt werden, § 73 Abs. 2, § 65 ArbGG. Danach prüft das Revisionsgericht unter anderem nicht, ob das Gericht des ersten und zweiten Rechtszugs seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat.
Die Prüfungssperre des § 73 Abs. 2 und des § 65 ArbGG entfällt bei einem Verfahrensverstoß der Vorinstanz bei der Behandlung der Rüge örtlicher Unzuständigkeit anders als bei Rechtswegrügen (dazu Urteil des BAG vom 26. März 1992 - 2 AZR 443/91 - AP Nr. 7 zu § 48 ArbGG 1979) nicht. Die Rechtsprechung, wonach das Berufungsgericht das Versäumnis des Arbeitsgerichts, eine Vorabentscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs nach § 48 Abs. 1 ArbGG, § 17 Abs. 3 Satz 2 GVG entgegen § 65 ArbGG in dem zutreffenden Verfahren (Vorabentscheidung) nachzuholen habe, beruht auf der zutreffenden Erwägung, daß einer Partei durch ein unrichtiges Verfahren eines Gerichts keine Nachteile entstehen dürfen. Die Prüfungssperre muß entfallen, um die vom Gesetzgeber vorgesehene sachliche Überprüfung der Rechtswegentscheidung durch ein Rechtsmittelgericht zu ermöglichen.
Diese Überlegungen treffen für eine formell unzutreffende Entscheidung des Arbeitsgerichts über die örtliche Zuständigkeit nicht zu. Denn Beschlüsse des Arbeitsgerichts über die örtliche Zuständigkeit im Verfahren nach § 17 a Abs. 3 GVG sind nach § 48 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG unanfechtbar. Das Landesarbeitsgericht hätte bei einem ordnungsgemäßen Beschluß des Arbeitsgerichts nach § 48 Abs. 1 ArbGG, § 17 a Abs. 3 Satz 2 GVG keine Möglichkeit der Überprüfung im Beschwerdeweg gehabt. Dann entfällt auch die Möglichkeit, das Vorabverfahren im Rahmen einer Berufung zu beginnen und den Rechtsstreit im übrigen gegebenenfalls auszusetzen (so zur Rechtswegentscheidung BAG, aaO). Denn auch bei korrektem Verfahren hätte der Beklagte vom Arbeitsgericht keine beschwerdefähige Vorabentscheidung erhalten. Es bleibt daher in den Fällen fehlerhafter Behandlung von Rügen zur örtlichen Zuständigkeit bei der Prüfungssperre der §§ 65, 73 Abs. 2 ArbGG, 17 a Abs. 5 GVG.
II. Die Ansprüche des Klägers nach § 11 Abs. 1 und Abs. 2 VRTV-Bau sind nach § 57 KO vorweg aus der Konkursmasse zu berichtigen. Die Ansprüche der ehemaligen Arbeitnehmer auf Vorruhestandsgeld waren Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis im Sinne des § 59 Abs. 1 Nr. 3 a KO und daher Masseschulden. Das Recht der Arbeitnehmer, vorweg aus der Masse Berichtigung von Ansprüchen auf Vorruhestandsgeld nach § 59 Abs. 1 Nr. 3 a KO verlangen zu können, ging mit den Forderungen auf den Kläger über (Senatsurteile vom 15. Juni 1993 - 9 AZR 208/92 - AP Nr. 123 zu § 4 TVG Ausschlußfristen und vom 24. August 1993 - 9 AZR 498/91 - AP Nr. 36 zu § 59 KO).
III. Die Ansprüche des Klägers waren auch nicht nach § 16 des für allgemeinverbindlich erklärten Bundesrahmentarifvertrags für das Baugewerbe (BRTV-Bau) verfallen.
1. Auf das Arbeitsverhältnis der Gemeinschuldnerin mit ihren ehemaligen Arbeitnehmern fand der Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe Anwendung. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 und Abs. 3 BRTV-Bau über den betrieblichen und persönlichen Geltungsbereich waren gegeben (anders lag der Sachverhalt in dem Senatsurteil vom 15. Juni 1993 - 9 AZR 208/92 - aaO). Bei den Vorruhestandsleistungen handelt es sich auch um Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis im Sinne der tariflichen Ausschlußfrist des § 16 Abs. 1 BRTV-Bau, wenigstens aber um solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen.
2. Die Bestimmungen des § 16 BRTV-Bau über Ausschlußfristen finden aber für das Vorruhestandsverhältnis und die Ansprüche der Arbeitnehmer auf Vorruhestandsgeld, für Erstattungsansprüche der Arbeitgeber und für die verschiedenen Ansprüche der gemeinsamen Einrichtung ZVK keine Anwendung. Für diese Ansprüche gelten die Bestimmungen des Vorruhestandstarifvertrages vom 26. September 1984 in der jeweiligen Fassung und des Verfahrenstarifvertrages für das Vorruhestandstarifverfahren (VTVR-Bau) als besondere Regelungen gegenüber dem BRTV-Bau. Beide Tarifverträge enthalten abschließende Regelungen über das Erlöschen und das Ruhen des Anspruches auf Vorruhestandsgeld in § 8 VRTV-Bau und über die Verjährung der Ansprüche des Arbeitgebers auf Vorruhestandserstattung und des ausgeschiedenen Arbeitnehmers gegen die ZVK in § 19 VRTV-Bau. Diese Bestimmungen belegen, daß die Tarifvertragsparteien die zeitliche Begrenzung der Ansprüche auf Vorruhestandsgeld, Beitrags- und Erstattungsansprüche eigenständig geregelt haben. Daneben finden die tarifvertraglichen Ausschlußfristen des BRTV-Bau, die die kurzfristige Abwicklung der Ansprüche aus aktiven Arbeitsverhältnissen sicherstellen sollen, keine Anwendung (für Ansprüche aus dem Ruhestandsverhältnis im Ergebnis ebenso BAG Urteil vom 14. April 1983 - 3 AZR 4/81 - AP Nr. 6 zu § 6 BetrAVG).
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Leinemann Dörner Düwell
Weiss Volpp
Fundstellen
Haufe-Index 441810 |
BAGE 81, 1-4 (Leitsatz 1 und Gründe) |
BAGE, 1 |
BB 1996, 381 |
BB 1996, 381-382 (Leitsatz 1 und Gründe) |
DB 1996, 583-584 (Leitsatz 1 und Gründe) |
EWiR 1996, 363 (Leitsatz 1-2, red. Leitsatz 3) |
KTS 1996, 178-179 (red. Leitsatz 1 und Gründe) |
KTS 1996, 178-179 (red. Leitsatz und Gründe) |
NZA 1996, 610 |
NZA 1996, 610-611 (Leitsatz 1 und Gründe) |
SAE 1997, 350-351 (Leitsatz 1 und Gründe) |
ZIP 1996, 433 |
ZIP 1996, 433-435 (Leitsatz 1 und Gründe) |
AP § 1 TVG Tarifverträge Bau (Leitsatz 1), Nr 195 |
AP § 1 TVG, Nr 24 |
AP § 17a GVG (red. Leitsatz 1), Nr 27 |
AP, 0 |
AR-Blattei, ES 370.8 Nr 173 (Leitsatz 1 und Gründe) |
EzA § 4 TVG Ausschlußfristen, Nr 117 (Leitsatz 1 und Gründe) |