Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergütung eines Flugzeugführers. Tarifänderung. Rückwirkung. Vergütungsstufenaufstieg. Ungerechtfertigte Bereicherung: Kenntnis der Nichtschuld, Wegfall der Bereicherung
Orientierungssatz
1. Die Regelung eines Änderungstarifvertrages, die im Zusammenhang mit der Korrektur eines Tabellenwertes in einem Vergütungstarifvertrag während dessen Laufzeit die Absenkung der “folgenden Steigerungen der Grundvergütung” infolge Stufenaufstiegs um den gemessen an dem neuen Tabellenwert “überschießenden Betrag” vorsieht, greift nicht rückwirkend in entstandene Ansprüche der betroffenen Arbeitnehmer ein.
2. Nach § 814 BGB kann das zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit Geleistete nicht zurückgefordert werden, wenn dem Leistenden bekannt war, dass er zur Leistung nicht verpflichtet war. Erforderlich ist die positive Kenntnis der Rechtslage zum Zeitpunkt der Leistung. Nicht ausreichend ist die Kenntnis der Tatsachen, aus denen sich das Fehlen einer rechtlichen Verpflichtung ergibt. Der Leistende muss wissen, dass er nach der Rechtslage nichts schuldet. Beruht die Unkenntnis auf grober Fahrlässigkeit, schließt das den Rückforderungsanspruch nicht aus.
Normenkette
BGB §§ 814, 818 Abs. 3, § 242
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 7. April 2006 – 12 Sa 1434/05 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die zutreffende Höhe der dem Kläger zustehenden tariflichen Vergütung. Dabei geht der Streit darum, ob ein Änderungstarifvertrag wirksam ist, der während der Laufzeit eines Vergütungstarifvertrages künftige Vergütungssteigerungen vorübergehend beschneidet.
Der Kläger steht seit dem 22. Oktober 1999 als Flugzeugführer in den Diensten des beklagten Luftfahrtunternehmens, der Deutschen Lufthansa Aktiengesellschaft (DLH). Er übt die Tätigkeit eines Senior First Officers aus. Das Arbeitsverhältnis der Parteien richtet sich nach dem Arbeitsvertrag vom 18. Oktober 1999. In Ziff. 2 dieses Vertrages ist bestimmt, dass sich “die gegenseitigen Rechte und Pflichten” ua. aus den Tarifverträgen “Lufthansa in ihrer jeweils geltenden Fassung” ergeben.
Seit dem 1. Februar 2001 war die Vergütung des Cockpitpersonals in dem von der Vereinigung Cockpit mit der Beklagten am 8. Juni 2001 abgeschlossenen Vergütungstarifvertrag Nr. 8 (im Folgenden VTV Nr. 8) geregelt. Nach Teil 1 § 3 Abs. (3) VTV Nr. 8 belief sich der sog. Steigerungsbetrag der Stufensteigerung nach jeweils einem Beschäftigungsjahr bei dem I… Offizier einschließlich Senior First Officer, dessen Grundvergütung in der ersten Stufe 7.900,00 DM betrug, bei einer Grundvergütung “unterhalb von DM 11.290,--” auf 565,00 DM (große Stufensteigerung), bei einer “Grundvergütung von DM 11.290,-- oder mehr” auf 226,00 DM (kleine Stufensteigerung). Nach dieser Tarifsystematik wird mit der sechsten großen Stufensteigerung der Schwellenwert (“Tabelleneckwert”) erreicht, so dass danach kleine Stufensteigerungen bis zu einem Höchstbetrag folgten. Für die Umrechnung der Vergütungssätze des VTV Nr. 7 in diejenigen des VTV Nr. 8, in dem die Umbasierung von 13 auf 12 Monatsgehälter und eine zweiprozentige Tabellenerhöhung vereinbart ist, wurde der exemplarisch auf mehrere Stellen hinter dem Komma ermittelte Steigerungsprozentsatz auf zwei Stellen hinter dem Komma gerundet (“kaufmännische Rundung”). In denjenigen Fällen, in denen eine Abrundung vorgenommen wurde, lag das Gehalt des Flugzeugführers nach der sechsten großen Stufensteigerung minimal (“wenige Pfennige”) unterhalb des – bei Tarifänderungen in der Folgezeit entsprechend angepassten und in Euro umgerechneten – Tabelleneckwerts von ursprünglich 11.290,00 DM, so dass dieser Flugzeugführer Anspruch auf eine siebente große Stufensteigerung hatte.
Am 7. Februar 2003 schlossen die Tarifvertragsparteien den Änderungstarifvertrag Nr. 1 zum VTV Nr. 8 (ÄndTV Nr. 1) ab, der den Tabelleneckwert ab 1. Februar 2001 auf 11.288,22 DM absenkte. Ebenfalls am 7. Februar 2003 schlossen die Tarifvertragsparteien den Änderungstarifvertrag Nr. 2 zum VTV Nr. 8 (ÄndTV Nr. 2), der lautet:
“Artikel 1
Es wird eine Protokollnotiz IV mit folgendem Wortlaut eingefügt:
Für Cockpitmitarbeiter, deren Grundvergütung vor Abschluss des Änderungstarifvertrages Nr. 1 zum Vergütungstarifvertrag Nr. 8 Cockpitpersonal Lufthansa/Condor um einen Steigerungsbetrag nach § 3 Abs. (3) Satz 2 VTV Nr. 8 erhöht wurde, obwohl ihre Grundvergütung bereits DM 11.288,22 oder mehr betrug, finden die folgenden Steigerungen der Grundvergütung mit der Maßgabe Anwendung, dass diese um den überschiessenden Betrag dieser Steigerung abgesenkt vorgenommen werden.
Artikel 2
Dieser Tarifvertrag tritt zum 01.02.2001 in Kraft.
…”
Mit dem abgesenkten Tabelleneckwert sollten alle eventuellen Fälle möglicher Rundungsungenauigkeiten erfasst werden.
Der Kläger, der eine siebente große Stufensteigerung im Januar 2003 erhalten hatte, gehört zu dem von der Absenkungsregelung des ÄndTV Nr. 2 betroffenen Personenkreis. Die Beklagte gewährte ihm seit Januar 2004 eine nach der Absenkungsregelung des ÄndTV Nr. 2 nicht zu zahlende kleine Stufensteigerung. Mit Schreiben vom 12. Oktober 2004 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass es zu einer Überzahlung gekommen sei, weil er nach der Regelung im ÄndTV Nr. 2 die Stufensteigerung zum Januar 2004 nicht habe beanspruchen können. Insoweit sei es für die Monate bis September 2004 zu einer Überzahlung in Höhe von 859,56 Euro netto gekommen. Diesen Betrag behielt die Beklagte von Oktober 2004 bis Februar 2005 ratenweise von der Vergütung des Klägers ein.
Mit seiner Klage hat der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung der einbehaltenen Vergütung erstrebt. Er hat die Auffassung vertreten, die ÄndTV Nr. 1 und 2 seien wegen unzulässiger Rückwirkung insgesamt unwirksam. Die Rückforderung sei deshalb unberechtigt, weil der Beklagten der Inhalt des ÄndTV Nr. 2 und damit die Rechtsgrundlosigkeit der Leistungen bekannt gewesen sei. Die Umsetzung der Tarifverträge vom 7. Februar 2003 habe sich nicht über 20 Monate hinziehen können. Es dürfe ihm nicht zum Nachteil gereichen, dass die zuständige Abteilung der Beklagten die rechtzeitige Umsetzung des ÄndTV Nr. 2 schlichtweg vergessen habe. Das überzahlte Gehalt habe er in den ersten neun Monaten des Jahres 2004 für einen kostspieligen zweiwöchigen Familienurlaub in Florida ausgegeben, so dass er nicht mehr bereichert sei. Bei der geringen Höhe der regelmäßigen monatlichen Überzahlung sei überdies ohne weiteres von einem Verbrauch für den laufenden Lebensunterhalt auszugehen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 859,56 Euro netto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 22. Februar 2005 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat die Auffassung vertreten, beide ÄndTV seien wirksam. Die für den Kläger maßgebliche Absenkungsregelung des ÄndTV Nr. 2 beinhalte eine bloße unechte Rückwirkung, weil sie sich erst auf Gehaltssteigerungen im Januar 2004 und damit nach dem Abschluss der Tarifeinigung ausgewirkt habe. Als solche sei sie gerechtfertigt. Die Herabsetzung des Tabelleneckwerts sei zur Vermeidung einer der Systematik aus § 3 VTV Nr. 8 widersprechenden siebenten großen Stufensteigerung erforderlich gewesen. Die vereinbarte Absenkung stelle eine angemessene Überleitungsregelung für die Mitarbeiter dar, die im Zeitpunkt des Tarifvertragsschlusses bereits auf der Grundlage des ursprünglichen Tabelleneckwerts eine große Stufensteigerung erhalten hätten. Sie habe den Kläger nicht in dem Wissen überzahlt, nach der Rechtslage die Leistung nicht zu schulden. Die Umsetzung der tarifvertraglich vereinbarten Rückrechnung habe sie im Hinblick auf die Vielzahl der Fälle erst im Oktober 2004 einleiten können.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers, mit der er klageerweiternd die Feststellung der Unwirksamkeit der ÄndTV Nr. 1 und 2 erstrebt hat, zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg.
A. Die Klage ist sowohl hinsichtlich des Zahlungs- als auch des Feststellungsantrags unbegründet. Im Ergebnis mit Recht hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Der Anspruch des Klägers auf Zahlung restlicher Vergütung für die Monate Oktober 2004 bis Februar 2005 in Höhe von 859,56 Euro netto ist durch die von der Beklagten erklärte Aufrechnung mit der ihm in der Zeit von Januar bis September 2004 rechtsgrundlos gewährten kleinen Stufensteigerung erloschen. Die Änderungen des VTV Nr. 8 durch die ÄndTV Nr. 1 und 2 vom 7. Februar 2003 sind wirksam. Der ÄndTV Nr. 2 enthält keine rückwirkende Regelung.
I. Die Klage ist zulässig.
1. Der Feststellungsantrag ist dahin auszulegen, dass der Kläger die Anwendbarkeit von Teil 1 § 3 Abs. (3) VTV Nr. 8 in der ursprünglichen Fassung ohne die Herabsetzung des Tabelleneckwerts durch den ÄndTV Nr. 1 und die Einfügung der Protokollnotiz IV durch den ÄndTV Nr. 2 auf sein Arbeitsverhältnis begehrt. Diese Auslegung wird seinem erkennbaren Rechtsschutzbegehren gerecht. Der Kläger will geklärt wissen, mit welchem Inhalt der VTV Nr. 8 auf ihn anwendbar ist. Diese Feststellung begehrt er wegen weitergehender Zahlungsansprüche bei Unwirksamkeit der Tarifänderungen.
2. In dieser Auslegung hat die Feststellungsklage einen zulässigen Inhalt. Gegenstand einer Feststellungsklage kann die Anwendbarkeit eines bestimmten Tarifvertrags oder Tarifwerks auf ein Arbeitsverhältnis sein (Senat 15. März 2006 – 4 AZR 75/05 – AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 38 = EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 31 mwN). Das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich aus den von der Anwendbarkeit der ursprünglichen Fassung des Teil 1 § 3 Abs. (3) VTV Nr. 8 abhängigen weitergehenden Vergütungsansprüchen des Klägers.
II. Die Klage ist jedoch nicht begründet.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch nach § 611 Abs. 1 BGB, Teil 1 § 3 Abs. (3) VTV Nr. 8 auf restliche Grundvergütung für Oktober 2004 bis Februar 2005 in Höhe von 859,56 Euro netto. Denn dieser Anspruch ist durch die von der Beklagten mit Schreiben vom 12. Oktober 2004 erklärte und entsprechend vollzogene Aufrechnung gem. § 389 BGB erloschen.
Der Beklagten stand ein aufrechenbarer Gegenanspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB gegen den Kläger zu. Denn dieser war durch eine Leistung der Beklagten auf deren Kosten ohne rechtlichen Grund bereichert. Er hatte nach dem ÄndTV Nr. 2 keinen Anspruch auf die ihm in den Monaten Januar bis September 2004 gewährte kleine Stufensteigerung in Höhe von insgesamt 859,56 Euro netto.
a) Zwischen den Parteien besteht kein Streit darüber, dass der Kläger nach dem ÄndTV Nr. 2 keinen Anspruch auf die vorgenannte Leistung der Beklagten hatte und auf dessen Grundlage um den von der Beklagten aufgerechneten Betrag überzahlt war. Der Kläger macht insoweit allein geltend, der ÄndTV Nr. 2 sei wegen unzulässiger Rückwirkung unwirksam. Dies ist nicht der Fall. Für die Frage, ob ein Tarifvertrag rückwirkend und abändernd in einen tariflichen Anspruch eingreift, ist auf den Zeitpunkt der Anspruchsentstehung abzustellen (Senat 11. Oktober 2006 – 4 AZR 486/05 – NZA 2007, 634 und – 4 AZR 522/05 – AiB 2007, 418; BAG 22. Oktober 2003 – 10 AZR 152/03 – BAGE 108, 176, 183). Bezogen auf diesen Zeitpunkt greift die Tarifänderung vom 7. Februar 2003 entgegen der Auffassung des Klägers nicht rückwirkend in entstandene Ansprüche des Klägers ein. Der Kläger gehört zu den Cockpitmitarbeitern, die nach Maßgabe des ursprünglichen Tabelleneckwerts von 11.290,00 DM eine siebente große Stufensteigerung erhalten haben, die ihm bei dem auf 11.288,22 DM abgesenkten Tabelleneckwert nicht zusteht. Für diese Mitarbeiter haben die Tarifvertragsparteien in dem ÄndTV Nr. 2 eine ausschließlich zukunftsbezogene Anpassungsregelung getroffen. Diese sieht vor, dass in einem solchen Fall die zukünftig erfolgenden Steigerungen der Grundvergütung um den überschießenden Betrag der erfolgten Steigerung abzusenken sind. Trotz bereits erfolgter Gewährung der großen Stufensteigerung soll also die Grundvergütung des Mitarbeiters unverändert bleiben, auch wenn er nach dem geänderten Tabelleneckwert die große Stufensteigerung nicht mehr beanspruchen könnte. Erst mit den mit der Vollendung weiterer Beschäftigungsjahre anstehenden Stufensteigerungen erfolgt die Rückführung auf die nach dem abgesenkten Tabelleneckwert maßgebende Grundvergütung. Rechtswirkungen entfaltet die Tarifänderung trotz ihres von den Tarifvertragsparteien vereinbarten Inkrafttretens rückwirkend zum 1. Februar 2001 somit für diesen Personenkreis erstmalig im Zeitpunkt der nächsten anstehenden Stufensteigerung. Dies ist aber ein Zeitpunkt, der vom Abschluss der Änderungstarifverträge aus betrachtet in der Zukunft liegt, so dass der ÄndTV Nr. 2 keinen rückwirkenden Eingriff in entstandene Rechte der von ihm erfassten Mitarbeiter enthält. Die Regelung des Änderungstarifvertrages ist vergleichbar mit einer Tarifänderung, mit der die Tarifvertragsparteien während der Laufzeit eines Gehaltstarifvertrages für einen – besonders hoch vergüteten – Teil der von diesem erfassten Arbeitnehmer eine in diesem Tarifvertrag geregelte künftige Gehaltserhöhung für die Zeit nach der Tarifänderung vorübergehend aussetzen, weil sie dies im Nachhinein für sachlich berechtigt halten. Dies beinhaltet keinen rückwirkenden Eingriff in entstandene Rechte, sondern beseitigt lediglich Exspektanzen der betroffenen Arbeitnehmer. Für die Entscheidung des vorliegenden Falles stellen sich nach alledem nicht die Fragen nach den Grenzen und der Rechtfertigung rückwirkender Tarifvertragsänderungen.
b) Der Kläger kann der Aufrechnung nicht mit Erfolg entgegenhalten, er sei zur Herausgabe der Bereicherung nicht verpflichtet, weil die Beklagte die Überzahlungen in Kenntnis der Nichtschuld geleistet habe.
aa) Nach § 814 BGB kann das zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit Geleistete nicht zurückgefordert werden, wenn dem Leistenden bekannt war, dass er zur Leistung nicht verpflichtet war. Erforderlich ist die positive Kenntnis der Rechtslage zum Zeitpunkt der Leistung. Nicht ausreichend ist die Kenntnis der Tatsachen, aus denen sich das Fehlen einer rechtlichen Verpflichtung ergibt. Der Leistende muss wissen, dass er nach der Rechtslage nichts schuldet. Das ist nur der Fall, wenn er aus den ihm bekannten Tatsachen auch eine im Ergebnis zutreffende rechtliche Schlussfolgerung zieht, wobei allerdings eine entsprechende “Parallelwertung in der Laiensphäre” genügt. Beruht die Unkenntnis auf grober Fahrlässigkeit, schließt das den Rückforderungsanspruch nicht aus (BAG 8. November 2006 – 5 AZR 706/05 – EzA BGB 2002 § 611 Arbeitnehmerbegriff Nr. 8 mwN; 9. Februar 2005 – 5 AZR 175/04 – AP BGB § 611 Lohnrückzahlung Nr. 12 = EzA BGB 2002 § 818 Nr. 1 mwN).
bb) Danach hat vorliegend die Beklagte die über das tariflich Geschuldete hinausgehende Vergütung für Januar bis September 2004 nicht in Kenntnis der Nichtschuld gezahlt.
(1) Es kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, die Beklagte habe die konkreten Auswirkungen der Tarifeinigung auf die bei ihr beschäftigten Piloten kurzfristig erkennen können. Eine solche Möglichkeit beinhaltet allein die Erkennbarkeit der Nichtschuld, nicht aber die Kenntnis der Nichtschuld. Dahingestellt kann bleiben, ob bei sorgfältiger Durchführung der Vergütungsabrechnung die Überzahlung hätte vermieden werden können. Entgegen der Auffassung des Klägers ist auch im Falle eines Organisationsverschuldens bei der Vergütungsberechnung die Rückforderung nicht nach § 814 BGB ausgeschlossen (vgl. BAG 1. Juni 1995 – 6 AZR 912/94 – BAGE 80, 144, 147).
(2) Positive Kenntnis der Beklagten davon, dass die Zahlung der kleinen Stufensteigerung seit Januar 2004 ohne Rechtsgrund erfolgte, ist vom Kläger nicht dargetan. Der Revision kann nicht darin gefolgt werden, nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises könne deshalb auf die Kenntnis der Beklagten vom fehlenden Rechtsgrund geschlossen werden, weil ihre Mitwirkung bei der tariflichen Einigung typischerweise die positive Kenntnis des Fehlens eines Rechtsgrundes für eine in Überschreitung der tariflichen Einigung erfolgende Leistung begründe. Der Anscheinsbeweis führt zu einer Erleichterung der Beweisführung. Eine solche Beweiserleichterung setzt voraus, dass ein bestimmter Lebenssachverhalt besteht, der nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder einen bestimmten Ablauf als maßgeblich für den Eintritt eines bestimmten Erfolgs hinweist. Bei derartig typischen Geschehensabläufen kann von der feststehenden Ursache auf einen bestimmten Erfolg oder umgekehrt von einem feststehenden Erfolg auf eine bestimmte Ursache geschlossen werden (BAG 18. Januar 1995 – 5 AZR 817/93 – BAGE 79, 115, 119 mwN). Danach ist eine Beweiserleichterung in Form des Anscheinsbeweises vorliegend nicht berechtigt. Dagegen spricht bereits die Interessenlage. Die Tarifabschlüsse vom 7. Februar 2003 sollten eine im Nachhinein erkannte Systemwidrigkeit der Grundvergütungsentwicklung des VTV Nr. 8 beseitigen. Dieses Anliegen war für die Tarifvertragsparteien so bedeutsam, dass sie die Tarifänderung während der Laufzeit des VTV Nr. 8 vereinbarten. Dann ist es unwahrscheinlich, dass die Beklagte als Tarifvertragspartei die Tarifänderung bewusst nicht vollzogen hat. Es spricht viel mehr dafür, dass die Beklagte angesichts der außerordentlichen Kompliziertheit ihres – wie die Tarifänderung zeigt auch von den Tarifvertragsparteien nicht immer irrtumfrei zur Kenntnis genommenen – Vergütungssystems und der Zahl der betroffenen Mitarbeiter den ÄndTV Nr. 2 im Falle des Klägers zunächst fehlerhaft nicht angewendet hat.
(3) Die Verfahrensrüge des Klägers, das Landesarbeitsgericht habe fehlerhaft sein Beweisangebot zu der von ihm behaupteten Kenntnis der Beklagten von ihrer Nichtschuld übergangen, ist unzulässig.
(a) Will der Revisionsführer die Revision auf eine Verletzung des Gesetzes in Bezug auf das Verfahren stützen, hat er nach § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO die Tatsachen zu bezeichnen, die den Verfahrensmangel ergeben. Bei einer auf § 286 ZPO gestützten Rüge des Übergehens eines Beweisantritts muss nach Beweisthema und Beweismittel angegeben werden, zu welchem Punkt das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerhaft eine an sich gebotene Beweisaufnahme unterlassen haben soll und welches Ergebnis diese Beweisaufnahme hätte erbringen müssen. Eine nicht näher bestimmte Bezugnahme auf einen übergangenen Beweisantritt reicht dazu nicht aus. Erforderlich ist die Angabe der genauen Fundstelle der übergangenen Beweisanträge nach Schriftsatz und – jedenfalls bei umfangreichen Schriftsätzen – nach Seitenzahl. Ferner muss dargelegt werden, dass die Unterlassung der Beweiserhebung kausal für die Entscheidung gewesen ist (BAG 6. Januar 2004 – 9 AZR 680/02 – BAGE 109, 145, 150 mwN; Müller-Glöge in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG 5. Aufl. § 74 Rn. 38 f.; GK-ArbGG/Mikosch Stand Dezember 2006 § 74 Rn. 68; HWK/Bepler 2. Aufl. § 74 ArbGG Rn. 27).
(b) Die Verfahrensrüge des Klägers genügt nicht diesen Anforderungen.
(aa) Der Kläger führt aus, das Landesarbeitsgericht habe verfahrensfehlerhaft sein Beweisangebot unberücksichtigt gelassen, durch Sachverständigengutachten die positive Kenntnis der Beklagten von der Nichtschuld und die kurzfristige Umsetzbarkeit des Tarifvertrages zu beweisen. Ein unzulässiger Ausforschungsbeweis liege nicht vor, weil er von diesen im Verwaltungsbereich der Beklagten liegenden Tatsachen keine Kenntnisse haben, sondern sie nur vermuten könne. Die Ausschöpfung des Beweisangebotes hätte die kurzfristige Umsetzbarkeit der Tarifeinigung nachgewiesen. Hieraus hätte das Landesarbeitsgericht im Wege des Anscheinsbeweises auf die Kenntnis der Beklagten vom fehlenden Rechtsgrund schließen müssen, weil ihre tarifliche Einigung typischerweise die positive Kenntnis des Fehlens eines Rechtsgrundes für eine darüber hinausgehende Leistung begründe.
(bb) Diese Darlegung ist unzureichend. Sie lässt die genaue Bezeichnung des verfahrensfehlerhaft übergangenen Beweisangebotes nach seiner Fundstelle im Parteivorbringen vermissen. Zwar kann ausnahmsweise von einer solchen Konkretisierung abgesehen werden, wenn ohne weiteres klar und einsichtig ist, welchen Vortrag und welchen Beweisantritt das Landesarbeitsgericht nicht berücksichtigt hat (BAG 6. Januar 2004 – 9 AZR 680/02 – BAGE 109, 145, 151 mwN). Dies ist angesichts der vagen Angabe des Beweisthemas nicht der Fall. Die mitgeteilte Umschreibung – “positive Kenntnis der Beklagten bzw. der Tatsache, dass die Umsetzung des Tarifvertrags in kürzester Zeit zu bewerkstelligen war” – ist nicht hinreichend genau. Sie erlaubt keine sichere Zuordnung zu dem Vorbringen des Klägers in den Tatsacheninstanzen. In diesem finden sich andere Bezeichnungen der Beweisthemen zum beantragten Sachverständigengutachten wie die Behauptungen, nach einer bei der Beklagten geführten Senioritätsliste aller beschäftigten Piloten sei eine Abschmelzung ab einer gewissen Rangzahl nicht mehr in Betracht gekommen und die Umsetzung des ÄndTV Nr. 2 für den nach dieser Senioritätsliste in Betracht kommenden Personenkreis von rund 400 Piloten sei innerhalb von maximal einer Woche abzuschließen.
c) Die Berufung des Klägers auf den Wegfall der Bereicherung ist ebenfalls nicht begründet.
aa) Der Kläger hat die substantiierte Darlegung versäumt, nicht mehr bereichert zu sein.
(1) Nach § 818 Abs. 3 BGB ist der Bereicherungsanspruch ausgeschlossen, soweit der Empfänger nicht mehr bereichert ist. Dies ist der Fall, wenn das Erlangte ersatzlos weggefallen ist und kein Überschuss im Vermögen des Empfängers mehr besteht, das ohne den bereichernden Vorgang vorhanden wäre. Der Bereicherte hat den Wegfall der Bereicherung zu beweisen, weil es sich um eine rechtsvernichtende Einwendung handelt. Hierzu hat er im Falle einer Gehaltsüberzahlung darzulegen und im Streitfall zu beweisen, dass sich sein Vermögensstand in Folge der Gehaltsüberzahlung nicht verbessert hat. Dabei können ihm Erleichterungen zugute kommen. Bei kleineren und mittleren Arbeitseinkommen und einer gleichbleibend geringen Überzahlung des laufenden Arbeitsentgelts besteht die Möglichkeit des Beweises des ersten Anscheins für den Wegfall der Bereicherung. Diese kommt in Betracht, wenn erfahrungsgemäß und typischerweise die Zuvielzahlungen für den laufenden Lebensunterhalt, insbesondere für konsumtive Ausgaben verbraucht werden. Eine solche Annahme setzt voraus, dass es sich um Überzahlungen in relativ geringer Höhe handelt. Je höher die Überzahlung im Verhältnis zum Realeinkommen ist, um so weniger lässt sich annehmen, die zusätzlichen Mittel seien für den Lebensunterhalt verbraucht worden. Außerdem muss die Lebenssituation des Arbeitnehmers, insbesondere seine wirtschaftliche Lage so sein, dass die Verwendung der Überzahlung für die laufende Lebensführung nahe liegt. Das ist regelmäßig dann der Fall, wenn Arbeitnehmer mit geringem oder mittlerem Einkommen über keine weiteren Einkünfte verfügen, so dass sie die Nettobezüge aus ihrem Arbeitsverhältnis verwenden, um den laufenden Lebensunterhalt für sich und evtl. ihre Familie zu bestreiten (BAG 9. Februar 2005 – 5 AZR 175/04 – AP BGB § 611 Lohnrückzahlung Nr. 12 = EzA BGB 2002 § 818 Nr. 1 mwN; 18. Januar 1995 – 5 AZR 817/93 – BAGE 79, 115). Ein konkreter Nachweis, um Überzahlungen nicht mehr bereichert zu sein, ist bei Vorliegen dieser Voraussetzungen entbehrlich (BAG aaO).
(2) Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger den Wegfall der Bereicherung nicht hinreichend dargelegt.
(a) Dem Landesarbeitsgericht ist darin zuzustimmen, dass dem Kläger Erleichterungen der Darlegungs- und Beweislast aus dem Gesichtspunkt des Anscheinsbeweises nicht zu Hilfe kommen. Das Einkommen des Klägers, welches sich im Jahre 2004 auf 7.577,45 Euro brutto monatlich belief, übersteigt ein mittleres Arbeitseinkommen. Bei diesem Einkommen des Klägers ist die Verwendung der Überzahlung für seinen laufenden Lebensunterhalt nicht naheliegend. Aus dem Vorbringen des Klägers folgt nicht, sein laufender Lebensunterhalt oder der seiner Familie sei so kostspielig, dass er vollumfänglich sein Monatseinkommen erfordert. Der Verbrauch der Überzahlung zur Bestreitung des Lebensunterhalts kann deshalb nicht vermutet werden.
(b) Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht auch den Vortrag des Klägers zum Wegfall der Bereicherung als unsubstantiiert angesehen. Es fehlt die Angabe zur Höhe der für die behauptete Reise aufgewandten Mittel. Ohne eine solche kann nicht geprüft werden, in welcher Höhe ggf. der Bereicherungsanspruch in Fortfall geraten ist. Da die Beklagte die Urlaubsreise bestritten hat, hätte der Kläger diese nach den Grundsätzen des § 138 Abs. 1 ZPO nach ihren tatsächlichen Umständen so im Einzelnen darstellen müssen, dass seine Behauptung einer Beweiserhebung zugänglich wäre.
(3) Die Verfahrensrüge des Klägers, das Landesarbeitsgericht habe es fehlerhaft unterlassen, ihn auf die Ergänzungsbedürftigkeit seines Vortrags zur Urlaubsreise nach Florida hinzuweisen, ist wiederum unzulässig.
(a) Wird eine Verletzung der dem Landesarbeitsgericht obliegenden Aufklärungspflicht aus § 139 ZPO gerügt, muss im Einzelnen vorgetragen werden, welchen konkreten Hinweis das Landesarbeitsgericht dem Revisionskläger auf Grund welcher Tatsachen hätte erteilen müssen und welche weiteren erheblichen Tatsachen der Revisionskläger dann in der Berufungsinstanz vorgebracht hätte (BAG 6. Januar 2004 – 9 AZR 680/02 – BAGE 109, 145, 150 mwN). Der unterbliebene Vortrag ist vollständig nachzuholen (BAG 12. April 2000 – 5 AZR 704/98 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Einzelhandel Nr. 1). Das Revisionsgericht kann sonst nicht feststellen, ob die Verletzung möglicherweise kausal für das Urteil war (GK-ArbGG/Mikosch § 74 Rn. 70).
(b) Vorliegend fehlt es an der Nachholung des unterbliebenen Parteivorbringens. Der Kläger rügt, das Landesarbeitsgericht habe es unter Verletzung von gesetzlichen Pflichten unterlassen, ihn darauf hinzuweisen, dass es seinen Vortrag zum Wegfall der Bereicherung für unsubstantiiert ansehe. Die Revisionsbegründung beschränkt sich darauf, die ihres Erachtens bestehende Gebotenheit eines gerichtlichen Hinweises zu begründen. Den Vortrag zu den tatsächlichen Umständen der angeführten Floridareise und den daraus resultierenden Unkosten ergänzt sie nicht.
d) Entgegen der Revision waren die Rückzahlungsansprüche der Beklagten im Zeitpunkt der Aufrechnung nicht verwirkt.
aa) Ein Recht ist verwirkt, wenn der Berechtigte mit der Geltendmachung seines Rechts längere Zeit zugewartet hat (Zeitmoment) und der Schuldner deswegen annehmen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Voraussetzung ist, dass dem Schuldner die gegenwärtige Erfüllung des Rechts oder Anspruchs unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles nach Treu und Glauben nicht mehr zuzumuten ist (Umstandsmoment) (zB BAG 19. März 2003 – 7 AZR 267/02 – BAGE 105, 317, 324; 25. April 2001 – 5 AZR 497/99 – BAGE 97, 326, 329).
bb) Im Streitfall liegen weder die Voraussetzungen des Zeit- noch diejenigen des Umstandsmoments vor. Die Beklagte hat die im Zeitpunkt der Überzahlung der Monatsvergütungen für Januar bis September 2004 fällig gewordenen Bereicherungsansprüche mit Schreiben vom 12. Oktober 2004 geltend gemacht, also – von der ersten Überzahlung gerechnet – nach rund neun Monaten. Dies ist bei einem Anspruch auf Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung ganz generell keine Zeitspanne, die dem Schuldner den Eindruck vermittelt, der Gläubiger werde eine Forderung nicht mehr geltend machen. Auch besondere Umstände, weshalb bereits nach einer solchen Zeitspanne zwischen Fälligkeit und Geltendmachung Verwirkung eingetreten sein sollte, sind nicht ersichtlich. Ein hinreichender Vertrauenstatbestand ergibt sich nicht aus dem Argument des Klägers, die Beklagte habe das Ausbleiben der Stufensteigerung zum Januar 2004 bereits seit der Tarifeinigung im Februar 2003 vorhersehen können, so dass die dennoch erfolgte Gewährung besonderes Vertrauen begründet habe. Denn daraus lässt sich nichts dafür ableiten, die Beklagte wolle eine später gleichwohl erfolgte Überzahlung nicht geltend machen.
2. In den Ausführungen zur rechtsgrundlosen Überzahlung des Klägers in der Zeit von Januar bis September 2004 ist die Wirksamkeit der Tarifänderung vom 7. Februar 2003 begründet (II 1a der Gründe). Demzufolge ist der Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit der ÄndTV Nr. 1 und 2 unbegründet.
B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Bepler, Creutzfeldt, Bott, Jürgens, Rupprecht
Fundstellen