Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsbedingte Kündigung. innerbetriebliche Gründe
Orientierungssatz
Rationalisierungsmaßnahmen oder außerbetriebliche Gründe wie zB Auftragsmangel können betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung aus innerbetrieblichen Umständen ergeben. Diese betrieblichen Erfordernisse müssen dringend sein und eine Kündigung im Interesse des Betriebes unvermeidbar machen. Diese weitere Voraussetzung ist erfüllt, wenn die Kündigung die notwendige Folge der betrieblichen Erfordernisse ist (Bestätigung BAG Urteil vom 30.4.1987 2 AZR 184/86 = NZA 1987, 776).
Normenkette
KSchG § 1
Verfahrensgang
LAG Hamburg (Entscheidung vom 01.07.1986; Aktenzeichen 1 Sa 17/86) |
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 29.01.1986; Aktenzeichen 11 Ca 17/86) |
Tatbestand
Die am 13. Februar 1952 geborene, verheiratete Klägerin war seit dem 18. Juni 1973 bei dem Beklagten, der eine Apotheke betreibt, als pharmazeutisch-technische Assistentin zu einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt 3.000,-- DM tätig. Die Klägerin war die einzige pharmazeutisch-technische Assistentin, die der Beklagte beschäftigte, ihre Aufgabe bestand darin, neben den approbierten Apothekern Anmischungen von Präparaten vorzunehmen. Arzneimittel auf Rezept oder auf Verlangen durfte sie nur dann verkaufen, wenn ein approbierter Apotheker im Laden war.
Der Beklagte kündigte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch Schreiben vom 30. Mai 1985, das der Klägerin am selben Tag zugegangen ist, fristgerecht zum 30. September 1985. Zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung beschäftigte der Beklagte regelmäßig mehr als fünf Arbeitnehmer.
Die Klägerin ist der Auffassung, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt und somit rechtsunwirksam.
Sie hat beantragt,
1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die
ordentliche Kündigung vom 30. Mai 1985 auf den
30. September 1985 nicht beendet sei, sondern über
den 30. September 1985 fortbestehe;
2. den Beklagten zu verurteilen, sie über den 30. September
1985 hinaus weiter zu beschäftigen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Er hat geltend gemacht, der Arbeitsplatz der Klägerin sei infolge einer von ihm getroffenen Rationalisierungsmaßnahme weggefallen. Er beschäftige keine pharmazeutisch-technische Assistentin mehr. Verbleibende Resttätigkeiten, die diese früher ausgeübt habe, seien auf einen bei ihm z. Zt. der Kündigung tätigen Apotheker übertragen worden. Dieser Apotheker sei später durch einen anderen ersetzt worden, der diese Arbeiten jetzt ausführe.
Zu der Rationalisierung habe er sich veranlaßt gesehen, da er völlig überschuldet sei und keine Rendite mehr erwirtschaften könne, insbesondere sei die von ihm zu zahlende Miete zu hoch. Das sogenannte Kostendämpfungsgesetz habe erhebliche Auswirkungen auf seine Ertragslage gehabt, durch den Auszug von Firmen aus der näheren Umgebung seiner Apotheke hätte sich die Kundenzahl um täglich 40 bis 50 Personen verringert. Der vorhandene verbleibende Personalbestand einschließlich seiner mittätigen Ehefrau habe voll ausgereicht, um der Betreuung der Kunden gerecht werden zu können.
Die Klägerin ist diesem Vorbringen entgegengetreten und hat vorgetragen, betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung hätten nicht vorgelegen. Ein Personalabbau aus Rationalisierungsgründen sei nicht erforderlich gewesen. Der Beklagte sei aus Gründen, die mit seiner Apotheke nichts zu tun gehabt hätten, in einen Liquiditätsengpaß geraten. Wenn auch die eigentliche Unternehmerentscheidung nicht auf ihre Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit hin nachgeprüft werden könne, so müßte aber doch festgestellt werden, ob tatsächlich die Umstände vorgelegen hätten, die für die Unternehmerentscheidung maßgebend gewesen seien. Soweit der Beklagte sich auf wirtschaftliche Umstände berufe, bestreite sie diese, insbesondere auch den angeblichen Kundenrückgang. Die mangelnde Rendite liege nicht im Bereich der Apotheke, sondern in der privaten Sphäre des Beklagten.
Das Arbeitsgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr ursprüngliches Begehren weiter. Der Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, die Kündigung sei nicht sozialwidrig. Eine Beschäftigungsmöglichkeit der Klägerin sei durch innerbetriebliche Gründe, nämlich infolge einer Rationalisierungsmaßnahme weggefallen. Daß die Klägerin nicht die Tätigkeit eines Apothekers ausfüllen könne, stehe fest. Es stehe einem Apotheker frei, seinen Betrieb so kostengünstig und so ertragreich wie möglich zu gestalten. Erfolge eine solche Rationalisierungsmaßnahme, so sei diese Unternehmerentscheidung nur daraufhin zu überprüfen, ob sie unsachlich, unvernünftig oder willkürlich erfolgt sei. Hierfür spreche nichts. Die Klägerin habe auch nicht dargelegt, wie sie sich eine anderweitige Beschäftigung bei dem Beklagten vorstelle, zumal sie weder mit einem approbierten Apotheker noch mit einer Apothekenhelferin, die geringwertigere Tätigkeiten ausübe, austauschbar sei.
II. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
1. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, die früher einzige Beschäftigungsmöglichkeit für eine pharmazeutisch-technische Assistentin sei durch eine Rationalisierungsmaßnahme des Beklagten entfallen und deren Aufgaben seien einem approbierten Apotheker übertragen worden, ohne daß die Anzahl der in der Apotheke des Beklagten tätigen Apotheker erhöht worden wäre. Die Auffassung der Revision, es müsse durch die Arbeitsgerichte überprüft werden, ob der Arbeitgeber einen tragenden äußeren Anlaß für eine solche Rationalisierungsmaßnahme gehabt habe, so daß die Beweise zum Umsatzrückgang und zur Rendite hätten erhoben werden müssen, ist unrichtig.
2. Das Landesarbeitsgericht ist von den Grundsätzen ausgegangen, die der erkennende Senat für den Prüfungsmaßstab des Gerichts bei einer betriebsbedingten Kündigung insbesondere in den Urteilen vom 7. Dezember 1978 und 24. Oktober 1979 (BAG 31, 158 und 32, 150 = AP Nr. 6 und 8 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung) aufgestellt und in dem Urteil vom 7. Februar 1985 - 2 AZR 91/84 - (AP Nr. 9 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl) zusammenfassend dargelegt und in dem zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung und in der Fachpresse bestimmten Urteil vom 30. April 1987 (- 2 AZR 184/86 -) noch ein mal bestätigt hat.
a) Danach können sich betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung aus innerbetrieblichen Umständen wie eine Rationalisierungsmaßnahme oder durch außerbetriebliche Gründe wie z. B. durch Auftragsmangel ergeben. Diese betrieblichen Erfordernisse müssen dringend sein und eine Kündigung im Interesse des Betriebes unvermeidbar machen. Diese weitere Voraussetzung ist erfüllt, wenn die Kündigung die notwendige Folge der betrieblichen Erfordernisse ist.
b) Auch wenn durch außer- oder innerbetriebliche Gründe der bisherige Arbeitsplatz eines Arbeitnehmers wegfällt, ist eine Kündigung nur dann durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, wenn dem Arbeitgeber eine andere Beschäftigung nicht möglich oder zumutbar ist. Die gesetzmäßigen organisatorischen Maßnahmen, die der Arbeitgeber trifft, um seinen Betrieb dem Umsatzrückgang oder der verschlechterten Ertragslage anzupassen, sind nicht auf ihre Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit, wohl aber daraufhin zu überprüfen, ob sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich sind. In dem Urteil vom 24. Oktober 1979 (BAG 32, 150 = AP Nr. 8 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung) hat der Senat diese Grundsätze bestätigt und insbesondere noch näher dargelegt, unter welchen Voraussetzungen eine durch innerbetriebliche oder außerbetriebliche Umstände veranlaßte unternehmerische Entscheidung als offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich anzusehen und eine Kündigung aufgrund einer Interessenabwägung sozial ungerechtfertigt sein kann (vgl. dazu Hillebrecht, ZIP 1985, 257, 258). Danach ergeben sich die Ausnahmen, bei denen die innerbetrieblichen Maßnahmen nicht bindend sind, aus dem allgemeinen Verbot des Rechtsmißbrauchs. So erfüllen offensichtlich unsachliche oder willkürliche Rationalisierungsmaßnahmen den Tatbestand der unzulässigen Rechtsausübung des betrieblichen Gestaltungsrechts durch den Arbeitgeber. Das ist nicht schon dann anzunehmen, wenn eine Maßnahme offensichtlich unzweckmäßig ist.
3. Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, durch eine organisatorische Maßnahme des Beklagten sei die bisher von der Klägerin verrichtete Arbeitsaufgabe mit dem Tag des Ausscheidens der Klägerin insgesamt auf vorhandene andere Arbeitnehmer verteilt worden. Dies ist geschehen, indem ein bei dem Beklagten beschäftigter approbierter Apotheker die Tätigkeiten der Klägerin mit übernommen hat. Dies war vorliegend ohne weitergehende vertragsändernde Maßnahmen möglich, da die von der Klägerin verrichtete Arbeit auch von approbierten Apothekern ausgeführt wird mit dem einzigen Unterschied, daß diese - anders als die Klägerin als pharmazeutisch-technische Assistentin - eigenverantwortlich handeln. Wenn die Revision meint, die Arbeit sei erst durch die Kündigung weggefallen, so verkennt sie den für die betriebsbedingte Kündigung maßgebenden Gesichtspunkt. Die Einsatzmöglichkeit für die Klägerin ist durch die organisatorische Maßnahme der Beklagten weggefallen, weil künftig ein anderer Arbeitnehmer ihre Arbeit verrichtet. Damit bestand für die Klägerin über den Kündigungstermin hinaus keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr, so daß die Kündigung betriebsbedingt war. Es ist hierbei völlig unerheblich, ob der Beklagte dadurch seine Verschuldung verringern konnte oder ob er bei nicht vorhandener Verschuldung nunmehr eine noch höhere Rendite erzielt (vgl. Urteil vom 24. Oktober 1979, aa0). Entscheidend ist allein, daß die Rationalisierungsmaßnahme tatsächlich zum Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit geführt hat.
4. Das Berufungsgericht hat weiterhin zu Recht die Nachprüfung dieser Rationalisierungsmaßnahme auf die Mißbrauchskontrolle im Sinne der Senatsrechtsprechung beschränkt. Seine Würdigung, es lägen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, daß die Maßnahme offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich sei, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Beachtliche Argumente werden hiergegen auch in der Revision nicht vorgebracht.
5. Die Klägerin kann auch nicht auf einem anderen freien Arbeitsplatz im Betrieb beschäftigt werden. Es steht aufgrund der Feststellung des Landesarbeitsgerichts fest, daß eine pharmazeutisch-technische Assistentin im Betrieb des Beklagten nicht mehr beschäftigt wird.
6. Das Landesarbeitsgericht hat auch in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats nicht im Rahmen einer Interessenabwägung geprüft, ob die zu erwartenden Vorteile des Arbeitgebers zu den Nachteilen, die sich für den Arbeitnehmer daraus ergeben, in einem vernünftigen Verhältnis stehen. Ist eine Kündigung wegen einer bindenden Unternehmerentscheidung an sich betriebsbedingt, dann kann die immer notwendige umfassende Interessenabwägung sich nur in seltenen Ausnahmefällen zugunsten des Arbeitnehmers auswirken. Eine, zumeist nur vorübergehende, Weiterbeschäftigung kann dem Arbeitgeber dann zuzumuten sein, wenn der Arbeitnehmer aufgrund schwerwiegender persönlicher Umstände besonders schutzbedürftig ist, wofür Anhaltspunkte im vorliegenden Fall nicht vorliegen. Soweit das Landesarbeitsgericht einen Widerspruch zu der von ihm zitierten Entscheidung des Siebten Senats gesehen hat, ist diese Divergenz bereinigt (vgl. Senatsurteil vom 30. April 1987 - 2 AZR 184/86 -). Der Siebte Senat hat in dem Urteil vom 16. Januar 1987 (- 7 AZR 495/85 -) unter Hinweis auf die vorstehend zitierten Urteile des erkennenden Senats ausgeführt, wenn eine ordentliche Kündigung an sich betriebsbedingt im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG sei, dann könne sich die stets gebotene Interessenabwägung nur in seltenen Ausnahmefällen zugunsten des Arbeitnehmers auswirken; eine zumeist nur vorübergehende Weiterbeschäftigung sei dem Arbeitgeber etwa dann zuzumuten, wenn der Arbeitnehmer aufgrund schwerwiegender persönlicher Umstände besonders schutzbedürftig sei. Der Siebte Senat hat betont, diese Grundsätze entsprächen auch seiner Rechtsprechung. Sofern aus seinen Urteilen vom 7. März 1980 und 17. Oktober 1980 abweichende Maßstäbe für die Interessenabwägung bei einer betriebsbedingten Kündigung entnommen werden könnten, halte er hieran nicht fest. Damit besteht in dieser Rechtsfrage jedenfalls aufgrund dieses Urteils nunmehr Übereinstimmung zwischen beiden Senaten.
Einer Anfrage bei dem Dritten und Vierten Senat des Bundesarbeitsgerichts, die in den Urteilen vom 4. Februar 1960 und 3. Mai 1978 ebenfalls weitergehende Grundsätze zur Interessenabwägung bei einer betriebsbedingten Kündigung als der erkennende Senat aufgestellt haben, oder eine Anrufung des Großen Senats bedarf es nicht, weil diese Senate für Beendigungsstreitigkeiten nicht mehr zuständig sind.
Hillebrecht - zugleich für
den durch Urlaub an der Unterschrift
verhinderten Richter Dr. Weller Ascheid
Nipperdey Walter
Fundstellen