Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachholung der Mitteilung über Schwangerschaft. Verschulden
Leitsatz (redaktionell)
Die im Zeitpunkt der Kündigung schwangere Arbeitnehmerin kann sich auf den besonderen Kündigungsschutz des § 9 Abs 1 MuSchG auch dann noch berufen, wenn die Mitteilung an den Arbeitgeber über die Schwangerschaft innerhalb der Zweiwochenfrist des § 9 Abs 1 S 1 MuSchG unverschuldet unterblieben ist, aber unverzüglich nachgeholt wird (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 13. November 1979 = AP Nr 7 zu § 9 MuSchG 1968). Eine schuldhafte Versäumung der Zweiwochenfrist des § 9 Abs 1 S 1 MuSchG liegt jedoch nur dann vor, wenn sie auf einen gröblichen Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse billigerweise zu erwartende Verhalten zurückzuführen ist.
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Entscheidung vom 26.07.1982; Aktenzeichen 11 Sa 480/82) |
ArbG Hanau (Entscheidung vom 25.02.1982; Aktenzeichen 1 Ca 630/81) |
Tatbestand
Die am 29. November 1960 geborene und verheiratete Klägerin wurde von der Beklagten aufgrund mündlicher Vereinbarung am 1. September 1981 mit einer Vergütung von 1.500,-- DM brutto monatlich als kaufmännische Angestellte eingestellt. Etwa drei Wochen nach Arbeitsaufnahme schlossen die Parteien eine auf den 1. September 1981 zurückdatierte schriftliche Vereinbarung über eine dreimonatige Probezeit vom 1. September 1981 bis zum 30. November 1981.
Mit dem ihr am 28. Oktober 1981 zugegangenen Schreiben vom 26. Oktober 1981 kündigte die Beklagte der Klägerin das Arbeitsverhältnis zum 31. Oktober 1981 mit der Begründung, sie sei für die anfallenden Arbeiten nicht geeignet. Gegen diese Kündigung wendet sich die Klägerin mit der vorliegenden am 13. November 1981 erhobenen Klage.
Am Freitag, dem 27. November 1981 erfuhr die Klägerin von ihrem Arzt, daß sie in der achten Woche schwanger ist. Die hierüber vom Arzt ausgestellte Bescheinigung schickte die Klägerin in den ersten Tagen der folgenden Woche an den Bezirksverband G der Industriegewerkschaft Bau-Steine-Erden, der sie mit Schreiben vom 2. Dezember 1981 an die Rechtsstelle des Deutschen Gewerkschafts-Bundes Kreis M in H weiterleitete. Die dort am 3. Dezember 1981 eingegangene Schwangerschaftsbescheinigung übersandte die Rechtsstelle des DGB-Kreises M mit Schreiben vom 4. Dezember 1981 an die Beklagte, wo sie am 5. Dezember 1981 einging.
Die Klägerin, die am 7. Juli 1982 entbunden hat, ist der Auffassung, die von der Beklagten mit Schreiben vom 26. Oktober 1981 ausgesprochene Kündigung, die allenfalls zum 30. November hätte ausgesprochen werden können, sei nach § 9 MuSchG rechtsunwirksam. Die Mitteilung über ihre Schwangerschaft habe sie unverzüglich an die Beklagte weitergeleitet, nachdem sie am 27. November 1981 von ihrer Schwangerschaft Kenntnis erhalten habe. Sie habe sich damit rechtzeitig auf den Mutterschutz berufen. Für den Monat November 1981 habe sie die Vergütung von 1.500,-- DM brutto zu beanspruchen.
Die Klägerin hat beantragt,
1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der
Parteien durch die Kündigung der Beklagten
nicht zum 31. Oktober 1981 aufgelöst ist,
2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin
1.500,-- DM brutto nebst 4 % Zinsen seit
Klageerhebung zu zahlen.
Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt und geltend gemacht, die Klägerin habe ihre Schwangerschaft weder vor Ausspruch der Kündigung noch innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt und könne sich deshalb nicht auf den Kündigungsschutz nach § 9 MuSchG berufen. Auch nach Feststellung ihrer Schwangerschaft am 27. November 1981 habe die Klägerin die Unterrichtung des Arbeitgebers nicht unverzüglich nachgeholt. Mit der Mitteilung habe sie sich eine Woche lang Zeit gelassen. Im übrigen habe das Arbeitsverhältnis im Hinblick auf die Verabredung einer Probezeit wirksam zum 31. Oktober 1981 gekündigt werden können. Jedenfalls habe das Arbeitsverhältnis am 30. November 1981 geendet, weil das Arbeitsverhältnis mit der schriftlichen Vereinbarung einer Probezeit auf diesen Termin befristet gewesen sei.
Das Arbeitsgericht hat festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 26. Oktober 1981 erst zum 30. November 1981 aufgelöst worden ist. Es hat die Beklagte ferner zur Zahlung von 1.500,-- DM brutto nebst Zinsen verurteilt und im übrigen die Klage abgewiesen.
In der Berufungsinstanz hat die Klägerin geltend gemacht, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 26. Oktober 1981 auch nicht zum 30. November 1981 beendet worden ist, sondern darüberhinaus auf unbestimmte Zeit fortbesteht. Das Landesarbeitsgericht hat dem stattgegeben und festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 26. Oktober 1981 nicht aufgelöst wurde.
Mit der zugelassenen Revision begehrt die Beklagte im Ergebnis die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht entschieden, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die von der Beklagten am 26. Oktober 1981 erklärte Kündigung nicht aufgelöst worden ist.
I. In der Revisionsinstanz streiten die Parteien allein noch darüber, ob sich die Klägerin auf den Kündigungsschutz des § 9 MuSchG berufen kann mit der Folge, daß die von der Beklagten am 26. Oktober 1981 ausgesprochene Kündigung unwirksam ist und das Arbeitsverhältnis demgemäß über den 30. November 1981 hinaus unbefristet fortbesteht. Das Landesarbeitsgericht hat dies bejaht und dazu ausgeführt, die Kündigung sei gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG rechtsunwirksam, da die Klägerin im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung am 28. Oktober 1981 bereits schwanger gewesen sei. Dies ergebe sich aus dem ärztlichen Attest bzw. aus der Rückrechnung von 267 Kalendertagen vom 7. Juli 1982, dem Tag der Niederkunft, ab. Richtig sei zwar, daß der Beklagten zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung die Schwangerschaft der Klägerin nicht bekannt gewesen sei. Die Klägerin habe ihre Schwangerschaft der Beklagten auch nicht innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt. Die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG für das Verbot einer Kündigung seien daher nicht gegeben. Das Bundesverfassungsgericht habe jedoch entschieden, daß auch solche werdenden Mütter den Kündigungsschutz des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG 1968 genießen, die die Zwei-Wochen- Frist für die Anzeige der Schwangerschaft an den Arbeitgeber unverschuldet versäumen, die Mitteilung aber unverzüglich nachholen. Die Anwendung dieser bindenden Auffassung des Bundesverfassungsgerichts führe zu dem Ergebnis, daß die Klägerin gegenüber der Beklagten den besonderen Kündigungsschutz für schwangere Arbeitnehmerinnen in Anspruch nehmen könne.
Die Klägerin habe die Mitteilung ihrer Schwangerschaft innerhalb der durch § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG bestimmten zweiwöchigen Frist nach Zugang der Kündigung unverschuldet versäumt. Gleichgültig, ob von einem Verschulden gegen sich selbst oder von dem Verschuldensbegriff des § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB ausgegangen werde, versäume eine Arbeitnehmerin nur dann schuldhaft die rechtzeitige Mitteilung der Schwangerschaft, wenn sie die Mitteilung unterläßt, obwohl sie die Schwangerschaft kennt.
Die Klägerin habe von ihrer Schwangerschaft erst aufgrund der ärztlichen Untersuchung vom 27. November 1981 Kenntnis erhalten und dies danach auch unverzüglich mitgeteilt. Eine schuldhafte Verzögerung der Mitteilung liege nicht deshalb vor, weil die Klägerin die Mitteilung über die mit der Prozeßvertretung beauftragten Rechtsstelle geleitet habe. Dies sei nicht zu beanstanden. Nach der auch hier insoweit anwendbaren Vorschrift des § 121 Abs. 1 Satz 2 BGB komme es allein auf die Absendung des Schreibens an. Zwischen dem Zeitpunkt, zu dem die Klägerin von ihrer Schwangerschaft Kenntnis erhalten habe, und der Absendung des Mitteilungsschreibens an die Beklagte habe nur ein Zeitraum von einer Woche gelegen. Ein solcher Zeitraum rechtfertige aber schon im allgemeinen nicht, jedenfalls aber nicht im vorliegenden Falle, die Annahme einer schuldhaften Verzögerung der nachträglichen Mitteilung ihrer Schwangerschaft an die Beklagte. In vergleichbaren Fällen lasse der Gesetzgeber (vgl. z.B. § 626 Abs. 2 BGB; § 4 Satz 1 KSchG) oder die Rechtsprechung (z.B. Monatsfrist für die Mitteilung der Schwerbeschädigteneigenschaft) weitaus längere Fristen als nur eine Woche noch als angemessen gelten.
Da die Klägerin somit die Mitteilung über ihre zum Zeitpunkt der Kündigung bereits bestehende Schwangerschaft unverschuldet versäumt, aber unverzüglich nachgeholt habe, stehe ihr daher auch der besondere Kündigungsschutz des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG zu. Die von der Beklagten mit Schreiben vom 26. Oktober 1981 ausgesprochene Kündigung sei daher rechtsunwirksam und habe das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst.
II. Diese Auffassung des Landesarbeitsgerichts hält der revisionsrechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.
1. Das Bundesverfassungsgericht hat mit den Entscheidungen vom 13. November 1979 (- 1 BvL 24/77; 1 BvL 19/78; 1 BvL 38/78 - AP Nr. 7 zu § 9 MuSchG 1968) und vom 22. Oktober 1980 (- 1 BvR 262/80 - AP Nr. 8 zu § 9 MuSchG 1968) die bisher nach § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG bestehende Rechtslage als unvereinbar mit Art. 6 Abs. 4 GG angesehen und dahin abgeändert, daß eine schwangere Arbeitnehmerin den besonderen Kündigungsschutz des Mutterschutzgesetzes auch noch dann genießt, wenn sie ihre Schwangerschaft dem Arbeitgeber zwar nicht, wie in § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG vorausgesetzt, spätestens innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung, aber doch unverzüglich nach Erlangung der Kenntnis von der Schwangerschaft mitteilt, nachdem sie innerhalb der genannten Zwei-Wochen-Frist mangels Kenntnis ihrer Schwangerschaft den Arbeitgeber ohne ihr Verschulden darüber nicht unterrichten konnte. Entgegen dem Wortlaut des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG bleibt der Arbeitnehmerin der Mutterschutz demnach auch dann erhalten, wenn die Mitteilung über die bestehende Schwangerschaft innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG unverschuldet unterblieben ist, diese aber unverzüglich nachgeholt wird. Aus Gründen der Sachnähe ist die schwangere Arbeitnehmerin darlegungs- und beweispflichtig dafür, daß sie ohne Verschulden die zweiwöchige Mitteilungsfrist des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG versäumt und die Mitteilung unverzüglich nachgeholt hat (BAG Urteil vom 13. Januar 1982 - 7 AZR 764/79 - EzA § 9 MuSchG n.F. Nr. 20 = DB 1982, 1226).
2. In Anwendung dieser vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätze, die auch ohne entsprechende Änderung des § 9 MuSchG im Wege der ergänzenden Rechtsanwendung als geltendes Recht zu beachten sind (BAG aaO), ist das Landesarbeitsgericht zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, daß die von der Beklagten mit Schreiben vom 26. Oktober 1981 ausgesprochene Kündigung in vollem Umfang rechtsunwirksam ist und deshalb das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht zum 30. November 1981 aufgelöst hat.
a) Die Frage, wann die Arbeitnehmerin die rechtzeitige Mitteilung der Schwangerschaft an den Arbeitgeber im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verschuldet oder unverschuldet versäumt hat, wird im Schrifttum unterschiedlich beantwortet.
Eich (DB 1981, 1233, 1236) vertritt die Auffassung, daß ein Verschulden im eigentlichen Sinne nicht erforderlich sei. Die Verwirkung und damit der Verlust des Kündigungsschutzes trete vielmehr schon dann ein, wenn die Schwangere nicht alles ihr Zumutbare getan habe, ihre Rechte aus § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG zu wahren. Eine ähnlich strenge Auffassung vertreten Bulla/Buchner (MuSchG, 5. Aufl., § 9 Rz 96) und Gröninger/Thomas (Kommentar zum MuSchG, § 9 Anm. 5 c). Auch nach Auffassung dieser Autoren ist die verschuldete Unkenntnis von der Schwangerschaft der Kenntnis gleichzuachten und daher als Verschulden anzusehen. Es komme in solchen Fällen darauf an, ob die Arbeitnehmerin von einer zu vermutenden Schwangerschaft hätte Kenntnis haben können. Die Arbeitnehmerin sei gehalten, beim Vorliegen von Schwangerschaftsanzeichen sich unverzüglich um eine Klärung ihres Zustandes zu bemühen. Kümmere sich die Frau jedoch trotz greifbarer Anhaltspunkte für eine mögliche Schwangerschaft nicht um eine alsbaldige Klärung, dann müsse ihr das als Verschulden angerechnet werden. Da Zumutbarkeitsüberlegungen hierbei eine Rolle spielen, komme es allerdings auf die besonderen Umstände des Einzelfalles an. Demgegenüber vertritt Wenzel (BB 1981, 674, 677) die Auffassung, daß bei der Frage des Verschuldens der Arbeitnehmerin die Maßstäbe zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 233 ZPO anzuwenden seien. Auch beim Vorliegen gewisser Verdachtsmomente für das Bestehen einer Schwangerschaft sei die Arbeitnehmerin nicht verpflichtet, hierüber Nachforschungen anzustellen, also einen Schwangerschaftstest vornehmen zu lassen oder unverzüglich einen Arzt aufzusuchen. Wie die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erkennen lasse, wolle das Bundesverfassungsgericht die Fristversäumung in den Fällen, in denen die Schwangerschaftsvermutung oder -wahrscheinlichkeit nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hätte mitgeteilt werden können, als unverschuldet angesehen wissen.
b) Demgegenüber ist der Senat der Auffassung, daß es sich bei der Mitteilung nach § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG - ebenso wie die Anzeigen und Rügen nach den §§ 149, 478 BGB und § 377 HGB - um ein im eigenen Interesse der Arbeitnehmerin liegendes Gebot (Obliegenheit, Verpflichtung gegen sich selbst) handelt und demgemäß unter "Verschulden" im vorliegenden Sinne ein dem § 254 BGB ähnliches anspruchsbeseitigendes "Verschulden gegen sich selbst" zu verstehen ist. Darauf hat der Senat, wenn auch in anderem Zusammenhang, bereits in seinem Urteil vom 23. Februar 1978 - 2 AZR 462/76 - (BAG 30, 141, 156) hingewiesen. Die rechtzeitige Mitteilung der Schwangerschaft dient allein dazu, der Arbeitnehmerin den in § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG statuierten besonderen Kündigungsschutz zu erhalten. Wenn die Arbeitnehmerin die Mitteilung der ihr bekannten Schwangerschaft unterläßt, verletzt sie damit zwar keine Rechtspflicht gegenüber dem Arbeitgeber, handelt aber möglicherweise gegen ihre eigenen Interessen. Es bleibt allein der Arbeitnehmerin überlassen, ob sie die Vorteile, die der besondere Kündigungsschutz des § 9 Abs. 1 MuSchG für sie bringt, in Anspruch nehmen will oder nicht.
Die Frage, ob die Arbeitnehmerin die zur Erhaltung des besonderen Kündigungsschutzes nach § 9 Abs. 1 MuSchG erforderliche Mitteilung an den Arbeitgeber über ihre Schwangerschaft verschuldet oder unverschuldet nicht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist abgegeben hat, kann daher nicht nach normalen Sorgfaltsmaßstäben beurteilt werden. Ein zum Verlust des besonderen Kündigungsschutzes führendes "Verschulden" im Sinne des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 13. November 1979 (aa0) liegt nur dann vor, wenn sich die Versäumung der Zwei-Wochen-Frist des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles als ein gröblicher Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse billigerweise zu erwartende Verhalten darstellt. Dem Mutterschutz, insbesondere der nach Maßgabe des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 13. November 1979 (aa0) anzuwendenden Kündigungsschutzvorschrift des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG, bei der es sich letztlich um eine Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Gebots an den Gesetzgeber zur Fürsorge für die werdende Mutter handelt, kann mit Hilfe dieses Verschuldensbegriffes am ehesten wirksam Rechnung getragen werden. Der besondere Schutz der werdenden Mutter hat insoweit gegenüber dem gleichermaßen wichtigen Gesichtspunkt der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit Vorrang (BVerfG, aa0). Die Arbeitnehmerin versäumt die rechtzeitige Mitteilung der Schwangerschaft infolgedessen immer dann schuldhaft, wenn sie die Mitteilung innerhalb der Zwei-Wochen-Frist unterläßt, obwohl sie die Schwangerschaft kennt (vgl. BVerfG Beschluß vom 25. Januar 1972 - 1 BvL 3/70 - AP Nr. 1 zu § 9 MuSchG 1968; BAG Urteil vom 13. Januar 1982 - 7 AZR 764/79 - EzA § 9 MuSchG n.F. Nr. 20). Eine verschuldete Versäumung der Zwei-Wochen-Frist liegt ferner dann vor, wenn zwar noch keine positive Kenntnis besteht, aber gleichwohl zwingende Anhaltspunkte gegeben sind, die das Vorliegen einer Schwangerschaft praktisch unabweisbar erscheinen lassen. In einem solchen Falle einer zwingenden und unabweisbaren Schwangerschaftsvermutung ist die Arbeitnehmerin schon im eigenen Interesse gehalten, dem Arbeitgeber hiervon Mitteilung zu machen und sich durch eine geeignete Untersuchung (z.B. Schwangerschaftstest, ärztliche Untersuchung) Gewißheit über das Vorliegen einer Schwangerschaft zu verschaffen. Das Untätigsein der Arbeitnehmerin beim Vorliegen einer bloßen, mehr oder weniger vagen Schwangerschaftsvermutung reicht dagegen regelmäßig nicht aus, ihr ein schuldhaftes Verhalten - mit der Folge des Verlustes des besonderen Kündigungsschutzes - vorzuwerfen.
3. Das Landesarbeitsgericht ist im Streitfall von einer unverschuldeten Versäumung der Mitteilung der Schwangerschaft innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG ausgegangen. Das ist aufgrund des dargelegten Verschuldensbegriffes aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat von ihrer Schwangerschaft unstreitig erstmals durch die ärztliche Untersuchung vom 27. November 1981 Kenntnis erhalten. Bis zu diesem Zeitpunkt bestand - jedenfalls gibt der festgestellte Sachverhalt für das Gegenteil nichts her - allenfalls eine rechtlich nicht relevante Schwangerschaftsvermutung, von der die Klägerin der Beklagten keine Mitteilung zu machen brauchte.
a) Entgegen der Auffassung der Revision war die Klägerin auch nicht gehalten, im Hinblick auf ihre letzte Regelblutung am 5. Oktober 1981 spätestens ab dem 13. November 1981 einen Schwangerschaftstest vornehmen zu lassen. Einer Arbeitnehmerin kann es nicht als Verschulden angerechnet werden, wenn sie nach Ausbleiben ihrer Regel erst nach einer gewissen Zeit des Abwartens, etwa um gelegentlich auftretende Zyklusstörungen bzw. Regelverschiebungen auszuschließen, einen Schwangerschaftstest vornehmen läßt oder einen Arzt aufsucht, zumal die Feststellung einer Schwangerschaft bzw. ein Schwangerschaftstest ohnehin erst ab dem 36. Tag nach Beginn der letzten Regelblutung überhaupt erfolgversprechend ist. Die Klägerin hat, indem sie am 27. November 1981 einen Arzt aufgesucht hat, die Feststellung ihrer Schwangerschaft jedenfalls nicht ungebührlich verzögert.
b) Die Klägerin hat der Beklagten die Schwangerschaft nach dem 27. November 1981 auch unverzüglich mitgeteilt. Nachdem bereits ein Kündigungsschutzprozeß anhängig war, ist es nicht zu beanstanden, daß die Klägerin das ärztliche Attest über die mit der Prozeßvertretung beauftragte Rechtsstelle des DGB der Beklagten zugeleitet hat. Die Klägerin hat dadurch die Zuleitung des Schwangerschaftsattestes, das der Beklagten am 5. Dezember 1981 zugegangen ist, nicht schuldhaft verzögert. Ein Zeitraum von einer Woche ist jedenfalls nicht zu lang (vgl. Gröninger/Thomas, aa0; MünchKomm-Kramer, § 121 BGB Rz 7 m.w.N.; ferner Wenzel aa0; ArbG Kassel, BB 1980, 417) und weder nach allgemeiner Ansicht noch aufgrund der gegebenen konkreten Zustände geeignet, die Annahme einer schuldhaften Verzögerung zu rechtfertigen. Das Landesarbeitsgericht verweist in diesem Zusammenhang zu Recht auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die für die Mitteilung über das Vorliegen der Schwerbehinderteneigenschaft von einer Regelfrist von einem Monat ausgeht (BAG 30, 141; BAG Urteil vom 19. April 1979 - 2 AZR 469/78 - AP Nr. 5 zu § 12 SchwbG; BAG Urteil vom 30. Juni 1983 - 2 AZR 10/82 - zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen; BAG Urteil vom 19. Januar 1983 - 7 AZR 44/81 - DB 1983, 1154, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen) sowie auf die gesetzlichen Regelungen nach § 626 Abs. 2 BGB und § 4 Abs. 1 KSchG. Auch in diesen Fällen ist der tragende Gesichtspunkt die Rechtsklarheit und die Rechtssicherheit, aber gleichwohl übersteigt die eingeräumte Erklärungs- oder Überlegungsfrist den Zeitraum von einer Woche.
III. Im Ergebnis ist somit das Landesarbeitsgericht zu Recht davon ausgegangen, daß die Klägerin die Zwei-Wochen-Frist für die Anzeige der Schwangerschaft unverschuldet versäumt (§ 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG), die Mitteilung an die Beklagte aber unverzüglich nachgeholt hat und sie sich daher zu Recht auf den Mutterschutz mit der Folge der Unwirksamkeit der Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses zum 31. Oktober 1981 berufen kann. Die Revision der Beklagten war daher aus den dargelegten Gründen mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.
Dr. Röhsler Triebfürst Dr. Steckhan
Dr. Hautmann Walter Sickert
Fundstellen
BAGE 43, 331-339 (LT1) |
BAGE, 331 |
BB 1984, 727-728 (LT1) |
DB 1984, 1044-1045 (LT1) |
NJW 1984, 1418-1419 (LT1) |
FamRZ 1984, 783-785 (LT1) |
BlStSozArbR 1984, 244-244 (T) |
JR 1985, 440 |
SAE 1985, 21-24 (LT1) |
AP § 9 MuSchG 1968 (LT1), Nr 12 |
AR-Blattei, ES 1220 Nr 71 (LT1) |
AR-Blattei, Mutterschutz Entsch 71 (LT1) |
EzA § 9 nF MuSchG, Nr 23 (LT1) |
MDR 1984, 522-522 (LT1) |