Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung eines Sozialplans
Orientierungssatz
Parallelsache zu BAG Urteil vom 8.11.1988 1 AZR 721/87 = BB 1989, 911.
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 01.04.1987; Aktenzeichen 2 Sa 145/86) |
ArbG Reutlingen (Entscheidung vom 11.11.1986; Aktenzeichen 2 Ca 319/86) |
Tatbestand
Der damals 57jährige Kläger war seit 27 Jahren bei der Firma C. C. E KG als Arbeiter beschäftigt. Über das Vermögen dieser Firma wurde am 30. Juli 1982 das Konkursverfahren eröffnet und der Beklagte zum Konkursverwalter bestellt.
Am 15. Oktober 1982 kündigte der Beklagte dem Kläger und allen übrigen rd. 250 Arbeitnehmern fristgemäß, dem Kläger zum 31. März 1983. Im Kündigungsschreiben heißt es:
"Hiermit kündige ich Ihr Arbeitsverhältnis laut ge-
setzlicher Kündigungsfrist ordentlich zum 31. März
1983. ... Im Rahmen des Konkursverfahrens ist vor-
gesehen, den Betrieb vorläufig zum 31. März 1983
sukzessiv zu liquidieren.
Ich bestätige hiermit, daß sämtliche Mitarbeiter,
die durch eine ordentliche Kündigung des Konkurs-
verwalters aus dem Betrieb ausscheiden, in einem
noch zu erstellenden Sozialplan berücksichtigt wer-
den."
Am 10. Februar 1983 vereinbarten der Kläger und der Beklagte eine befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum 30. Juni 1983. Zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses kam es am 30. Juni 1983 nicht, der Kläger wurde vielmehr weiterbeschäftigt, und die Parteien vereinbarten am 14. Dezember 1983 ab dem 1. Januar 1984 ein unbefristetes Arbeitsverhältnis auf der Basis des alten Arbeitsvertrages.
Im Jahre 1983 kam es zur Aufstellung eines Sozialplans durch den Spruch einer vom Betriebsrat angerufenen Einigungsstelle. In diesem Sozialplan heißt es u.a. wie folgt:
"1. Ursache des Sozialplans
Über die Firma C. C. E KG wurde ... der
Anschlußkonkurs eröffnet. Im Zuge dieser Kon-
kursabwicklung wird der Betrieb geschlossen.
Dadurch verlieren seit Vergleichseröffnung alle
Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz ...
2. Ziel des Sozialplans
Als Härteausgleich für den Verlust der Arbeits-
plätze schließen der Konkursverwalter ... und
der Betriebsrat ... folgenden Sozialplan ab:
3. Geltungsbereich
Die Regelung dieses Sozialplans gilt für alle Ar-
beitnehmer, die am 25.06.82 ... in einem vom Ar-
beitnehmer ungekündigten Arbeitsverhältnis zu der
Firma standen.
3.1
Keine Ansprüche aus diesem Sozialplan haben:
3.2
Arbeitnehmer, die ... Rente aus der gesetzlichen
Rentenversicherung beziehen oder denen mit Wirkung
bis zum Ende des Beschäftigungsverhältnisses ...
Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung be-
willigt wird.
3.3
Arbeitnehmer, denen nach dem 25.06.1982 ... rechts-
wirksam außerordentlich gekündigt wurde.
4. Abfindungsbetrag
Der Abfindungsbetrag für den einzelnen Arbeitneh-
mer setzt sich zusammen aus einer Rechenformel ...
5. Ausgleich für Vermögensbildung
...
6. Jubiläumszuwendung
...
7. Fälligkeit der Abfindungen
Die Leistungen aus diesem Sozialplan werden in Höhe
von 50 % fällig zum 30.11.1983, in Höhe von restli-
chen 50 % zum 31.05.1984. ...
8. Härtefonds
Es wird zusätzlich ein Härtefonds gebildet, der be-
sondere Härten für die von der Schließung der Firma
betroffenen Arbeitnehmer mildern soll. ...
Über die Verwendung der Mittel entscheidet der Be-
triebsratsvorsitzende im Einvernehmen mit dem Kon-
kursverwalter. Kann bei Meinungsverschiedenheiten
über die Anwendung und Auslegung des Sozialplans
keine Einigung zwischen dem Konkursverwalter einer-
seits und dem Betriebsrat andererseits erzielt wer-
den, so entscheidet der Richter am Arbeitsgericht
L. J. (der Vorsitzende der Einigungsstelle) verbind-
lich."
Der Konkursverwalter veräußerte am 3. April 1985 mit Wirkung zum 1. Mai 1985 den Betrieb an die Firma C. C. E GmbH & Co. Maschinenfabrik KG, die die in diesem Zeitpunkt bei der Firma noch beschäftigten Arbeitnehmer, darunter auch der Kläger, übernahm. Die zwischenzeitlich aus dem Betrieb ausgeschiedenen Arbeitnehmer haben die im Sozialplan vereinbarten Leistungen erhalten. Das Arbeitsverhältnis des Klägers zum Betriebserwerber endete im März 1986, als der Kläger unter Inanspruchnahme des vorgezogenen Altersruhegeldes aus dem Betrieb ausschied.
In der Folgezeit verlangte der Kläger vom Beklagten die Zahlung einer Abfindung. Als der Beklagte dies ablehnte, hat der Kläger am 11. Juli 1986 einen Betrag von 15.390,-- DM als Sozialplanforderung mit dem Rang nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 K0 zur Konkurstabelle angemeldet. Diese Forderung hat der Beklagte im Prüfungstermin vom 24. Juni 1987 bestritten. Darüber hinaus ist der Kläger der Ansicht, daß der Beklagte ihm eine Abfindung nach § 113 Abs. 3 BetrVG zahlen müsse, da er den Betrieb ohne den Versuch eines Interessenausgleichs stillgelegt habe. Er hat daher vor dem Arbeitsgericht beantragt,
1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn
15.390,-- DM nebst 4 % Zinsen seit dem
1. Februar 1986 zu zahlen,
hilfsweise
festzustellen, daß dem Kläger eine For-
derung in Höhe von 15.390,-- DM mit dem
Rang nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 K0 nach Maß-
gabe des Gesetzes über den Sozialplan
im Konkurs- und Vergleichsverfahren als
Sozialplanforderung zusteht,
2. den Beklagten zu verurteilen, an ihn eine
Abfindung in Höhe von mindestens 15.000,--
DM zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Er ist der Ansicht, dem Kläger stehe ein Anspruch aus dem Sozialplan und auf eine zusätzliche Abfindung nicht zu, da der Kläger seinen Arbeitsplatz nicht infolge einer Betriebsänderung verloren habe.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers einen Anspruch auf eine Abfindung aus dem Sozialplan in Höhe von 15.390,-- DM mit dem Rang nach § 61 Abs. 1 Nr. 1 K0 nach Maßgabe des Gesetzes über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren zur Konkurstabelle festgestellt und im übrigen die Berufung zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte die Abweisung der Klage auch hinsichtlich der festgestellten Forderung, während der Kläger um Zurückweisung der Revision bittet.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch aus dem Sozialplan nicht zu.
I. Die Klage auf Feststellung der Sozialplanforderung zur Konkurstabelle ist nach § 146 K0 zulässig. Die vom Landesarbeitsgericht noch erörterten Bedenken gegen die Zulässigkeit sind entfallen, nachdem der Beklagte die angemeldete Forderung am 24. Juni 1987 bestritten hat.
II. Die Klage ist jedoch nicht begründet.
1. Das Landesarbeitsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf eine Abfindung aus dem Sozialplan mit der Begründung bejaht, daß der Kläger nicht unter denjenigen Personenkreis falle, der nach Ziff. 3 des Sozialplans von Leistungen aus dem Sozialplan ausgeschlossen sei. Zwar habe der Kläger durch die Betriebsänderung seinen Arbeitsplatz nicht verloren, das sei aber nach dem Sozialplan nicht Voraussetzung für einen Abfindungsanspruch. Sinn und Zweck des Sozialplans sei nicht ausschließlich ein Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes gewesen, die Zweckbestimmung eines Sozialplans gehe vielmehr kraft Gesetzes weiter. In einem Sozialplan können Abfindungen für den Verlust des Arbeitsplatzes auch ohne Rücksicht darauf vereinbart werden, ob der einzelne Arbeitnehmer als Folge einer Betriebsänderung tatsächlich einen wirtschaftlichen Nachteil erleide. Der Sozialplan sei zu einer Zeit abgeschlossen worden, als die geplante Betriebsstillegung noch nicht durchgeführt worden sei. Es seien Abfindungen als Ausgleich für die zu erwartenden Nachteile vereinbart worden. Darauf, ob diese Nachteile tatsächlich eingetreten seien, komme es nicht an.
Damit hat das Landesarbeitsgericht den Inhalt der Sozialplanregelung verkannt.
2. Nach dem Sozialplan haben einen Anspruch auf Abfindung nur solche Arbeitnehmer, die infolge der geplanten Betriebsänderung aus dem Betrieb ausscheiden und ihren Arbeitsplatz verlieren.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind Betriebsvereinbarungen wie Tarifverträge und diese wiederum wie Gesetze auszulegen. Das gilt auch für die Auslegung eines Sozialplans, der ebenfalls eine Betriebsvereinbarung ist (BAG Urteil vom 27. August 1975 - 4 AZR 454/74 - AP Nr. 2 zu § 112 BetrVG 1972). Danach ist maßgeblich auf den im Wortlaut der Betriebsvereinbarung zum Ausdruck gelangten Willen der Betriebspartner abzustellen und der von diesen beabsichtigte Sinn und Zweck der Regelung zu berücksichtigen, soweit diese in den Regelungen der Betriebsvereinbarung bzw. des Sozialplans noch ihren Niederschlag gefunden haben (BAG Urteil vom 11. Juni 1975, BAGE 27, 187 = AP Nr. 1 zu § 77 BetrVG 1972 Auslegung). Danach obliegt die Auslegung einer Betriebsvereinbarung auch dem Revisionsgericht. Eine vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Auslegung ist - anders als bei der Auslegung von Willenserklärungen - für das Revisionsgericht nicht bindend.
b) Diese Auslegung des Sozialplans ergibt, daß einen Anspruch auf Leistungen aus dem Sozialplan nur diejenigen Arbeitnehmer haben sollten, die ihren Arbeitsplatz verlieren, soweit sie nicht zu den in den Nr. 3.2 und 3.3 genannten Arbeitnehmern gehören. Nach Nr. 1 des Sozialplans sind die Betriebspartner davon ausgegangen, daß im Zuge der Konkursabwicklung der Betrieb geschlossen wird und dadurch alle Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz verlieren. Die Betriebspartner haben daher nach Nr. 2 des Sozialplans als "Härteausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes" den Sozialplan abgeschlossen. Sie haben in Nr. 5 und 6 vereinbart, daß vermögenswirksame Leistungen und Jubiläumszuwendungen auch noch nach dem Ausscheiden aus der Firma bzw. nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bis zu einem später liegenden Zeitpunkt gezahlt werden.
Diesem Zweck des Sozialplans entspricht es auch, daß der Beklagte schon bei der Kündigung aller Arbeitsverhältnisse darauf hingewiesen hat, daß sämtliche Mitarbeiter, die durch eine ordentliche Kündigung des Konkursverwalters aus dem Betrieb ausscheiden, in einem noch zu erstellenden Sozialplan berücksichtigt werden.
c) Diesem Verständnis des Sozialplans steht die vom Landesarbeitsgericht zur Begründung seiner Entscheidung angezogene Entscheidung des Senats vom 23. April 1985 (BAGE 48, 294 = AP Nr. 26 zu § 112 BetrVG 1972) nicht entgegen. Wenn der Senat in dieser Entscheidung ausgesprochen hat, daß die Einigungsstelle, wenn sie einen Sozialplan erst geraume Zeit nach der Durchführung der Betriebsstillegung beschließt, bei der Bemessung der Sozialplanleistungen auf die wirtschaftlichen Nachteile der entlassenen Arbeitnehmer abstellen kann, mit denen im Zeitpunkt der Betriebsstillegung typischerweise zu rechnen war und nicht zu berücksichtigen brauche, daß einzelne Arbeitnehmer diese Nachteile tatsächlich nicht erlitten haben, so besagt dies nichts für die Auslegung des hier allein maßgebenden Sozialplans, den die Einigungsstelle im Jahre 1983 beschlossen hat. Dieser Sozialplan ist zu einer Zeit aufgestellt worden, als die Betriebsänderung noch nicht durchgeführt war. Die Betriebspartner bzw. die Einigungsstelle sind dabei davon ausgegangen, daß entsprechend der damaligen Absicht des Konkursverwalters, den Betrieb sukzessive stillzulegen, alle Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz verlieren werden. Sie haben daher im Sozialplan den Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile aus diesem erwarteten Verlust des Arbeitsplatzes geregelt. Wenn es infolge der späteren Entwicklung nicht dazu gekommen ist, daß alle Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz verloren haben, vielmehr ein großer Teil der Arbeitnehmer, wie auch der Kläger, ohne Unterbrechung weiterbeschäftigt wurden, so hat das lediglich zur Folge, daß Anspruchsvoraussetzungen für Leistungen aus dem Sozialplan nicht entstehen konnten, nicht aber führt diese Entwicklung der Dinge dazu, daß nunmehr die Regelungen im Sozialplan dahin verstanden werden müssen, daß alle Arbeitnehmer so zu behandeln seien, als hätten sie im Laufe der Abwicklung des Konkursverfahrens ihren Arbeitsplatz verloren.
d) An der Auslegung ist der Senat auch durch die in Nr. 8 des Sozialplans enthaltene Regelung nicht gehindert, wonach der Vorsitzende der Einigungsstelle verbindlich entscheidet, wenn unter den Betriebspartnern Streit über die Auslegung des Sozialplans entsteht. Diese Bestimmung ist zumindest insoweit unwirksam, als sie auch Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitnehmern und dem Beklagten über die Auslegung des Sozialplans der verbindlichen Entscheidung des Vorsitzenden der Einigungsstelle unterwirft. Mit einem solchen Inhalt ist diese Klausel eine Schiedsabrede, die nach § 4 ArbGG unzulässig ist (Urteil des Senats vom 27. Oktober 1987 - 1 AZR 80/86 - AP Nr. 22 zu § 76 BetrVG 1972).
3. Der Kläger hat im Zuge der Abwicklung des Konkursverfahrens seinen Arbeitsplatz nicht verloren. Zwar ist dem Kläger zunächst wie allen übrigen Arbeitnehmern fristgerecht gekündigt worden, die Parteien haben dann jedoch noch vor Ablauf der Kündigungsfrist eine zunächst befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses vereinbart und schließlich am 14. Dezember 1983 vereinbart, daß das Arbeitsverhältnis unbefristet fortgesetzt werden soll. Die vom Konkursverwalter zur Abwicklung des Konkursverfahrens vorgenommenen Maßnahmen haben daher nicht zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses und daher auch nicht zum Verlust des Arbeitsplatzes des Klägers geführt.
Dieses unbefristete Arbeitsverhältnis auf der Grundlage der bisherigen Vertragsbedingungen ist auf den Betriebserwerber übergegangen und hat erst im März 1986 sein Ende gefunden. Diese Beendigung des Arbeitsverhältnisses beruhte nicht mehr auf der vom Beklagten im Oktober 1982 ausgesprochenen Kündigung des Arbeitsverhältnisses und der dadurch hervorgerufenen Ungewißheit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Diese Ungewißheit war spätestens mit der Vereinbarung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses im Dezember 1983 beseitigt worden. Der Kläger hat in der Folgezeit in diesem unbefristeten Arbeitsverhältnis mehr als zwei Jahre gearbeitet. Daß er während dieser Zeit und insbesondere noch nach dem Betriebsübergang um den gesicherten Fortbestand des Arbeitsverhältnisses nach wie vor fürchten mußte, ist nicht ersichtlich.
Damit steht dem Kläger ein Anspruch auf eine Abfindung aus dem Sozialplan nicht zu. Die Revision des Beklagten ist daher begründet.
Die Kosten der Berufung und der Revision hat nach § 97 ZP0 der Kläger zu tragen.
Dr. Kissel Matthes Dr. Weller
Koerner Rösch
Fundstellen