Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachschieben von Kündigungsgründen. Anhörung bei Verdachtskündigung
Leitsatz (amtlich)
1. Materiell-rechtlich können Kündigungsgründe, die bei Ausspruch der Kündigung bereits entstanden waren, dem Arbeitgeber aber erst später bekanntgeworden sind, im Kündigungsschutzprozeß uneingeschränkt nachgeschoben werden (Bestätigung von BAG Urteil vom 18. Januar 1980 - 7 AZR 260/78 = AP Nr 1 zu § 626 BGB Nachschieben von Kündigungsgründen).
2. Betriebsverfassungsrechtlich können Kündigungsgründe, die bei Ausspruch der Kündigung bereits entstanden waren, dem Arbeitgeber aber erst später bekanntgeworden sind, im Kündigungsschutzprozeß nachgeschoben werden, wenn der Arbeitgeber zuvor den Betriebsrat hierzu erneut angehört hat (Fortführung von BAG Urteil vom 18. Dezember 1980 - 2 AZR 1006/78 = BAGE 34, 309 = AP Nr 22 zu § 102 BetrVG 1972).
3. Der Arbeitgeber wird nicht gehindert, im Kündigungsschutzprozeß Tatsachen nachzuschieben, die ohne wesentliche Veränderung des Kündigungssachverhaltes lediglich der Erläuterung und Konkretisierung der dem Betriebsrat mitgeteilten Kündigungsgründe dienen (Bestätigung von BAG Urteil vom 18. Dezember 1980 - 2 AZR 1006/78 = BAGE 34, 309 = AP Nr 22 zu § 102 BetrVG 1972).
4. Aufgrund der ihm obliegenden Aufklärungspflicht ist der Arbeitgeber gehalten, den Arbeitnehmer vor Ausspruch einer Verdachtskündigung zu den gegen ihn erhobenen Verdachtsmomenten zu hören. Die Erfüllung der Aufklärungspflicht ist Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Verdachtskündigung.
Verfahrensgang
LAG Hamburg (Entscheidung vom 15.11.1983; Aktenzeichen 1 Sa 17/81) |
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 13.11.1980; Aktenzeichen 4 Ca 99/80) |
Tatbestand
Der Kläger, der zum 1. Januar 1977 von der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Firma E KG, eingestellt wurde und seitdem als Handlungsreisender im Angestelltenverhältnis tätig ist, hat mit Schreiben vom 26. März 1980 sein Arbeitsverhältnis fristgemäß zum 30. Juni 1980 gekündigt. Am 26. und am 27. März 1980 wurde der Kläger von der Beklagten mündlich aufgefordert, zu einem Gespräch in die Zentrale zu kommen. Dieser Aufforderung kam der Kläger nicht nach. Die Beklagte erbat daraufhin vom Betriebsrat mit Schreiben vom 27. März 1980 die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung. Das Schreiben lautet auszugsweise:
„Ihnen, Frau B und Herr M sind die Vorgänge um Herrn Sch im wesentlichen bekannt. Aus diesen Gründen möchte die Geschäftsleitung die Zustimmung des Betriebsrates dazu haben, das Angestelltenverhältnis zu kündigen, wenn Herr Dr. M dieses für angebracht hält.”
Der Betriebsrat erteilte am 28. März 1980 seine Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung. Danach kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 1. April 1980 und vom 3. April 1980 dem Kläger das Arbeitsverhältnis fristlos.
Mit seiner am 21. April 1980 bei dem Arbeitsgericht Hamburg gegen die Beklagte sowie die Firma S -Vertriebs-GmbH & Co. KG, vertreten durch die persönlich haftende Gesellschafterin Firma W Gesellschaft mbH, diese vertreten durch ihre Geschäftsführer Elisabeth H und Gerd S (frühere Beklagte zu 2), erhobenen Klage wendet sich der Kläger u. a. gegen die Kündigungen vom 1. und 3. April 1980. Die Kündigungen seien rechtsunwirksam, weil der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß gehört worden sei und es an einem wichtigen Grund fehle. Er habe sich jederzeit vertragsgerecht verhalten. Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe der Beklagten seien zum Teil unwahr und im übrigen insgesamt unbegründet.
Der Kläger hat beantragt festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis des Klägers mit den Beklagten durch die Kündigung der Beklagten vom 1. April 1980 mit Ergänzung vom 3. April 1980 nicht aufgelöst ist.
Der Kläger hat ferner beantragt, die Beklagten zu verurteilen, ihm Abrechnungen und Auskünfte zu erteilen und die sich daraus ergebenden Beträge als Provisionen und Schadenersatz sowie eine jährliche Gewinnbeteiligung ab 1. Januar 1977 an ihn zu zahlen.
Die Beklagten haben Klagabweisung beantragt und den Kläger widerklagend auf Auskunft, Schadenersatz und Herausgabe von Geschäftsunterlagen in Anspruch genommen.
Der Kläger hat beantragt, die Widerklage abzuweisen.
Die Beklagte zu 2) hat bestritten, mit dem Kläger in Rechtsbeziehungen gestanden zu haben.
Die Beklagte zu 1) hat vorgetragen, die fristlosen Kündigungen seien durch das vertragswidrige Verhalten des Klägers gerechtfertigt. So habe der Kläger sie in vertragswidriger Weise über die Identität seiner Ehefrau getäuscht, die unter ihrem Mädchennamen L ein Wollgeschäft betrieben habe. In seinen Berichten habe der Kläger diesen Umstand verschwiegen, obwohl er arbeitsvertraglich verpflichtet gewesen wäre, ihr die wahren Besitzverhältnisse an dem Wollgeschäft unverzüglich mitzuteilen. Der Kläger habe sich auch eigenmächtig Urlaub genommen und diesen auch angetreten. Mit Schreiben vom 20. März 1980 habe sie ihn aufgefordert, bei ihr, der Beklagten, anzurufen, was er weder nach Erhalt des Schreibens noch nach Erhalt der ihm am 26. März 1980 nochmals übersandten Kopie des Schreibens getan habe. Vielmehr habe er sich am 26. März 1980 gegenüber Frau H telefonisch ausdrücklich geweigert, zur Berichterstattung in die Zentrale zu kommen, und zwar auch noch, nachdem Herr P ihn dazu am 27. März 1980 persönlich aufgefordert habe. Gleichwohl habe der Kläger am 27. und 28. März 1980 entgegen der ausdrücklich von Herrn P erteilten Weisung in der Nähe der Zentrale wohnende Kunden in Hamburg besucht. Nachdem sie, die Beklagte, hiervon Kenntnis erlangt habe, sei der Kläger durch Einschreiben vom 28. März 1980 aufgefordert worden, sie unverzüglich aufzusuchen und den firmeneigenen Pkw abzugeben. Auf eine fristlose Kündigung als Folge einer Weigerung sei der Kläger in jenem Schreiben ausdrücklich hingewiesen worden. Beides habe der Kläger mit seinem Schreiben vom 30. März 1980 abgelehnt. Der Kläger habe außerdem die von ihr vorgegebenen Tourenpläne für Kundenbesuche seit dem 23. März 1980 nicht mehr eingehalten. Schließlich habe der Kläger einen auf die Beklagte als Empfängerin ausgestellten Scheck der Firma S für sich eingelöst und den Scheckbetrag vereinnahmt. Es habe deshalb der Verdacht einer Vermögensstraftat zu ihrem Nachteil bestanden. Ferner habe der begründete Verdacht bestanden, daß der Kläger Geschäfte auf eigene Rechnung mit Firmenkunden gemacht und Ware aus dem Firmenlager entwendet habe. Der Betriebsrat sei zu den fristlosen Kündigungen ordnungsgemäß gehört worden und habe ihnen zugestimmt.
Das Arbeitsgericht hat durch Teilurteil die Kündigungsschutzklage abgewiesen.
Der Kläger hat gegen dieses Teilurteil Berufung eingelegt und geltend gemacht, es sei nicht substantiiert vorgetragen worden, daß der Betriebsrat die umfangreich vorgetragenen Kündigungsgründe, von denen zur Zeit der Anhörung am 27. März 1980 mehrere noch gar nicht greifbar vorgelegen haben könnten, zur Kenntnis bekommen habe. Am 27. März 1980 habe noch nicht festgestanden, daß er dem Verlangen der Beklagten, ihre Zentrale aufzusuchen, nicht nachkommen würde. Gleiches gelte für die angeblich am 27. und 28. März 1980 nicht ausgeführten Kundenbesuche und die von den Beklagten behaupteten Abweichungen von den Tourenplänen in der Zeit vom 24. bis 26. März 1980. Ihm sei auch bis zum 27. März 1980 nie der Vorwurf unerlaubter Nebengeschäfte gemacht worden, der im übrigen völlig unbegründet sei. Die von der Beklagten behaupteten Kündigungsgründe stellten zudem keine wichtigen Gründe im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB dar. Die Beklagte sei nicht aufgrund ihres Direktionsrechts berechtigt gewesen, ohne Angabe von Gründen sein sofortiges Erscheinen anzuordnen und ihm die Durchführung seiner Arbeitsverpflichtung zu verbieten. Er habe sich nicht beharrlich geweigert zu erscheinen, sondern nur um eine zumutbare Terminsvereinbarung gebeten. Die ihm vorgeworfenen Tourenabweichungen hätten sich dann nicht vermeiden lassen, wenn Kunden, bei denen ein Besuch vereinbart gewesen sei, anders disponiert hätten.
Das Landesarbeitsgericht hat nach erneuter Vernehmung des Zeugen M der Berufung des Klägers, soweit sie gegen die frühere Beklagte zu 1) und jetzige Revisionsklägerin gerichtet war, stattgegeben und festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten zu 1) durch das Kündigungsschreiben vom 1. April 1980 mit Ergänzungsschreiben vom 3. April 1980 nicht aufgelöst worden ist. Die Berufung gegen die frühere Beklagte zu 2) hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen.
Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der Kläger beantragt Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision konnte keinen Erfolg haben. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten durch die Kündigungen vom 1. und 3. April 1980 nicht aufgelöst worden ist.
A.
Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, die Beklagte habe ihre Kündigung nur auf solche Gründe stützen können, zu denen der Betriebsrat nach § 102 Abs. 1 BetrVG vorher angehört worden sei. Dies gelte sowohl für die der Beklagten zum Zeitpunkt der Anhörung bekannten Kündigungsgründe als auch für die zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannten Gründe, weil andernfalls die betriebsverfassungsrechtliche Position des Betriebsrates ausgehöhlt und eine Verkürzung des kollektiven Kündigungsschutzes eintreten würde. Auch werde sich nicht immer in zufriedenstellender Weise klären lassen, ob und welche bereits zur Zeit der Anhörung des Betriebsrates entstandenen Kündigungsgründe dem Arbeitgeber auch wirklich bekannt waren. Die Anhörung des Betriebsrates sei allerdings nicht deshalb rechtsunwirksam, weil der Betriebsrat über die beabsichtigten fristlosen Kündigungen nicht gemeinsam beraten und beschlossen habe. Diese nicht ordnungsgemäße Verfahrensweise liege im Verantwortungsbereich des Betriebsrates und sei der Beklagten daher nicht zuzurechnen.
Nach der Aussage des Betriebsratsvorsitzenden M seien nur drei der von der Beklagten vorgetragenen Kündigungsgründe, nämlich der Einzug des Schecks des Kunden S durch den Kläger, die angebliche Nichteinhaltung der Tourenpläne am 24. und 25. März 1980 durch den Kläger und das angeblich weisungswidrige Nichterscheinen des Klägers am 26./27. März 1980 in der Zentrale, der Beurteilung für die Rechtsunwirksamkeit der streitigen Kündigungen zugrunde zu legen.
Die dem Kläger vorgeworfenen Abweichungen von den Tourenplänen rechtfertigten keine fristlose Kündigung. Dieser Vorwurf betreffe eine Störung im Leistungsbereich, die eine fristlose Kündigung nur nach vorausgegangener Abmahnung rechtfertige. Eine solche Abmahnung sei jedoch nicht dargetan. Ebenso sei eine erforderliche Abmahnung nicht bewiesen, soweit die Kündigung auf die angeblich unberechtigte Weigerung des Klägers gestützt werde, am 26. bzw. 27. März 1980 zur Zentrale der Beklagten zu kommen. Soweit sich die Beklagte hinsichtlich einer Abmahnung des Klägers durch Herrn P auf dessen Aktenvermerk vom 27. März 1980 berufen habe, sage dieser Aktenvermerk über eine Abmahnung nichts aus. Es habe daher keine Veranlassung bestanden, den als Zeugen genannten Herrn P hierüber zu vernehmen. Die späteren in der Verhandlung am 15. November 1983 angebrachten Beweisantritte seien dagegen neu und im Sinne des § 67 Abs. 2 Satz 2 ArbGG verspätet gewesen. Die Verspätung habe auch auf dem Verschulden der Beklagten bzw. ihres Prozeßbevollmächtigten beruht.
Schließlich rechtfertige auch der von der Beklagten angenommene Verdacht der strafbaren Handlungen im Zusammenhang mit dem Scheck des Kunden S die fristlosen Kündigungen nicht. Denn wegen der Besonderheit dieses Grundes wäre die Beklagte gehalten gewesen, vor Ausspruch der Verdachtskündigung den Kläger anzuhören, um feststellen zu können, ob der Verdacht das Vertrauensverhältnis derart zerstört habe, daß eine Weiterbeschäftigung auch nur für die Dauer der Kündigungsfrist ausscheide. Eine derartige Anhörung, die Zulässigkeitsvoraussetzung für die Verdachtskündigung sei, habe die Beklagte jedoch nicht vorgenommen. Die Kündigungen seien daher auch insoweit, als sie auf den Verdacht einer strafbaren Handlung des Klägers oder einer Vertragspflichtverletzung gestützt würden, rechtsunwirksam.
B.
Diese Begründung beruht entgegen der Auffassung der Revision nicht auf einem Rechtsfehler.
I.
Mit Recht hat sich das Landesarbeitsgericht bei der Überprüfung der Wirksamkeit der fristlosen Kündigungen vom 1. bzw. 3. April 1980 auf die Bewertung der Kündigungsgründe beschränkt, die dem Betriebsrat bei der Anhörung am 27. März 1980 bekannt waren. Andere Kündigungsgründe können von der Beklagten zur Rechtfertigung der Kündigungen nicht nachgeschoben werden.
1. Das Nachschieben von vor der Kündigung entstandenen Kündigungsgründen, die der Arbeitgeber zunächst nicht zur Begründung der Kündigung angegeben hat, ist allerdings materiell-rechtlich zulässig, und zwar unabhängig davon, ob sie dem Kündigenden vor oder nach Ausspruch der Kündigung bekannt geworden sind.
Nach überwiegender Meinung in Rechtsprechung und Lehre ist eine Berücksichtigung von nachgeschobenen Kündigungsgründen, die bei Ausspruch der Kündigung bereits vorlagen, aus materiell-rechtlichen Gründen unbedenklich (vgl. BAG 14, 65; 24, 401, 405; BAG Urteil vom 18. Januar 1980 - 7 AZR 260/78 - AP Nr. 1 zu § 626 BGB Nachschieben von Kündigungsgründen; BGHZ 27, 220, 223 f.; 40, 13, 16; KR-Wolf, 2. Aufl., Grunds. Rz 599 a; KR-Hillebrecht, 2. Aufl., § 626 BGB Rz 128 f.; Hueck, KSchG, 10. Aufl., Einl. Rz 76; a. A. grundsätzlich Schwerdtner, BlStSozArbR 1981, 145 ff. und ZIP 1981, 809). Da die Kündigungserklärung nicht die Angabe eines bestimmten Kündigungsgrundes erfordert und materiell-rechtlich mehrere Kündigungsgründe grundsätzlich nur ein Kündigungsrecht ergeben, kann die Kündigung aus materiell-rechtlicher Sicht grundsätzlich auch nachträglich auf weitere Kündigungsgründe gestützt werden (BAG Urteil vom 18. Januar 1980, aaO; KR-Hillebrecht, aaO, Rz 129 ff.; KR-Wolf, aaO).
2. Ausgeschlossen ist die Beklagte mit den nachgeschobenen Kündigungsgründen jedoch deswegen, weil insoweit eine Unterrichtung des Betriebsrats unterblieben ist und es mit dem Regelungsgehalt und Zweck des § 102 BetrVG nicht zu vereinbaren ist, die weiteren Gründe trotz fehlender Mitwirkung des Betriebsrats, die auch später nicht nachgeholt worden ist, bei der Würdigung einer aus anderen Gründen ausgesprochenen Kündigung zu berücksichtigen.
a) Nach überwiegender Meinung ist ein Nachschieben von solchen Kündigungsgründen, die dem Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung bereits bekannt waren, von denen er jedoch keine Mitteilung an den Betriebsrat gemacht hat, unzulässig mit der Folge, daß diese Gründe im Kündigungsschutzprozeß nicht berücksichtigt werden können (vgl. BAG 34, 309, 316 ff.; 35, 190, 196 ff.; KR-Hillebrecht, 2. Aufl., § 626 BGB Rz 126; KR-Etzel, 2. Aufl., § 102 BetrVG Rz 187 f.; MünchKomm-Schwerdtner, § 626 BGB Rz 226; Hueck, 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 261; Koller, SAE 1982, 27; Kaup, DB 1974, 2302; Kraft, GK-BetrVG, § 102 Rz 79, 80; abweichend Meisel, Mitwirkung und Mitbestimmung des Betriebsrats in personellen Angelegenheiten, 5. Aufl., Rz 421; Kammann/Hess/Schlochauer, BetrVG, § 102 Rz 40). Die Unzulässigkeit des Nachschiebens von Kündigungsgründen, die dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Betriebsratsanhörung bekannt waren, folgt aus dem Sinn und dem Zweck des Anhörungsverfahrens nach § 102 BetrVG, der darin besteht, dem Betriebsrat Gelegenheit zu geben, vor Ausspruch der Kündigung auf den Kündigungsentschluß des Arbeitgebers im Hinblick auf die diesem bekannten und deshalb seinen Kündigungsentschluß beeinflussenden Umstände einzuwirken. Diesem Zweck widerspricht es, dem Arbeitgeber zu gestatten, sich im späteren Kündigungsschutzprozeß auf Kündigungsgründe zu berufen, die zwar seinen Kündigungsentschluß mit beeinflußt haben, hinsichtlich der er jedoch dem Betriebsrat keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hatte (vgl. KR-Etzel, aaO, § 102 BetrVG Rz 185 b, 186).
b) Aus dem Schutzzweck des § 102 BetrVG ergeben sich durchgreifende Bedenken aber auch dagegen, dem Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung noch unbekannte Gründe zur Begründung der Kündigung heranzuziehen, wenn sich der Betriebsrat damit überhaupt nicht befaßt hat.
aa) Ein Teil des Schrifttums geht davon aus, ein Nachschieben von Gründen, die dem Arbeitgeber erst nach Ausspruch der Kündigung bekanntgeworden sind, sei immer zulässig. Hierin liege weder eine subjektive noch eine objektive Verletzung der Mitteilungspflicht, weil der Arbeitgeber den Betriebsrat nicht über etwas informieren könne, was ihm selbst nicht bekannt sei. Außerdem gebiete es der Grundsatz der Prozeßökonomie, weitere unnötige Kündigungen und Folgeprozesse zu vermeiden (vgl. Brill, AuR 1975, 18; Stahlhacke, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 4. Aufl., Rz 240; Kraft, GK-BetrVG, § 102 Rz 80; Löwisch, Anm. zu LAG Düsseldorf, EzA § 103 BetrVG 1972 Nr. 41 und Anm. zu BAG EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 45; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 102 Rz 30 a; Meisel, aaO, Rz 418; LAG Hamm, DB 1974, 1344).
Diese Auffassung ist abzulehnen. Zwar liegt bei eigener Unkenntnis des Arbeitgebers von weiteren Kündigungsgründen keine vorwerfbare Verletzung der Anhörungspflicht nach § 102 BetrVG vor. Da jedoch das Mitwirkungsrecht bei Kündigungen den allgemeinen Kündigungsschutz verstärken soll und der Sinn der Anhörung darin liegt, dem Betriebsrat Gelegenheit zu geben, durch seine Stellungnahme und durch seine geäußerten Bedenken auf die Willensbildung des Arbeitgebers einzuwirken (BAG 26, 27), würde dieser Sinn und Zweck des Anhörungsverfahrens völlig ins Leere laufen, wenn der Arbeitgeber ohne weiteres, d. h. ohne vorherige Anhörung des Betriebsrates hierzu, Kündigungsgründe nachschieben könnte.
bb) Die entgegengesetzte Meinung hält das Nachschieben von bekannten oder erst später bekanntgewordenen Kündigungsgründen stets für unzulässig, weil sonst der präventive Kündigungsschutz des § 102 BetrVG leerlaufen würde (Gester/Zachert, Betriebsverfassungsrechtliche Elemente des allgemeinen Kündigungsschutzes, in „Das Arbeitsrecht der Gegenwart”, Bd. 12/1974, S. 87 f., 93; MünchKomm-Schwerdtner, vor § 620 BGB Rz 226 f.; Gnade/Kehrmann/Schneider/Blanke, BetrVG, 2. Aufl., § 102 Rz 49).
Diese Auffassung ist jedoch ebenfalls abzulehnen, da sie den Arbeitgeber, der seine Kündigung auf später bekanntgewordene Kündigungsgründe stützen will, in einer der Prozeßökonomie widersprechenden Weise zwingt, nach Durchführung eines Anhörungsverfahrens eine erneute Kündigung auszusprechen.
cc) Andere wollen ein Nachschieben später bekannt gewordener Gründe dann zulassen, wenn es sich um Gründe handelt, gegen die ein Widerspruch des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 3 BetrVG nicht in Betracht kommt, da in diesem Fall eine Verkürzung des Kündigungsschutzes nicht zu befürchten sei und auch kein Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung begründet werde (vgl. Hueck, KSchG, Einl. Rz 104 a; Hueck, 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 263; Fitting/Auffarth/Kaiser, BetrVG, 14. Aufl., § 102 Rz 18; Kaup, DB 1974, 2302; LAG Hamm, BB 1978, 202). Im Falle der außerordentlichen Kündigung sei daher ein Nachschieben unbekannter Kündigungsgründe immer zulässig, weil insoweit ein Widerspruch des Betriebsrates gemäß § 102 Abs. 3 BetrVG nicht in Betracht komme.
Auch diese Meinung trägt dem Sinn und Zweck des § 102 BetrVG nur unvollständig Rechnung. Sie widerspricht dem Gebot der Rechtsklarheit und der Rechtssicherheit. Der mit dem Anhörungsverfahren angestrebte zusätzliche Schutz des Arbeitnehmers würde in einem durch die berechtigten Interessen des Arbeitgebers nicht mehr gedeckten Maß eingeschränkt. Zudem würde der Arbeitgeber mit der nicht immer zu eindeutigen Ergebnissen führenden Prüfung belastet, ob die später bekanntgewordenen Kündigungsgründe die Tatbestände des § 102 Abs. 3 Nr. 1 bis 5 BetrVG erfüllen. Auch für den Arbeitgeber wäre das ein weiterer, der Rechtssicherheit abträglicher und nicht ohne weiteres vermeidbarer Unsicherheitsfaktor.
dd) Aus ähnlichen Überlegungen ist auch die Auffassung abzulehnen, später bekanntgewordene Kündigungsgründe könnten dann ohne nochmalige Anhörung des Betriebsrates nachgeschoben werden, wenn der Betriebsrat der Kündigung aufgrund der ursprünglichen Gründe ausdrücklich zugestimmt habe, die Kündigung aufgrund der nachgeschobenen Gründe nicht in einem „anderen Licht” erscheine und der Arbeitgeber die ursprünglichen Kündigungsgründe weiterverfolge. Dann könne nämlich davon ausgegangen werden, daß der Betriebsrat seine Zustimmung zur Kündigung auch dann erteilt hätte, wenn ihm die weiteren Kündigungsgründe mitgeteilt worden wären; an den für die Zustimmung maßgeblichen Gründen habe sich durch das Hinzutreten weiterer Gründe schließlich nichts geändert (KR-Etzel, 2. Aufl., § 102 BetrVG Rz 190; LAG Düsseldorf, EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 41).
Auch diese Lösung führt zu einer vermeidbaren Rechtsunsicherheit, weil dem Arbeitgeber das Risiko der Prüfung aufgebürdet wird, ob die nachgeschobenen Kündigungsgründe gleichartig sind und ob die Kündigung deswegen im gleichen oder in einem neuen, anderen Licht erscheint (KR-Hillebrecht, 2. Aufl., § 626 BGB Rz 134). Es ist zudem nicht einzusehen, weshalb die Zustimmung des Betriebsrates aufgrund der ihm mitgeteilten Gründe beim Nachschieben unbekannter Gründe weitere Auswirkungen haben soll als dann, wenn der Arbeitgeber ihm bereits bekannte Gründe nachschiebt. Im letzteren Fall ist das Nachschieben nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts unzulässig (BAG Urteil vom 1. April 1981 - 7 AZR 1003/78 - BAG 35, 190 = AP Nr. 23 zu § 102 BetrVG 1972; ebenso jetzt auch Schwerdtner, ZIP 1981, 814).
ee) Andere Autoren befürworten eine analoge Anwendung des § 102 BetrVG hinsichtlich der später bekanntgewordenen Kündigungsgründe. Sie stellen insoweit das Nachschieben von Kündigungsgründen dem Ausspruch der Kündigung gleich und fordern eine weitere Anhörung des Betriebsrates, bevor die zunächst unbekannten Kündigungsgründe nachgeschoben werden können. Durch dieses nachträgliche Anhörungsverfahren werde dem Sinn und Zweck des § 102 BetrVG hinreichend Rechnung getragen (Kammann/Hess/Schlochauer, § 102 BetrVG Rz 49; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 102 Rz 114; Stege/Weinspach, BetrVG, 5. Aufl., § 102 Rz 49; Gamillscheg, 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, S. 117, 122; Otto, Anm. zu EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 36; Dütz, Anm. zu BAG SAE 1973, 114; KR-Hillebrecht, 2. Aufl., § 626 BGB Rz 134; im Grundsatz auch KR-Etzel, aaO, § 102 BetrVG Rz 189).
Dieser Auffassung schließt sich der Senat an. Für sie spricht zunächst der Grundsatz der Prozeßökonomie, der es gebietet, Streitigkeiten über die Wirksamkeit einer Kündigung möglichst in einem Kündigungsschutzprozeß zu konzentrieren und mehrere Kündigungen und somit mehrere Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden. Der Wortlaut des § 102 BetrVG, wonach die Anhörung vor Ausspruch der Kündigung erfolgen muß, steht einer „nachträglichen” Anhörung nicht entgegen, da die Anhörung nur ergänzend zu anderen Gründen erfolgt, auf die die ausgesprochene Kündigung nunmehr nachträglich ebenfalls gestützt werden soll. Insoweit ist sachlich im Rahmen des § 102 BetrVG das Nachschieben von Kündigungsgründen mit dem Ausspruch der Kündigung vergleichbar, so daß eine Anhörung des Betriebsrats zu den weiteren Kündigungsgründen vor dem Nachschieben derselben im Prozeß nur scheinbar mit dem Wortlaut des § 102 Abs. 1 BetrVG in Widerspruch steht. Durch eine entsprechende Anwendung des § 102 BetrVG wird jedenfalls am ehesten ein angemessener Ausgleich der widerstreitenden Interessen des Arbeitgebers einerseits und des Arbeitnehmers bzw. des Betriebsrates andererseits ermöglicht. Unvermeidbare Nachteile entstehen dadurch weder für den Betriebsrat, den Arbeitnehmer noch den Arbeitgeber. Da in diesen Fällen der Arbeitgeber seine Mitteilungspflicht nach § 102 Abs. 1 BetrVG nicht verletzt hat, greifen die Bedenken nicht durch, die gegen eine nachträgliche Anhörung des Betriebsrats zu den Gründen bestehen, die dem Arbeitgeber bereits vor Abschluß des Anhörungsverfahrens bekanntgewesen sind (vgl. dazu BAG Urteil vom 1. April 1981, aaO). Die Rechte des Betriebsrates werden bei diesen Sachverhalten, die dem Regelungsgehalt des § 102 BetrVG nur durch entsprechende Anwendung anzupassen sind, hinreichend gewahrt, weil ihm auch die Widerspruchsgründe nach § 102 Abs. 3 BetrVG entsprechend zustehen und das Verfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG einzuhalten ist (Etzel, aa0, Rz 188). Der Arbeitnehmer hat kein schutzwürdiges Interesse daran, daß die bereits ausgesprochene Kündigung nicht nachträglich auf davor entstandene Gründe gestützt wird, die dem Arbeitgeber erst nachträglich bekannt werden, sofern der Arbeitgeber deswegen erneut den Betriebsrat angehört hat. Für den Arbeitgeber wirkt sich diese Lösung vorteilhaft aus, weil sie eine erneute Kündigung nach Bekanntwerden weiterer Gründe entbehrlich macht, die schon vor der streitigen Kündigung entstanden sind; er hat allerdings darzulegen und im Streitfall zu beweisen, daß er von diesen Gründen erst nach Ausspruch der Kündigung erfahren hat.
II.
Für den Streitfall folgt daraus – da unstreitig auch eine „nachträgliche” Betriebsratsanhörung in entsprechender Anwendung des § 102 Abs. 1 BetrVG unterblieben ist –, daß sich die Beklagte nur auf die Gründe stützen kann, die sie dem Betriebsrat vor der Anhörung am 27. März 1980 mitgeteilt bzw. die dem Betriebsrat zu diesem Zeitpunkt bekannt waren. Nach den aufgrund der Vernehmung des Betriebsratsvorsitzenden M vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen hat sich die Anhörung vom 27. März 1980 auf die angebliche Nichteinhaltung der Tourenpläne am 24. und 25. März 1980 durch den Kläger, sein Nichterscheinen am 26./27. März 1980 in der Zentrale der Beklagten sowie auf den Einzug des Schecks des Kunden S beschränkt. Gegen diese Feststellungen hat die Revision keine zulässigen Verfahrensrügen erhoben. Der Vortrag der Revision, dem Betriebsratsvorsitzenden sei ein „wesentlicher Teil der schließlich zur Kündigung führenden Vorwürfe und Sachverhalte” bekannt gewesen, da er sie als Buchhalter der Beklagten selbst aufgedeckt habe, ist unsubstantiiert und erfüllt nicht die Voraussetzungen, die an eine zulässige Verfahrensrüge zu stellen sind.
Der Beklagten ist es, wie der Senat bereits mit Urteil vom 18. Dezember 1980 (BAG 34, 309) entschieden hat, somit nur nicht verwehrt gewesen, solche Tatsachen im Kündigungsschutzprozeß nachzuschieben, die ohne wesentliche Veränderung des Kündigungssachverhaltes lediglich der Erläuterung und Konkretisierung der dem Betriebsrat mitgeteilten Kündigungsgründe dienen, sofern diese allerdings dem bisherigen Vortrag bzw. Sachverhalt nicht erst das Gewicht eines kündigungsrechtlich erheblichen Grundes geben (ebenso KR-Hillebrecht, aaO, § 626 BGB Rz 133).
C.
Dem Landesarbeitsgericht sind bei der Würdigung der aufgezeigten drei zu beurteilenden Kündigungsgründe keine revisionsrechtlich relevanten Fehler unterlaufen, zumal die Anwendung des § 626 Abs. 1 BGB durch das Berufungsgericht vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden kann, ob das angefochtene Urteil den Rechtsbegriff des wichtigen Grundes verkannt oder unrichtig angewendet hat. Das Revisionsgericht kann insoweit nur nachprüfen, ob ein bestimmter Vorgang für sich genommen überhaupt geeignet ist, einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 BGB zu bilden, und ob das Berufungsgericht alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände, die für oder gegen die außerordentliche Kündigung sprechen, bedacht und abgewogen hat (BAG 41, 150).
I.
Die kündigungsrechtliche Würdigung des dem Kläger vorgeworfenen Abweichens von den Tourenplänen durch das Landesarbeitsgericht ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
1. Die Revision rügt, das Landesarbeitsgericht habe den Sachverhalt verkannt, indem es nur von der Abweichung von den Tourenplänen spreche, während die Beklagte vorgetragen habe, der Kläger habe weisungswidrig vom 27. März 1980 ab noch weitere Kunden besucht. Hierbei verkennt die Revision, daß es sich bei diesem Vorwurf um einen gegenüber der Tourenabweichung eigenständigen Kündigungssachverhalt handelt, der nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts dem Betriebsrat bei seiner Anhörung nicht bekannt war und daher vom Landesarbeitsgericht mit Recht nicht gewürdigt worden ist. Auf die in diesem Zusammenhang erhobene Verfahrensrüge, das Berufungsgericht sei dem Beweisantritt nicht nachgegangen, wonach bezüglich des Abweichens von Kundenbesuchen eine Abmahnung erfolgt sei, kommt es nicht an. Diese Verfahrensrüge ist zudem unzulässig, da die Revision lediglich auf ein angebliches Beweisangebot in erster Instanz verweist, jedoch nicht darlegt, ob und an welcher Stelle dieses Beweisangebot vor dem Berufungsgericht wiederholt worden ist.
2. Soweit die Revision rügt, das Berufungsgericht habe verkannt, daß die Abweichungen von den Tourenplänen vom Kläger gar nicht entschieden bestritten worden seien, kann sie damit nicht gehört werden. Denn die Feststellung, eine Partei habe tatsächliche Behauptungen der Gegenseite bestritten, betrifft Parteivorbringen und ist deshalb rechtstechnisch Tatbestand im Sinne des § 314 ZPO. Diese Feststellung kann deshalb nicht mit einer Verfahrensrüge in der Revision, sondern nur mit einem Tatbestandsberichtigungsantrag nach § 320 ZPO bekämpft werden (BAG Urteil vom 9. Dezember 1955 - 1 AZR 531/54 - AP Nr. 2 zu § 7 KSchG; BAG Urteil vom 13. März 1964 - 1 AZR 100/63 - AP Nr. 32 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers).
3. Ferner ist es – entgegen der Rüge der Revision – revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, daß das Landesarbeitsgericht das behauptete Fehlverhalten des Klägers, nämlich das Abweichen von den von der Beklagten vorher mit den Kunden festgelegten Tourenplänen, dem Leistungsbereich zugeordnet und vor Ausspruch der Kündigung eine Abmahnung für erforderlich gehalten hat (vgl. BAG Urteile vom 19. Juni 1967 - 2 AZR 287/66 - AP Nr. 1 zu § 124 GewO und vom 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - AP Nr. 62 zu § 626 BGB; ferner KR-Hillebrecht, aaO, § 626 BGB Rz 96 m. w. N.). Es ist im übrigen nicht nachvollziehbar, inwiefern die Beklagte – wie sie im Zusammenhang mit dieser Rüge vorträgt – aufgrund der eigenmächtigen Abweichungen von den Tourenplänen habe befürchten müssen, daß der Kläger Geschäftsverbindungen auf einen neuen Arbeitgeber habe überleiten wollen. Dieses Vorbringen ist um so weniger verständlich, als die Beklagte selbst nicht vorgetragen hat, durch die Abweichungen Kunden verloren oder dadurch an der Zuverlässigkeit des Klägers Zweifel bekommen zu haben.
II.
Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist auch die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Würdigung des Verhaltens des Klägers am 26. und 27. März 1980, nämlich seine Weigerung, zur Berichterstattung in die Zentrale zu kommen.
1. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, die Beklagte habe nicht bewiesen, daß der Kläger wegen seiner Weigerung, am 26. bzw. 27. März 1980 in die Zentrale zu kommen, ordnungsgemäß abgemahnt worden sei. Das wäre erforderlich gewesen, weil es auch insoweit um die Störung im Leistungsbereich geht (vgl. oben unter C I 3). Die hiergegen nach § 286 ZPO erhobene Verfahrensrüge ist unzulässig. Prozeßrügen müssen die Bezeichnung des Mangels enthalten, den die Revision geltend machen will. Es genügt nicht, lediglich vorzutragen, das Landesarbeitsgericht habe angetretene Zeugenbeweise nicht berücksichtigt; vielmehr muß nach Beweisantrag und Beweisthema angegeben werden, zu welchem Punkt das Landesarbeitsgericht eine Beweisaufnahme unterlassen hat. Eine allgemeine Bezugnahme reicht nicht aus; in der Regel ist die vorinstanzliche Fundstelle der Beweisanträge nach Schriftsatz und – jedenfalls bei umfangreichen Schriftsätzen – Seitenzahl genau anzugeben (BAG Urteil vom 23. Februar 1962 - 1 AZR 49/61 - AP Nr. 8 zu § 322 ZPO; BAG 12, 328, 331; Stein/ Jonas, ZPO, 20. Aufl., § 554 Rz 13). Zwar hat die Revision das übergangene Beweisthema und das übergangene Beweismittel nach Schriftsatz und Seitenzahl bezeichnet. Der bezeichnete Beweisantritt befindet sich jedoch in der Klageerwiderungsschrift vom 5. Mai 1980 und damit in einem Schriftsatz erster Instanz. Die Revision hat dagegen nicht dargelegt, ob sie diesen Beweisantrag vor dem Berufungsgericht aufrechterhalten und insbesondere auch nach Abschluß der zweitinstanzlichen Beweisaufnahme wiederholt hat (BAG 14, 206; BAG Urteil vom 9. Februar 1978 - 3 AZR 260/76 - AP Nr. 7 zu § 286 ZPO).
2. Unzulässig ist auch die in diesem Zusammenhang von der Revision erhobene Rüge, wonach das Landesarbeitsgericht seine Aufklärungspflicht gemäß § 139 ZPO verletzt haben soll, indem es nicht klargestellt habe, ob der Zeuge P auch für die Richtigkeit der Behauptung benannt worden sei, daß eine Abmahnung ausgesprochen worden ist. Es ist schließlich nicht Aufgabe des Gerichts nachzuforschen, durch wessen Zeugenaussage eine beweispflichtige Behauptung bewiesen werden kann. Für das Landesarbeitsgericht hat für eine derartige Aufklärung schon deshalb keine Veranlassung bestanden, weil sich die Beklagte zu diesem Komplex in zweiter Instanz gerade nicht auf den Zeugen P, sondern auf das Zeugnis der Geschäftsführerin H berufen hat und dieser Beweisantritt vom Landesarbeitsgericht gemäß § 67 Abs. 2 Satz 2 ArbGG als verspätet zurückgewiesen worden ist.
Abgesehen davon steht einer Verwertung des Schreibens vom 28. März 1980, in welchem dem Kläger für den Fall des Nichterscheinens in der Zentrale eine fristlose Kündigung angedroht worden ist, der Umstand entgegen, daß hierzu der Betriebsrat nicht angehört worden ist.
III.
Schließlich sind auch die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts hinsichtlich der Verdachtskündigung im Zusammenhang mit dem Scheck des Kunden S im Ergebnis zutreffend.
1. Eine Verdachtskündigung liegt nicht schon dann vor, wenn der Vorwurf, bestimmte Pflichtverletzungen begangen zu haben, auf Schlußfolgerungen des Arbeitgebers beruht oder wenn dem Arbeitgeber nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme im Kündigungsprozeß nicht der volle Beweis für seine Behauptungen gelingt und ein begründeter Verdacht nicht auszuschließen ist (KR-Hillebrecht, 2. Aufl., § 626 BGB Rz 156). Vielmehr ist eine Verdachtskündigung dann gegeben, wenn eine Kündigung damit begründet wird, es sei gerade der Verdacht eines strafbaren oder vertragswidrigen Verhaltens, der das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört habe (BAG 16, 72, 81). Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat die Beklagte die außerordentliche Kündigung auf den durch den Scheckeinzug hervorgerufenen Verdacht einer Vermögensstraftat bzw. von unerlaubten Nebengeschäften gestützt. Dazu ist der Betriebsrat gehört worden, und darauf hat das Landesarbeitsgericht seine rechtliche Überprüfung erstreckt. Soweit die Revision daher in diesem Zusammenhang rügt und meint, das Landesarbeitsgericht habe übersehen, daß nicht nur eine Verdachtskündigung vorgelegen habe, sondern die Kündigung auch auf die vom Kläger im Prozeß „zugestandenen Nebengeschäfte” gestützt worden sei, übersieht sie, daß es sich hierbei um einen nachgeschobenen Kündigungsgrund handelt, zu dem der Betriebsrat nicht gehört worden ist und deshalb vom Landesarbeitsgericht auch nicht berücksichtigt werden konnte.
2. Der sich aus den besonderen Umständen ergebende Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer sonstigen Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten kann nach ständiger Rechtsprechung zwar einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung abgeben, jedoch nur dann, wenn er derart dringend und so beschaffen ist, daß er einen verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber tatsächlich zum Ausspruch einer Kündigung veranlassen kann. An eine Verdachtskündigung sind besonders strenge Anforderungen zu stellen. Der Arbeitgeber muß nicht nur prüfen, ob die Beweisanzeigen (Indizien) wirklich eine große Wahrscheinlichkeit für die Tatbegehung bzw. Pflichtverletzung gerade dieses Arbeitnehmers ergeben, sondern er muß auch alles ihm Zumutbare zur Aufklärung des Sachverhaltes tun (BAG 16, 72; 27, 113). Im Ergebnis ist es daher nicht zu beanstanden, wenn im Streitfall das Landesarbeitsgericht die Verdachtskündigung schon deshalb als unwirksam angesehen hat, weil die Beklagte den Kläger zu den gegen ihn aufgrund der besonderen Umstände aufgekommenen Verdachtes eines strafrechtlich relevanten bzw. pflichtwidrigen Verhaltens nicht angehört hat.
3. Das Bundesarbeitsgericht hat zwar mehrfach entschieden, es gebe keinen allgemeinen Rechtssatz des Inhalts, daß eine außerordentliche Kündigung stets ausgeschlossen ist, wenn der Arbeitnehmer zu den Kündigungsgründen nicht vorher angehört worden ist. Es richte sich vielmehr nach den Umständen des Einzelfalles, ob eine solche Anhörung geboten sei (BAG Urteil vom 23. März 1972 - 2 AZR 226/71 - AP Nr. 63 zu § 626 BGB; BAG 29, 7). Ob bei der Verdachtskündigung insoweit etwas anderes zu gelten hat, ist aber bislang unentschieden geblieben (vgl. Urteil des Senates vom 22. September 1977 - 2 AZR 722/75 - n. v.; KR-Hillebrecht, aaO, § 626 BGB Rz 178). Ohne nähere Begründung hat der erkennende Senat im Urteil vom 8. August 1968 - 2 AZR 348/67 - (AP Nr. 57 zu § 626 BGB) allerdings ausgeführt, eine Verdachtskündigung sei nicht gerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber seiner Verpflichtung, das in seinen Kräften Stehende zu tun, um eine Aufklärung der Tatsachen, auf die sich der Verdacht stützt, herbeizuführen, nicht nachkommt. Ebenso hat der Senat im Urteil vom 4. Juni 1964 - 2 AZR 310/63 - (BAG 16, 72 = AP Nr. 13 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung) deutlich gemacht, daß es bei einer Verdachtskündigung zu der für den Arbeitgeber zumutbaren Aufklärungspflicht gehöre, dem verdächtigten Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, ohne jedoch die Frage, ob die Nichtanhörung des Arbeitnehmers grundsätzlich zur Unwirksamkeit der Kündigung führt, anzusprechen. Bei sachgerechter Anwendung und Fortentwicklung dieser Rechtsprechung ist letzteres aber die notwendige Konsequenz. Wenn sich bei einer Verdachtskündigung die Anhörung des Arbeitnehmers aus der Aufklärungspflicht des Arbeitgebers ergibt, dann muß die Anhörung auch Wirksamkeitsvoraussetzung für die Verdachtskündigung sein. Dies ist auch sachgerecht und geboten. Denn anders als bei einem aufgrund von Tatsachen bewiesenen Sachverhalt besteht bei einer Verdachtskündigung immer die Gefahr, daß ein „Unschuldiger” betroffen ist. Deshalb ist es gerechtfertigt, strenge Anforderungen an die Verdachtskündigung zu stellen und vom Arbeitgeber zu verlangen, alles zu tun, um den Sachverhalt aufzuklären. Der Arbeitnehmer muß die Möglichkeit erhalten, die Verdachtsgründe bzw. Verdachtsmomente zu beseitigen bzw. zu entkräften und gegebenenfalls Entlastungstatsachen geltend machen zu können. Mit der in der Literatur überwiegend vertretenen Ansicht (vgl. Herschel, BlStSozArbR 1977, 113 f.; MünchKomm-Schwerdtner, § 626 BGB Rz 112; Bobrowsky/Gaul, Das Arbeitsrecht im Betrieb, 7. Aufl., L II Rz 44; Zöllner, Arbeitsrecht, 3. Aufl., S. 230; Heilmann, Verdachtskündigung und Wiedereinstellung nach Rehabilitierung, 1964, S. 28 f.; KR-Hillebrecht, aaO, § 626 BGB Rz 177) entspricht es der Besonderheit des wichtigen Grundes bei der Verdachtskündigung, die Erfüllung der Aufklärungspflicht des Arbeitgebers zur Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Verdachtskündigung zu erheben. Verletzt der Arbeitgeber schuldhaft die aus der Aufklärungspflicht resultierende ihm obliegende Anhörungspflicht, dann kann er sich im Prozeß nicht auf den Verdacht einer strafbaren Handlung bzw. eines pflichtwidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers berufen; d. h. die hierauf gestützte Kündigung ist unwirksam.
4. Im Streitfall hat die Beklagte die Anhörung des Klägers zu den gegen ihn erhobenen Verdachtsmomenten auch schuldhaft unterlassen. Zwar hat sie nach ihrem eigenen Vortrag versucht, den Kläger zu den Verdachtsmomenten anzuhören, indem sie den Kläger aufgefordert hat, in die Zentrale zu kommen. Zu einer Anhörung ist es aber nicht gekommen, nachdem der Kläger am 26. und 27. März 1980 der Aufforderung der Beklagten nicht nachgekommen ist. Die Beklagte hat dem Kläger jedoch nicht mitgeteilt, warum er in der Zentrale erscheinen sollte. Dieser konnte auch nicht erkennen, daß Grund für die Vorsprache die Vorkommnisse in bezug auf den von ihm eingezogenen Scheck waren. Vielmehr mußte er davon ausgehen, diese Vorsprache stehe im Zusammenhang mit der von ihm ausgesprochenen Kündigung oder aber seinem Urlaubsbegehren. Die Beklagte hat, wie sie selbst vorgetragen hat, dem Kläger vielmehr bewußt weder mündlich noch schriftlich die Verdachtsmomente mitgeteilt, um ihn bei der Rücksprache unvorbereitet mit Fakten konfrontieren zu können. Bei dieser Sachlage kann die Beklagte sich nicht darauf berufen, sie habe eine Anhörung versucht, diese sei jedoch vom Kläger verhindert worden. Hiervon ist zutreffend auch das Landesarbeitsgericht ausgegangen.
Nach alledem vermag der auf Vermögensstraftaten bzw. unerlaubte Nebengeschäfte gerichtete Verdacht die außerordentlichen Kündigungen schon deshalb nicht zu rechtfertigen, weil die Beklagte den Kläger nicht zu den Verdachtsumständen angehört hat.
IV.
Der Revision ist zuzugeben, daß es bei einer mehrfachen Begründung des Sachverhaltes nicht nur der Überprüfung der einzelnen Kündigungsgründe bedarf, sondern, wenn die isolierte Betrachtungsweise nicht bereits zur Wirksamkeit der Kündigung führt, auch der Prüfung, ob die Kündigungsgründe in ihrer Gesamtheit das Arbeitsverhältnis so belasten, daß dem Kündigenden die Fortsetzung nicht zuzumuten ist (BAG Urteil vom 4. August 1955 - 2 AZR 88/54 - AP Nr. 3 zu § 626 BGB; MünchKomm-Schwerdtner, § 626 BGB Rz 55; Staudinger/Neumann, BGB, 12. Aufl., § 626 Rz 25; KR-Hillebrecht, aaO, § 626 BGB Rz 185; ferner auch BAG Urteil vom 22. Juli 1982 - 2 AZR 30/81 - AP Nr. 5 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; KR-Becker, 2. Aufl., § 1 KSchG Rz 180). Eine solche Gesamtwürdigung setzt jedoch voraus, daß die einzelnen Gründe an sich geeignet sein können, einen wichtigen Grund abzugeben. An dieser Voraussetzung fehlt es vorliegend, weil die drei Kündigungsgründe, die dem Betriebsrat mitgeteilt worden sind, schon wegen fehlender Abmahnung bzw. fehlender Anhörung des Klägers von vornherein als wichtige Gründe ausscheiden (vgl. KR-Hillebrecht, aaO, § 626 BGB Rz 64).
V.
Nach alledem war somit die Revision mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.
Unterschriften
Hillebrecht, Dr. Röhsler, Dr. Weller, Sickert, Dr. Kirchner
Fundstellen
BAGE 49, 39-57 (LT1-4) |
BAGE, 39 |
BB 1987, 1316 |
DB 1986, 1726-1728 (LT1-4) |
NJW 1986, 3159 |
NJW 1986, 3159-3161 (LT1-4) |
AuB 1987, 66-66 (T) |
NZA 1986, 674-677 (LT1-4) |
RdA 1986, 266 |
RzK, I 10g Nr 3 (LT1-2) |
RzK, I 8c Nr 6 (LT4) |
ZIP 1986, 1068 |
ZIP 1986, 1068-1074 (LT1-4) |
AP, (LT1-4) |
AR-Blattei, ES 1010.9 Nr 69 (LT1-4) |
AR-Blattei, Kündigung IX Entsch 69 (LT1-4) |
EzA, (LT1-4) |
MDR 1986, 785-786 (LT1-4) |