Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsvergütung. Vorgriffsstunden
Leitsatz (amtlich)
Seit dem In-Kraft-Treten der Ausgleichszahlungsverordnung Vorgriffsstunde am 21. Juli 2004 richtet sich der Ausgleich von sog. Vorgriffsstunden, die Lehrkräfte in Nordrhein-Westfalen leisten, auch in bereits beendeten Arbeitsverhältnissen nach dieser Verordnung.
Orientierungssatz
- Durch die Ausgleichszahlungsverordnung Vorgriffsstunde ist rückwirkend eine Regelungslücke geschlossen worden. Diese bestand nach der Verordnung zur Ausführung des § 5 SchFG NRW in Fällen der vorzeitigen Beendigung des Beamtenverhältnisses, beim Wechsel des Dienstherrn oder bei sonstiger Unmöglichkeit des Pflichtstundenausgleichs.
- Gegen die Rückwirkung der Verordnung bestehen keine Bedenken, weil sie nicht in geschützte Rechtspositionen der Lehrkräfte eingreift. Die angestellten Lehrkräfte hätten nach der Senatsrechtsprechung vor dem Schuljahr 2008/09 keinen Ausgleichsanspruch gehabt.
Normenkette
Verordnung über den finanziellen Ausgleich von Vorgriffsstunden nach der Verordnung zur Ausführung des § 5 Schulfinanzgesetz NRW (Ausgleichszahlungsverordnung Vorgriffsstunde) vom 8. Juni 2004 (ABl. NRW 8/2004 S. 267)
Verfahrensgang
Tenor
- Auf die Revision des beklagten Landes wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 10. März 2004 – 12 Sa 1484/03 – aufgehoben.
- Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 27. August 2003 – 7 Ca 1257/03 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage zur Zeit unbegründet ist.
- Die Klägerin hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Vergütung sog. Vorgriffsstunden, die die Klägerin bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Schuldienst des beklagten Landes geleistet hat.
Die im Jahre 1948 geborene Klägerin war seit 1978 zunächst als vollzeitbeschäftigte Lehrkraft für das beklagte Land tätig. Nach dem schriftlichen Arbeitsvertrag vom 6. Februar 1979 richtete sich das Arbeitsverhältnis nach dem Bundes- Angestelltentarifvertrag (BAT) mit den Sonderregelungen für Angestellte als Lehrkräfte (SR 2l BAT) in der jeweils geltenden Fassung. Durch Änderungsverträge vom 3. Februar und 12. November 1997 vereinbarten die Parteien die Herabsetzung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 15 Pflichtstunden.
Gem. § 3 der Verordnung zur Ausführung des § 5 Schulfinanzgesetz (SchFG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Mai 1997 (GVBl. NRW S. 88) erhöhte das Ministerium für Schule und Weiterbildung die wöchentliche Pflichtstundenzahl um eine Stunde. In § 4 der Verordnung heißt es:
“Zusätzliche wöchentliche Pflichtstunden (Vorgriffsstunden)
Die Zahl der wöchentlichen Pflichtstunden nach § 3 erhöht sich für Lehrerinnen und Lehrer, die vor Beginn des jeweiligen Schuljahres das 30. Lebensjahr vollendet, aber das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, vorübergehend für einen Zeitraum von bis zu sechs Schuljahren um eine Stunde, und zwar
1. an Grundschulen, Berufsschulen, Berufsfachschulen, Fachschulen, Fachoberschulen und Kollegschulen in den Schuljahren 1997/98 bis 2002/03,
…
Für Lehrerinnen und Lehrer, die auf der Grundlage des Satzes 1 zur Leistung einer zusätzlichen Pflichtstunde verpflichtet waren, ermäßigt sich die Pflichtstundenzahl nach § 3 ab dem Schuljahre 2008/09 jeweils für einen entsprechenden Zeitraum um eine Stunde.”
In den Schuljahren 1997/1998 und 1998/1999 leistete die Klägerin wöchentlich jeweils eine “Vorgriffsstunde”. Zum 30. November 2002 schied die Klägerin gem. § 59 BAT wegen Berufsunfähigkeit aus dem Schuldienst des beklagten Landes aus.
Mit ihrer im Februar 2003 erhobenen Klage hat die Klägerin die Auffassung vertreten, das beklagte Land schulde gem. § 612 BGB die Vergütung der Vorgriffsstunden.
Die Klägerin hat – soweit in der Revision noch von Bedeutung – beantragt,
das beklagte Land zu verurteilen, an sie 1.743,44 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27. August 2003 zu zahlen.
Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat geltend gemacht, ein Anspruch auf Vergütung der Vorgriffsstunden bestehe zur Zeit nicht, weil die Klägerin ansonsten besser stünde als die noch im Schuldienst tätigen Lehrkräfte.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen; das Landesarbeitsgericht hat ihr in dem vorliegend noch zu entscheidenden Umfang stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt das beklagte Land die Wiederherstellung des Urteils erster Instanz. Die Klägerin beantragt Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision des beklagten Landes ist begründet. Die Klägerin hat zur Zeit keinen Anspruch auf Vergütung der von ihr geleisteten Vorgriffsstunden.
I. Dem von der Klägerin verfolgten Zahlungsanspruch steht die Verordnung über den finanziellen Ausgleich von Vorgriffsstunden nach der Verordnung zur Ausführung des § 5 Schulfinanzgesetz (Ausgleichszahlungsverordnung Vorgriffsstunde) vom 8. Juni 2004 (ABl. NRW 8/2004 S. 267), in Kraft getreten am 21. Juli 2004, entgegen.
1. In der Ausgleichszahlungsverordnung Vorgriffsstunde ist bestimmt:
Ҥ 1 Geltungsbereich
Diese Verordnung regelt die Gewährung von Ausgleichszahlungen in den Fällen, in denen der zeitliche Ausgleich für zusätzliche Pflichtstunden nach § 4 der Verordnung zur Ausführung des § 5 Schulfinanzgesetz (VO zu § 5 SchFG) … ganz oder teilweise unmöglich wird.
§ 2 Anspruchsvoraussetzungen
(1) Die Ausgleichszahlung wird in folgenden Fällen gewährt:
1. bei Beendigung des Beamtenverhältnisses,
2. beim Wechsel des Dienstherrn,
3. bei sonstiger Beendigung der ungleichmäßigen Verteilung der zusätzlichen Pflichtstunden, wenn darauf die Unmöglichkeit des Pflichtstundenausgleichs beruht.
…
§ 3 Entstehung, Fälligkeit und Höhe des Anspruchs
(1) Der Anspruch entsteht mit Eintritt des nach § 2 Abs. 1 maßgeblichen Ereignisses und wird entsprechend § 4 der VO zu § 5 SchFG schrittweise ab dem Schuljahr 2008/2009 jeweils im elften Schuljahr nach dem Ende eines Schuljahres fällig, in dem die Lehrerin oder der Lehrer zur Leistung einer zusätzlichen Pflichtstunde verpflichtet war.
…”
2. Die Ausgleichszahlungsverordnung Vorgriffsstunde ist auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin anwendbar.
a) Nach Nr. 3 der arbeitsvertraglich in Bezug genommenen SR 2l BAT findet § 15 BAT (regelmäßige Arbeitszeit) keine Anwendung. Es gelten die Bestimmungen für die entsprechenden Beamten. Damit sind für die regelmäßige Arbeitszeit § 78 LandesbeamtenG NRW sowie die Verordnung zur Ausführung des § 5 SchFG und die Ausgleichszahlungsverordnung Vorgriffsstunde anzuwenden.
b) In § 5 SchFG idF der Bekanntmachung vom 17. April 1970 (GVBl. NRW S. 288), zuletzt geändert durch Gesetz vom 27. November 2001 (GVBl. NRW S. 811), wird der Kultusminister ermächtigt, durch Rechtsverordnung nach den pädagogischen und verwaltungsmäßigen Bedürfnissen der einzelnen Schulformen, Schulstufen oder Klassen die Zahl der wöchentlichen Pflichtstunden der Lehrer festzusetzen. Durch die Verordnung zur Ausführung des § 5 SchFG hat der Verordnungsgeber, ausgehend von einer wöchentlichen Gesamtarbeitszeit von 38,5 Stunden, die Unterrichtspflicht für Lehrkräfte an Kollegschulen auf 24,5 Stunden in der Woche festgesetzt. Zudem hat er in § 4 dieser Verordnung Lehrkräfte, die vor Beginn des jeweiligen Schuljahres das 30. Lebensjahr vollendet, aber das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, vorübergehend zur Leistung einer zusätzlichen wöchentlichen Pflichtstunde verpflichtet. Als Ausgleich hierfür ermäßigt sich die Pflichtstundenzahl nach § 3 ab dem Schuljahr 2008/2009 jeweils für einen entsprechenden Zeitraum um eine Stunde, § 4 Satz 2 VO zu § 5 SchFG. Nach den Verwaltungsvorschriften zu § 4 VO zu § 5 SchFG vom 23. Mai 1997 (GABl. NRW S. 144) gilt der Ausgleich ausdrücklich auch für teilzeitbeschäftigte Lehrerinnen und Lehrer (Senat 19. Mai 2004 – 5 AZR 418/03 – ZTR 2004, 524).
c) Seit dem In-Kraft-Treten der Ausgleichszahlungsverordnung Vorgriffsstunde am 21. Juli 2004 richtet sich der Ausgleich von Vorgriffsstunden auch in bereits beendeten Arbeitsverhältnissen nach dieser Verordnung. Hierdurch ist rückwirkend eine Regelungslücke geschlossen worden. Diese bestand nach der Verordnung zur Ausführung des § 5 SchFG in Fällen der vorzeitigen Beendigung des Beamtenverhältnisses, beim Wechsel des Dienstherrn oder bei sonstiger Unmöglichkeit des Pflichtstundenausgleichs (dazu Senat 19. Mai 2004 – 5 AZR 418/03 – ZTR 2004, 524). Die Rückwirkung der Verordnung ist zulässig, weil sie nicht in geschützte Rechtspositionen der Lehrkräfte eingreift. Die angestellten Lehrkräfte hätten nach der Senatsrechtsprechung vor dem Schuljahr 2008/2009 keinen Ausgleichsanspruch gehabt (vgl. 19. Mai 2004 – 5 AZR 418/03 – aaO).
3. Nach § 3 Abs. 1 Ausgleichszahlungsverordnung Vorgriffsstunde kann die Klägerin zur Zeit von dem beklagten Land keine Ausgleichszahlung für die geleisteten Vorgriffsstunden verlangen. Der Anspruch wird entsprechend § 4 der VO zu § 5 SchFG schrittweise erst ab dem Schuljahr 2008/2009 jeweils im elften Schuljahr nach dem Ende eines Schuljahres fällig, in dem die Lehrkraft zur Leistung einer zusätzlichen Pflichtstunde verpflichtet war.
4. Die von der Klägerin gegen die Wirksamkeit der Verordnung vorgebrachten Bedenken sind nicht begründet.
a) Die in § 3 Ausgleichszahlungsverordnung Vorgriffsstunde geregelte Fälligkeit des Anspruchs auf Ausgleichszahlung steht nicht in Widerspruch zu § 36 Abs. 1 Unterabs. 4 BAT. Nach dieser Bestimmung sind die Bezüge bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses unverzüglich zu überweisen. Die Ausgleichszahlung nach der Ausgleichszahlungsverordnung Vorgriffsstunde gehört nicht zu den in § 36 Abs. 1 Unterabs. 4 BAT genannten Bezügen, sondern ist eine Zahlung eigener Art. Bei der Ausgleichszahlung handelt es sich nicht um Mehrarbeitsvergütung. Die zugrunde liegende vorübergehende Erhöhung der Pflichtunterrichtsstunden stellte keine Mehrarbeit dar. Durch die vorübergehende Erhöhung der Pflichtunterrichtsstunden wurde lediglich die Relation der zu leistenden Unterrichtsstunden zu den außerhalb der Pflichtunterrichtsstunden zu leistenden Arbeiten verändert (Senat 23. Mai 2001 – 5 AZR 545/99 – AP BAT SR 2l § 2 Nr. 16; 22. August 2001 – 5 AZR 548/99 – ZTR 2002, 175).
b) Eine Personalratsbeteiligung bei Erlass der Verordnung war nicht erforderlich. Die Klägerin übersieht insoweit, dass die Ausgleichszahlungsverordnung Vorgriffsstunde unmittelbar nur für Lehrkräfte im Beamtenverhältnis gilt. Auf angestellte Lehrer findet die Verordnung nicht kraft Anordnung des beklagten Landes, sondern wegen der Verweisung in der SR 2l Nr. 3 zum BAT Anwendung. Für ein Mitbestimmungsrecht des Personalrats ist deshalb kein Raum.
c) Die Auszahlungsregelung in § 3 der Ausgleichszahlungsverordnung Vorgriffsstunde ist mit § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB vereinbar, wonach die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist. Die Annahme der Klägerin, § 3 Abs. 1 der Verordnung führe dazu, dass der entstandene Anspruch vor Fälligkeit verjähren könne, ist unzutreffend. Es entsprach bis zum In-Kraft-Treten der Neuregelung des Verjährungsrechts zum 1. Januar 2002 einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum zur Bestimmung der Anspruchsentstehung nach dem bisherigen Recht in § 198 Satz 1 BGB aF, dass ein Anspruch entstanden ist, wenn er vom Gläubiger – notfalls gerichtlich – geltend gemacht werden kann. Die Entstehung des Anspruchs wurde insoweit mit dessen Fälligkeit gleichgesetzt (vgl. BGH 19. Dezember 1990 – VIII ARZ 5/90 – BGHZ 113, 188, 191 f.; 17. Februar 1971 – VIII ZR 4/70 – BGHZ 55, 340, 341; Staudinger/Dilcher BGB 12. Aufl. § 198 Rn. 2; MünchKomm/Grothe 4. Aufl. § 198 Rn. 1). Hieran hat sich durch die Neuregelung nichts geändert (AnwKom-BGB/Mansel § 199 Rn. 18; Palandt/ Heinrichs BGB § 199 Rn. 3). Während der Regierungsentwurf zur Modernisierung des Schuldrechts noch auf die Fälligkeit des Anspruchs für den Beginn der Verjährungsfrist abstellte, ohne jedoch insoweit eine Änderung der bis dahin geltenden Rechtslage herbeiführen zu wollen (BT-Drucks. 14/6040 S. 108), kehrte der Gesetzgeber im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens zum Tatbestandsmerkmal der Anspruchsentstehung zurück, um dies sicherzustellen (BT-Drucks. 14/7052 S. 180).
II. Die Klägerin hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Berufung und Revision zu tragen.
Unterschriften
Müller-Glöge, Mikosch, Linck, Zorn, Wolf
Fundstellen
BAGE 2006, 135 |
BB 2005, 1972 |
EBE/BAG 2005, 1 |
ZTR 2005, 442 |
AP, 0 |
NZA-RR 2005, 559 |
RiA 2006, 19 |
AUR 2005, 198 |
SchuR 2006, 94 |
BAGReport 2005, 191 |
NJOZ 2005, 3758 |