Entscheidungsstichwort (Thema)
Verhandlungsanspruch einer Gewerkschaft
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein durch Tarifvertrag begründeter Anspruch gegen die andere Tarifvertragspartei, unabhängig von einer Kündigung des Tarifvertrages über eine Änderung dieses Tarifvertrages in einzelnen Punkten zu verhandeln, erlischt mit dem Ablauf des Tarifvertrages.
2. Der Senat hält an seiner Rechtsprechung fest, daß eine Gewerkschaft keinen Anspruch gegen den tariflichen Gegenspieler auf Aufnahme und Führung von Tarifverhandlungen hat.
Orientierungssatz
1. Auslegung des Tarifvertrages Personalvertretung für das Bordpersonal der Deutschen Lufthansa vom 15.11.1972.
2. Festhaltung BAG Urteil vom 14.7.1981 1 AZR 159/78 = BAGE 36, 131.
Normenkette
GG Art. 9 Abs. 3; TVG § 4 Abs. 5; BetrVG § 117 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG Hamburg (Entscheidung vom 05.01.1988; Aktenzeichen 3 Sa 82/87) |
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 27.05.1987; Aktenzeichen 6 Ca 166/85) |
Tatbestand
Die Klägerin des vorliegenden Verfahrens, die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (im folgenden ÖTV), und die Nebenintervenientin, die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (DAG), haben mit der Beklagten, der Arbeitsrechtlichen Vereinigung Hamburg e.V. (im folgenden Arbeitgeberverband), am 15. November 1972 gemäß § 117 BetrVG den "Tarifvertrag Personalvertretung für das Bordpersonal der Deutschen Lufthansa" (im folgenden TV PV) abgeschlossen.
Dieser Tarifvertrag sieht vor, daß die einzelnen Gruppen des Bordpersonals Gruppenvertretungen bilden und daß diese Vertreter in eine Gesamtvertretung entsenden. Hinsichtlich der Zusammensetzung der Gesamtvertretung bestimmt § 30 TV PV:
1. ...
2. In der Gesamtvertretung sind die Gruppenvertre-
tungen der
Kapitäne mit 4
Copiloten mit 4
Flugingenieure mit 3
Flugnavigatoren mit 1
Fluglehrer mit 1
Purseretten/Purser mit 3
Stewardessen/Stewards mit 9
insgesamt mit 25 Mitgliedern vertreten.
3. ...
In § 101 Abs. 2 TV PV heißt es:
Die Vertragspartner verpflichten sich, unab-
hängig von einer Kündigung die Vorschriften die-
ses Tarifvertrages zu überprüfen und erforderli-
chenfalls zu ändern, ... wenn sich die Bedeutung
einer Berufsgruppe in ihrem Verhältnis zum gesam-
ten Bordpersonal durch eine Veränderung der Kopf-
zahl oder aus anderen Gründen wesentlich ändert.
Die Zahl der Angehörigen der einzelnen Gruppen hat sich in den folgenden Jahren wie folgt entwickelt:
1972 % 1984 % 1987 %
Kapitäne 526 16,49 827 12,54 930 10,92
Copiloten 511 16,02 837 12,69 906 10,63
Flug-
ingenieure 369 11,57 565 8,57 580 6,81
Navigatoren 71
Fluglehrer 27 0,85 33 0,5
Purser 306 9,59 823 12,48 1121 13,16
Stewards 1451 45,49 3510 53,2 4982 58,48
---- ---- ----
3261 6510 8519
Aufgrund dieser Veränderungen hat die ÖTV die Ansicht vertreten, die Bestimmungen des TV PV über die Zusammensetzung der Gesamtvertretung müßten so geändert werden, daß die Zahl der Gruppenvertreter der nunmehrigen Größe der Gruppen entspricht. Zumindest sei der Arbeitgeberverband verpflichtet, gemeinsam mit ihr eine Änderung des § 30 Abs. 2 TV PV herbeizuführen, die den geänderten Verhältnissen Rechnung trage.
Die ÖTV hat daher im vorliegenden Verfahren beantragt,
den Arbeitgeberverband zu verpflichten, einer
dahingehenden Änderung von § 30 Abs. 2 TV PV
zuzustimmen, daß sich die Gesamtvertretung des
fliegenden Personals wie folgt zusammensetzt:
4 Mitglieder der Gruppenvertretung der Kapitäne,
4 Mitglieder der Gruppenvertretung der Copiloten,
2 Mitglieder der Gruppenvertretung der Fluginge-
nieure,
1 Mitglied der Gruppenvertretung Fluglehrer,
4 Mitglieder der Gruppenvertretung Purseretten/
Purser,
15 Mitglieder der Gruppenvertretung Stewardessen/
Stewards;
hilfsweise,
den Arbeitgeberverband zu verpflichten, bei einer
Änderung von § 30 Abs. 2 TV PV mitzuwirken, so daß
die Anzahl der Gruppenvertreter in der Gesamtver-
tretung dem Verhältnis der Beschäftigtenzahl der
jeweiligen Gruppe zur Gesamtbeschäftigtenzahl ent-
spricht;
hilfsweise,
den Arbeitgeberverband zu verpflichten, bei einer
Anpassung der Anzahl der jeweiligen Gruppenvertre-
ter in der Gesamtvertretung an die geänderten Be-
schäftigungszahlen mitzuwirken.
Der Arbeitgeberverband hat der DAG den Streit verkündet. Diese ist dem Rechtsstreit als Nebenintervenientin zur Unterstützung des Arbeitgeberverbandes beigetreten. Die ÖTV hält den Beitritt der DAG für unzulässig und hat die Zurückweisung der Streitverkündung beantragt.
Arbeitgeberverband und DAG haben die Abweisung der Klage beantragt. Der Arbeitgeberverband hat geltend gemacht, der ÖTV stehe kein Anspruch auf Änderung des § 30 Abs. 2 TV PV zu. Aus § 101 Abs. 2 TV PV ergebe sich kein Anspruch eines Vertragspartners auf eine bestimmte Änderung der Vorschriften über die Zusammensetzung der Gesamtvertretung.
Änderungen des § 30 Abs. 2 TV PV könnten nur unter Einbeziehung der DAG erfolgen. Bei dem Tarifvertrag Personalvertretung handele es sich um einen einheitlichen Tarifvertrag, der auf Arbeitnehmerseite von beiden Gewerkschaften gemeinsam abgeschlossen worden sei und nur gemeinsam geändert werden könne.
Verhandlungen über eine Änderung von § 30 Abs. 2 TV PV habe sie geführt. Auf Anregung des Arbeitsgerichts seien die Tarifvertragsparteien im Dezember 1985 zu Sondierungsgesprächen zusammengetroffen, in denen sie sich in einem sogenannten "Hamburger Papier" über alle Punkte - mit Ausnahme des Wahlverfahrens - geeinigt und Tarifverhandlungen für Februar und März 1986 vereinbart hätten. Bei diesen Tarifverhandlungen habe die DAG jedoch auf der Klärung von Geschäftsordnungsfragen bestanden, die die ÖTV und DAG unter sich klären sollten. Im Juni 1986 habe die ÖTV schließlich mitgeteilt, daß eine Einigung mit der DAG nicht zustande gekommen sei, und die Aufnahme von Verhandlungen nur mit ihr verlangt. Das habe sie abgelehnt, da der TV PV als einheitlicher Tarifvertrag nur unter Beteiligung aller Vertragspartner geändert werden könne. Einen Anspruch auf weitere Verhandlungen habe die ÖTV nicht.
Das Arbeitsgericht hat den Hauptantrag der ÖTV abgewiesen und auf den Hilfsantrag den Arbeitgeberverband verpflichtet, bei einer Änderung von § 30 Abs. 2 TV PV mitzuwirken, so daß die Anzahl der Gruppenvertreter in der Gesamtvertretung dem Verhältnis der Beschäftigtenzahl der jeweiligen Gruppe zur Gesamtbeschäftigtenzahl entspricht. Gegen das Urteil des Arbeitsgerichts haben sowohl der Arbeitgeberverband als auch die DAG Berufung eingelegt. Im Laufe des Berufungsverfahrens hat der Arbeitgeberverband den TV PV sowohl der ÖTV als auch der DAG gegenüber fristgemäß zum 31. Dezember 1987 gekündigt.
Das Landesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 5. Januar 1988 die Klage der ÖTV in vollem Umfange abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die ÖTV die Wiederherstellung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung, während der Arbeitgeberverband und die DAG um Zurückweisung der Revision bitten.
Entscheidungsgründe
Die Revision der ÖTV ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
I. Die DAG ist als Nebenintervenientin am vorliegenden Rechtsstreit beteiligt. Das Arbeitsgericht hat die Nebenintervention für zulässig erklärt. Dagegen hat weder die ÖTV noch der Arbeitgeberverband sofortige Beschwerde eingelegt, über die die Parteien vom Arbeitsgericht belehrt worden sind. Damit steht die Zulässigkeit der Nebenintervention rechtskräftig fest.
II. Die Anträge der ÖTV sind zulässig.
1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur noch der erste Hilfsantrag der ÖTV nunmehr als Hauptantrag, und im Falle von dessen Abweisung der zweite Hilfsantrag. Mit ihrem ersten Hilfsantrag begehrt die ÖTV, den Arbeitgeberverband zu verurteilen, bei einer Änderung des § 30 Abs. 2 TV PV - so - mitzuwirken, daß die Anzahl der Gruppenvertreter in der Gesamtvertretung dem Verhältnis der Beschäftigtenzahl der jeweiligen Gruppe zur Gesamtbeschäftigtenzahl entspricht.
Das Landesarbeitsgericht hat diesen Antrag als unzulässig angesehen, da er nicht ausreichend bestimmt sei. Aus dem Antrag ergebe sich nicht, wie die anzustrebende Änderung im einzelnen beschaffen sein soll, aus wie vielen Mitgliedern überhaupt die Gruppenvertretung bestehen soll und wie zu verfahren sei, wenn das Verhältnis der einzelnen Gruppen zueinander zu Bruchteilen von Vertretungen führe.
Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Der Antrag ist ausreichend bestimmt. Nach dem Antrag soll die angestrebte Änderung so beschaffen sein, daß die Anzahl der jeweiligen Gruppenvertreter in der Gesamtvertretung der Stärke der einzelnen Gruppen entspricht. Dazu bedarf es zunächst nicht einer gesonderten Festlegung der Gesamtzahl der Gruppenvertreter in der Gesamtvertretung; das angestrebte Verhältnis der Gruppenvertreter zueinander kann vielmehr auch erreicht werden, wenn die bisherige Größe der Gesamtvertretung von 25 Mitgliedern beibehalten wird. Der Inhalt der angestrebten Änderung wird auch dadurch schon ausreichend beschrieben, daß eine verhältnismäßige Repräsentanz der einzelnen Gruppen in der Gesamtvertretung festgelegt werden soll. Nähere Angaben dazu, wie dieses Verhältnis zu ermitteln und in Gruppenvertreter umzurechnen ist, bedarf es nicht. Auch § 10 Abs. 1 BetrVG bestimmt lediglich, daß Arbeiter und Angestellte entsprechend ihrem zahlenmäßigen Verhältnis im Betriebsrat vertreten sein müssen, ohne daß die Rechtsgültigkeit dieser Vorschrift mangels ausreichender Bestimmtheit in Zweifel zu ziehen wäre. Welchen Inhalt die angestrebte Änderung haben soll, an der der Arbeitgeberverband mitwirken soll, wird ausreichend deutlich. Einer auf diesen Antrag hin ausgesprochenen Mitwirkungspflicht des Arbeitgeberverbandes genügt dieser auch und schon dann, wenn er sich überhaupt für die geforderte Änderung von § 30 Abs. 2 TV PV einsetzt, gleichgültig mit welcher rechnerischen Methode das möglichst angenäherte Verhältnis der Vertretung der einzelnen Gruppen zueinander ermittelt wird.
Damit ist der Antrag ausreichend bestimmt. Ob der Arbeitgeberverband zu einer Mitwirkung an einer Änderung mit einem so festgeschriebenen Inhalt verpflichtet ist, ist eine Frage der Begründetheit des Antrages, nicht aber seiner Zulässigkeit.
2. Zulässig ist auch der zweite Hilfsantrag der ÖTV. Der Arbeitgeberverband soll verpflichtet werden, überhaupt bei einer Anpassung der Zahl der Gruppenvertreter an die geänderten Beschäftigungszahlen mitzuwirken, ohne daß diese Anpassung eine möglichst genaue verhältnismäßige Repräsentanz der einzelnen Gruppen in der Gesamtvertretung zur Folge haben muß. Auch damit ist die in Anspruch genommene Mitwirkungspflicht des Arbeitgeberverbandes ausreichend umschrieben.
3. Das Landesarbeitsgericht hat im Hinblick auf die erfolgte Kündigung des TV PV geprüft, ob für die Klageanträge noch ein Rechtsschutzinteresse besteht und dieses bejaht. Darauf kommt es jedoch nicht an. Die ÖTV macht einen Anspruch auf Vornahme einer Handlung mit der Behauptung geltend, daß der Arbeitgeberverband diese Handlung bislang nicht vorgenommen habe und sich weigere, diese vorzunehmen. Es handelt sich daher um eine Leistungsklage, für die ein Rechtsschutzinteresse regelmäßig nicht gesondert zu prüfen ist. Die Frage, ob der ÖTV der geltend gemachte Mitwirkungsanspruch auch nach der Kündigung des TV PV zusteht, ist eine Frage der Begründetheit des Antrages, nicht aber eine solche des Rechtsschutzinteresses. Allerdings läßt die nach der Kündigung des Tarifvertrages gegebene Möglichkeit, die angestrebte Änderung des Tarifvertrages über einen Arbeitskampf zu erreichen, das Interesse der ÖTV an einem gerichtlichen Ausspruch des Inhalts, daß der Arbeitgeberverband auch ohne Arbeitskampf zu einer solchen Mitwirkung verpflichtet ist, nicht entfallen. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend gesehen.
III. Die Klage ist nicht begründet. Der ÖTV steht der geltend gemachte Mitwirkungsanspruch nicht zu.
1. Das Landesarbeitsgericht hat mit einer Hilfserwägung den ersten Hilfsantrag der ÖTV auch für unbegründet gehalten. § 101 Abs. 2 TV PV begründe nicht die Verpflichtung eines Vertragspartners des Tarifvertrages, an einer Änderung des § 30 Abs. 2 TV PV in einem bestimmten Sinne mitzuwirken. Begründet werde lediglich eine Verpflichtung zur Überprüfung der Vorschrift und erforderlichenfalls zu deren Änderung, ohne daß diese Änderung einen bestimmten Inhalt haben müsse.
Den zweiten Hilfsantrag, den Arbeitgeberverband zu verurteilen, überhaupt bei einer Anpassung der Zahl der Gruppenvertreter an die geänderten Beschäftigungszahlen mitzuwirken, hat das Landesarbeitsgericht mit der Begründung abgewiesen, dieser Verpflichtung sei der Arbeitgeberverband bereits nachgekommen. Er habe mit den Vertragspartnern ÖTV und DAG ernsthafte Verhandlungen über eine Änderung des Tarifvertrages geführt, die nur deswegen nicht zu einem Ergebnis geführt hätten, weil sich ÖTV und DAG nicht hätten einigen können. Zu weiteren Verhandlungen allein mit der ÖTV sei der Arbeitgeberverband nicht verpflichtet. Bei dem Tarifvertrag Personalvertretung handele es sich um einen Tarifvertrag, der auf Arbeitnehmerseite von beiden Gewerkschaften gemeinsam abgeschlossen worden sei und der daher auch nur unter Mitwirkung beider Gewerkschaften geändert werden könne.
Ob diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zu folgen ist, kann dahingestellt bleiben. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist im Ergebnis schon deswegen zutreffend, weil jedenfalls nach der Kündigung des Tarifvertrages Personalvertretung durch den Arbeitgeberverband der ÖTV der geltend gemachte Mitwirkungsanspruch gegen den Arbeitgeberverband nicht mehr zusteht.
2. Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, daß Anspruchsgrundlage für den von der ÖTV geltend gemachten Mitwirkungsanspruch § 101 Abs. 2 TV PV ist. Nach dieser Vorschrift sind die Vertragspartner - und damit auch der Arbeitgeberverband - verpflichtet, auch während der Laufzeit des Tarifvertrages unter bestimmten Voraussetzungen die getroffene Regelung zu überprüfen und erforderlichenfalls zu ändern. Eine solche Verpflichtung besteht insbesondere dann, wenn sich die Bedeutung einer Berufsgruppe in ihrem Verhältnis zum gesamten Bordpersonal durch eine Veränderung der Kopfzahl wesentlich geändert hat. Diese Voraussetzung liegt angesichts der dargestellten Entwicklung der Zahl der Angehörigen der einzelnen Gruppen vor.
3. Mit der Kündigung des Tarifvertrages Personalvertretung durch den Arbeitgeberverband ist diese Anspruchsgrundlage jedoch entfallen. Die Kündigung eines Tarifvertrages führt zu dessen Beendigung. Der Tarifvertrag ist abgelaufen. Nach dem Ablauf des Tarifvertrages wirken nach § 4 Abs. 5 TVG lediglich seine "Rechtsnormen" weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Zu diesen Rechtsnormen gehört § 101 Abs. 2 TV PV nicht. Diese Vorschrift enthält keine Rechtsnormen über den Inhalt, den Abschluß und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen oder über betriebliche oder betriebsverfassungsrechtliche Fragen. Sie regelt vielmehr ausschließlich Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien zueinander. Sie gehört damit zum sogenannten schuldrechtlichen Teils des Tarifvertrages. Kraft Gesetzes, nämlich nach § 4 Abs. 5 TVG, wirken schuldrechtliche Vereinbarungen der Tarifvertragsparteien nicht über das Ende des Tarifvertrages hinaus nach. Ob im Tarifvertrag begründete Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien auch über das Ende eines Tarifvertrages hinaus fortgelten sollen, kann sich nur aus der schuldrechtlichen Vereinbarung zwischen den Tarifvertragsparteien selbst ergeben.
a) Die in § 101 Abs. 2 TV PV normierte Prüfungs- und Änderungspflicht der Tarifvertragsparteien soll "unabhängig von einer Kündigung" bestehen. Geht man allein vom Wortlaut dieser Regelung aus, so heißt dies, daß die genannten Pflichten bestehen sollen, gleichgültig, ob der Tarifvertrag gekündigt worden ist oder nicht, also auch nach einer Kündigung des Tarifvertrages. Gegen einen solchen sich allein aus dem Wortlaut ergebenden Inhalt der Vorschrift spricht jedoch deren Sinn und Zweck.
Die tarifliche Regelung einer Angelegenheit hat zur Folge, daß für die Laufzeit dieses Tarifvertrages keine Seite berechtigt sein soll, eine Änderung der Regelung zu fordern, erst recht nicht, um dieser Änderung willen einen Arbeitskampf zu führen. Insoweit besteht für alle Tarifvertragsparteien eine Friedenspflicht. Gerade von diesem Grundsatz machen Abreden der Tarifvertragsparteien eine Ausnahme, wenn sie vereinbaren, daß auch während der Laufzeit des Tarifvertrages, also auch vor dessen Kündigung, Änderungen des Tarifvertrages von einer Tarifvertragspartei sollen angestrebt werden können mit der Folge, daß die Gegenpartei ein solches Änderungsverlangen nicht mit dem Hinweis auf eine bestehende tarifliche Regelung soll zurückweisen können, sich vielmehr auf eine Überprüfung des Änderungsverlangens oder auch auf Verhandlungen über dieses Verlangen einlassen muß.
Daraus folgt, daß für die Zeit nach Ablauf eines Tarifvertrages solche Überprüfungs- und Verhandlungsklauseln keinen Sinn ergeben. Mit dem Ende des Tarifvertrages endet auch die Friedenspflicht. Jede Tarifvertragspartei ist nunmehr auch ohne eine entsprechende vertragliche Vereinbarung berechtigt, eine tarifliche Regelung zu verlangen, die sich von der des beendeten Tarifvertrages unterscheidet.
b) Allerdings kann eine Tarifvertragspartei jetzt ihre Änderungswünsche notfalls nur mit einem Arbeitskampf durchsetzen, wenn sich der Tarifpartner weigert, über Änderungswünsche zu verhandeln oder diese gar zu akzeptieren. Von daher kann es auf den ersten Blick sinnvoll erscheinen, auch für die Zeit nach Ablauf eines Tarifvertrages Verhandlungspflichten für die Tarifvertragsparteien zu vereinbaren. Das geschieht auch vielfach in Schlichtungsvereinbarungen oder -abkommen. Solche Verhandlungspflichten sollen eine Zeit des friedlichen Verhandelns gewährleisten und die Möglichkeit auch für eine friedliche Einigung eröffnen, die nicht gegeben wäre, wenn der Tarifpartner Verhandlungen über den Neuabschluß oder die Änderung des abgelaufenen Tarifvertrages nach Belieben sofort verweigern könnte.
Die Regelung in § 101 Abs. 2 TV PV ist mit solchen schuldrechtlichen Verhandlungspflichten nach Ablauf eines Tarifvertrages nicht zu vergleichen. Sie begründet eine Prüfungs- und Änderungspflicht nur unter bestimmten Voraussetzungen und nur für einzelne Regelungen des Tarifvertrages. Auch nach dem Ende des Tarifvertrages wären diese Prüfungs- und Änderungspflichten nur auf einzelne Punkte beschränkt und nur unter den genannten Voraussetzungen gegeben. Selbst wenn diese Verhandlungen zu einer Einigung führen sollten, worauf kein Vertragspartner Anspruch hat, könnte diese Einigung doch nur eine Änderung eines Tarifvertrages zur Folge haben, der bereits abgelaufen ist und lediglich nachwirkt. Auch eine Änderung könnte von vornherein nur die Wirkung eines nachwirkenden Tarifvertrages haben. Das mag für Tarifverträge über betriebsverfassungsrechtliche Fragen - anders als bei Tarifverträgen über Inhaltsnormen (vgl. BAG Urteil vom 29. Januar 1975, BAGE 27, 22 = AP Nr. 8 zu § 4 TVG Nachwirkung) - zulässig sein angesichts des Umstandes, daß nachwirkende tarifvertragliche Regelungen über betriebsverfassungsrechtliche Fragen ohnehin nicht durch eine einzelvertragliche Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien, sondern nur durch eine neue tarifvertragliche Regelung und allenfalls durch eine Betriebsvereinbarung ersetzt werden können. Die Frage ist hier nicht zu entscheiden. Die aufgezeigten Probleme, die aus der Anerkennung eines Verhandlungsanspruches über Änderungen einzelner tariflicher Teilregelungen sich ergeben können, machen deutlich, daß ein solcher Verhandlungsanspruch wenig Sinn hätte und keiner Tarifvertragspartei nennenswerte Vorteile bringen würde in einer Zeit, in der ohnehin über den Neuabschluß oder die Änderung des gekündigten Tarifvertrages verhandelt werden muß und solche Verhandlungen, sofern es an einem Schlichtungsabkommen fehlt, durch einen Arbeitskampf erzwungen werden müssen. Von daher kann allein aus der Formulierung "unabhängig von einer Kündigung" nicht gefolgert werden, die Tarifvertragsparteien hätten in § 101 Abs. 2 TV PV eine Überprüfungs- und Verhandlungspflicht hinsichtlich der Zahl der Gruppenvertreter auch für die Zeit nach Ablauf des gesamten Tarifvertrages vereinbaren wollen.
Ist also mit der Kündigung des Tarifvertrages zum 31. Dezember 1987 § 101 Abs. 2 TV PV als Anspruchsgrundlage entfallen, so kann die ÖTV ihren Klageanspruch jedenfalls auf diese Vorschrift nicht mehr stützen.
4. Außerhalb einer solchen schuldrechtlichen Vereinbarung steht einer Gewerkschaft ein Rechtsanspruch auf Aufnahme und Führung von Tarifverhandlungen, sei es auch nur hinsichtlich einzelner zu regelnder Fragen, nicht zu. Das hat der Senat in seiner Entscheidung vom 14. Juli 1981 (BAGE 36, 131 = AP Nr. 1 zu § 1 TVG Verhandlungspflicht) ausgesprochen und im einzelnen begründet. Daran hält der Senat fest.
Diese Entscheidung hat im Schrifttum zwar neben Zustimmung (Konzen, Anm. zu EzA Art. 9 GG Nr. 33) auch Kritik erfahren (Wiedemann, Anm. zu AP Nr. 1 zu § 1 TVG Verhandlungspflicht; Seiter, SAE 1984, 100). Diese Kritik ist jedoch nicht gerechtfertigt.
a) Gegen die Entscheidung des Senats wird einmal geltend gemacht: Wenn Art. 9 Abs. 3 GG den Koalitionen die Aufgabe übertrage, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu ordnen, d.h. auch durch Tarifverträge zu regeln, so entspreche dieser Aufgabe auch eine Einlassungs- und Erörterungspflicht der Koalitionen und sei es diesen untersagt, sich durch Ablehnung von Tarifvertragsverhandlungen der Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu entziehen. Es kann dahingestellt bleiben, ob eine solche Einlassungs- und Erörterungspflicht der Koalitionen tatsächlich aus Art. 9 Abs. 3 GG folgt. Die Bejahung einer solchen Erörterungs- oder Verhandlungspflicht für die Koalitionen würde nicht automatisch zu einer Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch einen Tarifvertrag führen. Daß die Koalitionen ihrer Aufgabe, Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch Tarifverträge zu regeln, auch tatsächlich nachkommen, kann - wenn überhaupt - nur durch einen Abschlußzwang, nicht aber schon durch einen Erörterungs- und Einlassungszwang sichergestellt werden.
b) Gegen die Entscheidung des Senats ist weiter geltend gemacht worden, daß damit kleineren, schwächeren Arbeitnehmerkoalitionen die Chance genommen würde, zum Abschluß eines Tarifvertrages zu kommen, weil sie einen Arbeitskampf zu führen nicht in der Lage seien und daher auf einen gerichtlich durchsetzbaren Verhandlungsanspruch angewiesen wären. Auch das überzeugt nicht. Eine Koalition ist nur dann tariffähig und damit eine Gewerkschaft, wenn sie ausreichend mächtig ist. Wenn auch an diese Mächtigkeit keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden dürfen, so muß es sich doch um eine Koalition handeln, die von ihrem sozialen Gegenspieler ernst genommen wird, so daß dieser sich veranlaßt sieht, auch mit dieser die Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch den Abschluß von Tarifverträgen wenigstens zu versuchen (BAG Beschluß vom 10. September 1985, BAGE 49, 322 = AP Nr. 34 zu § 2 TVG). Gelingt es einer Koalition nicht, in diesem Sinne ernst genommen und anerkannt zu werden, fehlt es ihr an der erforderlichen Mächtigkeit und damit überhaupt an der Tariffähigkeit. Die fehlende Mächtigkeit durch einen Rechtsanspruch auf Tarifverhandlungen auszugleichen, würde im Ergebnis bedeuten, das Erfordernis der Mächtigkeit aufzugeben. Jede Arbeitnehmerkoalition hätte dann einen durchsetzbaren Rechtsanspruch gegen den tariflichen Gegenspieler auf Führung von Tarifverhandlungen, auch wenn sie mangels ausreichender Mächtigkeit keine Gewerkschaft ist.
Darüber hinaus wäre in diesem Zusammenhang zu unterscheiden, ob eine Koalition von ihrem tariflichen Gegenspieler überhaupt und systematisch nicht nur nicht zur Kenntnis genommen, sondern aktiv an einer koalitionsmäßigen Betätigung gehindert wird, was gegen Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG verstoßen und entsprechende Unterlassungsansprüche zur Folge haben könnte, und dem Fall, daß ein Tarifpartner Tarifverhandlungen mit einem "mächtigen" Gegner über eine bestimmte tarifliche Regelung ablehnt.
c) Soweit schließlich geltend gemacht worden ist, die Ablehnung eines Verhandlungsanspruchs verstoße gegen das Ultima-Ratio- Prinzip, weil dadurch der Tarifverhandlungen ablehnenden Seite erlaubt würde, die Verhandlungsphase zu überspringen, so ist das mit der Bedeutung des Ultima-Ratio-Prinzips, wie sie der Senat in seiner Warnstreikentscheidung vom 21. Juni 1988 (- 1 AZR 651/86 - zur Veröffentlichung vorgesehen) näher dargelegt hat, nicht zu vereinbaren. Danach fordert das Ultima-Ratio-Prinzip nicht in jedem Falle Verhandlungen zwischen den Tarifvertragsparteien, bevor Arbeitskampfmaßnahmen ergriffen werden. Es gestattet vielmehr der Tarifvertragspartei zu Arbeitskampfmaßnahmen auch ohne vorherige Verhandlungen schon dann zu greifen, wenn der Tarifgegner solche Verhandlungen überhaupt ablehnt.
d) Schließlich folgt auch aus § 117 Abs. 1 BetrVG kein Anspruch gegen den tariflichen Gegenspieler auf Führung von Tarifverhandlungen. Diese Vorschrift gewährt lediglich die Befugnis, die Betriebsverfassung für die im Flugbetrieb beschäftigten Arbeitnehmer durch Tarifvertrag zu regeln, verpflichtet aber keine Koalition und keinen Arbeitgeber, an einer solchen Regelung mitzuwirken.
5. Steht damit der ÖTV nach Kündigung des Tarifvertrages auch von Rechts wegen kein Anspruch gegen den Arbeitgeberverband auf Verhandlungen über einen neuen Tarifvertrag Personalvertretung überhaupt oder über einzelne Detailregelungen zu, so ist deren Klage - zumindest jetzt - nicht mehr begründet. Die ÖTV kann im Rahmen der Tarifverhandlungen über einen neuen Tarifvertrag Personalvertretung - Verhandlungen, die der Arbeitgeberverband nicht verweigert - versuchen, auch die von ihr angestrebte Neuregelung über die Vertretung der Gruppen in der Gesamtvertretung herbeizuführen und zu diesem Zweck erforderlichenfalls einen Arbeitskampf führen. Darüber, ob ein solcher Tarifvertrag auf Arbeitnehmerseite nur von der ÖTV und der DAG gemeinsam abgeschlossen werden kann oder auch nur von einer dieser Gewerkschaften, hatte der Senat im vorliegenden Fall nicht zu entscheiden.
IV. Die Kosten der erfolglosen Revision hat nach § 97 ZP0 die ÖTV zu tragen.
Dr. Kissel Matthes Dr. Weller
Dr. Gentz H. Blanke
Fundstellen
DB 1989, 1832 (L1-2) |
BetrVG, (1) (LT1-2) |
NZA 1989, 601-604 (LT1-2) |
RdA 1989, 198 |
SAE 1990, 13-17 (LT1-2) |
ZTR 1989, 311-312 (LT1-2) |
AP, (LT1-2) |
AR-Blattei, ES 1550.2 Nr 17 (LT1-2) |
AR-Blattei, Tarifvertrag II Entsch 17 (LT1-2) |
EzA, (LT1-2) |