Entscheidungsstichwort (Thema)
Heimzulage
Leitsatz (redaktionell)
Drogenabhängige sind in einem Wohnheim (Sleep-In) auch dann „ständig” untergebracht, wenn das Heim täglich in der Zeit von 15.00 Uhr bis 20.00 Uhr geschlossen ist (Fortführung der Rechtsprechung aus dem Urteil vom 20. April 1994 – 10 AZR 276/93 – AP Nr. 11 zu §§ 22, 23 BAT Zulagen).
Normenkette
Anhang Erschwerniszulagen zum Berufsgruppenverzeichnis der
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Urteil vom 06.01.1994; Aktenzeichen 14 Sa 527/93) |
ArbG Hannover (Urteil vom 07.01.1993; Aktenzeichen 11 Ca 447/92) |
Tenor
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 6. Januar 1994 – 14 Sa 527/93 – aufgehoben.
2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 7. Januar 1993 – 11 Ca 447/92 – abgeändert:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.360,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 21. September 1992 zu zahlen.
3. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Verpflichtung des Beklagten, an den Kläger eine sog. Heimzulage zu zahlen.
Der Beklagte ist Träger des Jugend- und Drogenberatungszentrums H. Der Kläger ist seit dem 1. September 1990 als Erzieher in dem dem Jugend- und Drogenberatungszentrum angegliederten „Sleep-In” tätig. Auf das Arbeitsverhältnis finden aufgrund des Arbeitsvertrages vom 1. August 1990 der bestehende Haustarifvertrag und die Tätigkeitsmerkmale der Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes (AVR mit Ergänzungen) Anwendung. Der Kläger erhält eine Vergütung nach der VergGr. V b BAT.
Das Sleep-In ist eine Übergangseinrichtung für Drogensüchtige. Nach der Konzeption der Einrichtung ist das Sleep-In ein niederschwelliges Angebot im Arbeitsfeld von Notschlafstelle und Krisenintervention mit einem hohen Anteil an Begleitung und Versorgung bei einer relativ unbürokratischen Aufnahme unter den Aspekten Drogenabhängigkeit in Verbindung mit bestehender Obdachlosigkeit. Die Einrichtung dient nicht dem Entzug. Im Haus ist aber jeglicher Konsum und Besitz von Drogen untersagt. Vorrangiges Ziel ist die psycho-soziale Stabilisierung der Klientel und das Unterbinden einer fortschreitenden Verelendung, um die Teilnahme an weiterführenden Hilfsangeboten zu ermöglichen.
Aufgenommen werden obdachlose Männer und Frauen ab 18 Jahren in Krisensituationen mit bestehender Abhängigkeit von illegalen Drogen. Besondere Problemgruppen sind Strafentlassene, Langzeitobdachlose, Therapieabbrecher, Abbrecher aus Entzugsstationen, „Alt-Junkies” und HIV-Infizierte. Das Sleep-In verfügt über sieben Unterbringungsplätze. Der Aufenthalt in der Einrichtung ist auf drei Monate begrenzt. Ausnahmen sind möglich. Die Einrichtung ist täglich von 20.00 Uhr bis 15.00 Uhr geöffnet. In der Zeit von 15.00 Uhr bis 20.00 Uhr müssen die aufgenommenen Personen die Einrichtung verlassen. Eine anderweitige Unterbringung oder Behandlung der Personen findet in dieser Zeit nicht statt. Die Aufgenommenen haben bei der Aufnahme ihr Einverständnis mit den Hausregeln zu erklären. Sie haben dann Anspruch auf einen Unterbringungsplatz, sofern sie nicht mehr als zwei Nächte ohne Abmeldung abwesend sind. Die Inanspruchnahme des Sleep-Ins erfolgt auf freiwilliger Basis.
Die sog. Heimzulage ist im Anhang Erschwerniszulagen zum Berufsgruppenverzeichnis der Arbeitsvertragsrichtlinien in Mitgliedsorganisationen des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes (DPWV), den die Beklagte auf die Mitarbeiter im Erziehungsdienst anwendet, wie folgt geregelt:
„1. Der Mitarbeiter im Erziehungsdienst in einem Erziehungsheim, einem Kinder- oder einem Jugendwohnheim oder einer vergleichbaren Einrichtung (z.B. in einem Wohnheim für erwachsene Behinderte), in dem überwiegend körperlich, geistig oder seelisch wesentlich Behinderte oder Kinder oder Jugendliche mit beträchtlichen Erziehungsschwierigkeiten zur Erziehung, Ausbildung oder Pflege ständig untergebracht sind, erhält eine Zulage in Höhe von DM 120,– monatlich.
Sind dort nicht überwiegend Kinder, Jugendliche oder Behinderte mit diesen Schwierigkeiten untergebracht, beträgt die Zulage DM 60,– monatlich.
Für Mitarbeiter im handwerklichen Erziehungsdienst dieser Art beträgt die Zulage DM 80,– monatlich.
Die Zulage wird nur für Zeiträume gezahlt, für die Bezüge (Gehalt, Lohn) zustehen.”
Der Kläger vertritt die Auffassung, ihm stehe für die Monate Februar 1991 bis Mai 1993 die Heimzulage von 120,– DM monatlich in Höhe von insgesamt 3.360,– DM brutto zu. Er sei als Angestellter im Erziehungsdienst im Sleep-In beschäftigt. Drogenabhängige seien als Suchtkranke der Gruppe der seelisch Behinderten zuzuordnen. Das Sleep-In sei eine einem Heim vergleichbare Einrichtung. In dem Sleep-In seien die aufgenommenen Personen auch ständig untergebracht. Der ständigen Unterbringung der aufgenommenen Personen stehe die tägliche Schließung von 15.00 Uhr bis 20.00 Uhr nicht entgegen, da sie lediglich aus Personalmangel erfolge. Eine zeitweise Schließung etwa für Reinigungsarbeiten sei auch in anderen Einrichtungen üblich. Das Merkmal der ständigen Unterbringung könne nicht davon abhängig sein, wie lange die Verweildauer der zu Betreuenden betrage. Die Heimzulage sei eine Erschwerniszulage. Da er während seiner gesamten Schichtarbeit ständig die im Sleep-In aufgenommenen Personen betreue, sei er wie ein im vollstationären Bereich eines Heims beschäftigter Erzieher zu behandeln.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn 3.360,– DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich ergebenden Nettobetrag seit Klagezustellung zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er meint, der Kläger habe keinen Anspruch auf die Heimzulage. Bei dem Sleep-In handele es sich nicht um ein Heim oder eine vergleichbare Einrichtung. Dem Sleep-In sei die Anerkennung im Sinne des Heimgesetzes durch die Bezirksregierung versagt worden. Es sei nach der zugrundeliegenden Konzeption nicht auf eine Unterbringung oder Gewährung von Hilfe auf Dauer ausgerichtet, sondern stelle nur eine Akutanlaufstation dar. Mit dem Aufenthalt in der Einrichtung sei keinerlei Zwang verbunden. Den Hilfesuchenden stehe frei, ob und in welchem Umfang sie Hilfsangebote annehmen wollen. Sie könnten die Einrichtung auch jederzeit wieder verlassen. Die tägliche Schließung zwischen 15.00 Uhr und 20.00 Uhr stehe der Annahme einer ständigen Unterbringung entgegen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des berufungsgerichtlichen Urteils und zur Abänderung des erstinstanzlichen Urteils. Dem Kläger steht ein Anspruch auf die Heimzulage zu.
I. Das Landesarbeitsgericht nimmt an, dem Kläger stehe ein Anspruch auf die Heimzulage nicht zu. Zwar seien die im Sleep-In aufgenommenen Personen als Drogenabhängige der Gruppe der „seelisch wesentlich Behinderten” im Sinne von § 39 BSHG i.V.m. § 3 der Eingliederungshilfe-Verordnung zuzuordnen. Das Sleep-In sei auch eine mit den in den Arbeitsvertragsrichtlinien des DPWV genannten Heimen vergleichbare Einrichtung. Es fehle aber an der ständigen Unterbringung der aufgenommenen Personen. Dies folge nicht daraus, daß die Gesamtdauer des Aufenthalts in der Einrichtung auf höchstens drei Monate begrenzt sei. Dem Merkmal einer ständigen Unterbringung stehe vielmehr entgegen, daß das Sleep-In täglich von 15.00 Uhr bis 20.00 Uhr geschlossen sei. Von einer ständigen Unterbringung könne nur gesprochen werden, wenn ein Aufenthalt in der Einrichtung dauernd und zumindest ohne wesentliche Unterbrechung erfolge. Aufgrund der täglichen Schließung des Sleep-Ins für fünf Stunden liege eine solche dauernde Unterbringung nicht vor. Der Zeitraum von fünf Stunden gehe über eine kurze Schließung etwa für Reinigungsarbeiten von höchstens einer bis zwei Stunden erheblich hinaus. Ob Ursache der Schließung Personalmangel sei, spiele keine Rolle.
II. Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts vermag der Senat nicht zu folgen. Dem Kläger steht der Anspruch auf die Heimzulage zu.
1. Der Beklagte wendet die Regelung in den Arbeitsvertragsrichtlinien über die Heimzulage auf alle Mitarbeiter im Erziehungsdienst, zu denen der Kläger gehört, an. Der Kläger erfüllt auch die in Ziffer 1 des Anhangs Erschwerniszulagen aufgeführten Anspruchsvoraussetzungen.
2. Bei dem „Sleep-In” handelt es sich um ein Wohnheim für erwachsene Behinderte i.S.d. Regelung über die Heimzulage.
a) Zwischen den Parteien besteht kein Streit darüber, daß die im Sleep-In aufgenommenen Personen wegen ihrer Drogenabhängigkeit als seelisch wesentlich Behinderte i.S.v. § 39 BSHG in Verbindung mit § 3 Nr. 3 der Eingliederungshilfe-VO anzusehen sind und ihre Aufnahme mit der in Ziffer 1 der Regelung genannten Zielsetzung erfolgt. Es handelt sich auch um erwachsene Behinderte, da nur Drogenabhängige über 18 Jahre aufgenommen werden.
b) Das Sleep-In ist entgegen der Auffassung des Beklagten auch als ein Wohnheim i.S.d. Klammerzusatzes zum Begriff der vergleichbaren Einrichtung anzusehen.
Unter einem Heim bzw. einem Wohnheim ist nach allgemeinem Sprachgebrauch ein Ort zu verstehen, an dem jemand lebt und zu dem er eine gefühlsmäßige Bindung hat (BAG Urteil vom 26. Mai 1993 – 4 AZR 130/93 – AP Nr. 3 zu § 12 AVR Diakonisches Werk; Urteil vom 20. April 1994 – 10 AZR 276/93 – AP Nr. 11 zu §§ 22, 23 BAT Zulagen).
Diese Anforderungen erfüllt das Sleep-In. Für die obdachlosen Drogenabhängigen bildet das Sleep-In für die Dauer ihres Aufenthalts ihren Lebensmittelpunkt. Dort erhalten sie Unterkunft, Verpflegung und Betreuung. Das Sleep-In ist damit als gemeinschaftliche Wohnstätte anzusehen. Dabei kommt dem Umstand keine Bedeutung zu, daß der Aufenthalt im Sleep-In freiwillig ist. Für das Erfordernis einer zwangsweisen Unterbringung ergibt sich gerade bei dem als Beispiel für eine vergleichbare Einrichtung genannten Wohnheim für erwachsene Behinderte kein Anhaltspunkt aus der Regelung in den Arbeitsvertragsrichtlinien.
3. Der Aufenthalt im Sleep-In ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts auch als ständige Unterbringung i.S.d. Regelung über die Heimzulage anzusehen. Dem Erfordernis einer ständigen Unterbringung steht nicht entgegen, daß das Sleep-In in der Zeit von 15.00 Uhr bis 20.00 Uhr geschlossen ist.
a) Der Anspruch auf die Heimzulage als einer Erschwerniszulage ist dann begründet, wenn der genannte Personenkreis in der Einrichtung ständig untergebracht ist. Damit kommt es entgegen der Auffassung des Klägers nicht darauf an, daß er während seiner Arbeitszeit „ständig” Drogenabhängige betreut. Maßgebend für die Zulage ist nicht die ständige Ausübung einer Tätigkeit als Mitarbeiter im Erziehungsdienst bezogen auf den im Heim aufgenommenen Personenkreis, sondern die ständige Unterbringung dieses Personenkreises in dem Heim, in dem der Mitarbeiter im Erziehungsdienst tätig ist.
Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch bedeutet „ständig”, dauernd, immer und ununterbrochen (vgl. BAG Urteil vom 26. Mai 1993 – 4 AZR 130/93 – AP Nr. 3 zu § 12 AVR Diakonisches Werk). Bei der Auslegung dieses Merkmals der Unterbringung in einem Heim hat der Senat im Urteil vom 20. April 1994 (– 10 AZR 276/93 – AP Nr. 11 zu §§ 22, 23 BAT Zulagen) darauf abgestellt, daß der Annahme einer ständigen Unterbringung nicht entgegensteht, daß die Heimbewohner das Heim zur Ausübung einer Berufstätigkeit tagsüber verlassen. Eine ständige Unterbringung kann hingegen nach der Rechtsprechung des Vierten Senats (Urteil vom 26. Mai 1993 – 4 AZR 130/93 – AP Nr. 3 zu § 12 AVR Diakonisches Werk) nicht angenommen werden, wenn lediglich eine Unterbringung von sechs Stunden täglich erfolgt.
b) Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung ist die Unterbringung der Drogenabhängigen im Sleep-In trotz der Schließung in der Zeit von 15.00 Uhr bis 20.00 Uhr als ständige Unterbringung anzusehen.
Für die Annahme einer ständigen Unterbringung spricht zunächst, daß eine „Aufnahme” erfolgt, bei der die Hausordnung anzuerkennen ist. Es handelt sich also nicht allein um die Zurverfügungstellung einer Schlafstelle für Obdachlose, die ad hoc im Bedarfsfalle in Anspruch genommen wird. Der Aufenthalt ist vielmehr von vornherein auf eine gewisse Dauer ausgerichtet, die allerdings grundsätzlich drei Monate nicht überschreiten soll. Damit ist der Aufenthalt sowohl von der tatsächlichen Gestaltung als auch von der Konzeption des Heims her nicht auf eine nur gelegentliche, kurzfristige Unterbringung ausgerichtet. Dies wird auch dadurch deutlich, daß den Drogenabhängigen ihr Heimplatz erhalten bleibt, solange er ihnen nicht wegen zweimaliger nächtlicher, unentschuldigter Abwesenheit entzogen wird.
Im Hinblick auf diese auf eine gewisse Kontinuität ausgerichtete Unterbringung kommt dem Umstand, daß das Sleep-In täglich zwischen 15.00 Uhr und 20.00 Uhr geschlossen ist, keine entscheidende Bedeutung zu.
Die Schließung des Sleep-In in der Zeit von 15.00 Uhr bis 20.00 Uhr, deren Ursache zwischen den Parteien streitig ist, rechtfertigt im Hinblick auf die Modalitäten der Aufnahme und die auf einen nicht unerheblichen Zeitraum ausgerichtete Unterbringung nicht den Schluß, daß keine ständige Unterbringung vorliegt. Die Schließung des Heims erfolgt lediglich für fünf Stunden pro Tag und damit für einen Zeitraum, der im Hinblick auf die tägliche Gesamtöffnungszeit nicht maßgebend ins Gewicht fällt.
Zudem ist der Aufenthalt im Sleep-In freiwillig. Demgemäß ist den Bewohnern unbenommen, das Sleep-In tagsüber zu verlassen. Von dieser Möglichkeit dürften sie in der Regel auch Gebrauch machen. Hindert das vorübergehende Verlassen des Heims aber nicht die Annahme einer ständigen Unterbringung, so ist dies auch nicht der Fall, wenn vom Träger des Heims von vornherein ein Zeitraum festgesetzt wird, in dem das Heim zu verlassen ist. Das Heim verliert dadurch nicht seine Bedeutung als Mittelpunkt für die Zeit der Unterbringung. Dies zeigt insbesondere auch der Umstand, daß die persönlichen Sachen der Heimbewohner während der Schließung des Heims dort verbleiben, wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat von den Parteien unstreitig gestellt worden ist. Demzufolge kann die Unterbringung im Sleep-In auch nicht mit der vom Vierten Senat entschiedenen Fallgestaltung gleichgesetzt werden, bei der eine Unterbringung nur für sechs Stunden täglich erfolgte und damit nicht den Schluß auf eine ständige Unterbringung zuließ.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Unterschriften
Matthes, Dr. Freitag, Hauck, J. Wingefeld, Staedtler
Fundstellen