Entscheidungsstichwort (Thema)
Ordentliche Kündigung wegen MfS-Vergangenheit und sog Fragebogenlüge
Orientierungssatz
Hinweise des Senats:
"Verpflichtungserklärung und Berichte für das MfS im Alter von 17 bzw 18 Jahren."
Tenor
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Thüringer
Landesarbeitsgerichts vom 22. September 1998 - 5 Sa 111/97 -
aufgehoben.
2. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine
andere Kammer des Landesarbeitsgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Der Kläger (geboren am 31. August 1952) war seit dem 15. August 1987 an der -Universität in beschäftigt; seit dem 24. April 1992 ist er dort als technischer Mitarbeiter unter Eingruppierung in die VergGr. III BAT-O eingesetzt. Es gehört zu seinen Aufgaben, Lehrveranstaltungen zur Bildverarbeitung und Informatik technisch abzusichern, Praktika, Rechenübungen und rechnerbezogene Übungen von Studenten vorzubereiten und durchzuführen sowie Algorithmen der geometrischen und quantitativen Bildverarbeitung zu erarbeiten und programmtechnisch umzusetzen. Weiter ist er verantwortlich für die technische Absicherung, Bedienung und Programmierung von Robotern, die Erarbeitung von Praktikumsunterlagen sowie Betreuung von Studenten an einem Robotsimulator.
Am 17. Januar 1991 unterzeichnete der Kläger eine von der -Universität vorgefertigte Erklärung, in der er angab, kein inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der früheren DDR (im folgenden: MfS) gewesen zu sein. Am 1. August 1991 beantwortete der Kläger die in einem Fragebogen zur Ergänzung des Personalbogens gestellte Frage nach einer Zusammenarbeit mit dem MfS mit "nein". Die Frage, ob er vom MfS zur Mitarbeit angesprochen worden sei, beantwortete er mit "ja, 1974 (Armeedienstzeit) ablehnende Reaktion". Im Zusammenhang mit einem Antrag auf Anerkennung von Vordienstzeiten beantwortete der Kläger schließlich unter dem 30. Juni 1992 die ihm formularmäßig gestellte Frage, ob er in irgendeiner Form für das MfS einschließlich der Verpflichtung zu informeller bzw. inoffizieller Mitarbeit tätig geworden sei, ebenfalls mit "nein".
Am 7. Februar 1996 ging beim Kanzler der -Universität eine Mitteilung des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes (im folgenden: Gauck-Behörde) ein, aus der sich ergibt, daß der Kläger am 2. April 1970, also fünf Monate vor Vollendung des 18. Lebensjahrs, eine Bereitschaftserklärung über Zusammenarbeit mit dem MfS unterzeichnet, sich zur Verschwiegenheit verpflichtet und den Decknamen "C " gewählt hatte. Darüber hinaus waren in dem Bericht der Gauck-Behörde eine zwei Tage nach dem 18. Geburtstag des Klägers ausgestellte Quittung über die Bezahlung von 10,00 Mark als Anerkennung der bisher geleisteten Arbeit des Klägers und acht Berichte bzw. acht Aktenvermerke zur Tätigkeit des Klägers in der Zeit vom 25. September 1970 bis 18. März 1971 beigefügt. Schließlich ergab die Mitteilung der Gauck-Behörde, daß die Zusammenarbeit mit dem Kläger ab dem 15. März 1971 vom MfS bis auf weiteres unterbrochen wurde, weil der Führungsoffizier des Klägers in der Dienststelle ein anderes Aufgabengebiet übernommen hatte. Im Rahmen seiner IM-Tätigkeit berichtete der Kläger dem MfS ua. über die Republikfluchtabsichten von Mitschülern (Bericht v. 30. November 1970), die Einstellung von Schülern zu Solidaritätsspenden (Bericht v. 15. Dezember 1970), die passive Einstellung eines Schülers zur vormilitärischen Ausbildung (Bericht v. 18. Oktober 1970) und die negative Einstellung einer Schülerin zu Vertretern der Partei und des gesellschaftlichen Lebens (Bericht v. 14. März 1971).
In einer am 13. Februar 1996 vom Kanzler der -Universität mit dem Kläger geführten Anhörung (vgl. Protokoll v. 14. Februar 1996) ließ sich der Kläger ua. dahin ein, er sei zur FDJ-Kreisleitung nach R bestellt worden, wo ihm eröffnet worden sei, an der erweiterten Oberschule (EOS) gebe es staatsfeindliche Aktivitäten und er werde um Berichte gebeten; die von ihm gefertigten Berichte seien zwar kein Ruhmesblatt gewesen, andererseits eben Ausdruck seiner damaligen Einstellung; durch seine Mitteilungen seien keine Personen geschädigt worden, die Mitteilungen bezögen sich auch nur auf die Schulzeit; die Situation sei nicht einfach gewesen, er habe sich später distanziert, sonst hätte er während der Armeezeit manches einfacher gehabt. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 17. Februar 1996 hat der Kläger die Fakten, die in den Zeitabschnitt seiner Volljährigkeit fielen, als belanglos und ohne jegliche Bedeutung bewertet; deshalb habe er die Fragen nach Stasi-Zusammenarbeit verneinen dürfen.
Mit Schreiben vom 8. März 1996 kündigte der Beklagte durch den Kanzler der -Universität nach Beteiligung der Personalvertretung das Beschäftigungsverhältnis des Klägers außerordentlich und hilfsweise ordentlich zum 30. September 1996 wegen der Tätigkeit des Klägers als inoffizieller Mitarbeiter (IM) für das MfS und wegen der Falschbeantwortung der ihm nach einer Zusammenarbeit mit dem MfS gestellten Fragen.
Der Kläger hat mit seiner Klage geltend gemacht, sein Verhalten in dem relativ kurzen Zeitraum einer Tätigkeit für das MfS 1970/71 sei ihm deshalb nicht voll zuzurechnen, weil er teilweise noch minderjährig und später Heranwachsender gewesen sei; er sei auch zu keiner Zeit Mitglied der SED oder Funktionsträger im Rahmen von FDJ, FDGB, DSF oder ähnlichen Organisationen gewesen. Die Zusammenarbeit mit dem MfS habe er nach dem letzten Bericht vom 14. März 1971 von sich aus eingestellt, wenn dies auch in dem Vermerk der Stasi so nicht zum Ausdruck komme; jedenfalls habe er eine erneute Anwerbung des MfS während seiner NVA-Zeit 1974 abgelehnt. Das Geldgeschenk von 10,00 Mark habe er aus Anlaß seiner Volljährigkeit erhalten. Schließlich lägen die Vorfälle zum Kündigungszeitpunkt 25 Jahre zurück. Die Frage nach einer MfS-Tätigkeit habe er zwar falsch beantwortet, werde aber dadurch entschuldigt, daß er zum Zeitpunkt der Verpflichtungserklärung und teilweise noch darüber hinaus nicht volljährig gewesen sei. Bestätigt in dieser Rechtsauffassung werde er durch das im Stasiunterlagengesetz enthaltene Verbot, Unterlagen aus der Zeit vor dem 18. Lebensjahr herauszugeben bzw. darüber zu informieren. Schließlich bekleide er auch als technischer Mitarbeiter bei dem Beklagten keine herausgehobene Position.
Der Kläger hat - soweit noch für die Revisionsinstanz von Belang - beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis auch durch die hilfsweise
ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 8. März 1996 nicht
beendet worden ist.
Der Beklagte hat zu seinem Klageabweisungsantrag vorgetragen, bei der Beantwortung der Frage nach einer Zusammenarbeit mit dem MfS sei es nicht Sache des jeweiligen Arbeitnehmers, die wahrheitsgemäße Beantwortung von einer eigenen Bewertung der Qualität der Zusammenarbeit mit dem MfS abhängig zu machen. Deshalb gehe der Umstand der dreimaligen und somit beharrlichen Falschbeantwortung zu Lasten des Klägers. Hierdurch sei das zwischen den Parteien erforderliche Vertrauensverhältnis irreparabel gestört. Zu berücksichtigen sei auch, daß der Kläger in einer exponierten Stellung beschäftigt sei und mit zahlreichen Studenten Kontakt habe.
Das Arbeitsgericht hat die vom Beklagten ausgesprochene außerordentliche Kündigung für unwirksam erklärt, im übrigen aber die Klage abgewiesen. Die vom Kläger eingelegte Berufung ist erfolglos geblieben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision hält der Kläger an seinem obigen Antrag fest.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung, wobei der Senat von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht hat.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung - kurz zusammengefaßt - wie folgt begründet: Die allein noch im Streit stehende ordentliche Kündigung sei durch Gründe im Verhalten des Klägers bedingt, § 1 Abs. 2 KSchG, und zwar wegen der falschen Angaben des Klägers in den ihm vorgelegten Erklärungsvordrucken. Die Fragen hätten vom Kläger wahrheitsgemäß beantwortet werden müssen; insoweit sei ihm wegen der Falschbeantwortung ein Verschulden vorzuwerfen, zumal sich aus seiner Stellungnahme vom 17. Februar 1996 ergebe, daß ihm bei der Beantwortung der Fragen Inhalt und Bedeutung ebenso wie deren Sinn und Zweck bewußt gewesen seien. Die Trennung nach einer Tätigkeit vor und nach Erreichung der Volljährigkeit sei nicht nachzuvollziehen; vielmehr sei angesichts der teilweise erheblichen Denunziationen in den von ihm gefertigten Berichten anzunehmen, daß der Kläger aus Angst vor Konsequenzen für seinen Arbeitsplatz seine Tätigkeit gegenüber seinem Dienstherrn verheimlicht habe.
II. Dem folgt der Senat nicht. Die Revision rügt zutreffend eine Verletzung des § 1 Abs. 2 KSchG und eine Nichtberücksichtigung von unstreitigem Parteivorbringen.
1. Die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Sozialwidrigkeit einer Kündigung ist in der Revisionsinstanz nur beschränkt nachprüfbar; bei der Frage der Sozialwidrigkeit (§ 1 Abs. 2 KSchG) handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, die vom Revisionsgericht nur darauf geprüft werden kann, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen des § 1 KSchG Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es bei der gebotenen Interessenabwägung, bei der dem Tatsachenrichter ein Beurteilungsspielraum zusteht, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob die Entscheidung in sich widerspruchsfrei ist (st. Rspr., vgl. ua. BAG 13. Juni 1996 - 2 AZR 483/95 - BAGE 83, 181, 187 und BAG 4. Dezember 1997 - 2 AZR 750/96 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 37, zu II 2 a der Gründe). Auch diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält das angegriffene Urteil nicht stand.
2. Ob die Tatsache der unstreitigen MfS-Verstrickung des Klägers dessen Kündigung aus personen- oder verhaltensbedingtem Grund iSd. § 1 Abs. 2 KSchG rechtfertigt, haben die Vorinstanzen nicht geprüft. Insoweit liegt auch bisher eine Gegenrüge des Beklagten nicht vor. Gleichwohl kann der Senat diese Frage abschließend entscheiden.
Frühere Handlungen, insbesondere eine Verstrickung in das Stasi-System der DDR vermögen persönliche Ungeeignetheit iSv. § 1 Abs. 2 KSchG nur zu begründen, wenn sie bei Abwägung aller maßgeblichen Umstände, insbesondere der weiteren persönlichen Entwicklung des Arbeitnehmers, ein solch durchschlagendes Gewicht haben, daß sie auch heute noch die Feststellung fehlender Eignung rechtfertigen. Dies ist vorliegend nicht der Fall: Die 25 Jahre vor Ausspruch der Kündigung im damaligen Alter des Klägers von 17 bzw. 18 Jahren gezeigte Fehlleistung kann heute nicht mehr als kennzeichnend für seine Persönlichkeit angesehen werden. Auch als verhaltensbedingter Kündigungsgrund scheidet die MfS-Verstrickung aus, weil sie zum damaligen Zeitpunkt keine Verpflichtungen aus seinem heutigen Vertragsverhältnis an der Universität des beklagten Freistaats verletzen konnte.
3. Soweit das Landesarbeitsgericht einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund in der mehrfachen Falschbeantwortung des Klägers nach der Frage einer Mitarbeit für das MfS gesehen hat, ist zunächst seinem rechtlichen Ausgangspunkt zuzustimmen, daß diese Fragen zulässig waren und vom Kläger wahrheitsgemäß hätten beantwortet werden müssen (st. Rspr., vgl. ua. BVerfG 8. Juli 1997 - 1 BvR 2111/94 - ua. BVerfGE 96, 171; BAG 26. August 1993 - 8 AZR 561/92 - BAGE 74, 120; BAG 13. September 1995 - 2 AZR 862/94 - AP Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX Nr. 53; BAG 13. Juni 1996 - 2 AZR 483/95 - BAGE 83, 181 und zuletzt BAG 29. April 1999 - 2 AZR 470/98 - nv.).
a) Soweit das Landesarbeitsgericht aus der eigenen Stellungnahme des Klägers vom 17. Februar 1996 zu der nach Vorlage des Berichts der Gauck-Behörde ersichtlich gewordenen Falschbeantwortung abgeleitet hat, daß ein Verschulden vorliege, da dem Kläger bei der Beantwortung der Frage Inhalt und Bedeutung ebenso bewußt waren wie deren Sinn und Zweck, ist diese Annahme revisionsrechtlich im Grundsatz nicht zu beanstanden; sie ist auch nicht eigentlicher Angriffspunkt der Revision.
Die Revision rügt aber zu Recht, das Landesarbeitsgericht habe nicht ausreichend gewürdigt, daß der Beginn der MfS-Zusammenarbeit einschließlich der Verpflichtungserklärung des Klägers im Alter von 17 Jahren erfolgte, als er noch minderjährig war, und nur kurze Zeit - nämlich sieben Monate - nach dem 18. Geburtstag beendet war, und zwar noch innerhalb der Schulzeit des Klägers an der EOS. Letzterer Gesichtspunkt findet in der Würdigung des Landesarbeitsgerichts keinerlei Berücksichtigung.
b) Dies steht in mehrfacher Hinsicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Senats (BAG 4. Dezember 1997 - 2 AZR 750/96 - AP Nr. 37 aaO; BAG 20. August 1997 - 2 AZR 42/97 - RzK I 5 i Nr. 127 und BAG 13. Juni 1996 - 2 AZR 483/95 -BAGE 83, 181). In der erstgenannten Entscheidung hat der Senat betont (zu II 2 c der Gründe), für die Beurteilung der Frage der Falschbeantwortung seien ua. wesentlich sowohl das jugendliche Alter - die dortige Klägerin war zur Zeit ihrer Berichtstätigkeit ebenfalls gerade 18 Jahre alt - wie auch das Umfeld zu berücksichtigen, in dem diese Tätigkeit stattfand (die dortige Klägerin war Studentin).
aa) Die Revision bemängelt insofern zu Recht, das Berufungsgericht nehme eine isolierte Betrachtung der Falschbeantwortung vor, ohne ausreichend auf zugrundeliegende Umstände einzugehen. In der Tat widmet das Landesarbeitsgericht dem jugendlichen Alter des Klägers ebensowenig Beachtung, wie dem Inhalt der Berichte; insoweit ist nur von "teilweise erheblichen Denunziationen" die Rede.
Was zunächst das jugendliche Alter des Klägers angeht, weist dieser zu Recht auf die Vorschriften des § 20 Abs. 1 Nr. 6, § 21 Abs. 1 Nr. 6 Stasiunterlagengesetz vom 20. Dezember 1991 (BGBl. I S 2272) - StUG - hin, wonach die Überprüfung von Personen im öffentlichen Dienst sich nicht auf Tätigkeiten für das MfS vor Vollendung des 18. Lebensjahres erstreckt. Diese Einschränkung war im ursprünglichen Gesetzentwurf der Bundesregierung - dort zu § 16 - nicht enthalten (vgl. BT-Drucks. 12/1093 S 10). Sie ist erst gem. dem Beschluß des Innenausschusses (BT-Drucks. 12/1540 S 22 f., 60) mit der Begründung aufgenommen worden, es sei eine Sonderregelung für "Jugendsünden" angebracht. An dieser gesetzgeberischen Intention können die Gerichte nicht achtlos vorbeigehen. Mögen die vorliegenden Berichte auch aus dem Zeitraum stammen, als der Kläger gerade volljährig war, so darf nicht unberücksichtigt bleiben, daß die Anbahnung des Kontaktes zum MfS und wohl auch die ersten Berichte noch aus dem Zeitraum stammen, der später nach dem StUG nicht mehr relevant sein sollte (vgl. dazu auch BVerfG 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 - BVerfGE 39, 334 f.; OVG Greifswald 8. Februar 1994 - 2 M 70/93 - LKV 1994, 448, 449).
bb) Nach der zitierten Rechtsprechung des Senats kommt es aber weiter für die Rechtfertigung einer auf Falschbeantwortung der Fragen nach einer Tätigkeit für das MfS gestützten verhaltensbedingten Kündigung auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalles an, ua. auch darauf, wie lange die Tätigkeit für das MfS zurückliegt und wie schwerwiegend sie war (ebenso BVerfG 8. Juli 1997 aaO). Das Landesarbeitsgericht hätte daher sowohl inhaltlich auf die Berichtstätigkeit des Klägers näher eingehen müssen, wobei der Verweis auf das Vorinstanzurteil wenig behilflich ist, weil dieses jedenfalls im Rahmen der Beurteilung der ordentlichen Kündigung seinerseits nicht weiter auf die Berichtstätigkeit eingeht - der Senat verhehlt dabei nicht, daß er die Berichte nach eigener Lektüre als würdeloses Denunziantentum ansieht -, ebenso wie auch auf die Tatsache, daß die Tätigkeit im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung 25 Jahre zurückliegt. Insofern weist das Landesarbeitsgericht in seiner Wiedergabe der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zwar darauf hin, längere beanstandungsfreie Zeiträume könnten auf Bewährung, innere Distanz, Abkehr von früheren Einstellungen und Taten hinweisen, ohne dies bezogen auf den Fall des Klägers zu erörtern.
cc) Dazu bestand um so mehr Veranlassung, als der Kläger - was unbestritten geblieben ist - vorgetragen hatte, einem erneuten Anwerbeversuch der Stasi während seiner NVA-Zeit 1974 habe er sich widersetzt; immerhin war nach dem Inhalt der Abverfügung der Stasi vom 23. November 1972 vorgesehen, nach der Entlassung des Klägers aus dem Wehrdienst die Perspektive einer weiteren Zusammenarbeit zu prüfen. Ersichtlich hat das für das MfS beim Kläger nicht zum Erfolg geführt. Außerdem hatte der Kläger behauptet, er sei nie Mitglied der SED, noch Funktionsträger in FDJ, FDGB, DSF oder in ähnlichen Institutionen gewesen. Dies alles könnte in der Tat auf eine schon lange Jahre zurückliegende Abkehr und Distanz von dem damals in der DDR herrschenden Überwachungssystem schließen lassen, was die Falschbeantwortung auf dem Hintergrund einer möglicherweise verdrängten "Jugendsünde" in milderem Licht erscheinen lassen könnte. Dazu steht allerdings in einem gewissen Widerspruch, daß der Kläger in der Revisionsinstanz hat vortragen lassen, er habe jene Episode über all die Jahre in seinem Innersten verborgen; es sei ein Geheimnis gewesen, welches er in den Folgejahren zu überlagern, zu kompensieren und zu korrigieren gesucht habe.
dd) Ferner hat das Landesarbeitsgericht den Sachvortrag des Klägers bisher nicht berücksichtigt, im Gegensatz zu dem Eindruck, den der Bericht des Stasi-Offiziers vom 15. März 1971 erwecke, wonach der Kontakt wegen einer Versetzung des Offiziers abgebrochen worden sei, habe er von sich aus die weitere Zusammenarbeit abgelehnt. Dafür könnte in der Tat sprechen, daß noch nach dem Vermerk des Offiziers vom 4. März 1971 ein Treff in der konspirativen Wohnung "K " für den 17. März 1971, 12.45 Uhr geplant war, zu dem es dann nach dem letzten Bericht des Klägers vom 14. März 1971 nicht mehr gekommen ist. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß der bisherige Führungsoffizier keine Möglichkeit gesehen hat, diesen Termin noch selbst wahrzunehmen bzw. den Kläger an eine andere Führungsperson weiterzureichen. Hat sich der Kläger seinerseits vom MfS losgesagt, und zwar zu einem so frühen Zeitpunkt, so wäre auch dies bei der Feststellung des Grads des Verschuldens bei der Falschbeantwortung zu berücksichtigen.
ee) Der Kläger hat sich schließlich auf die Beurteilung vom 12. März 1997 berufen, die das Landesarbeitsgericht zwar in seinem Tatbestand erwähnt, auf die es jedoch in den Entscheidungsgründen nicht eingeht. In der Beurteilung heißt es am Schluß, die Mitarbeiter hätten den Kläger "als ehrlichen, offenen und hilfsbereiten Kollegen schätzen gelernt". Wenn dabei auch ausgeklammert wird, ob dies auch für den Dienstherrn gilt, so hinterläßt doch die Beurteilung insgesamt einen Eindruck ("äußerst gewissenhaft und zuverlässig", "viel Eigeninitiative und wertvolle Ideen", "bedauere das Ausscheiden"), mit dem die Argumentation des Beklagten, das Vertrauensverhältnis zum Kläger sei völlig gestört, kaum zu vereinbaren ist. Das Bundesarbeitsgericht hat in einem ähnlich gelagerten Fall zur Mankohaftung bei gleichzeitig erteiltem positiven Zeugnis entschieden (BAG 8. Februar 1972 - 1 AZR 189/71 - BAGE 34, 112), Zeugnisse hätten für den Arbeitnehmer auch die Bedeutung, daß sie für ihn Maßstab dafür seien, wie der Arbeitgeber seine Leistungen und Führung beurteile; daraus folge, daß der Arbeitgeber sich mangels entgegenstehender Vorbehalte an der Beurteilung, die er dem Arbeitnehmer habe zukommen lassen, auch diesem gegenüber festhalten lassen müsse. In diesem Zusammenhang wird weiter ausgeführt, mit dem Wort "gewissenhaft" werde einem Arbeitnehmer bestätigt, daß er sich in jeder Hinsicht entsprechend den seinem Arbeitgeber gegenüber obliegenden Sorgfaltspflichten verhalten habe. Ob der Kläger sich vorliegend hierauf mit Erfolg berufen kann, muß der abschließenden Entscheidung des Landesarbeitsgerichts überlassen bleiben, zumal die Umstände der Erteilung der in Rede stehenden Beurteilung von den Parteien bisher nicht vorgetragen sind; der Beklagte hat sich ausweislich der Akten dazu bisher überhaupt nicht erklärt. Es ist auch nicht ersichtlich, ob es sich dabei überhaupt um ein offizielles Zeugnis des Beklagten iSd. § 630 BGB handelt.
Unabhängig davon ist es auch nicht unerheblich, in die Betrachtungsweise einzubeziehen, wie sich das Arbeitsverhältnis seit der mehrfachen Falschbeantwortung bis zur Kündigung entwickelt hat und ob angesichts eventuell entlastender Umstände ggf. eine Abmahnung des Klägers als mildere Maßnahme ausgereicht hätte, was das Arbeitsgericht erwogen hat und was das Berufungsgericht im Lichte der vorstehenden Ausführungen des Senats erneut zu prüfen haben wird (vgl. dazu BVerfG 21. Februar 1995 - 1 BvR 1397/93 - AP Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX Nr. 44, zu C I 3 der Gründe und BAG 13. Juni 1996 - 2 AZR 483/95 - AP KSchG 1969 § 1 Nr. 33, zu II 2 b bb der Gründe). Eine eventuelle Bewährung des Klägers wäre im Rahmen der Interessenabwägung zu seinen Gunsten zu berücksichtigen (BAG 13. Juni 1996 aaO; vgl. ferner BAG 24. April 1999 - 2 AZR 470/98 - nv., zu II 2 d der Gründe).
4. Dagegen kann der Kläger sich nicht mit Erfolg auf eine angebliche Ungleichbehandlung gegenüber den Mitarbeitern berufen, bei denen aufgrund § 19 Abs. 1 StUG idF. des Dritten Gesetzes zur Änderung des StUG vom 20. Dezember 1996 (BGBl. I S 2026) Auskünfte nicht mehr zu erteilen sind, wenn die IM-Tätigkeit für das MfS vor dem 1. Januar 1976 lag. Dies gilt schon deshalb, weil die Neuregelung zur Zeit der Kündigung des Klägers noch nicht galt. Nach Art. 3 des 3. StUG ist nämlich Art. 1 Nr. 3 mit der in Rede stehenden begrenzten Auskunftspflicht erst am 1. August 1998, also weit nach dem Kündigungszeitpunkt, auf den allein abzustellen ist, in Kraft getreten.
Etzel
Bitter FischeThelen
Fischer
Fundstellen