Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückzahlung überzahlter Vergütung im öffentlichen Dienst
Orientierungssatz
Die Berufung auf die tarifliche Ausschlußfrist ist dann als treuwidrig anzusehen, wenn eine Vertragspartei den Vertragspartner durch aktives Handeln von der Einhaltung der Ausschlußfrist abhält oder wenn sie es pflichtwidrig unterläßt, diese Umstände mitzuteilen, die ihn zur Einhaltung der Ausschlußfrist veranlassen können.
Normenkette
BGB §§ 242, 387, 389, 611; BAT § 70 Abs. 2; BGB § 812 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG Berlin (Entscheidung vom 31.01.1984; Aktenzeichen 3 Sa 95/83) |
ArbG Berlin (Entscheidung vom 22.06.1983; Aktenzeichen 22 Ca 25/83) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob das beklagte Land den an die Klägerin zuviel gezahlten Ortszuschlag im Wege der Aufrechnung von den laufenden Bezügen der Klägerin einbehalten konnte.
Die Klägerin war vom 2. Oktober 1967 bis zum 19. April 1983 bei dem beklagten Land im Bezirksamt K als Kinderpflegerin angestellt. Auf das Arbeitsverhältnis fand kraft Vereinbarung der Bundes-Angestelltentarifvertrag Anwendung. Die Klägerin heiratete am 5. Juli 1968 Herrn W W. Im Zusammenhang mit dem Bezug des Ortszuschlags legte die Klägerin der personalaktenführenden Stelle eine Heiratsurkunde vor; diese fertigte hiervon eine Kopie und nahm sie zu den Personalakten.
Mit Schreiben vom 17. März 1976 übersandte die personalaktenführende Stelle der Klägerin eine von dieser auszufüllende Erklärung zum Ortszuschlag und anderen Zuschlägen für die Zeit ab 1. Januar 1976. Gleichzeitig wurde darauf hingewiesen, daß der Ortszuschlag unter Vorbehalt gezahlt werde. Die Klägerin füllte den Vordruck ihrem damaligen Familienstand entsprechend aus und unterschrieb dabei folgende am Ende des Vordrucks befindliche Erklärung:
"Ich versichere, daß meine Angaben vollständig
und richtig sind. Mir ist bekannt, daß ich
verpflichtet bin, jede in den vorstehend dar-
gelegten Verhältnissen eingetretene Änderung
der personalaktenführenden Stelle sofort anzu-
zeigen, und daß ich alle Bezüge, die ich in-
folge unterlassener, verspäteter oder fehler-
hafter Meldung zuviel erhalten habe, zurück-
zahlen muß".
Die Ehe der Klägerin mit Herrn W wurde am 9. Dezember 1976 geschieden. Die Klägerin forderte daraufhin von der Gehaltsstelle ihre Lohnsteuerkarte an und reichte sie dort im Januar 1977 nach entsprechender Änderung der Lohnsteuerklasse IV auf die Lohnsteuerklasse I wieder ein. Die personalaktenführende Stelle erhält von der Gehaltsstelle in jährlichen Abständen eine Gehaltsabrechnung zur Überprüfung. Diese Überprüfung erstreckt sich nur auf die Daten, die auch aus den Personalakten zu entnehmen sind. Die Daten der Lohnsteuerklasse fallen nicht hierunter.
Am 4. Dezember 1981 heiratete die Klägerin ihren jetzigen Ehemann. Wie bereits bei ihrer ersten Eheschließung legte sie der personalaktenführenden Stelle eine Heiratsurkunde vor. Die personalaktenführende Stelle forderte daraufhin von der Klägerin das Scheidungsurteil an. Die in den Personalakten der Klägerin enthaltene Fotokopie des Scheidungsurteils ist von der personalaktenführenden Stelle gefertigt; die Übereinstimmung der Fotokopie mit dem Original ist unter dem 16. Dezember 1981 bestätigt.
Die Klägerin erhielt in der Zeit vom 1. Januar 1977 bis einschließlich 30. November 1981 den Ortszuschlag für Verheiratete, der ihr im Hinblick auf ihre Scheidung in dieser Zeit nicht zustand. Die Überzahlung beträgt unstreitig 5.649,42 DM. Das beklagte Land forderte diesen Betrag mit Schreiben vom 18. Dezember 1981 und 16. Februar 1982 zurück und behielt im Wege der Aufrechnung unter Beachtung der Pfändungsfreigrenzen in der Zeit von März 1982 bis einschließlich März 1983 von dem Gehalt der Klägerin 3.140,40 DM ein.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin von dem beklagten Land Auszahlung des Betrages von 3.140,40 DM nebst Zinsen begehrt und die Auffassung vertreten, dem beklagten Land stehe ein Anspruch auf Rückzahlung des überzahlten Ortszuschlages nicht zu. Die Klägerin hat vorgetragen, sie habe am 14. Januar 1977 eine Kopie des Tenors des Scheidungsurteils nicht nur bei der Lohn- und Gehaltsstelle, sondern auch bei der personalaktenführenden Stelle vorgelegt. Die Überzahlung sei ihr nicht bewußt gewesen. Das Geld habe sie für ihren Lebensunterhalt verbraucht. Im übrigen sei ein etwaiger Rückzahlungsanspruch gemäß § 70 Abs. 2 BAT verfallen.
Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat bestritten, daß die Klägerin der gehaltszahlenden Stelle bereits im Januar 1977 von der Ehescheidung Mitteilung gemacht und dabei auch die Kopie des Scheidungsurteils vorgelegt habe. Das beklagte Land hat die Auffassung vertreten, die Ausschlußfrist des § 70 BAT stehe dem Rückzahlungsbegehren nicht entgegen. Da die Klägerin die Änderung in ihrem Personenstand der zuständigen Stelle nicht angezeigt habe, sei es rechtsmißbräuchlich, wenn sie sich auf den Beginn des Laufs der Ausschlußfrist vor Bekanntwerden der Scheidung bei der personalaktenführenden Stelle berufe.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des beklagten Landes hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageanspruch weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Der Klägerin steht gegen das beklagte Land ein Vergütungsanspruch (§ 611 Abs. 1 BGB) nicht mehr zu. Die Gehaltsforderungen der Klägerin sind in Höhe des mit der Klage geltend gemachten Betrages durch Aufrechnung des beklagten Landes erloschen (§§ 387, 388, 389 BGB).
I. 1. Dem beklagten Land stand nach den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung ein Anspruch auf Rückerstattung des an die Klägerin zuviel gezahlten Ortszuschlages in der unstreitigen Höhe von 5.649,42 DM zu. Die Klägerin hatte in der Zeit vom 1. Januar 1977 bis einschließlich 30. November 1981 im Hinblick auf ihre Scheidung keinen Anspruch auf den Ehegattenanteil des Ortszuschlags. Die Überzahlung erfolgte somit ohne rechtlichen Grund (§ 812 Abs. 1 BGB).
2. Auf den Wegfall der Bereicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) kann die Klägerin sich nicht berufen.
a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, ein Wegfall der Bereicherung nach § 818 Abs. 3 BGB scheide aus, weil sich die Klägerin in der von ihr unterschriebenen Erklärung vom 9. April 1976 ausdrücklich zur Rückzahlung überzahlter Vergütung verpflichtet habe. Außerdem greife die verschärfte Haftung des § 819 Abs. 1 BGB ein, da die Klägerin es unterlassen habe, die Scheidung bei der personalaktenführenden Stelle des beklagten Landes anzuzeigen und dadurch die Überzahlung herbeigeführt habe. Weiterhin greife auch die verschärfte Haftung nach § 820 Abs. 1 BGB ein, da der Ortszuschlag unter dem Vorbehalt gezahlt worden sei, daß die objektiven Voraussetzungen dafür auch vorliegen.
b) Auf diese Ausführungen und die von der Revision dagegen erhobenen rechtlichen Bedenken kommt es nicht an. Denn die Klägerin hat einen Wegfall der Bereicherung nicht substantiiert dargelegt. Sie hat lediglich vorgetragen, sie habe den überzahlten Betrag für ihren täglichen Lebensunterhalt mit verbraucht. Hieraus läßt sich entnehmen, daß die Klägerin durch die Verwendung des zuviel gezahlten Ortszuschlags Ausgaben gespart hat, die sie notwendigerweise auch sonst gehabt hätte (vgl. BAG Urteil vom 25. August 1977 - 3 AZR 705/77 - AP Nr. 1 zu § 54 BMT-G II; Palandt/-Thomas, BGB, 44. Aufl., § 818 Anm. 6 B). Nur wenn die Überzahlung für außergewöhnliche Dinge verwendet wird (Luxusausgaben), die der Empfänger sich sonst nicht verschafft hätte, ist die Bereicherung weggefallen (vgl. hinsichtlich überzahlter Bezüge BGH MDR 1959, 109).
II. Da der Rückerstattungsanspruch hinsichtlich des zuviel gezahlten Ortszuschlags bereits aus ungerechtfertigter Bereicherung begründet ist, kommt es nicht mehr darauf an, ob der Anspruch sich auch aus dem Arbeitsvertrag ergibt, wie das Landesarbeitsgericht angenommen hat. Es erübrigt sich daher, auf die entsprechenden Ausführungen in dem angefochtenen Urteil und die hiergegen von der Revision vorgebrachten rechtlichen Bedenken einzugehen.
III. Zu Recht ist das Landesarbeitsgericht auch davon ausgegangen, daß die Klägerin sich gegenüber dem Rückzahlungsanspruch des beklagten Landes nicht auf die Ausschlußfrist des § 70 Abs. 1 BAT berufen kann.
1. Bereicherungsansprüche des öffentlichen Dienstherrn, die durch Vergütungsüberzahlungen entstanden sind, werden grundsätzlich von der Ausschlußfrist des § 70 Abs. 2 BAT erfaßt (BAG Urteil vom 26. April 1978 - 5 AZR 62/77 - AP Nr. 64 zu § 4 TVG Ausschlußfristen). Für sie galt bis zum 31. Dezember 1979 die Drei-Monats-Frist, ab 1. Januar 1980 gilt die Sechs-Monats-Frist des § 70 Abs. 2 BAT (BAG Urteile vom 28. Februar 1979 - 5 AZR 728/77 - und vom 11. Juni 1980 - 4 AZR 443/78 - AP Nr. 6 und 7 zu § 70 BAT). Die Ausschlußfrist beginnt mit der Fälligkeit. Rückzahlungsansprüche werden mit der Überzahlung fällig. Da die Vergütung nach § 36 Abs. 1 Satz 1 BAT am 15. eines jeden Monats ausgezahlt wird, beginnt die Ausschlußfrist jeweils mit der am 15. des Monats erfolgten Überzahlung. Eine etwaige Unkenntnis des Dienstherrn von dem Rückzahlungsanspruch steht dem nicht entgegen (vgl. BAG Urteil vom 26. April 1978 - 5 AZR 62/77 - AP Nr. 64 zu § 4 TVG Ausschlußfristen und vom 30. September 1970 - 1 AZR 535/79 - AP Nr. 2 zu § 70 BAT).
Da das beklagte Land seine Ansprüche auf Rückzahlung der Überzahlung für die gesamte Zeit vom 1. Januar 1977 bis zum 30. November 1981 erstmals mit Schreiben vom 18. Dezember 1981 geltend gemacht hat, wären die Überzahlungen bis einschließlich Juli 1981 nach § 70 Abs. 2 BAT verfallen.
2. Der Klägerin ist es jedoch nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf die Ausschlußfrist des § 70 BAT zu berufen.
Der das gesamte Privatrecht beherrschende Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) gilt auch bei der Anwendung tariflicher Ausschlußfristen (BAG Urteil vom 28. Februar 1979 - 5 AZR 728/77 - AP Nr. 6 zu § 70 BAT, zu II der Gründe; BAG Urteil vom 3. Dezember 1970 - 5 AZR 208/70 - AP Nr. 46 zu § 4 TVG Ausschlußfristen; Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 4 Rz 404 ff.). Zweck der tariflichen Ausschlußfrist ist es, alsbald Klarheit darüber zu schaffen, ob noch Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis bestehen. Die Berufung auf die tarifliche Ausschlußfrist ist dann als treuwidrig anzusehen, wenn eine Vertragspartei den Vertragspartner durch aktives Handeln von der Einhaltung der Ausschlußfrist abhält oder wenn sie es pflichtwidrig unterläßt, diesem Umstände mitzuteilen, die ihn zur Einhaltung der Ausschlußfrist veranlassen können (so BAG Urteil vom 11. Juni 1980 - 4 AZR 443/78 - AP Nr. 7 zu § 70 BAT).
3. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat die Klägerin es treuwidrig unterlassen, die Änderung in ihrem Familienstand anzuzeigen. Entgegen der vom angefochtenen Urteil vertretenen Auffassung kommt es nicht darauf an, ob die Klägerin sich vertraglich verpflichtet hatte, jede Änderung in ihrem Familienstand anzuzeigen. Die Klägerin ist bereits aus der ihr obliegenden Treuepflicht gegenüber ihrem Arbeitgeber gehalten, ihm die tatsächlichen Angaben wahrheitsgemäß zu machen, die für die Berechnung ihres Gehaltes notwendig sind (BAG Urteil vom 31. März 1960 - 5 AZR 441/57 - BAG 9, 137 = AP Nr. 5 zu § 394 BGB). Das Landesarbeitsgericht hat es als bewiesen angesehen, daß die Klägerin das Scheidungsurteil bei der personalaktenführenden Stelle nicht vorgelegt und dort ihre Ehescheidung auch nicht mitgeteilt hat. Von der am 9. Dezember 1976 erfolgten Scheidung hat die personalaktenführende Stelle erst erfahren, als die Klägerin dort ihre erneute Eheschließung vom 4. Dezember 1981 anzeigte.
Die Klägerin hat zwar im Januar 1977 bei der Gehaltsstelle ihre Lohnsteuerkarte angefordert und diese nach entsprechender Änderung des Familienstandes dort wieder eingereicht. Die Gehaltsstelle hat jedoch nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts lediglich die steuer- und versicherungsrechtlichen Abzüge vorzunehmen; die personalaktenführende Stelle setzt das Bruttogehalt fest und die Gehaltsstelle errechnet hieraus den auszuzahlenden Nettobetrag. Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, daß die Gehaltsabrechnungsbögen von der personalaktenführenden Stelle jährlich überprüft und mit den Daten der Personalakten verglichen werden. Diese Überprüfung bezieht sich nur auf die optisch gekennzeichneten Felder und nur auf die Daten, die auch aus den Personalakten zu entnehmen sind. Die Daten der Lohnsteuerklasse fallen nicht hierunter, so daß eine Änderung im Familienstand bei dieser Überprüfung nicht zu erkennen ist.
Dr. Gehring Michels-Holl Schneider
Schumacher Krebs
Fundstellen