Entscheidungsstichwort (Thema)
Teilnahme an Gerichtsverhandlung als Betriebsratstätigkeit?
Leitsatz (redaktionell)
Auch für ein freigestelltes Betriebsratsmitglied ist die Teilnahme als Zuhörer an einer Gerichtsverhandlung über eine Änderungskündigung nach ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats regelmäßig keine erforderliche Betriebsratstätigkeit.
Verfahrensgang
LAG Hamburg (Entscheidung vom 10.02.1981; Aktenzeichen 1 Sa 37/80) |
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 06.05.1980; Aktenzeichen 15 Ca 80/80) |
Tatbestand
Der Kläger ist freigestellter Vorsitzender des bei der Beklagten bestehenden Betriebsrats. Aufgrund eines Betriebsratsbeschlusses nahm der Kläger am 7. November 1979 an einer Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht Hamburg über eine Kündigungsschutzklage eines Arbeitnehmers der Beklagten gegen eine Änderungskündigung teil. Die Beklagte hatte zuvor hierüber mit dem Betriebsrat verhandelt. Die Beklagte zog von den November-Bezügen des Klägers 31,42 DM brutto ab, den Lohn für zwei Stunden.
Der Kläger hat vorgetragen, der betroffene Arbeitnehmer habe auf einen schlechter entlohnten Arbeitsplatz der Lohngruppe VI in der Bohrerei versetzt werden sollen, der nicht seiner beruflichen Qualifikation entsprochen habe. Er habe aber "auf dem Gnadenwege" in Lohngruppe VII eingruppiert werden sollen. Eine weitere Herabgruppierung sei jedoch nicht ausgeschlossen gewesen. Der Arbeitnehmer habe durch einen vom Landesarbeitsgericht angeregten Vergleich doch noch einen seiner Qualifikation entsprechenden Arbeitsplatz bekommen. Ohne Mithilfe des Klägers wäre eine sachgerechte Lösung nicht möglich gewesen. Schließlich habe der Arbeitnehmer den Betriebsrat auch darum gebeten, ihn durch die Anwesenheit eines Mitglieds in der Verhandlung zu unterstützen, da er in äußerst schlechter körperlicher und seelischer Verfassung gewesen sei. Der Betriebsrat könne einen Kollegen im entscheidenden Augenblick nicht allein lassen. Insgesamt sei die Prozeßbeobachtung durch den Betriebsratsvorsitzenden erforderlich gewesen, da es sich bei dem Rechtsstreit um eine Angelegenheit von allgemeiner Bedeutung für die Ordnung des Betriebes gehandelt habe.
Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 31,42 DM brutto nebst Zinsen zu zahlen. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Sie hat vorgetragen, der Betriebsrat sei im Rahmen seiner Beteiligung nach § 102 BetrVG im Kündigungsverfahren informiert gewesen. Ein darüber hinausgehendes Informationsbedürfnis sei mangels zu erwartender neuer und wesentlicher Informationen im Kündigungsschutzprozeß nicht anzuerkennen.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter. Der Kläger bittet, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidungen und zur Abweisung der Klage. Die Teilnahme eines Betriebsratsmitglieds als Zuhörer an einer Gerichtsverhandlung über eine Kündigungsschutzklage eines Arbeitnehmers des Betriebes ist zur ordnungsgemäßen Durchführung der Aufgaben des Betriebsrats nicht erforderlich. Das gilt auch für freigestellte Betriebsratsmitglieder.
1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, auch ein nach § 38 BetrVG von der Arbeit freigestelltes Betriebsratsmitglied habe nur dann Anspruch auf Zahlung seines Arbeitsentgelts, wenn es Aufgaben des Betriebsrats erledige. Hierzu könne auch die Teilnahme an einer Gerichtsverhandlung gehören, wenn es sich um einen Rechtsstreit von grundsätzlicher Bedeutung für die Tätigkeit des Betriebsrats handele. Dieser müsse in der Lage sein, sich eigene, unmittelbare Informationen über den Rechtsstreit zu verschaffen. Deshalb habe hier ein Teilnahmerecht an dem Rechtsstreit des Betriebsangehörigen gegen die Beklagte bestanden.
2. Dem Landesarbeitsgericht ist darin zuzustimmen, daß auch ein gemäß § 38 BetrVG von der Arbeit freigestelltes Betriebsratsmitglied nur dann Anspruch auf Fortzahlung seines Arbeitsentgelts für die Zeit seiner Teilnahme an einer Gerichtsverhandlung hat, wenn es Betriebsratstätigkeit ausübt. Unterschiedliche Auffassungen wegen der Erforderlichkeit der Tätigkeit von freigestellten und nicht freigestellten Betriebsratsmitgliedern können aus § 38 BetrVG nicht hergeleitet werden. Inhalt dieser Vorschrift ist es, Streitigkeiten zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber über den Umfang der notwendigen Arbeitsbefreiung zu vermeiden (vgl. Begründung zum Reg. Entwurf, BT-Drucksache VI/1786 S. 41). Das Betriebsverfassungsgesetz geht dabei davon aus, daß bei einer bestimmten Betriebsgröße die in § 38 BetrVG festgelegte Mindestzahl von Freistellungen erforderlich ist, damit die Betriebsratstätigkeit ordnungsgemäß durchgeführt werden kann. Damit enthält § 38 BetrVG keine den § 37 Abs. 2 BetrVG verdrängende Sonderregelung, sondern pauschaliert lediglich den Anspruch des Betriebsrats auf Freistellung von Betriebsratsmitgliedern von ihrer beruflichen Tätigkeit, ohne daß jeweils der Nachweis geführt werden muß, daß sie nach Größe und Art des Betriebes zur ordnungsgemäßen Durchführung der Betriebsratstätigkeit notwendig ist. Es besteht vielmehr für freigestellte Betriebsratsmitglieder eine gesetzliche Vermutung dafür, daß sie ausschließlich Betriebsratstätigkeit ausüben oder sich zumindest hierzu bereithalten, während andere Betriebsratsmitglieder, auch bei Betriebsratstätigkeit im Betrieb, sich jeweils abzumelden haben unter stichwortartiger Angabe der beabsichtigten Tätigkeit (BAG Urteil vom 19. Juni 1979 - 6 AZR 638/77 -, AP Nr. 36 zu § 37 BetrVG 1972). Im übrigen enthält aber § 37 Abs. 2 BetrVG die Grundregel für die Entgeltfortzahlung, nach der sowohl freigestellte wie auch nicht freigestellte Betriebsratsmitglieder zu behandeln sind. Denn die generelle Freistellung von der beruflichen Tätigkeit gemäß § 38 BetrVG dient demselben Zwecke wie die zeitweilige Arbeitsbefreiung gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG. Beide Freistellungen sollen ausschließlich die sachgerechte Wahrnehmung der dem Betriebsrat obliegenden Aufgaben sicherstellen (vgl. BAG 25, 204, 212 = AP Nr. 2 zu § 38 BetrVG 1972 mit Anm. von Richardi; BAG Beschluß vom 9. Oktober 1973 - 1 ABR 29/73 - AP Nr. 3 zu § 38 BetrVG 1972 mit Anm. von Buchner; BAG Beschluß vom 2. April 1974 - 1 ABR 43/73 - AP Nr. 10 zu § 37 BetrVG 1972; BAG Urteil vom 21. Juli 1978 - 6 AZR 561/75 - AP Nr. 4 zu § 38 BetrVG 1972).
3. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts stellt aber die Teilnahme des Klägers als Vorsitzender des Betriebsrats an der Gerichtsverhandlung über die Änderungskündigung keine Betriebsratstätigkeit dar. Damit ist die Vermutung, der Kläger habe Betriebsratstätigkeit ausgeübt, widerlegt.
Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Teilnahme an einer Gerichtsverhandlung als Zuhörer als Betriebsratstätigkeit anzusehen ist, ist umstritten. Nach einer weitergehenden Ansicht ist der Betriebsrat zur Entsendung eines Betriebsratsmitglieds schon berechtigt, wenn es sich um einen grundsätzlichen Rechtsstreit von allgemeiner Bedeutung über eine für die Arbeit des Betriebsrats wesentliche Frage handelt (LAG Bremen, DB 1964, 1302; ArbG Hamburg, DB 1979, 111; ArbG Frankfurt, DB 1980, 886; Fitting/Auffarth/Kaiser, BetrVG, 13. Aufl., § 37 Rz 20; Gnade/Kehrmann/Schneider/Blanke, BetrVG, 2. Aufl., § 37 Rz 14; Leisten, ArbuR 1981, 168, 171). Dies wird u.a. mit dem Informationsbedürfnis des Betriebsrats begründet. Andererseits soll ein Betriebsratsmitglied selbst dann nicht als Zuhörer an einem Termin in einem Kündigungsrechtsstreit eines Betriebsangehörigen teilnehmen können, wenn der Rechtsstreit von allgemeiner Bedeutung für die Ordnung des Betriebes ist (Dietz/ Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 37 Rz 16; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 37 Rz 23; GK-Wiese, BetrVG, § 37 Rz 10; Frohner, BlStSozArbR 1979, 65, 66; Kammann/Hess/Schlochauer, BetrVG, § 37 Rz 25). Dieser Ansicht stimmt der erkennende Senat für den vorliegenden Fall aus folgenden Gründen zu:
a) Die Frage, ob die Teilnahme an einer Gerichtsverhandlung Betriebsratstätigkeit ist, läßt sich nicht generell beantworten. Sie ist zu bejahen, wenn der Betriebsrat selbst Beteiligter eines Beschlußverfahrens ist (LAG Düsseldorf, DB 1975, 651; Dietz/Richardi, aa0, § 37 Rz 16; Kammann/Hess/Schlochauer, aa0, § 37 Rz 25; Galperin/Löwisch, aa0, § 37 Rz 23; Fitting/Auffarth/Kaiser, aa0, § 37 Rz 20; GK-Wiese, aa0, § 37 Rz 10; Leisten, ArbuR 1981, 168, 170; Frohner, aa0). Nicht zu den Aufgaben des Betriebsrats kraft Amtes gehört es dagegen, einen Arbeitnehmer vor Gericht zu vertreten, weil dies im Betriebsverfassungsgesetz nicht vorgesehen ist (BAG 22, 448, 457 = AP Nr. 4 zu § 63 BetrVG). Aus dem gleichen Grund gehört es nicht zu den Amtsobliegenheiten eines Betriebsratsmitglieds, durch seine Anwesenheit in der Gerichtsverhandlung einen Betriebsangehörigen zu unterstützen, selbst wenn dieser darum gebeten hat. Der Betriebsrat hat nicht für die Wahrnehmung der arbeitsvertraglichen Rechte der einzelnen Arbeitnehmer zu sorgen, soweit dies nicht gesetzlich vorgesehen ist. Die Vorschriften der § 82 Abs. 2 Satz 2, § 83 Abs. 1 Satz 2, § 84 Abs. 1 Satz 2 BetrVG über Mitwirkungs- und Beschwerderechte des Arbeitnehmers im Betrieb sind auf gerichtliche Verfahren zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber nicht übertragbar (vgl. § 85 Abs. 2 Satz 3 BetrVG). Vielmehr betreffen diese Bestimmungen persönliche Anliegen der Arbeitnehmer, die innerbetrieblich zu lösen sind.
b) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann der Kläger ein Recht auf Teilnahme an der Gerichtsverhandlung als Betriebsratsmitglied auch nicht aus einem betriebsverfassungsrechtlichen Informationsanspruch herleiten. Zwar hat der Betriebsrat gemäß § 75 Abs. 1 BetrVG darüber zu wachen, daß alle im Betrieb tätigen Personen nach Recht und Billigkeit behandelt werden und § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG macht ihm zur Pflicht, darüber zu wachen, daß die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze, Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen durchgeführt werden. Zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung der Überwachungsaufgaben gewährt § 80 Abs. 2 Satz 1 und 2 erster Halbsatz BetrVG ihm vorbehaltlich weiterer gesetzlicher Beteiligungsrechte ein ausgedehntes und erschöpfendes Informationsrecht gegenüber dem Arbeitgeber (BAG 24, 349 ff. = AP Nr. 1 zu § 80 BetrVG 1972). Damit wird der Betriebsrat grundsätzlich in die Lage versetzt, die ihm gegenüber der Belegschaft obliegende soziale Schutzfunktion zu erfüllen. Darüber hinaus sehen für personelle Einzelmaßnahmen das Beteiligungsverfahren gemäß § 99 BetrVG und das Anhörungsverfahren gemäß § 102 BetrVG umfangreiche Informationsrechte vor Durchführung der personellen Maßnahmen vor, ohne dem Betriebsrat jedoch die Möglichkeit der Teilnahme an einer Gerichtsverhandlung selbst zu eröffnen.
Das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG ist ein in sich abgeschlossenes Verfahren vor Ausspruch einer Kündigung durch den Arbeitgeber, in dem der Betriebsrat vom Arbeitgeber die Kündigungsgründe erfährt (§ 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG) und von Arbeitgeber und Arbeitnehmer (§ 102 Abs. 2 Satz 4 BetrVG) die erforderlichen Informationen zu der beabsichtigten Kündigung bis zu seiner das Anhörungsverfahren beendenden abschließenden Erklärung erhalten kann. Das gilt auch für Änderungskündigungen, bei denen der Betriebsrat auch über das Änderungsangebot zu unterrichten ist (BAG Urteil vom 10. März 1982 - 4 AZR 158/79 - zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung bestimmt). Mit der abschließenden Stellungnahme bzw. dem Widerspruch endet die Beteiligung des Betriebsrats bei einer vom Arbeitgeber beabsichtigten Kündigung. Eine anschließende Kündigungsschutzklage ist zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer auszutragen. Der Betriebsrat ist an ihr nicht mehr beteiligt, sofern nicht einzelne seiner Mitglieder als Zeugen geladen sind. § 102 BetrVG enthält keine § 78 a Abs. 4 Satz 2 BetrVG entsprechende Regelung.
c) Die Darlegungen des Klägers vermögen einen weitergehenden Informationsanspruch auf Teilnahme an der Gerichtsverhandlung über die Änderungskündigung des Arbeitnehmers nicht zu begründen. Dies ergibt sich insbesondere nicht aus innerbetrieblichen Schwierigkeiten im Lohngefüge und daraus zu erwartenden Prozessen, wenn der betroffene Arbeitnehmer im Wege der Änderungskündigung versetzt und in eine Lohngruppe herabgruppiert wird, die immer noch über der dort beschäftigter Arbeitnehmer liegt. Zwar hat der Betriebsrat gem. § 75 Abs. 1 BetrVG darüber zu wachen, daß ungleiche Behandlungen von Arbeitnehmern im Betrieb und sachwidrige Differenzierungen bei den Lohngruppen unterbleiben. Doch hätte er entsprechende Informationen schon gemäß § 80 Abs. 2 BetrVG vom Arbeitgeber verlangen können. Im übrigen konnte der Betriebsrat das Urteil des Landesarbeitsgerichts abwarten. Es ist nichts dafür vorgetragen, daß insoweit eine Information eilbedürftig gewesen sei. Es ist sehr zweifelhaft, ob durch Teilnahme an einzelnen Sitzungen eines Arbeitsgerichts generelle Erkenntnisse für die Betriebsratsarbeit gewonnen werden können. Soweit der Kläger schließlich vorträgt, die in der Verhandlung erörterten Rechtsfragen seien auch wichtig für künftige ähnliche Änderungskündigungen und hilfreich bei regelmäßig anstehenden Versetzungen für die Ausübung der Beteiligungsrechte nach §§ 99 ff. BetrVG, ist darauf hinzuweisen, daß zur Information und Schulung von Betriebsratsmitgliedern über ihre gesetzlichen Aufgaben das Betriebsverfassungsgesetz die Bereitstellung entsprechender sachlicher Mittel (Zeitschrift, Kommentar) gemäß § 40 Abs. 2 BetrVG durch den Arbeitgeber vorsieht (vgl. Beschluß des erkennenden Senats vom 21. April 1983 - 6 ABR 70/82 -, zur Veröffentlichung vorgesehen), sowie die Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen nach § 37 Abs. 6 und 7 BetrVG. Die Teilnahme als Zuhörer an Gerichtsverhandlungen ist dazu im allgemeinen wenig geeignet.
Dr. Auffarth Richter am BAG Dr. Jobs Dr. Leinemann
befindet sich in Urlaub
und ist verhindert zu
unterschreiben
Dr. Auffarth
Fundstellen
BAGE 42, 405-411 (LT1) |
BAGE, 405 |
BB 1984, 532-532 (LT1) |
DB 1983, 2038-2039 (LT1) |
NJW 1983, 2720 |
BetrR 1983, 753-754 (LT1) |
ARST 1983, 165-166 (LT1) |
BlStSozArbR 1984, 4-4 (T) |
JR 1984, 528 |
SAE 1984, 79 |
AP § 37 BetrVG 1972, Nr 44 |
AR-Blattei, Betriebsverfassung X Entsch 52 (LT1) |
AR-Blattei, ES 530.10 Nr 52 (LT1) |
ArbuR 1983, 314 |
EzA § 37 BetrVG 1972, Nr 77 (LT1) |