Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückerstattung überzahlten Ortszuschlags
Orientierungssatz
1. Eine allgemeine Verpflichtung des Arbeitnehmers, die durch den Arbeitgeber erstellte Vergütungsabrechnung zu überprüfen, besteht im Arbeitsrecht nicht.
2. Die Berufung auf eine tarifliche Ausschlußfrist ist dann als treuwidrig anzusehen, wenn eine Vertragspartei den Vertragspartner durch aktives Handeln von der Einhaltung der Ausschlußfrist abhält oder wenn sie es pflichtwidrig unterläßt, dem Vertragspartner Umstände mitzuteilen, die diesen zur Einhaltung der Ausschlußfrist veranlassen können.
Normenkette
TVG § 4; BGB § 242; BAT § 70 Abs. 2
Verfahrensgang
LAG Köln (Entscheidung vom 08.09.1982; Aktenzeichen 7 Sa 492/82) |
ArbG Aachen (Entscheidung vom 02.03.1982; Aktenzeichen 4 Ca 1603/81) |
Tatbestand
Die Klägerin ist seit dem 1. Juli 1971 in der von der Beklagten betriebenen Rheumaklinik Landesbad in Aachen als Büroangestellte tätig. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) in seiner jeweils gültigen Fassung Anwendung. Die Ehe der Klägerin wurde am 26. Mai 1977 rechtskräftig geschieden. Gleichwohl erhielt sie bis August 1980 zu ihrem Grundgehalt den Ortszuschlag für Verheiratete nach der Stufe 2. Der Ehemann der Klägerin hatte auf Unterhalt verzichtet.
Auf einem turnusmäßig an alle Angestellten der Klinik ausgegebenen Vordruck gab die Klägerin unter dem 9. Mai 1980 an, ihre Ehe sei "seit 1976" geschieden. Die Angabe der unrichtigen Jahreszahl beruht nach Angaben der Klägerin auf einem Irrtum. Der Personalsachbearbeiter im Landesbad leitete diesen Vordruck zusammen mit den Erklärungen der übrigen Angestellten am 25. Juli 1980 an die zuständige Dienststelle der Beklagten in Düsseldorf weiter. Von dort wurde die Klägerin mit Schreiben vom 23. September 1980 aufgefordert, einen Auszug aus dem Scheidungsurteil vorzulegen, aus dem sich das Datum der Ehescheidung ergebe. Die Klägerin übergab daraufhin dem Personalsachbearbeiter im Landesbad am 6. Oktober 1980 eine Kopie der ersten Seite des Scheidungsurteils, die auch den Rechtskraftvermerk enthält. Die Kopie wurde am 9. Oktober 1980 an die Zentrale in Düsseldorf weitergeleitet. Mit Schreiben vom 13. Januar 1981, das der Klägerin am 27. Januar 1981 zugegangen ist, forderte die Beklagte den Betrag von 2.267,29 DM für in der Zeit vom 1. Juli 1977 bis 31. August 1980 überzahlten Ortszuschlag zurück.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie sei nicht verpflichtet, den überzahlten Ortszuschlag zurückzuerstatten. Sie habe von sich aus alles Erforderliche getan, um die Beklagte ausreichend über ihre persönlichen Verhältnisse zu unterrichten, so daß die Vergütung korrekt hätte berechnet werden können. Unmittelbar nach der Scheidung habe sie im Juni 1977 dem Personalsachbearbeiter vom Landesbad mitgeteilt, daß sie rechtskräftig geschieden sei und ihn gefragt, ob er das Scheidungsurteil benötige. Der Sachbearbeiter habe ihr erklärt, eine Vorlage des Urteils sei nicht erforderlich. Bei der komplizierten Berechnung ihrer Vergütung sei sie selbst nicht in der Lage gewesen, die Überzahlung zu erkennen. Sie habe das ihr ausgezahlte Gehalt als richtig angesehen und ihre Lebensführung entsprechend eingerichtet. Im übrigen sei ein Rückzahlungsanspruch der Beklagten nach § 70 BAT verfallen.
Die Klägerin hat, soweit in der Revisionsinstanz noch von Bedeutung, beantragt,
festzustellen, daß die Klägerin nicht
verpflichtet ist, der Beklagten eine
Gehaltsüberzahlung von 2.267,29 DM zu-
rückzuerstatten.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat bestritten, daß die Klägerin den Personalsachbearbeiter bereits im Juni 1977 über die Ehescheidung unterrichtet habe. Dies sei erst durch die turnusmäßige Mitteilung der Klägerin vom 9. Mai 1980 geschehen. Damit habe die Klägerin gegen ihre Verpflichtung verstoßen, jede Änderung in ihren persönlichen Verhältnissen, die für die Berechnung der Bezüge maßgeblich sein können, der zuständigen Dienststelle sofort anzuzeigen. Auf die Ausschlußfrist des § 70 BAT könne die Klägerin sich nicht berufen. Diese Frist habe erst mit Eingang der Kopie des Scheidungsurteils in der Zentrale zu laufen begonnen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Die Klägerin ist nicht verpflichtet, den von der Beklagten für die Zeit vom 1. Juli 1977 bis 31. August 1980 zuviel gezahlten Ortszuschlag in der rechnerisch unstreitigen Höhe von 2.267,29 DM an die Beklagte zurückzuerstatten.
I. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Beklagten nach den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung ein Anspruch auf Rückerstattung der an die Klägerin zuviel gezahlten Vergütung zugestanden hat, dieser Anspruch jedoch, soweit er die bis einschließlich 15. Juli 1980 überzahlten Beträge umfaßt, nach § 70 Abs. 2 BAT verfallen ist.
1. Bereicherungsansprüche des öffentlichen Dienstherrn, die durch Vergütungsüberzahlungen entstanden sind, werden von der Ausschlußfrist des § 70 Abs. 2 BAT erfaßt (BAG Urteil vom 26. April 1978 - 5 AZR 62/77 - AP Nr. 64 zu § 4 TVG Ausschlußfristen). Für sie galt daher bis zum 31. Dezember 1979 die Dreimonatsfrist, und ab 1. Januar 1980 die Sechsmonatsfrist des § 70 Abs. 2 BAT (BAG Urteile vom 28. Februar 1979 - 5 AZR 728/77 - und vom 11. Juni 1980 - 4 AZR 443/78 - AP Nr. 6 und 7 zu § 70 BAT). Die Ausschlußfrist beginnt mit der Fälligkeit. Rückzahlungsansprüche werden mit der Überzahlung fällig. Da die Vergütung nach § 36 Abs. 1 Satz 1 BAT am 15. eines jeden Monats ausgezahlt wird, beginnt die Ausschlußfrist jeweils mit der am 15. des Monats erfolgten Überzahlung. Eine etwaige Unkenntnis des Dienstherrn von dem Rückzahlungsanspruch steht dem nicht entgegen (vgl. BAG Urteil vom 26. April 1978 - 5 AZR 62/77 - AP Nr. 64 zu § 4 TVG Ausschlußfristen und vom 30. September 1970 - 1 AZR 535/69 - AP Nr. 2 zu § 70 BAT). Da die Beklagte ihre Ansprüche erstmals mit Schreiben vom 13. Januar 1981 geltend gemacht hat, das bei der Klägerin am 27. Januar 1981 eingegangen ist, sind alle Ansprüche verfallen, die bis zum 15. Juli 1980 fällig geworden waren.
2. Die Frage der Fälligkeit wäre auch dann nicht anders zu beurteilen, wenn der Rückforderungsanspruch der Beklagten sich als Schadenersatzanspruch aus positiver Forderungsverletzung ergäbe, wie die Revision meint. Ein Schadenersatzanspruch wird fällig, wenn er im Bestand feststellbar ist und geltend gemacht werden kann (vgl. BAG Urteil vom 26. Mai 1981 - 3 AZR 269/78 - AP Nr. 71 zu § 4 TVG Ausschlußfristen). Selbst wenn der Beklagten der überzahlte Betrag als Schadenersatzanspruch zustünde - was aus den bisherigen Feststellungen der Tatsacheninstanz nicht entnommen werden kann -, wäre auch dieser Anspruch mit der Kenntnis der Beklagten von der Scheidung fällig geworden. Diese Kenntnis erhielt die Beklagte nicht erst mit der Übergabe des Scheidungsurteils am 6. Oktober 1980, sondern spätestens als dem zuständigen Sachbearbeiter beim Landesbad der von der Klägerin ausgefüllte Erhebungsbogen zugegangen ist. Dies war nach den Feststellungen des Berufungsgerichts spätestens am 25. Juli 1980 der Fall.
3. Die Revision rügt zu Unrecht, das Berufungsgericht habe den Begriff der Fälligkeit in § 70 BAT verkannt. Zwar tritt die "Fälligkeit" im Sinne einer tariflichen Ausschlußfrist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht ohne weiteres schon mit dem Entstehen eines Anspruchs ein; darüber hinaus muß es dem Gläubiger praktisch möglich sein, seinen Anspruch geltend zu machen. Das setzt bei Zahlungsansprüchen voraus, daß sie wenigstens annähernd beziffert werden können (vgl. BAG 31, 236 = AP Nr. 21 zu § 670 BGB). Die Revision meint, ohne Vorlage des Scheidungsurteils hätte die Beklagte nicht erkennen können, daß ihr überhaupt Rückforderungsansprüche an die Klägerin zustünden. Dem kann nicht gefolgt werden. Durch die wahrheitsgemäße Eintragung in dem Erhebungsbogen, worin die Klägerin als Familienstand geschieden angegeben hat, wurde deutlich, daß der Klägerin lediglich der Ortszuschlag nach der Stufe 1 zustand. Unabhängig von dem falsch angegebenen Jahresdatum der Ehescheidung war es der Beklagten bereits in diesem Zeitpunkt möglich, den monatlich zuviel gezahlten Ortszuschlag und damit die Höhe ihres Rückzahlungsanspruches zu errechnen.
II. Der Klägerin ist es nach Treu und Glauben auch nicht verwehrt, sich auf die Ausschlußfrist des § 70 BAT zu berufen.
1. Der das gesamte Privatrecht beherrschende Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) gilt auch bei der Anwendung tariflicher Ausschlußfristen (BAG Urteil vom 28. Februar 1979 - 5 AZR 728/77 - AP Nr. 6 zu § 70 BAT, zu II der Gründe; BAG Urteil vom 3. Dezember 1970 - 5 AZR 208/70 - AP Nr. 46 zu § 4 TVG Ausschlußfristen; Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 4 Rz 404 ff.). Zweck der tariflichen Ausschlußfrist ist es, alsbald Klarheit darüber zu schaffen, ob noch Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis bestehen.
2. Die Berufung auf die tarifliche Ausschlußfrist ist dann als treuwidrig anzusehen, wenn eine Vertragspartei den Vertragspartner durch aktives Handeln von der Einhaltung der Ausschlußfrist abhält oder wenn sie es pflichtwidrig unterläßt, dem Vertragspartner Umstände mitzuteilen, die diesen zur Einhaltung der Ausschlußfrist veranlassen können (so BAG Urteil vom 11. Juni 1980 - 4 AZR 443/78 - AP Nr. 7 zu § 70 BAT). Erkennt ein Arbeitnehmer, daß seinem Arbeitgeber bei der Überweisung der Vergütung ein Irrtum unterlaufen ist, der zu einer erheblichen Überzahlung geführt hat, so ist es in der Regel geboten, dem Arbeitgeber die Überzahlung anzuzeigen (BAG, aaO). Diese Fälle setzen alle voraus, daß der Arbeitnehmer die Überzahlung erkannt hat. So liegt der Fall hier nicht. Das angefochtene Urteil enthält keine Feststellung darüber, daß der Klägerin die Überzahlung des Ortszuschlages bekannt war. Dem Sachverhalt ist auch nicht zu entnehmen, daß die Klägerin die Zuvielzahlung selbst veranlaßt hätte (vgl. dazu BAG Urteil vom 28. Februar 1979 - 5 AZR 728/77 - AP Nr. 6 zu § 70 BAT).
3. Die Klägerin war auch nicht verpflichtet, die Gehaltsabrechnung auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen. Eine allgemeine Verpflichtung des Arbeitnehmers, die durch den Arbeitgeber erstellte Vergütungsabrechnung zu überprüfen, besteht im Arbeitsrecht nicht. Eine solche Verpflichtung, deren Verletzung die Berufung auf die Ausschlußfrist des § 70 BAT als rechtsmißbräuchlich erscheinen lassen könnte, ergibt sich auch nicht aus § 36 Abs. 4 BAT. Nach dieser Vorschrift hat der Angestellte sich von der Höhe des ausgezahlten Betrages sofort zu überzeugen und eine etwaige Nichtübereinstimmung des gezahlten Betrages mit der Abrechnung oder Zahlungsliste sofort zu beanstanden. Durch diese Vorschrift wird jedoch keine arbeitsvertragliche Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Überprüfung seiner Bezüge normiert, es handelt sich vielmehr um eine Ausschlußfrist, die sich auf die Beanstandung des Rechenwerks beschränkt (so BAG Urteil vom 13. Dezember 1955 - 2 AZR 188/54 - AP Nr. 1 zu § 14 TOB, zu 2 der Gründe, für die im ersten Satz mit § 36 Abs. 4 BAT inhaltsgleiche Vorschrift des § 14 TOB; Clemens/Scheuring/Steingen/-Wiese, BAT, Bd. I, § 36 Stand Januar 1984, Rz 5; Crisolli/-Tiedtke, BAT, § 36, Stand November 1980, Anm. 14).
4. Die Revision kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, die Anzeige der Klägerin von ihrer Scheidung in dem Erhebungsbogen von Mai 1980 sei nicht ordnungsgemäß gewesen. Die Vorlage des Scheidungsurteils war darin nicht gefordert. Die falsche Jahresangabe, 1976 anstatt 1977, war unschädlich. Die Angabe, daß die Ehe geschieden sei, reichte aus, um die Überzahlung zu erkennen und Rückforderungsansprüche geltend zu machen. Die falsche Jahresangabe hätte allenfalls bewirkt, daß die Beklagte höhere Ansprüche, als ihr tatsächlich zustanden, eingefordert hätte.
III. Soweit in dem von der Beklagten zurückgeforderten Betrag die am 15. August 1980 erfolgte Zahlung des Ortszuschlags enthalten ist, greift die Ausschlußfrist des § 70 BAT zwar nicht. Diesen - im übrigen auch nicht spezifizierten - Betrag kann die Beklagte jedoch deshalb nicht erstattet verlangen, weil sie ihn in Kenntnis der Nichtschuld gezahlt hat (§ 814 BGB). Wie bereits ausgeführt, war der Beklagten spätestens am 25. Juli 1980 die Scheidung bekannt, als der zuständige Personalsachbearbeiter beim Landesbad den von der Klägerin am 9. Mai 1980 unterschriebenen Erhebungsbogen mit den Angaben über die persönlichen Verhältnisse der Klägerin jedenfalls erhalten hatte.
Dr. Thomas Dr. Gehring Michels-Holl
Dr. Koffka Scherer
Fundstellen