Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachträgliche Verschlechterung der gesetzlichen Rente bei Frühverrentungsmodellen
Normenkette
SGB VI § 237; BGB §§ 249, 278; ZPO § 256
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darum, ob die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger bei vorgezogenem Eintritt in den Ruhestand wegen langandauernder Arbeitslosigkeit die Einbußen an der gesetzlichen Rente auszugleichen, die auf Grund des Gesetzes zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung vom 25. September 1996 eintreten werden.
Bei der Beklagten werden seit Jahren Frühverrentungsmodelle, sogenannte 55er-Regelungen, praktiziert. Arbeitnehmer scheiden nach Vollendung des 55. Lebensjahres aus dem Arbeitsverhältnis aus und nehmen nach Zeiten der Arbeitslosigkeit, in denen sie auf der Grundlage einer Betriebsvereinbarung Zuschüsse der Beklagten erhalten, mit Vollendung des 60. Lebensjahres die vorgezogene gesetzliche Altersrente wegen Arbeitslosigkeit nach § 237 SGB VI und Leistungen der betrieblichen Altersversorgung in Anspruch.
Hintergrund des Konfliktes der Parteien, der auch in zahlreichen Parallelprozessen ausgetragen wird, ist die Entwicklung der gesetzlichen Regelungen für die Inanspruchnahme der gesetzlichen Altersrente wegen Arbeitslosigkeit. Mit dem Rentenreformgesetz 1992 war eine schrittweise Erhöhung der bis dahin geltenden Altersgrenzen von 60 und 63 Jahren bis zur Regelaltersgrenze 65 festgelegt worden. Hiernach war zwar auch weiterhin eine vorgezogene Inanspruchnahme der gesetzlichen Altersrente möglich. Sie war jedoch für die Geburtsjahrgänge ab 1941 mit Abschlägen verbunden. Arbeitnehmer des Jahrgangs 1941 mußten je nach genauem Geburtstag einen Abschlag zwischen 0,3 und 0,9 % hinnehmen, sollten sie die Rente bereits mit Vollendung des 60. Lebensjahres in Anspruch nehmen. Im Herbst 1995 begann die öffentliche Diskussion um das Gesetz zur Förderung eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand (Altersteilzeitgesetz) mit dem eine sozialverträgliche Alternative zur bisherigen Frühverrentungspraxis angestrebt wurde. Auch durch dieses am 23. Juli 1996 verkündete Gesetz wurde die Möglichkeit, mit Vollendung des 60. Lebensjahres wegen Arbeitslosigkeit Altersrente in Anspruch zu nehmen, nicht beseitigt. Für Arbeitnehmer des Jahrgangs 1941 wurde die Altersgrenze des § 237 SGB VI jedoch in einem Zug auf die Vollendung des 63. Lebensjahres heraufgesetzt. Für jeden Monat der vorgezogenen Pensionierung mußte dann ein Abschlag von 0,3 % hingenommen werden, der sich auf insgesamt bis zu 10,8 % belaufen konnte. Am 10. Mai 1996 schließlich wurde der Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung des Programms für mehr Wachstum und Beschäftigung in den Bereichen der Rentenversicherung und Arbeitsförderung eingebracht. Von diesem am 25. September 1996 verabschiedeten Gesetz hatte die Öffentlichkeit am 25. April 1996 erfahren. Das Gesetz sah für alle Altersrenten eine stufenweise Heraufsetzung des Rentenalters auf die Vollendung des 65. Lebensjahres vor. Für den Jahrgang 1941 wurde die Altersgrenze des § 237 SGB VI wie folgt angehoben: Je nach Geburtsmonat belief sich diese Altersgrenze auf 64 Jahre und einen Monat (Geburtsmonat: Januar) bis 65 Jahre (Geburtsmonat: Dezember). Mit dieser Gesetzesänderung sind weitere Rentenminderungen bei einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ab Alter 60 für den Jahrgang 1941 in einem Umfang von 3,9 % bis 7,2 % verbunden.
Der am 18. Juli 1941 geborene Kläger war seit dem 7. September 1984 bei der Beklagten in deren Werk Salzgitter beschäftigt. Für die Jahre 1995/1996 war bei der Beklagten eine Frühverrentung des Jahrgangs 1941 geplant. Im Hinblick auf die damals bekanntgewordenen Absichten des Gesetzgebers, die gesetzliche Regelung zur Rente wegen Arbeitslosigkeit zu ändern, fanden am 7. November 1995 mehrere von Gesamtbetriebsrat und Personalabteilung der Beklagten gemeinsam durchgeführte Informationsveranstaltungen statt. Dabei wurden die Teilnehmer, unter ihnen auch der Kläger, jedenfalls über die Absicht der Beklagten unterrichtet, Rentenkürzungen, die sich aus dem damals in der Diskussion befindlichen Gesetzgebungsvorhaben ergeben würden, auszugleichen. Es ist zwischen den Parteien streitig geblieben, ob bei dieser Gelegenheit weitergehende Erklärungen über den Ausgleich sonstiger Verschlechterungen der gesetzlichen Rentenansprüche wegen Arbeitslosigkeit abgegeben worden sind. Der Kläger unterzeichnete jedenfalls am Schluß der Veranstaltung ebenso wie viele andere Kollegen eine Erklärung, wonach er mit der Auflösung seines Arbeitsverhältnisses und der Teilnahme an der “Vorruhestandsregelung” einverstanden sei.
In einem von zwei Vorstandsmitgliedern der Beklagten unterzeichneten Schreiben an den Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats vom 15. November 1995 heißt es ua.:
“Altersregelung 1995
– Ausgleich evtl. Rentenverluste
…
1. Sofern die beabsichtigte Gesetzesänderung bei der gesetzlichen Altersrente zu Rentenabschlägen führt, die über die im Rentenreformgesetz 1992 festgelegten Abschläge hinausgehen, wird die Volkswagen AG die ggf. eintretende Minderung im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung ausgleichen. Dieser Ausgleich wird ab Bezugszeitpunkt der gesetzlichen Altersrente monatlich gezahlt …”
Mit Schreiben vom 16. November 1995 versandte der Leiter des zentralen Personalwesens eine mit dem Gesamtbetriebsrat abgestimmte und von dessen Vorsitzenden mit abgezeichnete Handlungsanweisung an die Personalsachbearbeiter, dem das Schreiben vom 15. November 1995 beigefügt wurde, und in dem es ua. heißt:
“Altersregelung 1995
Auf Basis des beigelegten Briefes des Vorstandes an den Gesamtbetriebsrat (Anlage 1) haben wir mit dem Gesamtbetriebsrat Einvernehmen hinsichtlich der Vorgehensweise zu o.a. Sachverhalt erzielt … Es sind folgende Maßnahmen festgelegt:
…
3) Sofern für diese Personenkreise über das RRG 92 hinausgehende Minderungen eintreten könnten, werden diese im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung ausgeglichen. Wir bitten, die betroffenen Werksangehörigen auf diesen Sachverhalt (einschließlich der Auswirkungen RRG 92) ausdrücklich hinzuweisen. Hinsichtlich der möglichen steuerlichen und sozialversicherungsrelevanten Auswirkungen bitten wir, in den Erläuterungen auf die beiliegenden Beispielsrechnungen (Anlage 2) zurückzugreifen …”
Am 17. Januar 1996 erhielt der Kläger eine betriebsbedingte Kündigung zum 31. März 1996 mit der Zusage der von der Beklagten für die Zeit bis zum Eintritt in den Ruhestand mit Vollendung des 60. Lebensjahres zu erbringenden Leistungen. Weiter erhielt er ein Anschreiben mit dem Hinweis, daß über die Leistungen nach Ablauf des Überbrückungszeitraums im Jahre 2001 der Kläger zu gegebener Zeit gesondert informiert werde.
Im März 1996 vereinbarte die Beklagte mit dem Gesamtbetriebsrat eine Ergänzung der Gesamtbetriebsvereinbarung zur betrieblichen Altersversorgung. Darin verpflichtete sich die Beklagte, bei den Arbeitnehmern, die nach dem 13. Februar 1996 das 55. Lebensjahr vollendet haben oder noch vollenden werden, die auf Grund des Gesetzes zur Förderung des gleitenden Übergangs in den Ruhestand eintretenden Abschläge in der gesetzlichen Rentenversicherung im Rahmen der Grundversorgung auszugleichen. Diese konnten sich auf bis zu 10,8 % belaufen.
Mit Schreiben vom 25. September 1996 informierte die Beklagte den Kläger über diese Gesamtbetriebsvereinbarung sowie darüber, daß die mit dem Wachstumsund Beschäftigungsförderungsgesetz verbundene weitere Rentenkürzung über 10,8 % hinaus bis zu 18 % nicht von der Beklagten ausgeglichen werde. Der Kläger verlangte auf Grund dieses Hinweises auch dann nicht seine Wiedereinstellung, als die Beklagte sie ihm in Aussicht stellte.
Der Kläger hat behauptet, namentlich benannte Mitarbeiter der Personalleitung hätten während der Informationsveranstaltung am 7. November 1995 um 10.00 Uhr, an der er teilgenommen habe, auf Nachfrage zugesichert, das sämtliche durch Gesetzesänderungen erfolgenden Rentenabschläge bei vorgezogenem Altersruhegeld ab Alter sechzig von der Beklagten ausgeglichen würden. Der Jahrgang 41 werde genauso behandelt, wie der Jahrgang 40. Er werde keine Nachteile haben. Bei dieser mündlichen Zusage an alle Anwesenden sei nur offengeblieben, auf welche Weise dieser Ausgleich erfolgen werde. Es sei um den Ausgleich aller bis zum Bezug des vorzeitigen Altersruhegelds eintretenden Abschläge unabhängig davon gegangen, durch welches Gesetzesvorhaben sie eintreten würden. Die im März 1996 abgeschlossene Gesamtbetriebsvereinbarung schließe den Ausgleich weiterer Rentenabschläge nicht aus. Der Kläger hat den Standpunkt eingenommen, auf Grund dieser Erklärungen und dem von ihm anschließend unterzeichneten Einverständnis in die “Vorruhestandsregelung” sei ein Vertrag zustande gekommen, auf Grund dessen die Beklagte auch die zuletzt eingetretenen Rentennachteile ausgleichen müsse. Diese Pflicht ergebe sich im übrigen auch aus der internen Mitteilung vom 16. November 1995, die als Gesamtbetriebsvereinbarung zu werten sei und den Ausgleich aller über die im Rentenreformgesetz 1992 festgelegten Abschläge hinausgehenden Rentenminderungen vorsehe. Eine entsprechende Verpflichtung der Beklagten sei zumindest Geschäftsgrundlage für sein Verhalten gewesen. Mit einer bloßen Wiedereinstellung hätte der ohne einen Ausgleich eintretende Versorgungsschaden nicht ausgeglichen werden können. Dies wäre allenfalls durch eine ununterbrochene Weiterbeschäftigung möglich gewesen.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihm die Differenz zwischen der prozentualen Rentenminderung nach dem “Gesetz zur Förderung eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand” vom 1. August 1996 und dem nach dem “Gesetz zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung” vom 13. September 1996 eintretenden Rentenabschlägen von voraussichtlich 7,2 % bezogen auf den Zeitpunkt des frühstmöglichen Renteneintritts im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung auszugleichen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Klage bereits für unzulässig gehalten, weil ihr das erforderliche Rechtsschutzinteresse fehle. Im übrigen sei von den Mitarbeitern der Beklagten bei der Veranstaltung am 7. November 1995 lediglich zugesichert worden, daß die Nachteile, die sich durch das Altersteilzeitgesetz ergeben würden, ausgeglichen würden. Eine darüber hinausgehende Zusage habe es nicht gegeben. Es seien auch keine einzelvertraglichen Zusagen an die Mitarbeiter diskutiert worden. Es sei bei der Informationsveranstaltung lediglich um die beabsichtigten Änderungen der Versorgungsregelungen gegangen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers gegen diese Entscheidung zurückgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Ausgleich der durch das Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz voraussichtlich eintretenden Minderung seiner mit Vollendung des 60. Lebensjahres wegen Arbeitslosigkeit in Anspruch genommenen Altersrente.
Unterschriften
Reinecke, Kremhelmer, Bepler, Kaiser, H. Frehse
Fundstellen
NZA 2002, 56 |
SAE 2001, 282 |
NJOZ 2002, 141 |