Entscheidungsstichwort (Thema)
Abmahnung. Wirkungslosigkeit durch Zeitablauf
Orientierungssatz
Eine Abmahnung kann durch Zeitablauf wirkungslos werden. Dies läßt sich jedoch nicht anhand einer bestimmten Regelfrist, sondern nur aufgrund aller Umstände des Einzelfalles beurteilen (Bestätigung BAG Urteil vom 18.11.1986 7 AZR 674/84 = BB 1987, 1252 = NZA 1987, 418).
Verfahrensgang
Tatbestand
Die im Jahre 1949 geborene, verheiratete und seit dem Jahre 1984 von ihrem Ehemann getrennt lebende Klägerin war bei der Beklagten seit dem 9. Januar 1980 in der Fertigung als Maschinenarbeiterin überwiegend im Leistungslohn beschäftigt. Sie verdiente im Durchschnitt 1.500,– DM brutto im Monat. Nach dem schriftlichen Arbeitsvertrag vom 15. Januar 1980 mit Nachtrag vom 28. Oktober 1980 richteten sich die Arbeitsbedingungen nach den jeweiligen tariflichen Vereinbarungen zwischen dem Verband metallindustrieller Arbeitgeberverbände Nordrhein-Westfalens und der IG-Metall.
Am 10., 14. und 16. Februar 1983 blieb die Klägerin unerlaubt der Arbeit fern. Sie nahm ferner im Monat Februar dieses Jahres an drei Arbeitstagen um drei bis zwölf Minuten verspätet die Arbeit auf. Mit Schreiben vom 25. Februar 1983 rügte die Beklagte dieses Verhalten als grobe Vertragsverletzung und wies die Klägerin darauf hin, daß sie im Wiederholungsfall mit einer Kündigung rechnen müsse. Im Hinblick auf ihre schwierige finanzielle Lage rechnete sie ihr die drei Fehltage „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht” nachträglich als Urlaubstage an.
Am 12. und 15. April 1983 fehlte die Klägerin wiederum unentschuldigt. Mit Schreiben vom 26. April 1983 mahnte die Beklagte sie deshalb ab und machte sie darauf aufmerksam, daß ein weiterer Vorfall dieser Art unwiderruflich zur Kündigung führe.
Am 11. Juli 1983 blieb die Klägerin erneut unentschuldigt der Arbeit fern und verließ am 15. Juli 1983 ohne Abmeldung vorzeitig ihren Arbeitsplatz. Mit Schreiben vom 15. Juli 1983 leitete die Beklagte daraufhin bei dem Betriebsrat das Anhörungsverfahren für eine beabsichtigte ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin ein. Der Betriebsrat widersprach mit der Begründung, die Klägerin habe am 15. Juli 1983 ihren Arbeitsplatz nicht eigenmächtig verlassen, wie von anwesenden Mitarbeitern bestätigt worden sei. Die Beklagte sah von einer Kündigung ab und erteilte der Klägerin eine mündliche Abmahnung.
Am 7. März 1984 erschien die Klägerin nicht zur Arbeit. Am 9. März ging bei der Beklagten ein ärztliches Attest ein, in dem der Klägerin Arbeitsunfähigkeit ab 7. März 1984 bescheinigt wurde. Mit Schreiben vom 15. März 1984 rügte die Beklagte dieses Verhalten als Verstoß gegen die Verpflichtung der Klägerin, bei unerwartetem Fehlen den Arbeitgeber unverzüglich telefonisch zu benachrichtigen. Sie mahnte sie deshalb ab und bat sie eindringlich, fortan ihren Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis nachzukommen. Andernfalls werde sie das Arbeitsverhältnis kündigen.
Am Montag, dem 2. September 1985 erschien die Klägerin nicht zur Arbeit. Daraufhin leitete die Beklagte mit Schreiben vom 4. September 1985 das Anhörungsverfahren für eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses ein. Der Betriebsrat sandte das Anhörungsschreiben am selben Tag mit der Bemerkung zurück, er enthalte sich einer Stellungnahme und nehme die Kündigungsabsicht zur Kenntnis.
Mit Schreiben vom 11. September 1985, der Klägerin zugegangen am 12. September 1985, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31. Oktober 1985 wegen unentschuldigtem Fehlens am 2. September 1985 trotz mehrerer vorausgegangener schriftlicher und mündlicher Abmahnungen.
Gegen diese Kündigung hat sich die Klägerin mit der am 1. Oktober 1985 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage gewandt. Sie hat geltend gemacht, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt und hierzu vorgetragen:
Sie lebe mit einer Bekannten, Frau T M, und deren Mutter zusammen in einer Wohnung. Am Samstag, dem 31. August 1985, habe Frau M erfahren, daß ihre Mutter, über deren Konto die Miete sowie Strom- und Telefonkosten durch Dauerauftrag bezahlt worden seien, entmündigt und das Konto gesperrt sei. Da der Vermieter die Zwangsräumung der Wohnung für den Fall angedroht habe, daß die rückständige Miete nicht umgehend bezahlt werde, habe sie ihre Arbeitskollegin P Sch gebeten, sie am Montagmorgen bei dem zuständigen Meister zu entschuldigen, weil sie sich Geld besorgen müsse. Am Morgen des 2. September 1985 sei sie nach H gefahren und habe von der dortigen Volksbank einen Überziehungskredit erhalten. Erst am folgenden Tag habe sie erfahren, daß die sonst zuverlässige Frau Sch vergessen habe, sie zu entschuldigen. Angesichts der außergewöhnlichen Notlage habe sie nicht anders handeln können. Auf die Vorkommnisse im Jahre 1983 könne sich die Beklagte jetzt nicht mehr berufen. Gleiches gelte für die Abmahnung vom 15. März 1984, weil sie damals nicht unentschuldigt, sondern wegen Arbeitsunfähigkeit gefehlt habe.
Die Klägerin hat beantragt festzustellen, daß ihr Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 11. September 1985 nicht aufgelöst worden ist.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, die Klägerin sei am 2. September 1985 eigenmächtig der Arbeit ferngeblieben. Selbst wenn das Vorbringen der Klägerin zutreffen sollte, habe für sie keine außergewöhnliche Notlage bestanden. Im Hinblick auf die früheren Verfehlungen der Klägerin sei zumindest eine ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen.
Mit ihrer Berufung hat die Klägerin zu dem Vorfall vom 2. September 1985 weiter vorgetragen:
Die Monatsmiete für die Wohnung, in der sie gegen Mietbeteiligung wohne, betrage 324,86 DM. Am 2. September 1985 sei die Miete für die Monate Juli und August rückständig und für den Monat September fällig gewesen. Sie habe sich am Montag erst eine Fahrgelegenheit zu der etwa 9 km entfernten Volksbank in H, bei der sie ein Lohnkonto unterhalte, verschaffen müssen. Frau M hätte als Empfängerin einer monatlichen Sozialhilfe von 645,– DM keinen Kredit erhalten. Sie habe schließlich von der F-W in N ein Darlehen bekommen und hiervon die Miete für Juli bis September 1985 sowie Stromkosten bezahlt.
Die Beklagte hat hilfsweise beantragt, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen.
Sie hat vorgetragen, die Klägerin hätte am 2. September 1985 die Bank in H außerhalb der Arbeitszeit aufsuchen können. Sie habe jedoch an diesem Tag kein Geld beschaffen, sondern „Urlaub machen” wollen, weil sie am Sonntag zu stark dem Alkohol zugesprochen habe.
Die Klägerin hat beantragt, den Auflösungsantrag abzuweisen.
Das Landesarbeitsgericht hat nach Durchführung der Beweisaufnahme das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert, der Feststellungsklage stattgegeben und den Auflösungsantrag der Beklagten abgewiesen.
Mit der Revision verfolgt die Beklagte die Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichts. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat angenommen, das Fernbleiben der Klägerin von der Arbeit am 2. September 1985 reiche zur sozialen Rechtfertigung der Kündigung allein nicht aus. Auf die früheren Verstöße der Klägerin gegen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten und die deswegen ausgesprochenen Abmahnungen könne sich die Beklagte nicht mehr berufen. Die Vorkommnisse im Jahre 1983 und die deshalb ausgesprochenen Abmahnungen lägen mehr als zwei Jahre zurück. Nach Ablauf eines solchen Zeitraums werde eine Abmahnung jedoch regelmäßig wirkungslos, wenn zwischenzeitlich keine weiteren, die gleiche Vertragswidrigkeit betreffenden Abmahnungen ausgesprochen worden seien. Im vorliegenden Fall sei die Klägerin im März 1984 nur wegen Verletzung der Anzeigepflicht, einer vertraglichen Nebenpflicht, und somit wegen eines mit den Pflichtverletzungen im Jahre 1983 und der Vertragswidrigkeit vom 2. September 1985 nicht vergleichbarem Fehlverhalten abgemahnt worden.
II.
Dieser Würdigung kann nicht gefolgt werden.
1. Das Berufungsgericht hat bei der Prüfung, ob die Kündigung der Beklagten sozial gerechtfertigt ist, allein das Verhalten der Klägerin am 2. September 1985 berücksichtigt und die früheren Abmahnungen wegen Zeitablaufs außer Betracht gelassen. Hiergegen wendet sich die Revision mit Erfolg.
a) Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, eine Abmahnung werde in der Regel nach Ablauf von zwei Jahren wirkungslos, sofern nicht in der Zwischenzeit eine erneute Abmahnung ausgesprochen werde, die eine gleiche Pflichtverletzung zum Gegenstand habe. Demgegenüber hat der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts zwischenzeitlich in dem Urteil vom 18. November 1986 (- 7 AZR 674/84 - NZA 1987, 418 = BB 1987, 1252, zu II 5 der Gründe) entschieden, eine Abmahnung könne zwar durch Zeitablauf wirkungslos werden. Dies lasse sich jedoch nicht anhand einer bestimmten Regelfrist, sondern nur aufgrund aller Umstände des Einzelfalles beurteilen. Zur Begründung hat der Siebte Senat im wesentlichen ausgeführt:
Bei Störungen im Leistungsbereich sei regelmäßig bei Ausspruch einer Kündigung eine vergebliche Abmahnung erforderlich. Dies gelte auch bei einem Fehlverhalten im Vertrauensbereich, wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen habe annehmen können, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig oder werde vom Arbeitgeber zumindest nicht als ein erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Fehlverhalten angesehen. Zu den unverzichtbaren Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Abmahnung gehöre neben der Rüge eines genau zu bezeichnenden Fehlverhaltens (Rügefunktion) der Hinweis auf die Bestands- oder Inhaltsgefährdung des Arbeitsverhältnisses für den Wiederholungsfall (kündigungsrechtliche Warnfunktion).
Durch das Erfordernis einer erfolglos gebliebenen Abmahnung solle mithin der mögliche Einwand des Arbeitnehmers ausgeräumt werden, er habe die Pflichtwidrigkeit eines bestimmten Verhaltens nicht gekannt oder jedenfalls nicht damit rechnen müssen, der Arbeitgeber sehe dieses Verhalten als so schwerwiegend an, daß er zu kündigungsrechtlichen Konsequenzen greifen werde. Eine ursprünglich ausreichend gewesene Abmahnung verliere mithin ihre Bedeutung erst dann, wenn aufgrund des eingetretenen Zeitablaufs oder aufgrund neuer Umstände (z. B. einer späteren unklaren Reaktion des Arbeitgebers auf ähnliche Pflichtverletzungen anderer Arbeitnehmer) der Arbeitnehmer wieder im Ungewissen habe sein können, was der Arbeitgeber von ihm erwarte bzw. wie er auf eine etwaige weitere Pflichtverletzung reagieren werde. Dies lasse sich jedoch nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Art der Verfehlung des Arbeitnehmers und des Verhaltens des Arbeitgebers im Anschluß an die Abmahnung beurteilen.
b) Dieser Ansicht des Siebten Senats schließt sich der erkennende Senat an. Für sie spricht entscheidend die Funktion der Abmahnung für die Rechtfertigung einer verhaltensbedingten Kündigung, den möglichen Einwand des Arbeitnehmers auszuräumen, er habe die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens nicht gekannt oder jedenfalls nicht damit rechnen müssen, der Arbeitgeber sehe dieses Verhalten als kündigungsrechtlich erheblich an. Deshalb ist auch die neuerdings von Conze (DB 1987, 889) vertretene Ansicht abzulehnen, aus Gründen der Rechtssicherheit müsse von einer einheitlichen Tilgungsfrist ausgegangen werden, für die in Anlehnung an beamtenrechtliche Vorschriften über die Tilgung mißbilligender Äußerungen, die keine Disziplinarmaßnahmen sind (§ 6 Abs. 2 BDO), drei Jahre anzunehmen seien.
c) Bei Anwendung dieser Grundsätze hätte das Berufungsgericht die früheren Abmahnungen der Beklagten nicht allein wegen des Zeitablaufs für wirkungslos ansehen dürfen. Sie erfüllen im übrigen die an eine Abmahnung zu stellenden Anforderungen. Sie hatten eine Verletzung der Arbeitspflicht und damit eine gleichartige Pflichtverletzung zum Gegenstand, auf die die Kündigung vom 11. September 1985 gestützt wird. Sie erfüllen auch die Anforderungen, die nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. grundlegend Urteil vom 18. Januar 1980 - 7 AZR 75/78 - AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu 2 a der Gründe; Senatsurteil vom 9. August 1984 - 2 AZR 400/83 - AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu III 3 a der Gründe) an eine Abmahnung zu stellen sind. Die Beklagte hat in den Abmahnungsschreiben jeweils konkret die Tatbestände bezeichnet, in denen sie eine Vertragspflichtverletzung sah (Hinweisfunktion) und die Klägerin ausdrücklich darauf hingewiesen, daß sie bei wiederholtem Fehlverhalten der gerügten Art mit einer Kündigung rechnen müsse und somit der Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet sei (Warnfunktion).
2. Die Revision beanstandet weiter auch zu Recht die Würdigung des Verhaltens der Klägerin am 2. September 1985.
a) Das Berufungsgericht hat aufgrund der Beweisaufnahme festgestellt, daß die Zeugin M den Verlust ihrer Wohnung befürchtet habe, falls nicht umgehend die am 29. August 1985 angemahnten rund 648,– DM gezahlt würden. Ferner sei am 31. August bereits die Septembermiete fällig geworden. Im Hinblick auf die persönlichen und finanziellen Verhältnisse der Zeugin und ihrer Mutter sei nur die Klägerin zur Geldbeschaffung übrig geblieben. Es deute vieles darauf hin, daß die Zeugin M mit der Klägerin hierüber erst am Sonntag gesprochen habe. Denn am Sonnabend habe die Klägerin die Zeugin Sch gebeten, dem Meister am Montag auszurichten, daß sie an diesem Tag Urlaub nehme. Die Zeugin habe jedoch vergessen, diese Bitte weiterzuleiten. Die Klägerin sei am 2. September 1985 gegen 8.30 Uhr mit einem Nachbarn zur Volksbank in H gefahren, habe nach ihrer Rückkehr gegen Mittag wegen finanzieller Unterstützung mit ihrem Vater telefoniert und schließlich noch am selben Tag ein Kreditgesuch an die F-Bank in N gerichtet. Anlaß für das Fernbleiben der Klägerin von der Arbeit sei die Wohnungsangelegenheit und nicht etwa übermäßiger Alkoholgenuß gewesen.
An diese tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gebunden, weil die Revision hiergegen keine Verfahrensrügen erhoben hat (§ 561 Abs. 2 ZPO).
b) Diesen Sachverhalt hat das Berufungsgericht wie folgt gewürdigt:
Die Klägerin hätte im Hinblick auf die Öffnungszeiten der Bank in H und ihre Arbeitszeit im Betrieb am 2. September 1985 der Arbeit nicht fernbleiben müssen, um sich Kredit zur Bezahlung der Mietschuld zu beschaffen. Ihr sei jedoch zugute zu halten, daß sie geglaubt habe, sich in einer Zwangslage zu befinden, die ein sofortiges Handeln am Montagmorgen erfordert habe. Ihr habe nach Angabe der Beklagten noch ein Urlaubstag zugestanden. Zwar habe die hierfür erforderliche Einwilligung der Beklagten gefehlt. Sie habe jedoch schon früher – so ihre Abmahnung vom 25. Februar 1983 – Fehltage nachträglich als Urlaubstage angerechnet. Die Klägerin sei deshalb offenbar der Ansicht gewesen, in gleicher Weise werde auch diesmal verfahren.
Im Rahmen der Interessenabwägung spreche ferner zugunsten der Klägerin, daß sie mehr als fünf Jahre bei der Beklagten beschäftigt sei und für ihren Unterhalt allein aufkommen müsse. Zwar müsse die Beklagte Wert darauf legen, daß ihre Arbeitnehmer nicht eigenmächtig Urlaub nähmen. Das Fehlen der Klägerin habe jedoch nicht zu konkreten Nachteilen im Betrieb geführt.
c) Diese Würdigung ist nicht frei von Rechtsfehlern.
aa) Bei der Frage der Sozialwidrigkeit einer Kündigung handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, bei der dem Tatsachengericht ein Beurteilungsspielraum zusteht. Sie kann vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 1 KSchG Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt, bei der gebotenen Interessenabwägung alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob es in sich widerspruchsfrei ist (vgl. u.a. BAGE 1, 99, 102 = AP Nr. 5 zu § 1 KSchG sowie BAGE 29, 49, 52 = AP Nr. 4 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Auch dieser eingeschränkten Nachprüfung hält das angefochtene Urteil nicht stand.
bb) Aufgrund des von ihm zu den früheren Abmahnungen der Beklagten vertretenen Standpunktes hätte das Berufungsgericht das Verhalten der Klägerin am 2. September 1985 bereits deshalb nicht als geeignet für die soziale Rechtfertigung der Kündigung ansehen dürfen, weil es an einer vorausgegangenen (wirksamen) Abmahnung als Teil des Kündigungsgrundes fehlte. Da es sich um eine Störung im Leistungsbereich handelte, wäre eine Abmahnung nur dann entbehrlich gewesen, wenn die Klägerin die Vertragsverletzung so hartnäckig und uneinsichtig begangen hätte, daß mit einer rechtmäßigen Abwicklung des Vertrages nicht mehr hätte gerechnet werden können, die Abmahnung mithin nur als überflüssiger Versuch hätte angesehen werden müssen, die Klägerin zu einer ordnungsgemäßen Vertragserfüllung anzuhalten (vgl. Senatsurteil vom 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - = AP Nr. 62 zu § 626 BGB; ferner KR-Hillebrecht, 2. Aufl., § 626 BGB Rz 98, m.w.N.). Für einen solchen Ausnahmefall sind jedoch nach dem festgestellten Sachverhalt keine Anhaltspunkte ersichtlich.
cc) Das Berufungsgericht ist von einer objektiven Pflichtverletzung der Klägerin ausgegangen, die an sich geeignet ist, eine ordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Soweit es der Klägerin ihre subjektive Vorstellung, sofort handeln zu müssen, ihre Bemühungen, die Beklagte zu verständigen und um Urlaub zu bitten, das Fehlen konkreter Nachteile ihres Fernbleibens für den Betrieb, die Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit sowie ihre wirtschaftlichen Verhältnisse zugute gehalten hat, hält sich seine Würdigung im Rahmen des dem Tatsachengericht zustehenden Beurteilungsspielraums. Wie die Revision durchgreifend rügt, hat das Berufungsgericht jedoch zu Unrecht unberücksichtigt gelassen, daß die Beklagte ausweislich ihres Abmahnungsschreibens vom 25. Februar 1983 damals lediglich wegen der schwierigen finanziellen Lage der Klägerin drei Fehltage nachträglich auf den Urlaub angerechnet hatte. Dieser Umstand hätte in die Gesamtbeurteilung des Verhaltens der Klägerin einbezogen werden müssen, weil damit jedenfalls nicht ohne weiteres die Annahme des Berufungsgerichts zu vereinbaren ist, die Klägerin habe offenbar mit einer erneuten nachträglichen Anerkennung des Fehltags als Urlaubstag gerechnet.
III.
Diese Rechtsfehler machen die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung erforderlich (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Das Berufungsgericht muß zunächst prüfen, ob die der Klägerin im Jahre 1983 erteilten Abmahnungen am 2. September 1985 ihre kündigungsrechtliche Funktion verloren hatten. Wie ausgeführt, hängt dies davon ab, ob die Klägerin wieder im Ungewissen sein konnte, was die Beklagte von ihr erwartete bzw. wie sie auf eine erneute Pflichtverletzung der gerügten Art reagieren werde. Das Berufungsgericht muß hierfür alle Umstände des Falles, insbesondere die Art der Verfehlung der Klägerin und das Verhalten der Beklagten im Anschluß an die Abmahnungen berücksichtigen.
Gelangt das Berufungsgericht wiederum zu dem Ergebnis, daß die früheren Abmahnungen wirkungslos geworden sind, so ist das Verhalten der Klägerin am 2. September 1985, wie ausgeführt, bereits wegen Fehlens einer erforderlichen Abmahnung nicht geeignet, die Kündigung sozial zu rechtfertigen. Sollten die früheren Abmahnungen ihre kündigungsrechtliche Funktion nicht verloren haben, wird das Berufungsgericht das Verhalten der Klägerin erneut unter dem Gesichtspunkt der sozialen Rechtfertigung zu würdigen und hierbei ihr früheres abgemahntes Fernbleiben von der Arbeit einzubeziehen haben.
Unterschriften
Hillebrecht, Triebfürst, Ascheid, Dr. Harder, Baerbaum
Fundstellen
DB 1987, 2367-2367 (T) |
RzK, I 1 Nr 19 (ST1) |
NV, (nicht amtlich veröffentlicht) |
PERSONAL 1988, 424-425 (T) |