Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankheitsbedingte außerordentliche Kündigung. häufige Kurzerkrankungen. „Dauertatbestand”. Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB. wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB
Leitsatz (amtlich)
Häufige Kurzerkrankungen können ein Dauertatbestand sein, der den Lauf der Frist des § 626 Abs. 2 BGB ständig neu in Gang setzt, sobald und solange wie sie den Schluss auf eine dauerhafte Krankheitsanfälligkeit zulassen und damit eine negative Gesundheitsprognose begründen.
Orientierungssatz
1. Die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB ist auch im Fall einer außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist einzuhalten. Bei sog. Dauertatbeständen ist die Frist gewahrt, wenn die Umstände, auf die der Arbeitgeber die Kündigung stützt, noch bis mindestens zwei Wochen vor Zugang der Kündigung gegeben waren.
2. Häufige Kurzerkrankungen eines Arbeitnehmers können ein kündigungsrechtlicher Dauertatbestand sein. Voraussetzung ist, dass die verschiedenen Erkrankungen den Schluss auf eine dauerhafte Krankheitsanfälligkeit des Arbeitnehmers zulassen und damit eine negative Prognose begründen.
3. Der Dauertatbestand beginnt, wenn die aufgetretenen Kurzerkrankungen zum ersten Mal die Annahme rechtfertigen, der Arbeitnehmer sei dauerhaft krankheitsanfällig. Er endet, sobald die zurückliegenden Erkrankungen die betreffende negative Prognose nicht mehr stützen. Sein Ende tritt deshalb nicht schon mit dem Ende der letzten Arbeitsunfähigkeit vor Beginn eines hinreichend langen Zeitraums ohne krankheitsbedingte Ausfälle ein, sondern erst mit dem Erreichen der ausreichenden Länge eben dieses Zeitraums.
4. Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit kann ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB sein. Voraussetzung ist in der Regel zunächst, dass die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung für den Arbeitgeber ausgeschlossen ist. Voraussetzung ist sodann, dass der Arbeitgeber bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses – ggf. über Jahre hinweg – erhebliche Entgeltzahlungen zu erbringen hätte, ohne dass dem nennenswerte Arbeitsleistungen gegenüberständen, das Arbeitsverhältnis also „sinnentleert” wäre. Davon konnte im Streitfall bei einer zu prognostizierenden Arbeitsunfähigkeit im Umfang von gut einem Drittel der Jahresarbeitszeit nicht die Rede sein.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1-2
Verfahrensgang
LAG Hamburg (Urteil vom 16.04.2013; Aktenzeichen 2 Sa 107/12) |
ArbG Hamburg (Urteil vom 09.11.2012; Aktenzeichen 14 Ca 214/12) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 16. April 2013 – 2 Sa 107/12 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist.
Die im Jahr 1959 geborene Klägerin ist seit dem Jahr 1981 bei der Beklagten beschäftigt. Sie ist aufgrund tarifvertraglicher Regelungen ordentlich unkündbar. Seit dem Jahr 2000 war sie überwiegend als Hilfsgärtnerin tätig. Ihre Arbeitsverpflichtung erstreckt sich auf die Tage Montag bis Donnerstag bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 31,59 Stunden. Ihre durchschnittliche Bruttomonatsvergütung beträgt 2.075,00 Euro.
Die Beklagte betreibt Friedhöfe. Sie beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer. Bei ihr ist ein Personalrat gebildet.
Seit dem Jahr 2000 war die Klägerin wegen unterschiedlicher Erkrankungen wiederholt arbeitsunfähig. Sie stellte sich mehrfach beim Personalärztlichen Dienst der Stadt vor. Dieser attestierte ihr jeweils eine positive Prognose. Die Parteien führten zudem zahlreiche Krankengespräche. Am 6. Oktober 2011 führte die Beklagte mit der Klägerin unter Beteiligung des Vorsitzenden des Personalrats ein betriebliches Eingliederungsmanagement durch. Zuletzt war die Klägerin in der Zeit vom 16. November bis zum 19. Dezember 2011 arbeitsunfähig erkrankt. Die Krankheitsursache ist zwischen den Parteien streitig.
Mit Schreiben vom 9. Dezember 2011 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie nunmehr abschließend entschieden habe, das Arbeitsverhältnis zu kündigen; der Personalratsvorsitzende sei bereits vorab informiert worden. Gleichzeitig unterbreitete sie ihr ein Angebot zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags. Dieses halte sie bis zum 6. Januar 2012 aufrecht. Die Klägerin nahm das Angebot nicht an.
Am 16. Januar 2012 beantragte die Beklagte beim Personalrat die Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist. Der Personalrat teilte mit Schreiben vom 19. Januar 2012 mit, dass er seine Zustimmung verweigert habe. Mit Schreiben vom 2. Februar 2012 rief die Beklagte die Einigungsstelle an. Diese ersetzte die Zustimmung am 27. März 2012. Ausfertigungen ihres Beschlusses gingen dem Personalrat und der Beklagten am 28. März 2012 zu.
Mit Schreiben vom selben Tage kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich mit sozialer Auslauffrist zum 30. September 2012, hilfsweise zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Dagegen hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben. Sie hat gemeint, die Kündigung sei unwirksam. Die Beklagte habe die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt. Auch sei ein wichtiger Grund nicht gegeben. Die Erkrankungen ihres Bewegungsapparats seien nach Durchführung von Operationen ausgeheilt. Es bestehe keine Gefahr, dass eine der verschiedenen Infektionskrankheiten künftig wieder auftrete. Im Übrigen könne sie als Friedhofsbetreuerin leidensgerecht beschäftigt werden.
Die Klägerin hat beantragt
- festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 28. März 2012 nicht beendet worden ist;
- die Beklagte zu verurteilen, sie zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Hilfsgärtnerin weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist für wirksam gehalten. Die Klägerin habe – was mit Ausnahme von zwölf einzelnen Tagen unstreitig ist – in den Jahren von 2000 bis 2011 jeweils zwischen 19 und 163, im Durchschnitt an 75,25 Arbeitstagen krankheitsbedingt gefehlt. In den Jahren 2006 bis 2011 habe sie – die Beklagte – Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in Höhe von 34.432,82 Euro geleistet. Sie habe von einer negativen Prognose ausgehen dürfen, die auch weiterhin außerordentlich hohe wirtschaftliche Belastungen und massive Betriebsablaufstörungen erwarten lasse. Zu ihren Gunsten sei zu berücksichtigen, dass sie durch Krankengespräche und Umsetzungen der Klägerin versucht habe, deren Fehlzeiten zu reduzieren. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB habe sie gewahrt. Kündigungsgrund sei die Gesamtheit der Krankheiten der vergangenen mehr als zehn Jahre und die sich daraus ergebende – fortbestehende – Anfälligkeit für Kurzerkrankungen. Dabei handele es sich um einen Dauertatbestand.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht durfte der Klage zwar nicht mit der von ihm gegebenen Begründung stattgeben. Seine Entscheidung stellt sich jedoch aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).
I. Das Feststellungsbegehren ist begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 28. März 2012 nicht aufgelöst worden.
1. Allerdings hat die Beklagte, anders als das Landesarbeitsgericht angenommen hat, die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt.
a) Die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB ist auch im Fall einer außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist einzuhalten. Sie beginnt regelmäßig, sobald der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige positive Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen will oder nicht (BAG 26. September 2013 – 2 AZR 741/12 – Rn. 22). Uneingeschränkt gilt dies bei in der Vergangenheit liegenden, vollständig abgeschlossenen Kündigungssachverhalten, mögen diese auch – etwa als Vertrauensverlust – noch fortwirken. Bei Dauertatbeständen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sich der Kündigungssachverhalt und seine betrieblichen Auswirkungen fortwährend neu verwirklichen, lässt sich der Fristbeginn nach § 626 Abs. 2 BGB nicht eindeutig fixieren. Liegt ein solcher Tatbestand vor, reicht es zur Fristwahrung aus, dass die Umstände, auf die der Arbeitgeber die Kündigung stützt, auch noch bis mindestens zwei Wochen vor Zugang der Kündigung gegeben waren (BAG 26. November 2009 – 2 AZR 272/08 – Rn. 15, BAGE 132, 299; 25. März 2004 – 2 AZR 399/03 – zu C II 2 der Gründe).
b) Im Fall einer lang andauernden – durchgehenden – Arbeitsunfähigkeit liegt ein solcher Dauertatbestand vor (BAG 13. Mai 2004 – 2 AZR 36/04 – zu II 1 der Gründe; 21. Mai 1996 – 2 AZR 455/95 – zu II 1 b bb der Gründe). Der Kündigungsgrund entsteht fortlaufend neu. Der Beginn der Frist des § 626 Abs. 2 BGB ist deshalb nicht eindeutig zu fixieren. Selbst wenn die zum Kündigungsgrund zählende negative Prognose zeitlich näher bestimmbar sein sollte, gilt dies jedenfalls nicht für die weiter erforderliche erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen (BAG 21. Mai 1996 – 2 AZR 455/95 – zu II 1 b bb der Gründe).
c) Auch häufige Kurzerkrankungen können einen Dauertatbestand darstellen (vgl. BAG 27. November 2003 – 2 AZR 601/02 – zu B I 1 b der Gründe; 18. Oktober 2000 – 2 AZR 627/99 zu III der Gründe, BAGE 96, 65).
aa) Kün–digungsgrund ist dabei – wie im Fall einer lang andauernden Erkrankung – nicht die Erkrankung als solche, sondern die negative Gesundheitsprognose und eine daraus resultierende erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen. Sie kann sowohl auf einer einheitlichen Krankheitsursache als auch auf unterschiedlichen prognosefähigen Erkrankungen beruhen. Die verschiedenen Erkrankungen können den Schluss auf eine dauerhafte Krankheitsanfälligkeit des Arbeitnehmers zulassen und damit eine negative Prognose begründen (BAG 10. November 2005 – 2 AZR 44/05 – Rn. 24 f.). Der Dauertatbestand beginnt in dem Zeitpunkt, zu welchem die bis dahin aufgetretenen Kurzerkrankungen einen solchen Schluss zum ersten Mal zulassen. Er endet in dem Zeitpunkt, zu welchem die zurückliegenden Kurzerkrankungen zum ersten Mal eine entsprechende negative Prognose nicht mehr stützen, die Vergangenheit also nicht mehr als Prognosegrundlage taugt – etwa weil die letzte Erkrankung und Arbeitsunfähigkeit so lange zurückliegt, dass von dauerhafter, durchgehender Krankheitsanfälligkeit nicht mehr die Rede sein kann. Das Ende des Dauertatbestands tritt folglich nicht schon – gleichsam retrospektiv – mit dem Ende der letzten Arbeitsunfähigkeit ein, an die sich ein entsprechend langer Zeitraum ohne Ausfälle anschließt. Es tritt erst mit dem Erreichen einer ausreichenden Länge eben dieses Zeitraums ein, weil erst dieser die Prognosetauglichkeit der Vergangenheit beendet.
bb) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kommt damit die Annahme eines Dauertatbestands auch dann in Betracht, wenn die Fehlzeiten nicht auf ein und dasselbe Grundleiden zurückzuführen sind. Aus der Entscheidung des Senats vom 18. Oktober 2000 (– 2 AZR 627/99 – zu III der Gründe, BAGE 96, 65) ergibt sich nichts anderes. Dort heißt es, bei einer „noch dazu auf demselben Grundleiden beruhenden, dauernden Krankheitsanfälligkeit” liege ein Dauertatbestand vor. Das bedeutet nicht, dass ein einheitliches Grundleiden zwingende Voraussetzung für die Annahme eines solchen Tatbestands wäre. Ebenso wenig besteht ein Widerspruch zur Senatsentscheidung vom 9. September 1992 (– 2 AZR 190/92 – dort zu II 4 der Gründe). Zwar war dort die außerordentliche Kündigung innerhalb von zwei Wochen nach Vorlage einer bis dahin letzten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erklärt worden und wurde die Frist des § 626 Abs. 2 BGB mit dieser Begründung als gewahrt angesehen. Ob davon nicht zudem aufgrund des Vorliegens eines Dauertatbestands hätte ausgegangen werden können, wurde aber nicht erörtert. Die Entscheidung handelt dementsprechend von einer hinreichenden, nicht von einer notwendigen Bedingung.
d) Da der Arbeitnehmer in den Fällen häufiger Kurzerkrankungen typischerweise über einen längeren Zeitraum hinweg teilweise gesund, teilweise arbeitsunfähig erkrankt ist, kommt es für die Wahrung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer bis mindestens zwei Wochen vor Zugang der Kündigung – zufällig – arbeitsunfähig war. Maßgebend ist vielmehr allein, ob der Kündigungsgrund, dh. die auf der fortbestehenden Krankheitsanfälligkeit beruhende negative Prognose sowie die sich daraus ergebende erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen, noch bis mindestens zwei Wochen vor Zugang der Kündigung fortbestanden hat. Eine Unterbrechung der Arbeitsunfähigkeit steht dem nicht zwangsläufig entgegen. Der Dauertatbestand endet erst, wenn der Kündigungsgrund als solcher entfällt.
e) Liegt ein Dauertatbestand vor, beginnt die Ausschlussfrist nicht einmalig, sobald der Arbeitgeber – erstmals – Kenntnis von der für den Kündigungsentschluss relevanten negativen Prognose und den daraus resultierenden erheblichen Beeinträchtigungen betrieblicher Interessen hat. Die Frist beginnt vielmehr fortlaufend neu.
aa) Zu den für den Kündigungsentschluss maßgebenden Tatsachen, auf deren Kenntnis § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB für den Fristbeginn abstellt, gehören nicht nur die krankheitsbedingten Fehlzeiten und die aus ihnen folgenden erheblichen Beeinträchtigungen betrieblicher Interessen, sondern auch deren – zunehmende – Dauer (KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 327; aA APS/Dörner/Vossen 4. Aufl. § 626 BGB Rn. 138; KDZ/Däubler 8. Aufl. § 626 BGB Rn. 215). Andernfalls würde der Arbeitgeber zur möglichst frühzeitigen Erklärung der Kündigung angehalten. Dies liefe den Interessen des Arbeitnehmers zuwider. Es würde den Bestandsschutz des ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers schmälern und nicht – wie durch den Ausschluss der ordentlichen Kündigung bezweckt – verbessern (vgl. BAG 21. März 1996 – 2 AZR 455/95 – zu II 1 b bb der Gründe).
bb) Sinn und Zweck von § 626 Abs. 2 BGB stehen dem nicht entgegen. Die Vorschrift ist ein gesetzlich konkretisierter Verwirkungstatbestand. Ihr Ziel ist es, dem Arbeitnehmer rasch Klarheit darüber zu verschaffen, ob der Kündigungsberechtigte einen bestimmten Sachverhalt zum Anlass für eine außerordentliche Kündigung nimmt (BAG 25. November 2010 – 2 AZR 171/09 – Rn. 15; 26. Juni 2008 – 2 AZR 190/07 – Rn. 23). In Fällen krankheitsbedingter Fehlzeiten besteht ein solches Interesse an schneller Klärung nicht. Im Gegenteil dient es den Belangen des Arbeitnehmers, wenn der Arbeitgeber die weitere Entwicklung beobachtet und mit einer möglichen Kündigung noch zuwartet, um die Chance einer Prognoseänderung offen zu halten (vgl. KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 327). Der Arbeitnehmer hat in einer solchen Situation keinen berechtigten Anlass zu der Annahme, der Arbeitgeber werde aus der andauernden negativen Prognose und den fortbestehenden betrieblichen Beeinträchtigungen auch künftig keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen herleiten.
cc) Im Streitfall gilt nicht deshalb etwas anderes, weil die Beklagte der Klägerin am 9. Dezember 2011 mitgeteilt hat, sie „habe nunmehr abschließend entschieden”, das Arbeitsverhältnis zu kündigen. Die Erklärung ändert nichts daran, dass sich auch dann der Kündigungsgrund, sollte er bestehen, fortlaufend neu verwirklicht. Im Übrigen gibt das Schreiben inhaltlich keinen Anlass zu der Annahme, die Beklagte werde nach Ablauf weiterer zwei Wochen aus den krankheitsbedingten Fehlzeiten der Klägerin keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen mehr ziehen. Aus dem gleichzeitig unterbreiteten und bis zum 6. Januar 2012 aufrecht erhaltenen Auflösungsangebot konnte die Klägerin ersehen, dass die Beklagte vor diesem Zeitpunkt eine Kündigung nicht erklären würde. Dem Hinweis darauf, der Vorsitzende des Personalrats sei vorab informiert worden, ist nicht zu entnehmen, dass die Beklagte das förmliche Mitbestimmungsverfahren bereits eingeleitet hätte. Da die Beklagte den Personalrat bereits am 16. Januar 2012 um Zustimmung zur nunmehr beabsichtigten Kündigung ersucht hat, durfte die Klägerin auch nach dem Ablauf der Frist zur Annahme des Angebots am 6. Januar nicht darauf vertrauen, die Beklagte werde von einer Kündigung Abstand nehmen.
f) Ob im Streitfall der Kündigungsgrund – eine berechtigte negative Prognose – noch bis zwei Wochen vor Zugang der Kündigung vorgelegen hat, kann der Senat nicht abschließend beurteilen. Das Landesarbeitsgericht hat dazu – aus seiner Sicht folgerichtig – keine Feststellungen getroffen.
2. Die Revision ist gleichwohl zurückzuweisen. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Die Kündigung ist unwirksam, da es selbst auf der Grundlage des als wahr unterstellten Vortrags der Beklagten an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB fehlt.
a) Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit kann ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB sein. Grundsätzlich ist dem Arbeitgeber aber die Einhaltung der Kündigungsfrist zuzumuten, und schon an eine ordentliche Kündigung wegen Arbeitsunfähigkeit ist ein strenger Maßstab anzulegen. Eine außerordentliche Kündigung kommt daher nur in eng begrenzten Fällen in Betracht, etwa wenn die ordentliche Kündigung aufgrund tarifvertraglicher oder einzelvertraglicher Vereinbarungen ausgeschlossen ist (BAG 20. Dezember 2012 – 2 AZR 32/11 – Rn. 14; 18. Oktober 2000 – 2 AZR 627/99 – zu II 3 der Gründe, BAGE 96, 65).
b) Die Wirksamkeit einer auf häufige Kurzerkrankungen gestützten ordentlichen Kündigung setzt zunächst eine negative Gesundheitsprognose voraus. Im Kündigungszeitpunkt müssen objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen. Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können indiziell für eine entsprechende künftige Entwicklung sprechen – erste Stufe. Die prognostizierten Fehlzeiten sind nur dann geeignet, eine krankheitsbedingte Kündigung zu rechtfertigen, wenn sie auch zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Dabei können neben Betriebsablaufstörungen auch wirtschaftliche Belastungen, etwa durch zu erwartende, einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen pro Jahr übersteigende Entgeltfortzahlungskosten, zu einer solchen Beeinträchtigung führen – zweite Stufe. Ist dies der Fall, ist im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung zu prüfen, ob diese Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden müssen – dritte Stufe (BAG 30. September 2010 – 2 AZR 88/09 – Rn. 11, BAGE 135, 361; 23. April 2008 – 2 AZR 1012/06 – Rn. 18).
c) Bei einer außerordentlichen Kündigung ist dieser Prüfungsmaßstab auf allen drei Stufen erheblich strenger. Er muss den hohen Anforderungen Rechnung tragen, die an eine außerordentliche Kündigung zu stellen sind (BAG 18. Januar 2001 – 2 AZR 616/99 – zu II 4 b der Gründe). Die prognostizierten Fehlzeiten und die sich aus ihnen ergebende Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen müssen deutlich über das Maß hinausgehen, welches eine ordentliche Kündigung sozial zu rechtfertigen vermöchte. Es bedarf eines gravierenden Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung. Ein solches ist gegeben, wenn zu erwarten steht, dass der Arbeitgeber bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses – ggf. über Jahre hinweg – erhebliche Entgeltzahlungen zu erbringen hätte, ohne dass dem eine nennenswerte Arbeitsleistung gegenüberstände (vgl. BAG 12. Januar 2006 – 2 AZR 242/05 – Rn. 27; 18. Januar 2001 – 2 AZR 616/99 – zu II 4 c cc der Gründe). Auch können Häufigkeit und Dauer der krankheitsbedingten Fehlzeiten im Einzelfall dazu führen, dass ein Einsatz des Arbeitnehmers nicht mehr sinnvoll und verlässlich geplant werden kann und dieser damit zur Förderung des Betriebszwecks faktisch nicht mehr beiträgt (vgl. BAG 18. Januar 2001 – 2 AZR 616/99 – zu II 4 c bb der Gründe). Die Aufrechterhaltung eines solchermaßen „sinnentleerten” Arbeitsverhältnisses kann dem Arbeitgeber auch im Falle eines ordentlich nicht kündbaren Arbeitnehmers unzumutbar sein (vgl. BAG 12. Januar 2006 – 2 AZR 242/05 – Rn. 27; 18. Januar 2001 – 2 AZR 616/99 – zu II 4 c cc der Gründe).
d) Danach ist der Beklagten auch auf der Basis ihres eigenen Vorbringens die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht unzumutbar.
aa) Die Beklagte hat vorgetragen, aufgrund der – im Einzelnen bezeichneten – erheblichen krankheitsbedingten Fehlzeiten in den vergangenen mehr als zehn Jahren sei auch in Zukunft damit zu rechnen, dass die Klägerin in erheblichem Maße krankheitsbedingt fehlen werde. Die den Fehlzeiten in der Vergangenheit zugrunde liegenden Erkrankungen seien nicht ausgeheilt. Jedenfalls bestehe eine „generelle Anfälligkeit” der Klägerin für bestimmte Erkrankungen. In den Jahren von 2006 bis 2011 habe sie – die Beklagte – insgesamt mehr als 34.000,00 Euro an Entgeltfortzahlung geleistet. Die Fehlzeiten der Klägerin hätten überdies zu Betriebsablaufstörungen geführt. Aufgrund der Ungewissheit, ob und wie lange die Klägerin krankheitsbedingt ausfallen würde, habe sie keine Vertretungskräfte einstellen können. Die Vertretung habe von den übrigen Kollegen übernommen werden müssen. Diese seien dadurch einer auf Dauer nicht zu bewältigenden Arbeitsbelastung ausgesetzt gewesen. Das habe zu einer Verzögerung der Grabpflegearbeiten und in der Folge zu Kundenbeschwerden geführt.
bb) Die dargelegten Umstände genügen den Anforderungen an das Vorliegen eines wichtigen Grundes nicht.
(1) Der von der Beklagten vorgetragene Verlauf der krankheitsbedingten Fehlzeiten rechtfertigt nicht die Prognose, die Klägerin werde künftig im gleichen Maße fehlen wie in den vergangenen mehr als zehn Jahren. In dem – als Grundlage für eine Prognose geeigneten – Zeitraum von drei Jahren vor Zugang der Kündigung sind deren Ausfallzeiten deutlich zurückgegangen (zur Relevanz steigender, gleichbleibender oder fallender Fehlzeiten vgl. BAG 6. September 1989 – 2 AZR 19/89 – zu B II 2 a der Gründe). Sie betrugen 19, 67 und 55 Arbeitstage. Dies entspricht bei einer Vier-Tage-Woche einer durchschnittlichen jährlichen Fehlzeit von 11,75 Wochen. Anhaltspunkte dafür, dass die Ausfallzeiten künftig wieder ansteigen könnten, hat die Beklagte nicht dargelegt. Tatsächlich war die Klägerin nach dem 19. Dezember 2011 bis zum Zugang der Kündigung am 28. März 2012 nicht mehr arbeitsunfähig krank. Die fallende Tendenz der krankheitsbedingten Fehlzeiten wird dadurch bestätigt, dass die Klägerin nach Zugang der Kündigung noch bis zum Ablauf der Kündigungsfrist durchgehend arbeitsfähig war. Dies ist zwar nicht entscheidend. Für die Beurteilung der Wirksamkeit einer Kündigung kommt es auf den Zeitpunkt ihres Zugangs an. Es ist aber – insbesondere, wenn dem Kündigungsgrund ein prognostisches Element innewohnt – nicht unzulässig, die spätere Entwicklung in den Blick zu nehmen, soweit sie – wie hier – die Prognose bestätigt (BAG 13. Mai 2004 – 2 AZR 36/04 – zu III der Gründe; vgl. für den Fall der betriebsbedingten Kündigung BAG 27. November 2003 – 2 AZR 48/03 – zu B I 1 a der Gründe, BAGE 109, 40).
(2) Die künftig zu erwartenden Fehlzeiten der Klägerin führen auch dann nicht zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung der Beklagten, wenn diese für sämtliche Krankheitszeiten das Entgelt fortzahlen müsste. Der Jahreslohnsumme auf Seiten der Beklagten steht nach wie vor eine nennenswerte Arbeitsleistung auf Seiten der Klägerin gegenüber. Das gilt nicht nur mit Blick auf mögliche Fehlzeiten von 11,75 Wochen pro Jahr. Das Arbeitsverhältnis wäre auch dann noch nicht „sinnentleert”, wenn künftig Fehlzeiten in dem von der Beklagten prognostizierten Umfang von jährlich 18,81 Wochen einträten. Auch in diesem Fall wäre die Klägerin noch zu fast zwei Dritteln ihrer Jahresarbeitszeit arbeitsfähig. Der Vortrag der Beklagten lässt zudem nicht erkennen, dass die prognostizierten Fehlzeiten zu nicht mehr hinnehmbaren Betriebsablaufstörungen führen werden. Die Klägerin kann den weitaus größeren Teil des Jahres sinnvoll eingesetzt werden. Der Umstand, dass die möglichen Ausfallzeiten zu Vertretungsbedarf und ggf. zu Verzögerungen im Betriebsablauf führen, ist nicht außergewöhnlich. Dies liegt in der Natur der Sache und macht als solches der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht unzumutbar.
(3) Im Übrigen müsste auch eine Interessenabwägung zugunsten der Klägerin ausfallen. Zwar wäre auf Seiten der Beklagten zu berücksichtigen, dass diese über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren erhebliche krankheitsbedingte Fehlzeiten der Klägerin hingenommen hat, ohne eine Kündigung in Erwägung zu ziehen. Sie hat zudem durch zahlreiche Krankengespräche und die Zuweisung eines anderen Arbeitsplatzes versucht, zu einer Reduzierung der krankheitsbedingten Fehlzeiten der Klägerin beizutragen. Gleichwohl überwiegen die Belange der Klägerin. Ihrer Betriebszugehörigkeit von mehr als drei Jahrzehnten, ihrem Alter von seinerzeit 52 Jahren und den mit beidem verbundenen Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt käme erhebliches Gewicht zu. Wenn ferner berücksichtigt würde, dass die Fehlzeiten der Klägerin in den letzten drei Jahren vor Zugang der Kündigung deutlich zurückgegangen sind, vermöchten die Belange der Beklagten das Interesse der Klägerin am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses nicht zu überwiegen.
3. Ob die Kündigung nicht nur mangels wichtigen Grundes, sondern auch aufgrund von Mängeln in der Beteiligung des Personalrats unwirksam ist, bedarf keiner Entscheidung.
II. Der Antrag auf Weiterbeschäftigung ist dem Senat nicht zur Entscheidung angefallen. Er ist als Antrag auf Weiterbeschäftigung bis zur Erledigung des Rechtsstreits zu verstehen. Das Kündigungsschutzverfahren ist rechtskräftig abgeschlossen.
III. Die Beklagte hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.
Unterschriften
Kreft, Rachor, Frau Richterin am Bundesarbeitsgericht, Dr. Rinck ist krankheitshalber nicht in der Lage ihre Unterschrift beizufügen, Kreft, Beckerle, B. Schipp
Fundstellen
BB 2014, 1972 |
BB 2014, 2877 |
DB 2014, 7 |
NJW 2014, 3054 |
EBE/BAG 2014, 126 |
FA 2014, 286 |
FA 2014, 308 |
NZA 2014, 962 |
ZTR 2014, 553 |
AP 2015 |
EzA-SD 2014, 3 |
EzA 2014 |
EzA 2015 |
MDR 2014, 1158 |
NZA-RR 2014, 5 |
RiA 2015, 109 |
AA 2014, 202 |
AUR 2014, 389 |
ArbRB 2014, 228 |
ArbR 2014, 417 |
GWR 2014, 356 |
NJW-Spezial 2014, 532 |
AP-Newsletter 2014, 182 |