Entscheidungsstichwort (Thema)
Gehaltspfändung. Zusammenrechnungsbeschluß nach § 850 e Nr. 2 a ZPO
Leitsatz (amtlich)
Wird durch das Vollstreckungsgericht angeordnet, daß bei der Berechnung des pfändbaren Betrages Arbeitseinkommen und laufende Geldleistungen nach dem Sozialgesetzbuch zusammenzurechnen sind, so wirkt dies nur für den Vollstreckungsgäubiger, zu dessen Gunsten die Anordnung ergangen ist. Sie hat keine Wirkung im Verhältnis zwischen Abtretungsgläubiger und Vollstreckungsschuldner.
Normenkette
BGB § 400; ZPO §§ 829, 832, 835, 850 c, 850 e, 850 g
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 22. Juni 1994 – 2 Sa 3/94 – wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin ein Einziehungsrecht an dem gepfändeten Arbeitsentgelt des Ehemannes der Geschäftsführerin der Beklagten hat.
Die Klägerin ist Gläubigerin des im Einzelhandelsbetrieb der Beklagten beschäftigten Harald J., der nach dem am 11. Oktober 1991 vor dem Oberlandesgerichts Stuttgart geschlossenen Vergleich 10.000,00 DM nebst 9,5% Zinsen pro anno seit dem 9. Februar 1991 der Klägerin schuldet. Wegen dieser Forderung zuzüglich Vollstreckungskosten hat die Klägerin durch Beschluß des Amtsgerichts Backnang vom 9. April 1992 die Forderungen des Schuldners auf Zahlung des gesamten gegenwärtigen und künftigen Arbeitseinkommens gegen die Beklagte sowie auf Zahlung einer Unfallrente gegen die Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik (kurz: BG) pfänden und sich zur Einziehung überweisen lassen. In dem Beschluß des Amtsgerichts ist angeordnet, daß die Ansprüche des Schuldners aus Unfallrente und Arbeitseinkommen gemäß § 850 e Nr. 2 a ZPO zur Berechnung des nach § 850 c ZPO pfändbaren Teil des Gesamteinkommens zusammenzurechnen sind. Dabei sollen die unpfändbaren Beträge der Unfallrente zu entnehmen seien. Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluß ist der Beklagten am 30. April 1992 zugestellt worden. Die Beklagte teilte der Klägerin am 11. Juli 1992 mit, das Bruttogehalt des Schuldners betrage 600,00 DM. Unter Berücksichtigung der gesetzlichen Abzüge entsprach das Bruttogehalt von 600,00 DM im Mai und Juni 1992 einem monatlichen Nettoentgelt vom 397,59 DM, von Juli bis Oktober 1992 von 403,74 DM und von November 1992 bis August 1993 von 399,54 DM. Zuvor war bereits am 22. November 1991 zugunsten der Fürstlich Fürstenbergischen Brauerei KG ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluß ohne Zusammenrechnungsbeschluß ergangen. Diese Gläubigerin hat erst am 14. Dezember 1992 einen Zusammenrechnungsbeschluß erwirkt.
Mit der am 18. Mai 1993 erhobenen Klage hat die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 6.006,00 DM nebst 13% Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie behauptet, zur Sicherung von Ansprüchen der Geschäftsführerin der Beklagten sei der jeweils pfändbare Teil des gegenwärtigen und zukünftigen Gehalts bereits am 12. Mai 1989 abgetreten worden.
Das Arbeitsgericht hat die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 2.737,67 DM nebst Zinsen zu zahlen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der zugelassen Revision begehrt die Beklagte die vollständige Abweisung der Klage. Die Klägerin bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
I.
Die Revision der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin ist nach den §§ 829, 832, 835, 836 ZPO i.V.m. § 611 BGB berechtigt, den nach Maßgabe des Zusammenrechnungsbeschlusses des Amtsgerichts Backnang vom 9. April 1992 pfändbaren Teil des Arbeitsentgelts des Schuldners gegen die Beklagte in der rechnerisch unstreitigen Höhe von 2.737,67 DM einzuziehen. Die Beklagte hat zusätzlich den von ihr nicht bestrittenen Verzugsschaden zu ersetzen.
1. Die Pfändung des Arbeitsentgelts des Schuldners ist nach § 829 Abs. 3 ZPO mit der Zustellung des Zahlungsverbots an den Drittschuldner bewirkt worden.
2. Die Pfändung ging auch nicht ins Leere. Denn im Streitfall standen dem Schuldner nach § 611 BGB für die im April 1992 geleisteten Arbeiten Gehaltsansprüche zu. Nach § 832 ZPO erstreckt sich das Pfandrecht auch auf die weiteren nach der Pfändung fällig werdenden Bezüge der Monate Mai 1992 bis August 1993, in denen der Schuldner gearbeitet hat.
3. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht erkannt, daß die nach der Behauptung der Beklagten am 12. Mai 1989 erfolgte Vorausabtretung des pfändbaren Arbeitseinkommens des Schuldners nicht der Begründung des Einziehungsrechts der Klägerin entgegenstehen kann.
a) Eine Vorausabtretung geht zwar grundsätzlich der zeitlich späteren Pfändung vor. Die von der Beklagten behauptete Vorausabtretung hat jedoch nicht den pfändbaren Teil des Arbeitsentgelts erfaßt, der erst durch die vorn Amtsgericht Backnang zugelassene Zusammenrechnung des Arbeitseinkommens mit laufenden Geldleistungen nach dem Sozialgesetzbuch (§ 850 e Nr. 2 a ZPO) der Pfändung unterworfen worden ist.
b) Der Zusammenrechnungsbeschluß wirkt nur für den Vollstreckungszugriff des Gläubigers, auf dessen Antrag er ergangen ist. Durch den Beschluß wird die bisherige Rechtslage insoweit umgestaltet, als ein zuvor nicht pfändbarer Teil des Arbeitseinkommens zusätzlich von der Pfändungswirkung erfaßt wird. Diese Gestaltungswirkung ist auf die an diesen Zwangsvollstreckungsverfahren Beteiligten beschränkt. Das folgt aus dem Grundsatz der Einzelvollstreckung. Ein Zusammenrechnungsbeschluß kann deshalb nicht dem zeitlich früheren Pfändungspfandgläubiger zugute kommen (vgl. LAG Düsseldorf Urteil vom 18. Juni 1985 – 16 Sa 552/85 – DB 1986, 649; Stöber, Forderungspfändung, 10. Aufl. Rz. 1162 a, 11. Aufl. Rz. 1164). Das hatte das Bundesarbeitsgericht bereits auch zu dem vergleichbaren Fall der Erweiterung der Pfändbarkeit des Arbeitseinkommens nach § 850 c Abs. 4 ZPO entschieden (BAG Urteil vom 20. Juni 1984 – 4 AZR 339/82 – BAGE 46, 148 = AP Nr. 6 zu § 850 c ZPO, mit zustimmender Anmerkung Grunsky).
c) Der auf Antrag der Klägerin ergangene Zusammenrechnungsbeschluß wirkt nicht zugunsten der Gläubigerin der Vorausabtretung. Zu Unrecht beruft sich die Revision auf § 400 BGB. Es besteht kein Rechtssatz des Inhalts, das Arbeitseinkommen stets in demselben Umfang abgetreten werden kann, wie es pfändbar ist. Durch § 850 e Nr. 2 a Satz 1 ZPO ist eine Vorzugstellung der Pfändungspfandgläubiger gegenüber den Abtretungsgläubigern begründet worden. Eine Erweiterung des pfändbaren Arbeitseinkommens über die Pfändungsgrenzen des § 850 c ZPO hinaus kann nach § 850 e Nr. 2 a ZPO nur durch Beschluß des für die Forderungspfändung zuständigen Vollstreckungsgerichts bewirkt werden. Deshalb kann der Zusammenrechnungsbeschluß keine weitere Abtretbarkeit oder Aufrechenbarkeit begründen (vgl. Stöber, Forderungspfändung, 10. Aufl. Rz. 1162 a, 11. Aufl. Rz. 1164).
Soweit vereinzelt eine analoge Anwendung der Zusammenrechnungsmöglichkeiten des § 850 e Nr. 2 und Nr. 2 a ZPO erwogen wird (vgl. Grunsky, ZIP 1983, 908, 909 f.), ist dafür kein Raum. Das für das Einziehungserkenntnisverfahren zuständige Prozeßgericht würde ansonsten die Aufgabe des ausschließlich für Zusammenrechnungsbeschlüsse zuständigen Vollstreckungsgerichts wahrnehmen. Zugleich würde in die Rechte des Pfändungspfandgläubigers eingegriffen, der als erster einen Zusammenrechnungsbeschluß beantragt hat. Das wäre mit dem im Vollstreckungsrecht insbesondere für den Drittschuldner wichtigen Grundsatz der Rechtsklarheit nicht vereinbar (vgl. BAG Urteil vom 26. November 1986 – 4 AZR 786/85 – AP Nr. 8 zu § 850 c ZPO und vom 6. Februar 1991 – 4 AZR 348/90 – BAGE 67, 193 = AP Nr. 21 zu § 850 f. ZPO). Soweit das Bundesarbeitsgericht bei der Aufrechnung mit Übergangsgeld die Pfändungsgrenzen in analoger Anwendung des § 850 e ZPO erhöht hat (BAG Urteil vom 30. Juli 1992 – 6 AZR 169/91 – BAGE 71, 68 = AP Nr. 4 zu § 850 e ZPO), betraf das den Sonderfall der „Zweckgemeinschaft” zwischen Sozialversicherungsrente und Übergangsgeld nach BAT. Im Streitfall besteht keine derartige Zweckgemeinschaft zwischen der Unfallrente des Schuldners und seinem Anspruch auf Arbeitsentgelt.
4. Dem Einziehungsrecht der Klägerin steht kein vorrangiges Recht eines anderen Pfändungsgläubigers entgegen.
a) Nach § 804 Abs. 3 ZPO besteht ein Vorrang des Gläubigers, der die frühere Pfändung bewirkt hat. Jedoch kann ein nachrangiger Pfändungspfandgläubiger nachträglich seine Stellung durch den Antrag auf Zusammenrechnung verbessern (vgl. MünchKomm ZPO/, Smid § 850 e Rz. 23; Boewer/Bommermann, Lohnpfändung und Lohnabtretung in Recht und Praxis Rz. 669; Stöber, Forderungspfändung, 10. Aufl. Rz. 1162 a, 11. Aufl. Rz. 1164). Führen mehrere Pfändungspfandgläubiger durch Beschluß des Vollstreckungsgerichts eine zusätzliche Pfändbarkeit herbei, ist der zusätzlich pfändbare Betrag von dem Zeitpunkt an, in dem der Beschluß dem Drittschuldner zugestellt wird (vgl. § 850 g Satz 3 ZPO) unter den Pfändungspfandgläubigern, die den Beschluß erwirkt haben, an den Gläubiger mit dem besten Rang auszukehren (vgl. BAG Urteil vom 20. Juni 1984 – 4 AZR 339/82 – BAGE 46, 148 = AP Nr. 6 zu § 850 c ZPO). Das haben beide Vorinstanzen verkannt.
b) Die Entscheidung erweist sich aber aus anderen Gründen als richtig (§ 563 ZPO). Denn Wirksamkeitsvoraussetzung für den Vorrang des weiteren Pfändungspfandgläubigers, der Fürstlich Fürstenbergischen Brauerei KG, ist, daß der zu deren Gunsten ergangene Pfändungs- und Überweisungsbeschluß vom 22. November 1991 sowie deren Zusammenrechnungsbeschluß vom 14. Dezember 1992 tatsächlich der Beklagten nach § 829 Abs. 2 Satz 1 ZPO und § 850 g Satz 3 ZPO zugestellt worden wären. Das Landesarbeitsgericht hat dazu keine Feststellungen getroffen. Die Beklagte hat insoweit nichts vorgetragen. Sie hat ihrer Darlegungslast nicht genügt.
5. Die Klägerin hat mit ihrem Antrag auf Abweisung der Berufung die Verletzung des § 308 Abs. 1 ZPO durch das Arbeitsgericht geheilt. Das Arbeitsgericht hat nämlich für April 1992 den pfändbaren Teil des Arbeitsentgelts in Höhe von 165,89 DM zugesprochen, obwohl die Klägerin ihr Einziehungsrecht erst beginnend mit Monat Mai 1992 gerichtlich geltend gemacht hatte. In dem Antrag auf Abweisung der Berufung liegt eine in der Berufungsinstanz mögliche Klageerweiterung hinsichtlich der zu viel zugesprochenen Forderung (vgl. BGHZ 111, 158, 161; BAGE 62, 100, 105 = AP Nr. 36 zu § 80 BetrVG 1972, zu I 3 der Gründe).
II.
Die Beklagte hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision nach § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.
Fundstellen
Haufe-Index 602579 |
NJW 1997, 479 |
JR 1998, 88 |
NZA 1997, 63 |
AP, 0 |