Entscheidungsstichwort (Thema)
Abfindung. Auslegung von §§ 2, 8 SicherungsO. Öffentlicher Dienst
Orientierungssatz
Nach § 8 Abs. 1 SicherungsO kann ein Arbeitnehmer ua. bei der kündigungsbedingten Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Dienstgeber eine Abfindung verlangen. Beruht der Arbeitsplatzverlust auf einer Maßnahme, die in der Einschränkung oder Aufgabe von Tätigkeitsfeldern besteht, schränkt § 8 Abs. 5 SicherungsO iVm. der hierzu ergangenen Anmerkung das Abfindungsrecht ein. In diesem Fall entsteht ein Abfindungsanspruch nur, soweit der Dienstgeber mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigt und mehr als fünf Arbeitnehmer auf Grund einer solchen Maßnahme entlassen werden.
Normenkette
Ordnung zur Sicherung der Mitarbeiter bei Rationalisierungsmaßnahmen und Einschränkungen von Einrichtungen (SicherungsO) § 2, § 8 Abs. 1 und 5
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von der Beklagten eine Abfindung.
Die Klägerin war ab dem 11. August 1993 für den Beklagten tätig. Gemäß § 2 des Dienstvertrags vom 11. August 1993 galten für das Dienstverhältnis die Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland (AVR) in der jeweils gültigen Fassung. Die Beklagte beschäftigte mehr als fünf, jedoch weniger als zwanzig Arbeitnehmer.
Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete auf Grund einer Kündigung des Beklagten zum 30. Juni 2002. Nach dem Kündigungsschreiben vom 27. März 2002 erfolgte die Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen “Aufgabe des Tätigkeitsfeldes”. Der Beklagte hatte sämtliche Arbeitnehmer wegen eines nicht behebbaren laufenden Defizits des Vereins entlassen.
Die Arbeitsrechtliche Kommission des Diakonischen Werkes der EKD hat mit Wirkung ab dem 1. Juli 1990 die AVR um die Ordnung zur Sicherung der Mitarbeiter bei Rationalisierungsmaßnahmen und Einschränkungen von Einrichtungen (SicherungsO) ergänzt. In dieser SicherungsO heißt es:
Ҥ 1 Geltungsbereich
(1) Diese Ordnung gilt für alle Mitarbeiter, die unter den Anwendungsbereich der AVR (§ 1a) fallen.
(2) Diese Ordnung gilt nur für Dienstgeber, die mehr als fünf Mitarbeiter i. S. des § 23 Kündigungsschutzgesetz beschäftigen.
…
§ 2 Begriffsbestimmungen
(1) Maßnahmen im Sinne dieser Ordnung sind:
a) vom Dienstgeber veranlaßte erhebliche Änderungen von Arbeitstechniken oder wesentliche Änderungen der Arbeitsorganisation mit dem Ziel einer rationelleren Arbeitsweise oder
b) Einschränkung oder Aufgaben von Tätigkeitsfeldern, wenn dies zu einem Wechsel der Beschäftigung oder zur Beendigung des Dienstverhältnisses führt.
…”
§ 8 Abs. 1 SicherungsO sieht die Zahlung von Abfindungen für den Fall vor, dass ein Mitarbeiter auf Veranlassung des Dienstgebers aus dem Dienstverhältnis ausscheidet. § 8 Abs. 5 SicherungsO nebst der dazu ergangenen Anmerkung schafft weitere Voraussetzungen für die Abfindungspflicht. Dort heißt es:
“(5) Die Abs. 1 bis 4 sind bei Mitarbeitern, die von Maßnahmen im Sinne des § 2 Abs. 1 Buchst. b) betroffen sind, nur anzuwenden, wenn es sich um eine wesentliche Einschränkung oder Aufgabe von Tätigkeitsfeldern handelt. In diesen Fällen können durch Dienstvereinbarung von der Tabelle in Abs. 1 abweichende Abfindungsbeträge festgesetzt werden, wenn anderenfalls der Fortbestand der Einrichtung oder weitere Arbeitsplätze in Einrichtungen des gleichen Dienstgebers gefährdet werden.
(6) Bei nicht wesentlichen Einschränkungen oder Aufgabe von Tätigkeitsfeldern können durch Dienstvereinbarungen an der Tabelle des Abs. 1 orientierte Abfindungsbeträge vereinbart werden.
Anmerkung zu Abs. 5:
Eine wesentliche Einschränkung oder Aufgabe von Tätigkeitsfeldern liegt nur vor, wenn
a) bei Dienstgebern, die in der Regel mehr als 20 Mitarbeiter und weniger als 60 Mitarbeiter beschäftigen, mehr als 5 Mitarbeiter
…
betroffen sind.”
Die Klägerin verlangt von dem Beklagten die Zahlung einer Abfindung in unstreitiger Höhe nach § 8 Abs. 1 SicherungsO. Sie meint, die Anmerkung zu § 8 Abs. 5 SicherungsO regele nicht abschließend, wann von einer wesentlichen Einschränkung oder Aufgabe von Tätigkeitsfeldern auszugehen sei. Dieser Begriff werde nur für die Dienststellen mit mehr als 20 Mitarbeitern konkretisiert. Soweit es sich – wie hier vorliegend – um eine kleinere Dienststelle handele, müsse der Begriff “wesentlich” eigenständig ausgelegt werden. Dessen Voraussetzungen seien bei einer Entlassung aller Arbeitnehmer stets erfüllt.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, 13.505,15 Euro nebst fünf Prozent Zinsen über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG seit dem 2. Juli 2002 an sie zu zahlen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der Beklagte beantragt, die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Der Klägerin steht nach § 8 Abs. 1 iVm. Abs. 5 SicherungsO sowie der hierzu ergangenen Anmerkung kein Abfindungsanspruch zu. Der Beklagte beschäftigte weniger als 20 Arbeitnehmer. Das schließt bei einem Arbeitsplatzverlust, der auf einer Einschränkung oder Aufgabe von Tätigkeitsfeldern beruht, die Gewährung einer Abfindung aus. Das ist bei der Klägerin der Fall.
- Bei den Richtlinien zu Arbeitsverträgen (AVR) und der hierzu erlassenen SicherungsO handelt es sich um Kollektivvereinbarungen besonderer Art, in denen allgemeine Bedingungen für die Vertragsverhältnisse der bei den Kirchen beschäftigten Arbeitnehmer durch paritätisch zusammengesetzte Arbeitsrechtliche Kommissionen festgelegt werden (BAG 17. Juni 2003 – 3 AZR 310/02 – AP AVR Diakonisches Werk § 1a Nr. 1 = EzA BGB 2002 § 611 Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 2, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Diesen Regelungen kommt allerdings keine normative Wirkung zu. Sie finden auf das Arbeitsverhältnis nur kraft einzelvertraglicher Bezugnahme Anwendung. Gleichwohl erfolgt die Auslegung der AVR nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nach den gleichen Grundsätzen, wie sie für die Tarifauslegung maßgeblich sind (14. Januar 2004 – 10 AZR 188/03 – AP AVR Caritasverband Anlage 1 Nr. 3, zu II 2a der Gründe mwN). Danach ist vom Wortlaut der AVR auszugehen und anhand dessen der Sinn der Erklärung zu erforschen, ohne am Wortlaut zu haften. Der wirkliche Wille der Richtliniengeber und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Bestimmungen ist mit zu berücksichtigen, soweit sie in den Vorschriften der AVR ihren Niederschlag gefunden haben. Abzustellen ist auch auf den systematischen Zusammenhang. Verbleibende Zweifel können durch die Heranziehung weiterer Auslegungskriterien, wie der Entstehungsgeschichte der AVR oder einer praktischen Handhabbarkeit geklärt werden (14. Januar 2004 – 10 AZR 188/03 – aaO).
- Die SicherungsO dient nach ihrer Vorbemerkung dazu, die Belange der Mitarbeiter zu berücksichtigen und soziale Härten möglichst zu vermeiden, soweit der Dienstgeber Rationalisierungsmaßnahmen und andere Einschränkungen vornimmt, wozu auch die Aufgabe von Tätigkeitsfeldern zählt. Im Hinblick darauf steht nach § 8 Abs. 1 SicherungsO Arbeitnehmern, die ua. auf Grund einer Kündigung durch den Dienstgeber aus dem Dienstverhältnis ausscheiden, eine Abfindung nach Maßgabe der in dieser Bestimmung geregelten Tabelle zu. Das gilt grundsätzlich sowohl für Arbeitnehmer, bei denen eine Rationalisierungsmaßnahme iSd. § 2 Abs. 1 Buchst. a SicherungsO zum Arbeitsplatzverlust führt, als auch für solche, bei denen die Beendigung der arbeitsvertraglichen Beziehung auf einer Maßnahme iSd. des § 2 Abs. 1 Buchst. b SicherungsO beruht. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Kündigung der Beklagten nicht Rationalisierungszwecken dient. Dementsprechend kann die Klägerin eine Abfindung ohnehin nur beanspruchen, soweit ihre Kündigung in einem Zusammenhang mit einer Einschränkung oder Aufgabe von Tätigkeitsfeldern steht. Es ist demnach unerheblich, ob der Beklagte entsprechend seinen Ausführungen im Kündigungsschreiben vom 27. März 2002 das Aufgabenfeld, in dem die Klägerin tätig war, aufgegeben hat, oder ob – wie die Klägerin in der Berufungsverhandlung gemeint hat – es daran fehlen könnte. Träfe diese Auffassung zu, bestünde schon aus diesen Grund kein Abfindungsanspruch.
- Bei Arbeitnehmern, bei denen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf einer Maßnahme iSd. § 2 Abs. 1 Buchst. b SicherungsO beruht, schränkt § 8 Abs. 5 SicherungsO den Abfindungsanspruch ein. Maßnahme iSd. Begriffsbestimmung des § 2 Abs. 1 Buchst. b SicherungsO ist die Einschränkung oder Aufgabe von Tätigkeitsfeldern. Die Beschränkung des Abfindungsanspruchs knüpft allerdings nicht an jede Einschränkung oder Aufgabe von Tätigkeitsfeldern und einen damit im Zusammenhang stehenden Arbeitsplatzverlust. Die Regelung verlangt darüber hinaus, dass diese Einschränkung oder Aufgabe wesentlich ist. Was die Arbeitsrechtliche Kommission unter diesem Tatbestandsmerkmal versteht, erschließt sich aus der von ihr verantworteten Anm. zu Abs. 5 des § 8 der SicherungsO. Diese enthält eine eigenständige und abschließende Bestimmung des Begriffs der wesentlichen Einschränkung oder Aufgabe von Tätigkeitsfeldern. Sie stellt nach ihrem Wortlaut keinen Bezug her zum Inhalt der Maßnahme, sondern zur Anzahl der durch die Maßnahme betroffenen Arbeitnehmer und die Beschäftigtenzahl des Dienstgebers. Danach kann ein Abfindungsanspruch nur in Dienststellen entstehen, die mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigen und soweit mehr als fünf Arbeitnehmer von einer Maßnahme iSd. § 2 Abs. 1 Buchst. b SicherungsO betroffen sind. Eine davon unabhängige Bestimmung der wesentlichen Einschränkung oder Aufgabe von Tätigkeitsfeldern in Bezug auf kleinere Dienststellen enthält die SicherungsO nach ihrem Wortlaut nicht. Vielmehr beschreibt die Anm. zu Abs. 5 des § 8 der SicherungsO mit der Formulierung “… liegt nur vor, wenn …” den abschließenden Charakter dieser Regelung.
- Die Regelungssystematik bestätigt diese Auslegung. Nach § 8 Abs. 6 SicherungsO können bei nicht wesentlichen Einschränkungen oder Aufgabe von Tätigkeitsfeldern nur durch Dienstvereinbarungen Abfindungsbeträge vereinbart werden, deren Höhe sich an den Tabellenwerten des Abs. 1 orientieren soll. Damit hat die Arbeitsrechtliche Kommission eine Abfindungsmöglichkeit auch für Dienstgeber eröffnet, bei denen der in der Anm. zu Abs. 5 festgelegte Schwellenwert nicht erreicht wird, weil dort weniger als 20 Arbeitnehmer beschäftigt sind und/oder weniger als fünf Beschäftigte von einer Maßnahme iSd. § 2 Abs. 1 Buchst. b SicherungsO betroffen sind. Ein solcher Anspruch bedarf jedoch des Abschlusses einer entsprechenden Dienstvereinbarung zwischen der Mitarbeitervertretung und dem Dienstgeber, an der es hier fehlt. Entgegen der Auffassung der Klägerin folgt allein aus der Regelung zum persönlichen Geltungsbereich der SicherungsO in § 1 keine Anspruchsberechtigung für sämtliche in der SicherungsO geregelten Sachverhalte. Zwar gilt danach die SicherungsO für alle Dienstgeber, die mehr als fünf Arbeitnehmer iSd. § 23 KSchG beschäftigen. Damit ist nur geregelt, dass die Klägerin, die bei einem Dienstgeber mit mehr als fünf Arbeitnehmern iSd. § 23 KSchG beschäftigt war, vom persönlichen Geltungsbereich der SicherungsO erfasst wird. Ob ihr die jeweiligen, in der SicherungsO geregelten Vergünstigungen auch zustehen, ist damit nicht bestimmt.
- Sinn und Zweck der Abfindungsregelung stehen mit dem Auslegungsergebnis in Einklang. Der Arbeitsrechtlichen Kommission stand es grundsätzlich frei, auch für Betriebe mit mehr als fünf und weniger als 20 Mitarbeitern zu regeln, dass diese eine Abfindung erhalten sollten. Dies ist nicht erfolgt. Vielmehr unterscheidet die SicherungsO gezielt zwischen Maßnahmen nach § 2 Abs. 1 Buchst. a und Buchst. b. Bei Maßnahmen nach § 2 Abs. 1 Buchst. a SicherungsO veranlasst der Dienstgeber erhebliche Änderungen von Arbeitstechniken oder wesentlichen Änderungen der Arbeitsorganisation mit dem Ziel einer rationelleren Arbeitsweise. Bei einer solchen Vorgehensweise, die das Fortbestehen von Einrichtungen und der damit verbundenen Möglichkeit der Einnahmenerzielung sichern soll, ist dem Dienstgeber eher zuzumuten, in Betrieben mit mehr als fünf Arbeitnehmern Abfindungen zu zahlen, als bei einer Maßnahme iSv. § 2 Abs. 1 Buchst. b SicherungsO, bei der er Tätigkeitsfelder einschränkt oder gänzlich aufgibt und keine Einnahmen mehr erwirtschaftet. Dementsprechend unterscheidet auch die Vorbemerkung zur SicherungsO ausdrücklich zwischen beiden Maßnahmen. Die gezielte Differenzierung des Abfindungsanspruchs nach der Art der Maßnahme verdeutlicht Sinn und Zweck der Beschränkung. Diese dient – wie vergleichbare Regelungen der §§ 111 BetrVG ff. – dem Überforderungsschutz kleinerer Dienstgeber. Sie sollen angesichts ihrer geringen Größe und damit einhergehenden geringeren Ertragskraft vor einer zu starken finanziellen Beanspruchung durch Abfindungszahlungen geschützt werden.
Unterschriften
Schmidt, Dr. Armbrüster, Brühler, J. Knauß, Oye
Fundstellen
Haufe-Index 1297701 |
AP, 0 |
EzA-SD 2005, 10 |
EzA |
NZA-RR 2005, 672 |
ZMV 2005, 149 |
NJOZ 2005, 4877 |