Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergütung ärztlichen Bereitschaftsdienstes
Orientierungssatz
BAT Anl SR 2c Nr 8 Abs 1 S 1 beinhaltet die Verpflichtung, sich auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufzuhalten, um im Bedarfsfall die Arbeit aufzunehmen. Der Arbeitgeber darf nach BAT Anl SR 2c Nr 8 Abs 1 S 2 Bereitschaftsdienst nur anordnen, wenn zu erwarten ist, daß zwar Arbeit anfällt, erfahrungsgemäß aber die Zeit ohne Arbeitsleistung überwiegt. Diese Vorschrift regelt somit nicht die Frage, ob Bereitschaftsdienst vorliegt, sondern, ob der Bereitschaftsdienst angeordnet werden darf.
Normenkette
BAT Anlage SR; BGB §§ 138, 611 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 14.01.1983; Aktenzeichen 9 Sa 93/82) |
ArbG Stade (Entscheidung vom 19.05.1982; Aktenzeichen 1 Ca 96/82) |
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Bewertung und Vergütung des vom Kläger geleisteten Bereitschaftsdienstes.
Der Kläger ist seit dem 1. Januar 1980 bei dem Beklagten als angestellter Assistenzarzt in der chirurgischen Abteilung des Krankenhauses B tätig. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft Vereinbarung vom 2. Januar 1980 die Bestimmungen des Bundes-Angestelltentarifvertrages (BAT) und die diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge Anwendung. Außerdem trafen die Parteien am 2. Januar 1980 eine schriftlich festgehaltene Nebenabrede mit folgendem Wortlaut:
"Der Arzt ist verpflichtet, außerhalb der
regelmäßigen Arbeitszeit Bereitschaftsdienst
im Sinne der - SR 2 c BAT Nr. 8 Abs. 1 zu
leisten.
Die Zeit des Bereitschaftsdienstes wird nach
Stufe D - SR 2 c Nr. 8 Abs. 2 a - bewertet."
Nebenabreden gleichen Inhalts waren mit den Assistenzärzten
der chirurgischen Abteilung bereits am 1. Juni 1979 vereinbart
worden, nachdem sich durch deren Aufzeichnungen über ihre Arbeitsbelastung
während der Bereitschaftsdienste herausgestellt
hatte, daß die bis dahin gewährte Vergütung der Dienste nach
Stufe C nicht mehr der tatsächlichen Beanspruchung entsprach.
Der Kläger und die übrigen Assistenzärzte der chirurgischen
Abteilung wurden in der Folgezeit regelmäßig zu einem teilweise
kombinierten Nacht- und Wochenendbereitschaftsdienst für die
chirurgische und innere Abteilung des Krankenhauses herangezogen.
Wegen der gemeinsamen Bereitschaftsdienste für diese beiden Abteilungen
kam es seit Dezember 1979 zu einem Schriftwechsel
zwischen den Assistenzärzten, Chefärzten und der Verwaltung des
Krankenhauses, wobei von den Ärzten zunächst lediglich geltend
gemacht wurde, diese Einteilung der Bereitschaftsdienste müsse
aus dringenden medizinischen Bedürfnissen geändert werden, da
eine optimale Versorgung von Notfallpatienten der inneren
Abteilung durch chirurgische Assistenzärzte nicht gewährleistet
sei. Erstmals mit Schreiben vom 3. Dezember 1980 an den Chefarzt
Dr. W wiesen die Assistenzärzte der chirurgischen Abteilung
zusätzlich darauf hin, daß "bereits durch die Versorgung der
chirurgischen Abteilung sowie auch der chirurgischen Ambulanz
nach letzter Erfahrung die Bereitschaftsgruppe D während der
Bereitschaftsdienste bezüglich des Arbeitsaufwandes voll
ausgefüllt" sei. Das Schreiben wurde der Verwaltung des
Krankenhauses in Abschrift zugeleitet. Aufgrund dieses Schreibens
wurde ab 1. März 1981 der bis dahin nur an den Wochenenden und
Wochenfeiertagen getrennte Bereitschaftsdienst in den beiden
Abteilungen auch an dem erfahrungsgemäß mit Arbeitsleistungen
während des Dienstes stark belegten Freitag getrennt.
Gleichzeitig wurde angeordnet, daß die Assistenzärzte vom
1. April bis 30. September 1981 zur Überprüfung der
Arbeitsbelastung während der Bereitschaftsdienste aufgrund der
neuen Situation Aufzeichnungen führen sollten. Diese dem
Beklagten mit Schreiben des Klägers vom 16. September 1981
zugeleiteten Aufzeichnungen ergaben bis zum 15. September 1981
folgendes Bild:
1. An Wochentagen von montags bis donnerstags
für die chirurgische und innere Abteilung
= 56,91 +- 5,5 %
2. An Freitagen für die chirurgische Abteilung
= 56,86 +- 2,9 %
3. An Samstagen, Sonntagen und Feiertagen für
die chirurgische Abteilung = 68,74 +- 5,7 %.
Daraufhin wurde von dem Beklagten ab 1. Oktober 1981 der Bereitschaftsdienst für die chirurgische und die innere Abteilung vollständig getrennt und für den Bereitschaftsdienst an Wochenenden und Wochenfeiertagen in der chirurgischen Abteilung 2 Assistenzärzte eingesetzt.
Der Kläger hat mit dem Schreiben vom 16. September 1981 für die Zeit vom 1. April bis 30. September 1981 zugleich die Zahlung des Unterschiedsbetrages zwischen der nach Bereitschaftsdienst Stufe D gezahlten und der bei Bewertung des Dienstes als Arbeitszeit zu zahlenden Vergütung in rechnerisch unstreitiger Höhe von 2.547,04 DM brutto und 771,84 DM lohnsteuerfrei begehrt. Dies lehnte der Beklagte mit Schreiben vom 21. Dezember 1981 ab.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, in dieser Zeit habe die Zeit ohne Arbeitsleistung während des Bereitschaftsdienstes nicht mehr überwogen; der Beklagte hätte deshalb während dieser Zeit keinen Bereitschaftsdienst mehr anordnen dürfen. Insbesondere habe der Beklagte aufgrund des voraufgegangenen Schriftwechsels wegen der Trennung der Dienste in den beiden Abteilungen nicht mehr davon ausgehen dürfen, daß die Arbeitsbeanspruchung während der Bereitschaftsdienste nicht mehr als 49 % betragen werde.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger
2.547,04 DM brutto und 771,84 DM lohnsteuerfrei
nebst 4 % Zinsen ab 1. Oktober 1981 zu
zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, der Kläger sei für die von ihm in der Zeit vom 1. April bis 30. September 1981 erbrachten Bereitschaftsdienste zutreffend gemäß der Nebenabrede vom 2. Januar 1980 nach der Stufe D vergütet worden. Vor dem 1. Oktober 1981 habe für ihn keine Veranlassung bestanden, den Dienstplan völlig umzugestalten, da bis dahin keine gesicherten Erfahrungswerte über einen längeren Zeitraum über die tatsächliche Arbeitsbelastung während der Dienste vorgelegen hätten. Auf den allgemeinen Hinweis im Schreiben vom 3. Dezember 1980 habe er nach Erörterung mit den Assistenzärzten durch Trennung der Dienste am Freitag und Anordnung von Aufzeichnungen reagiert. Ebenso habe er sogar schon vor Ablauf der Aufzeichnungsfrist die sich abzeichnende Mehrbelastung durch organisatorische Maßnahmen beseitigt. Eine rückwirkende Änderung der Dienste, verbunden mit einem Anspruch auf eine höhere Vergütung sei deshalb nicht möglich.
Das Arbeitsgericht hat der Klageforderung entsprochen. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat das Bundesarbeitsgericht die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung bei der Auslegung der Nr. 8 Abs. 1 SR 2 c BAT zugelassen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Vergütung der Bereitschaftsdienstzeiten als volle Arbeitszeit.
I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, die Zuordnung der Tätigkeit des Klägers zum Bereitschaftsdienst der Stufe D sei in der Zeit vom 1. April bis 30. September 1981 nicht tarifwidrig gewesen. Zwar dürfe der Arbeitgeber nach Nr. 8 Abs. 1 Satz 2 SR 2 c BAT Bereitschaftsdienst nur anordnen, wenn zu erwarten sei, daß zwar Arbeit anfalle, erfahrungsgemäß aber die Zeit ohne Arbeitsleistung überwiege. Entscheidend sei daher, ob der Arbeitgeber nach den Erfahrungen der Vergangenheit davon ausgehen konnte, die Zeit der Arbeitsleistung werde nicht überwiegen. Daraus folge, daß der Arzt keinen Anspruch auf nachträgliche Umwandlung eines angeordneten Bereitschaftsdienstes in Volldienst habe, wenn sich später herausstelle, daß die Zeit der Arbeitsleistung überwogen habe. Erst wenn der Arbeitgeber nach einem ausreichenden Erfahrungszeitraum feststelle, daß die Zeit der Arbeitsleistung überwiege, müsse er die Anordnung für die Zukunft korrigieren. Der Beklagte sei nach diesen Grundsätzen verfahren. Die Assistenzärzte hätten erst durch das Schreiben vom 3. Dezember 1980 darauf hingewiesen, daß die Zeit der Arbeitsleistung überwogen habe. Hierauf habe der Beklagte bereits mit dem Schreiben des ärztlichen Leiters vom 10. Dezember 1980 reagiert. Er habe durch die Trennung der Dienste in der Chirurgie und der inneren Abteilung und die Anordnung, Aufzeichnungen über die neuen Dienste zu fertigen, um aktuelle Werte zu erhalten, der neuen Situation ausreichend Rechnung getragen. Ebenso habe er auf die Ergebnisse der Aufzeichnungen umgehend durch Neuorganisation der Dienste ab 1. Oktober 1981 reagiert.
II. Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten im Ergebnis und in der Begründung der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
1. Gemäß der vorliegend kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung anwendbaren Nr. 8 Abs. 1 Satz 1 SR 2 c BAT ist der Arzt verpflichtet, sich auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufzuhalten, um im Bedarfsfall die Arbeit aufzunehmen (sog. Bereitschaftsdienst; vgl. auch BAGE 8, 25, 28 = AP Nr. 5 zu § 7 AZO). Der Bereitschaftsdienst stellt demnach keine volle Arbeitsleistung dar (BAG Urteil vom 9. August 1978 - 4 AZR 77/77 - AP Nr. 5 zu § 17 BAT m.w.N. aus Rechtsprechung und Schrifttum), sondern ist seinem Wesen nach eine Aufenthaltsbeschränkung, die mit der Verpflichtung verbunden ist, bei Bedarf unverzüglich tätig zu werden (BAG Urteil vom 27. Februar 1985 - 7 AZR 552/82 - AP Nr. 12 zu § 17 BAT; Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr, BAT, 3. Aufl., Stand Februar 1987, Bd. 3, SR 2 c BAT Nr. 8 Rz 2 i. Verb. m. SR 2 a BAT Nr. 6 Rz 7; Uttlinger/Breier/Kiefer, BAT, Stand Oktober 1986, Bd. II, SR 2 c BAT, Erl. a zu Nr. 8). Mit Ausnahme der Zeiten des Arbeitsanfalls kann der Angestellte somit tun, was er will; er kann sich insbesondere ausruhen und schlafen (vgl. Uttlinger/Breier/Kiefer, aaO; Röhsler, Die Arbeitszeit, 1973, S. 33). Ein bestimmter Anteil an Arbeitsleistung ist dem Bereitschaftsdienst nicht begriffsimmanent (BAG Urteil vom 27. Februar 1985 - 7 AZR 552/82 - aaO).
2. Der Arbeitgeber darf nach Nr. 8 Abs. 1 Satz 2 SR 2 c BAT Bereitschaftsdienst nur anordnen, wenn zu erwarten ist, daß zwar Arbeit anfällt, erfahrungsgemäß aber die Zeit ohne Arbeitsleistung überwiegt. Diese Vorschrift regelt somit nicht die Frage, ob Bereitschaftsdienst vorliegt, sondern, ob Bereitschaftsdienst angeordnet werden darf. Auch ist danach nicht der tatsächliche Arbeitsleistungsanteil für die Beurteilung des Bereitschaftsdienstes entscheidend, sondern die zu erwartende Arbeitsleistung, aber diese wiederum nur im Zusammenhang mit der Frage, ob Bereitschaftsdienst angeordnet werden darf. Bereitschaftsdienst, den der Arbeitgeber nicht hätte anordnen dürfen, bleibt aber gleichwohl Bereitschaftsdienst und wird nicht etwa von selbst zur vollen Arbeitsleistung (BAG Urteil vom 27. Februar 1985 - 7 AZR 552/82 - aaO). An dem Charakter der Dienstleistung als Bereitschaftsdienst ändert sich nichts dadurch, daß der Anteil der Zeit mit Arbeitsleistung überwiegt, zumal gleichwohl die Möglichkeit der Eigengestaltung in den Zwischenzeiten verbleibt. Es kann daher auch dahingestellt bleiben, ob der Bereitschaftsdienst rechtlich als Arbeitszeit oder als Ruhezeit anzusehen ist (vgl. zur Problematik z.B. Denecke/Neumann, AZO, 9. Aufl., § 7 Rz 23; Bitter, AR-Blattei "Krankenpflege- und Heilhilfspersonal I" unter E II; Klak, Der Bereitschaftsdienst angestellter Krankenhausärzte, S. 243; Röhsler, AR-Blattei "Pausen und Ruhezeiten" unter B III 1 b). Lohnrechtlich ist der Bereitschaftsdienst jedenfalls keine Vollarbeit, die den Anspruch auf eine volle Vergütung für die Bereitschaftsdienstzeiten auslöst (Röhsler, aaO).
3.a) Etwas anderes folgt auch nicht aus Nr. 8 Abs. 2 SR 2 c BAT. Danach wird die Zeit des Bereitschaftsdienstes nach dem Maß der während des Bereitschaftsdienstes erfahrungsgemäß durchschnittlich anfallenden Arbeitsleistung in bestimmtem Umfang als Arbeitszeit gewertet. Die Arbeitsleistung wird bei dieser Bewertung zwar nur bis 49 % berücksichtigt. Dies läßt aber nicht den Schluß zu,daß bei einem höheren Arbeitsleistungsanteil kein Bereitschaftsdienst mehr gegeben ist. Die Nr. 8 Abs. 2 SR 2 c BAT darf nämlich nicht isoliert betrachtet werden, sondern ist im Zusammenhang mit Abs. 1 der Nr. 8 SR 2 c BAT zu sehen. Da bei einer zu erwartenden Arbeitsleistung von mehr als 49 % Bereitschaftsdienst nicht angeordnet werden darf, bestand kein Grund für eine Regelung dieses Falles. Die Tarifvertragsparteien haben vielmehr bewußt eine Vergütungsregelung für diesen Fall nicht getroffen und eine Bewertung als Arbeitszeit nicht vorgenommen. Nach ihrem erkennbaren Willen geht es bei Abs. 2 der Nr. 8 SR 2 c BAT allein um die Berechnung der Vergütung des zulässigen Bereitschaftsdienstes. Sofern die Anordnung von Bereitschaftsdienst nach Abs. 1 der Nr. 8 SR 2 c BAT unzulässig ist, soll nach dem Willen der Tarifvertragsparteien eine anderweitige Regelung getroffen werden (BAG Urteil vom 27. Februar 1985 - 7 AZR 552/82 - aaO). Als solche kommen Schichtdienste, zeitversetzte Dienste und geteilte Dienste in Betracht (vgl. u.a. BAG Urteil vom 19. Juni 1985 - 5 AZR 57/84 - AP Nr. 11 zu § 4 BAT).
b) Soweit der Tarifvertrag keine Bewertung von Bereitschaftsdienst mit höherem Arbeitsleistungsanteil als 49 % enthält, liegt deshalb eine Tariflücke vor. Sie zu schließen ist den Gerichten versagt. Die bewußte Begrenzung der Vergütungsregelung auf Bereitschaftsdienste mit höchstens 49 % Arbeitsleistungsanteil läßt den Schluß zu, daß es sich um eine bewußte tarifliche Regelungslücke handelt. Die Bewertung von Bereitschaftsdienst mit mehr als 49 % Arbeitsleistungsanteil als volle Arbeitszeit dürfte insoweit sogar dem Willen der Tarifvertragsparteien widersprechen (BAG Urteil vom 27. Februar 1985 - 7 AZR 552/82 - aaO), weil dies einen Anreiz bieten könnte, entgegen der Regelung des Abs. 1 der Nr. 8 SR 2 c BAT Bereitschaftsdienst zu leisten. Die Gefahr einer übergroßen Belastung der Ärzte, die mit der Menschenwürde und mit den Interessen der Patientenversorgung nicht in Einklang stünde, wäre dann nicht von der Hand zu weisen (vgl. insoweit auch die Ausführungen des BAG im Urteil vom 24. Februar 1982, BAGE 38, 69 = AP Nr. 7 zu § 17 BAT im Zusammenhang mit Fragen des Bereitschaftsdienstes).
c) Aber auch eine unbewußte tarifliche Lücke könnte vorliegend nicht durch Auslegung geschlossen werden, da keine hinreichenden und sicheren Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, wie die Tarifvertragsparteien die betreffende Frage im Zeitpunkt des Tarifvertragsabschlusses voraussichtlich geregelt hätten, wenn sie an den nicht geregelten Fall gedacht hätten (vgl. BAGE 36, 218, 225 f. = AP Nr. 19 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten). Es gibt im vorliegenden Fall nicht nur eine denkbare Regelung, die billigem Ermessen entspräche. So wäre z. B. auch eine Ausweitung des Arbeitszeitrahmens über zeitversetzte oder geteilte Dienste (BAG Urteil vom 19. Juni 1985, aaO) oder die Einrichtung von Schichtdiensten denkbar, um die Inanspruchnahme durch Bereitschaftsdienst zu verringern.
d) Ob im Einzelfall der Arzt einen Schadenersatzanspruch hat, wenn der Arbeitgeber bei seiner Anordnung von vornherein wußte, daß die mit Arbeitsleistung ausgefüllte Zeit während des Bereitschaftsdienstes überwiegen werde, braucht hier nicht entschieden zu werden, da dafür keine Anhaltspunkte gegeben sind.
4.a) Dem Landesarbeitsgericht ist auch darin zuzustimmen, daß die Anordnung von Bereitschaftsdienst nicht dadurch rückwirkend unzulässig wird, daß im Einzelfall während seiner Dauer die Zeit mit Arbeitsleistung überwogen hat. Dies ergibt sich schon daraus, daß für die Anordnung in der Vergangenheit gemachte Erfahrungen maßgebend sind, also die zeitliche Belastung vor der Anordnung entscheidend ist, nicht deren weitere Entwicklung nach der Entscheidung (Crisolli/Ramdohr, Das Tarifrecht der Angestellten im öffentlichen Dienst, Stand Juli 1986, Erl. 6 zu SR 2 c Nr. 8). Erst wenn sich in der Folgezeit herausstellt, daß die Arbeitsleistung nicht nur im Einzelfall überwiegt, macht dies die weitere Anordnung von Bereitschaftsdienst für die Zukunft unzulässig (Crisolli/Ramdohr, aaO, Erl. 6; Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, BAT, Stand Februar 1987, Erl. 3 zu SR 2 a Nr. 6, S. 14; Erl. 1 zu SR 2 c Nr. 8).
b) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat der Beklagte mit allen Assistenzärzten der Chirurgie auf der Grundlage von bis dahin gemachten Erfahrungen am 1. Juni 1979 Nebenabreden nach Nr. 8 Abs. 5 SR 2 c in Verb. mit § 4 Abs. 2 BAT über die Einstufung des Bereitschaftsdienstes in die Stufe D abgeschlossen. Die gleiche Nebenabrede hat der Kläger mit dem Beklagten ab 1. Januar 1980 zu Beginn seines neuen Arbeitsverhältnisses getroffen. Irgendwelche Feststellungen, daß dem Beklagten schon zu diesem Zeitpunkt Erfahrungswerte vorlagen, denen zufolge während der Bereitschaftsdienstzeiten die Zeit ohne Arbeitsleistung nicht überwogen hat, hat das Landesarbeitsgericht nicht getroffen. In der Folgezeit haben sich zwar nach den weiteren Feststellungen des Landesarbeitsgerichts die chirurgischen Assistenzärzte gegen den gemeinsamen Wochendienst in der Chirurgie und der inneren Abteilung gewandt, jedoch immer mit der Begründung, die Notversorgung internistischer Patienten durch chirurgische Assistenzärzte stelle keine optimale Versorgung dar und die Chirurgen würden dadurch teilweise überfordert. Selbst das Schreiben vom 3. Dezember 1980, in dem die Assistenzärzte erstmals zusätzlich auf die zeitliche Belastung hinwiesen, befaßt sich mit den Risiken der gemeinsamen Dienste in beiden Abteilungen und führt die zeitliche Belastung nur pauschal als einen Grund unter mehreren für deren Trennung an. Dies wird auch besonders deutlich daran, daß die chirurgischen Assistenzärzte auf den Vorschlag des ärztlichen Leiters des Krankenhauses vom 10. Dezember 1980 erst mit Schreiben vom 4. Februar 1981 antworteten, sie seien mit einer Trennung der Dienste am Freitag einverstanden, wenn für sie der Dienst an diesem Tag weiterhin nach der Bereitschaftsgruppenvergütung D vergütet werde. Damit haben sie aber selbst zum Ausdruck gebracht, daß der Bereitschaftsdienst in der Chirurgie allein die Voraussetzungen der Gruppe D erfüllt. Sie haben insbesondere nicht darauf hingewiesen, daß trotz Trennung am Freitag die Zeit ohne Arbeitsleistung nicht überwiegt. Schon unter dem 16. Februar 1981 wurde sodann die Trennung der Dienste am Freitag angeordnet und im März die Fertigung von Aufzeichnungen in der Zeit vom 1. April bis 30. September 1981 über die Belastung während der Bereitschaftsdienste aufgrund dieser Maßnahmen verfügt.
Daraus folgt, daß dem Beklagten jedenfalls im Frühjahr 1981 noch keine Erfahrungswerte darüber vorlagen, daß die Arbeitsbelastung im chirurgischen Bereitschaftsdienst nach der Trennung der Dienste in den beiden Abteilungen die zulässigen Grenzwerte dauerhaft überschritt. Dies war erst der Fall, nachdem dem Beklagten die Aufzeichnungen für die Zeit ab 1. April bis 30. September 1981 vorgelegen hatten. Darauf hat er jedoch unverzüglich reagiert und bereits ab 1. Oktober 1981 eine Neuorganisation vorgenommen, mit der die Mehrbelastung dauerhaft abgebaut wurde.
5. Die so verstandene tarifvertragliche Regelung verstößt im vorliegenden Fall auch gegen § 138 BGB. Der Revision ist zwar zuzugestehen, daß der Beklagte eine Neueinteilung der Dienste und, damit einhergehend, der Vergütung dann sofort hätte vornehmen müssen, wenn die Arbeitsleistungen während der Bereitschaftsdienste und die dafür gezahlte Vergütung in einem krassen Mißverhältnis zueinander gestanden hätten. Abgesehen davon, daß es dem Wesen einer Pauschalvergütung entspricht, daß nicht nur keine konkrete Vergütungsabrechnung erfolgt, sondern diese auch wegen des schwankenden Arbeitsanfalls notwendigerweise teils über, teils unter der angenommenen Norm liegt, lag die Vergütung hier mit 55 v. H. nach dem eigenen Vortrag des Klägers jedoch im Rahmen der tatsächlichen Arbeitsleistung. Darüber hinaus spricht für die hier vertretene Auffassung, wie das Landesarbeitsgericht bereits ausgeführt hat, auch der Umstand, daß die für die Vergütung konstitutive Nebenabrede (vgl. hierzu BAG Urteil vom 9. August 1978 - 4 AZR 77/77 - AP Nr. 5 zu § 17 BAT mit insoweit zust. Anm. von Herschel) zur hier streitbefangenen Zeit nach Nr. 8 Abs. 5 Satz 2 SR 2 c BAT von beiden Vertragspartnern jeweils zum Ende eines Kalenderjahres kündbar ist. Daraus folgt, daß die Tarifvertragsparteien jedenfalls davon ausgegangen sind, daß nicht die tatsächlich während der einzelnen Dienste geleistete Arbeit für die Vergütung entscheidend sein sollte, sondern die durchschnittliche Belastung während eines längeren Zeitraumes.
Dr. Jobs Dörner Schneider
Möller-Lücking Fischer
Fundstellen
EzBAT, Bereitschaftsdienst Nr 2 (ST1-2) |