Entscheidungsstichwort (Thema)
Überbrückungsbeihilfe. Anrechnung Witwenrente. öffentl. Dienst
Leitsatz (amtlich)
Auf eine Überbrückungsbeihilfe nach § 4 TV SozSich, die eine ausgeschiedene Arbeitnehmerin der US-Stationierungsstreitkräfte beanspruchen kann, ist gemäß § 5 Satz 1 Buchst. b TV SozSich eine Witwenrente anzurechnen, die der ausgeschiedenen Arbeitnehmerin von den britischen Streitkräften gewährt wird.
Leitsatz (redaktionell)
Hinweise des Senats:
Fortsetzung der Rechtsprechung aus dem Urteil vom 16. Juli 1998 (– 6 AZR 672/96 – AP TVG § 4 Rationalisierungsschutz Nr. 27)
Verhältnis zu bisheriger Rechtsprechung:
Fortsetzung der Rechtsprechung aus dem Urteil vom 16. Juli 1998 (– 6 AZR 672/96 – AP TVG § 4 Rationalisierungsschutz Nr. 27)
Orientierungssatz
Auf eine Überbrückungsbeihilfe nach § 4 TV SozSich, die eine ausgeschiedene Arbeitnehmerin der US-Stationierungsstreitkräfte beanspruchen kann, ist gemäß § 5 Satz 1 Buchst. b TV SozSich eine Witwenrente anzurechnen, die der ausgeschiedenen Arbeitnehmerin von den britischen Streitkräften gewährt wird.
Normenkette
TVG § 4; TVAL II § 42; Tarifvertrag vom 31. August 1971 zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland – TV Soziale Sicherung – (TV SozSich) §§ 2, 4 Ziff. 1, § 5
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 9. November 1999 – 2 Sa 749/99 – wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob auf die der Klägerin nach dem Tarifvertrag zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 31. August 1971 (TV SozSich) zu gewährende Überbrückungsbeihilfe eine von den britischen Streitkräften gewährte Witwenrente anzurechnen ist.
Die am 1. Juli 1940 geborene Klägerin war bei den US-Streitkräften in der Zeit vom 1. Juli 1983 bis 31. Dezember 1995 als Ermittlerin beschäftigt. Die Parteien haben das Arbeitsverhältnis, auf das der TV AL II Anwendung fand, wegen Truppenreduzierung durch Aufhebungsvertrag zum 31. Dezember 1995 beendet. Die Klägerin ist verwitwet. Sie war mit einem englischen Offizier verheiratet und bezieht seit dem Tod ihres Mannes von den britischen Streitkräften eine Witwenrente in Höhe von ca. 900,00 DM monatlich.
Auf die der Klägerin nach dem TV SozSich zu zahlende Überbrückungsbeihilfe rechnet die Beklagte die Witwenrente nach § 5 TV SozSich an und zahlt an die Klägerin die Überbrückungsbeihilfe monatlich um den Betrag von ca. 900,00 DM gekürzt aus. In § 5 TV SozSich heißt es:
„Andere Leistungen als nach § 4 Ziffer 1, auf die der Arbeitnehmer für Zeiten des Bezuges der Überbrückungsbeihilfe Anspruch hat,
- gegen den bisherigen oder einen neuen Arbeitgeber,
- gegen einen Sozialversicherungs- oder Sozialleistungsträger,
- aus sonstigen öffentlichen Mitteln,
sind auf die Überbrückungsbeihilfe anzurechnen. …”
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, eine Anrechnung nach § 5 Satz 1 TV SozSich sei ausgeschlossen, weil keiner der in dieser tariflichen Bestimmung genannten Anrechnungstatbestände erfüllt sei. Die Tarifvertragsparteien hätten in § 5 Satz 1 TV SozSich Begriffe der deutschen Rechtsterminologie verwandt. Sinn und Zweck der tariflichen Regelung sei der Ausschluß von Doppelleistungen des gleichen Trägers. Dies seien entweder der Vertragspartner des Arbeitnehmers oder der deutsche Staat, der die Überbrückungsleistungen erbringe. Demgegenüber werde die der Klägerin gezahlte Witwenrente nicht von dem Arbeitgeber der Klägerin oder von einem deutschen Träger geleistet.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß die ihr aus England gezahlte Witwenrente nicht auf die ihr nach dem Tarifvertrag vom 31. August 1971 zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TaSS) zustehende Überbrückungsbeihilfe angerechnet werden kann.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die Witwenrente sei eine Leistung iSv. § 5 Abs. 1 TV SozSich. Der Tarifwortlaut unterscheide nicht danach, ob es sich um Leistungen inländischer oder ausländischer Leistungsträger handele. Entscheidend sei allein der jeweilige Charakter der gewährten Leistung.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageanspruch weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg. Zu Recht haben die Vorinstanzen die Klage als unbegründet abgewiesen.
Zwar liegen die Voraussetzungen des § 2 TV SozSich für die Gewährung einer Überbrückungsbeihilfe unstreitig vor. Auf diese Leistung ist jedoch die Witwenrente der Klägerin anzurechnen. Dies ergibt sich aus § 5 Satz 1 Buchst. b TV SozSich.
1. Die Witwenrente erfüllt die Voraussetzungen dieser Bestimmung. Sie ist keine Leistung iSd. § 4 Ziff. 1 TV SozSich, sondern eine andere Leistung, auf die die Klägerin für Zeiten des Bezugs der Überbrückungsbeihilfe einen Anspruch gegen einen Sozialleistungsträger hat. Sozialleistungsträger für die an die Klägerin gezahlte Witwenrente sind die britischen Streitkräfte. Für eine einschränkende Auslegung, daß die in § 5 Satz 1 Buchst. b TV SozSich verwendeten Begriffe sich nur auf deutsche Sozialversicherungs- oder Sozialleistungsträger beziehen, findet sich im Wortlaut dieser Tarifbestimmung kein Anhaltspunkt. In dieser Bestimmung wird nicht zwischen ausländischem oder inländischem Sozialversicherungs- oder Sozialleistungsträger unterschieden. Dies ergibt eine Auslegung der tariflichen Bestimmung.
a) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages erfolgt nach den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Dabei ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen. Zu ermitteln ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Über den Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Ferner ist auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen, der häufig schon deswegen mitberücksichtigt werden muß, weil nur daraus und nicht aus der einzelnen Tarifnorm auf den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien geschlossen und deshalb nur bei Mitberücksichtigung des tariflichen Gesamtzusammenhangs der Sinn und Zweck der Tarifnormen zutreffend ermittelt werden können(st. Rspr. BAG 12. September 1984 – 4 AZR 336/82 – BAGE 46, 308; 16. Juli 1998 – 6 AZR 672/96 – AP TVG § 4 Rationalisierungsschutz Nr. 27).
b) Nach dem Wortlaut des § 5 Satz 1 Buchst. b TV SozSich wird die Witwenrente von dieser tariflichen Bestimmung erfaßt. Diese spricht von „anderen Leistungen”, auf die die Klägerin gegen den bisherigen Arbeitgeber ihres verstorbenen Ehemannes Anspruch hat. Eine Differenzierung nach dem Rechtsgrund der Leistung enthält die Tarifbestimmung nicht. Auch aus der Bezeichnung des Anspruchsgegners als „Sozialleistungsträger” folgt nicht, daß die Leistung sich nur gegen einen deutschen Sozialleistungsträger richten muß.
Die Klägerin hat vorgetragen, daß die von ihr bezogene Witwenrente von den britischen Streitkräften gezahlt werde. Witwenrenten fallen unter den Begriff der Sozialleistung (vgl. § 23 Abs. 1 Ziff. 1 Buchst. d SGB I). Für die von der Klägerin behauptete einschränkende Auslegung, daß die Bestimmung in § 5 Satz 1 Buchst. b TV SozSich sich nur auf deutsche Sozialversicherungs- oder Sozialleistungsträger beziehe, findet sich in dem Wortlaut kein Hinweis. In dieser Bestimmung wird gerade nicht zwischen ausländischem und inländischem Sozialversicherungs- oder Sozialleistungsträger unterschieden. Ausgehend vom Wortlaut kommt es somit nur darauf an, ob eine solche Sozialleistung erbracht wird, unabhängig davon, ob sie von einem ausländischen oder inländischen Rechtsträger gezahlt wird. Dieses Ergebnis wird auch durch den Sinn und Zweck der Tarifbestimmung bestätigt.
c) Der TV SozSich bestimmt, daß Arbeitnehmer, die aus den in § 2 Ziff. 1 TV SozSich genannten Gründen entlassen werden, möglichst sofort wieder in den Arbeitsprozeß eingegliedert werden sollen und schreibt vor, daß der Arbeitnehmer sich nach der Kündigung arbeitssuchend und nach der Entlassung arbeitslos zu melden sowie an zur Wiedereingliederung in den Arbeitsprozeß erforderlichen Maßnahmen der Arbeitsverwaltung teilzunehmen hat (§ 3 TV SozSich). Dem aus dieser Regelung deutlich werdenden Bestreben, die Leistungsdauer der Überbrückungsbeihilfe möglichst zu verkürzen, entsprechen die Regelungen über die Begrenzung der Höhe dieser Leistung auf den zur Überbrückung des Leistungszeitraums erforderlichen Leistungsbedarf(vgl. BAG 16. Juli 1998 – 6 AZR 672/96 – aaO). § 4 Ziff. 1 TV SozSich sieht deshalb vor, daß die Überbrückungsbeihilfe sowohl zum Arbeitsentgelt aus anderweitiger Beschäftigung außerhalb des Bereichs der Stationierungsstreitkräfte als auch zu Sozialleistungen (Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe, Unterhaltsgeld, Krankengeld der gesetzlichen Krankenversicherung und Verletztengeld der gesetzlichen Unfallversicherung bei Arbeitsunfähigkeit infolge Arbeitsunfall) gewährt wird. Den Leistungsbedarf haben die Tarifvertragsparteien in der Weise festgelegt, daß die Höhe der Überbrückungsbeihilfe sich aus dem Unterschied zwischen bestimmten Prozentsätzen einer Bemessungsgrundlage (§ 4 Ziff. 4 TV SozSich) und den in § 4 Ziff. 1 genannten Einkünften des entlassenen Arbeitnehmers ergibt. Daraus ergibt sich, daß die finanzielle Absicherung des entlassenen Arbeitnehmers darin bestehen soll, diesem nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses insgesamt Einkünfte in der Höhe zu gewährleisten, die er im fortbestehenden Arbeitsverhältnis bei den Stationierungsstreitkräften als tarifliche Grundvergütung bezogen hätte, nach Ablauf eines Jahres geringfügig gemindert (§ 4 Ziff. 1, § 4 Ziff. 3 Buchst. a (2) TV SozSich). In diesem Umfang soll der Lebensunterhalt des Arbeitnehmers durch die Überbrückungsbeihilfe gesichert werden. Auch die Anrechnungsregelungen in § 5 TV SozSich tragen diesem Leistungszweck Rechnung. Durch sie soll verhindert werden, daß der Arbeitnehmer auf Grund der Überbrückungsbeihilfe nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei den Stationierungsstreitkräften in Folge von Leistungen, die der bisherige Arbeitgeber, der neue Arbeitgeber oder öffentliche Leistungsträger zu erbringen haben, höhere Einkünfte erzielt, als die zuletzt im Arbeitsverhältnis bezogene tarifliche Grundvergütung. Die Einkommenseinbuße soll durch die Überbrückungsbeihilfe nur insoweit ausgeglichen werden, als nicht bereits der bisherige Arbeitgeber oder öffentliche Leistungsträger Leistungen zu erbringen haben, die dem gleichen Zweck dienen wie die Überbrückungsbeihilfe. Die von den britischen Streitkräften der Klägerin gewährte Witwenrente ist nach den nicht angegriffenen Feststellungen der Vorinstanzen eine Versorgungsleistung. Die Überbrückungsbeihilfe dient nicht dazu, die Höhe der zuletzt während des Arbeitsverhältnisses effektiv erzielten Einkünfte zu sichern, vielmehr soll der Einkommensverlust, bezogen auf die zuletzt erzielte tarifliche Grundvergütung, unter Berücksichtigung der demselben Zweck wie die Überbrückungsbeihilfe dienenden Leistungen, auf die der Arbeitnehmer gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber und öffentlichen Leistungsträger einen Anspruch hat, ausgeglichen werden. Deshalb sind auch Leistungen, die der Arbeitnehmer schon während des Arbeitsverhältnisses bei den Stationierungsstreitkräften vom Arbeitgeber oder aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhalts bezogen hat, wie es bei der Witwenrente der Klägerin der Fall sein könnte, auf die Überbrückungsbeihilfe anzurechnen(vgl. BAG 16. Juli 1998 – 6 AZR 672/96 – aaO).
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Armbrüster, Gräfl, Friedrich, Gebert, Erika Holzhausen
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 26.04.2001 durch Schneider, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
BB 2001, 2654 |
NZA 2002, 628 |
ZTR 2002, 37 |
AP, 0 |
PersR 2002, 1 |