Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtverlängerung des befristeten Arbeitsvertrages einer Schauspielmusikerin
Leitsatz (amtlich)
1. Schauspielmusiker sind Bühnenmitglieder im Sinne des § 1 Abs. 2 Normalvertrag Solo.
2. Eine Nichtverlängerungsmitteilung nach § 2 Abs. 1 TVM bedarf keines sie rechtfertigenden Grundes und kann daher auch aus betrieblichen Gründen erfolgen. Bei der Anhörung des Bühnenmitglieds nach § 2 Abs. 5 TVM braucht der Intendant nur seine subjektive Motivation für die Nichtverlängerung des Vertrages offenzulegen (im Anschluß an BAG Urteil vom 15. März 1989 - 7 AZR 316/88 - AP Nr. 35 zu § 611 BGB Bühnenengagementsvertrag).
Normenkette
BGB § 611; Normalvertrag Solo § 1 Abs. 2; Tarifvertrag über die Mitteilungspflicht vom 23. November 1977 (TVM) § 2 Abs. 1, 5
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 6. Dezember 1996 - 3 Sa 819/96 - wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Befristung ihres Arbeitsverhältnisses und in diesem Zusammenhang über die Wirksamkeit einer Nichtverlängerungsmitteilung.
Die Klägerin ist Musikerin mit dem Spezialgebiet Viola. Sie trat zum 1. August 1994 gemäß einem bis zum 31. Juli 1995 befristeten Arbeitsvertrag als Schauspielmusikerin in die Dienste des Staatsschauspiels Dresden. Mit Änderungsvertrag vom 16. März 1995 vereinbarten die Parteien eine Verlängerung des Arbeitsverhältnisses für die Spielzeit 1995/1996 bis zum 31. Juli 1996. Gemäß § 6 des Arbeitsvertrages vom 26. Oktober 1993 bestimmt sich das Arbeitsverhältnis nach dem Normalvertrag Solo in der jeweils geltenden Fassung und den ihn ändernden und ergänzenden oder an seine Stelle tretenden Tarifverträgen sowie nach den sonstigen zwischen dem Deutschen Bühnenverein und der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger für die auf Normalvertrag Solo Beschäftigten vereinbarten Tarifverträgen. Die Klägerin ist Mitglied der IG Medien, das beklagte Land ist Mitglied im Deutschen Bühnenverein.
Auf Einladung durch Schreiben vom 8. Juni 1995 hörte der Intendant des Staatsschauspiels Dresden die Klägerin am 16. Juni 1995 zu seiner Absicht an, das Ensemble der Schauspielmusiker vor dem Hintergrund der sich finanziell verengenden Haushaltssituation zu reduzieren. Am Ende dieses Gesprächs händigte der Intendant der Klägerin das Schreiben vom 16. Juni 1995 aus, in dem der Klägerin die Nichtverlängerung ihres Arbeitsvertrages mitgeteilt wurde. Insgesamt wurde die Bühnenmusik beim Staatsschauspiel Dresden von bisher neun Musikern auf drei, nämlich den Leiter sowie die beiden Pianisten, die auch die Aufgabe der Repetitoren erfüllen, reduziert.
Mit ihrer am 27. November 1995 eingereichten Klage hat sich die Klägerin gegen die Nichtverlängerung gewandt und die Ansicht vertreten, die Befristung sei sachlich nicht gerechtfertigt. Sie sei nicht Bühnenmitglied im Sinne des § 1 Abs. 2 Normalvertrag Solo, denn in dieser Tarifvorschrift seien Schauspielmusiker nicht genannt. Mit Musikern würden typischerweise unbefristete Arbeitsverträge geschlossen; für sie gelte der Tarifvertrag für Musiker in Kulturorchestern. Im übrigen fehle in den neuen Bundesländern auch eine langjährige Bühnenpraxis der Befristung von Arbeitsverträgen. Auch sei die Nichtverlängerungsmitteilung unwirksam, weil der Intendant die Klägerin nicht ordnungsgemäß angehört habe.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien über den 31. Juli 1996 hinaus zu unveränderten Bedingungen fortbesteht.
Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat die Befristung für wirksam und die Nichtverlängerungsmitteilung für ordnungsgemäß gehalten.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen; das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter. Das beklagte Land beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das Berufungsurteil ist rechtsfehlerfrei.
1. Das Landesarbeitsgericht hat die Befristungsvereinbarung zu Recht für wirksam angesehen.
a) Für das Arbeitsverhältnis der Klägerin gilt jedenfalls kraft einzelvertraglicher Vereinbarung der Normalvertrag Solo. Er bestimmt in § 1 Abs. 2, daß unter Bühnenmitgliedern im Sinne dieses Tarifvertrages Einzeldarsteller, Kapellmeister, Spielleiter, Dramaturgen, Singchordirektoren, Tanzmeister, Repetitoren, Inspizienten und Souffleure sowie Personen in ähnlicher Stellung zu verstehen sind. Außerdem bestimmt die Protokollnotiz zu dieser Tarifvorschrift, daß Kabarettisten und Puppentheaterspieler als Personen in ähnlicher Stellung gelten. Gemäß § 2 Nr. 1 Buchst. c) dieses Tarifvertrages müssen die Zeit, für die der Dienstvertrag abgeschlossen wird, sowie die Kalendertage, an denen das Dienstverhältnis beginnt und endet, im Dienstvertrag angegeben sein. Der Normalvertrag Solo geht mithin davon aus, daß für Bühnenmitglieder im Sinne des § 1 Abs. 2 der befristete Arbeitsvertrag die typische Vertragsform ist.
b) Die Wirksamkeit der zwischen den Parteien einzelvertraglich vereinbarten Befristung ihres Arbeitsverhältnisses zum 30. Juni 1996 hängt nicht unmittelbar davon ab, ob die Klägerin Bühnenmitglied im Sinne des § 1 Abs. 2 Normalvertrag Solo ist. Entscheidend ist vielmehr, ob für die Befristung ein sachlicher Grund vorlag.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. insbesondere BAG Urteile vom 21. Mai 1981 - 2 AZR 1117/78 - BAGE 35, 309 = AP Nr. 15 zu § 611 BGB Bühnenengagementsvertrag; vom 18. April 1986 - 7 AZR 114/85 - BAGE 51, 374 = AP Nr. 27 zu § 611 BGB Bühnenengagementsvertrag und vom 23. Oktober 1991 - 7 AZR 56/91 - BAGE 69, 1 = AP Nr. 45 zu § 611 BGB Bühnenengagementsvertrag) ist dies bei künstlerisch tätigem Bühnenpersonal zu bejahen. Entgegen der Ansicht der Klägerin stellt dabei die Rechtsprechung nicht maßgeblich auf die „Üblichkeit” bzw. das Bestehen eines jahrzehntelangen Bühnenbrauchs, sondern darauf ab, daß die Befristung der Arbeitsverhältnisse mit künstlerischen Bühnenmitgliedern, die als Solisten individuelle Leistungen erbringen, der Auffassung verständiger und verantwortungsbewußter Vertragspartner entspricht. Damit wird dem berechtigten Bestreben der Bühne Rechnung getragen, künstlerische Vorstellungen des Intendanten mit dem von ihm dafür als geeignet angesehenen künstlerischen Bühnenpersonal zu verwirklichen und damit zugleich auch dem Abwechslungsbedürfnis des Publikums entgegenzukommen. Außerdem liegt es im eigenen Interesse der Künstler am Erhalt der Freizügigkeit ihres Engagementwechsels, daß an anderen Bühnen durch Beendigung befristeter Engagements Arbeitsplätze frei werden.
c) Dieser sachliche Grund trifft unabhängig davon, ob die Klägerin Bühnenmitglied gerade im Sinne des § 1 Abs. 2 Normalvertrag Solo ist, auch auf ihr Arbeitsverhältnis zu. Denn jedenfalls gehört sie zum künstlerischen Bühnenpersonal und erbringt als Schauspielmusikerin individuelle Leistungen. Zur künstlerischen Freiheit des Intendanten, durch einen Repertoirewechsel seinen künstlerischen Vorstellungen und dem Abwechslungsbedürfnis des Publikums zu genügen, gehört es auch, auf Stücke verzichten zu dürfen, die den Einsatz eigener Schauspielmusiker erfordern.
Eine wirksame einzelvertragliche Befristungsvereinbarung wäre daher nur dann ausgeschlossen, wenn die Klägerin in den Geltungsbereich eines unmittelbar und zwingend geltenden Tarifvertrages fiele, der seinerseits den Abschluß unbefristeter Arbeitsverträge vorschreibt. In Betracht käme insoweit, wie die Klägerin vorträgt, der Tarifvertrag für die Musiker in Kulturorchestern (TVK), der in der Tat vom unbefristeten Arbeitsvertrag als Normalfall ausgeht und Zeitverträge nur unter bestimmten Voraussetzungen zuläßt. Die Klägerin fällt indessen nicht in den Geltungsbereich dieses Tarifvertrages, weil sie nicht in einem Kulturorchester tätig ist. Gemäß § 1 Abs. 2 TVK sind Kulturorchester solche Orchester, die regelmäßig Operndienst versehen oder Konzerte ernst zu wertender Musik spielen. Diese Voraussetzungen sind bei einem Schauspielhaus nicht gegeben, denn gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 TVK sind selbst Orchester, die lediglich oder überwiegend Operettendienst versehen, keine Kulturorchester im Sinne dieses Tarifvertrages.
d) Überdies haben die Vorinstanzen zu Recht angenommen, daß die Klägerin im Sinne des § 1 Abs. 2 Normalvertrag Solo als Person in ähnlicher Stellung anzusehen ist und damit unter diese Tarifvorschrift fällt. Entgegen der Ansicht der Klägerin kann der Aufzählung der einzelnen Künstlergattungen in dieser Tarifnorm schon nicht entnommen werden, daß hier der Schwerpunkt in darstellerischen Tätigkeiten liege. Dies wird auch durch § 2 Nr. 1 Buchst. a) Normalvertrag Solo bestätigt, der lediglich für darstellende Mitglieder vorschreibt, daß die Kunstgattung und das Kunstfach im Arbeitsvertrag angegeben werden muß, und damit davon ausgeht, daß zu den Bühnenmitgliedern im Sinne des § 1 Abs. 2 Normalvertrag Solo auch nicht darstellende Personen gehören. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG Urteil vom 16. November 1995 - 6 AZR 229/95 - AP Nr. 49 zu § 611 BGB Bühnenengagementsvertrag) liegt das gemeinsame Merkmal der in § 1 Abs. 2 Normalvertrag Solo genannten Personen und damit der Anknüpfungspunkt für die Bestimmung der „Personen in ähnlicher Stellung” darin, daß sie durch ihre Tätigkeit an Erarbeitung und Umsetzung der künstlerischen Konzeption eines Werkes unmittelbar mitarbeiten und damit im Gegensatz zu solchen Personen stehen, die hierfür lediglich die notwendigen technischen Rahmenbedingungen schaffen und die Funktionsfähigkeit der technischen Hilfsmittel überwachen.
2. Das Landesarbeitsgericht hat auch zutreffend erkannt, daß das Arbeitsverhältnis der Klägerin nicht bereits aufgrund der wirksam vereinbarten Befristung geendet hat, sondern daß hierfür überdies eine wirksame Nichtverlängerungsmitteilung nach dem Tarifvertrag über die Mitteilungspflicht (TVM) erforderlich war.
a) Das Landesarbeitsgericht geht in Übereinstimmung mit dem beiderseitigen Parteivortrag zutreffend davon aus, daß in § 6 des Arbeitsvertrages auch die Geltung des TVM vereinbart war. Die Klägerin fällt auch in den Geltungsbereich dieses Tarifvertrages, da dieser gemäß seinem § 1 Abs. 1 Buchst. a) u.a. für die auf Normalvertrag Solo angestellten Bühnenmitglieder gilt. Aufgrund der beiderseitigen Tarifgebundenheit gilt der TVM damit für das Arbeitsverhältnis sogar unmittelbar und zwingend.
b) Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 TVM endet das Arbeitsverhältnis mit dem im Arbeitsvertrag vereinbarten Zeitpunkt. Gemäß Satz 2 dieser Vorschrift verlängert sich ein für mindestens ein Jahr (Spielzeit) abgeschlossener Arbeitsvertrag zu den gleichen Bedingungen um ein Jahr (Spielzeit), es sei denn, eine Vertragspartei teilt der anderen bis zum 31. Oktober der Spielzeit, mit deren Ablauf der Arbeitsvertrag endet, schriftlich mit, daß sie nicht beabsichtigt, den Arbeitsvertrag zu verlängern (Nichtverlängerungsmitteilung).
Gemäß § 2 Abs. 5 TVM muß der Arbeitgeber, bevor er eine Nichtverlängerungsmitteilung ausspricht, den Arbeitnehmer spätestens zwei Wochen vor dem in Abs. 1 genannten Zeitpunkt hören. Unterläßt es der Arbeitgeber, den Arbeitnehmer fristgerecht zu hören, ist die Nichtverlängerungsmitteilung unwirksam. Im Falle der Unwirksamkeit der Nichtverlängerungsmitteilung verlängert sich mithin das Arbeitsverhältnis trotz der Wirksamkeit der vereinbarten Befristung um ein Jahr (§ 2 Abs. 1 TVM).
3. Das Landesarbeitsgericht ist rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, daß die Nichtverlängerungsmitteilung vom 16. Juni 1995 rechtswirksam war, insbesondere die Klägerin an diesem Tage vom Intendanten ordnungsgemäß angehört wurde.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist eine Nichtverlängerungsmitteilung nach dem TVM nicht daraufhin zu überprüfen, ob sie durch das Vorliegen objektiver Gründe gerechtfertigt ist (vgl. insbesondere Senatsurteile vom 18. April 1986 - 7 AZR 114/85 - aaO und vom 15. März 1989 - 7 AZR 316/88 - AP Nr. 35 zu § 611 BGB Bühnenengagementsvertrag; zur Rechtsnatur der Nichtverlängerungsmitteilung vgl. auch Senatsurteil vom 23. Oktober 1991 - 7 AZR 56/91 - BAGE 69, 1 = AP Nr. 45 zu § 611 BGB Bühnenengagementsvertrag). Auf die Ansicht der Revision, eine Nichtverlängerungsmitteilung könne nicht auf betriebliche Gründe gestützt werden, kommt es daher nicht an.
b) Maßgeblich sind allein die vom TVM an eine Nichtverlängerungsmitteilung gestellten Anforderungen einer ordnungsgemäßen Anhörung. Bei dieser Anhörung geht es nach der angeführten Senatsrechtsprechung nicht um die Darlegung objektiver Gründe für die Nichtverlängerung des Arbeitsverhältnisses, sondern allein um die Offenlegung der subjektiven Motivation des Intendanten. Bei dieser subjektiven Motivation darf es sich auch um finanzielle Erwägungen des Intendanten handeln.
c) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, daß die Anhörung der Klägerin vom 16. Oktober 1995 diesen Anforderungen entspricht, ist ersichtlich rechtsfehlerfrei (zum Beurteilungsspielraum der Tatsacheninstanzen vgl. BAG Urteil vom 11. März 1982 - 2 AZR 233/81 - BAGE 39, 1 = AP Nr. 19 zu § 611 BGB Bühnenengagementsvertrag). Nach den tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat der Intendant der Klägerin u.a. mitgeteilt, er müsse sich finanzielle Freiräume schaffen, weil andererseits möglicherweise Verträge mit Schauspielern nicht verlängert werden könnten. Hierbei handelt es sich um eine konkrete und nachvollziehbare Darlegung der Motivation des Intendanten, die zu einer sachlichen Erwiderung geeignet war. Die Angriffe der Revision lassen nicht erkennen, inwieweit die diesbezügliche Würdigung des Landesarbeitsgerichts fehlerhaft sein könnte. Auch fehlen jegliche Anhaltspunkte dafür, daß es sich nicht um die wahre Motivation des Intendanten gehandelt hätte.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Steckhan, Schmidt, Mikosch, Peter Haeusgen, G. Güner
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 26.08.1998 durch Siegel, Amtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 436107 |
BAGE, 339 |
BB 1999, 270 |
ARST 1999, 91 |
FA 1999, 71 |
NZA 1999, 442 |
RdA 1999, 292 |
ZTR 1999, 180 |
AP, 0 |
PersR 1999, 89 |