Entscheidungsstichwort (Thema)
Beitragspflicht für geringfügig Beschäftigte (Baugewerbe)
Leitsatz (redaktionell)
1. Arbeitgeber des Baugewerbes sind nach dem Tarifvertrag über das Verfahren für den Urlaub, den Lohnausgleich und die Zusatzversorgung im Baugewerbe vom 12. November 1960 (VerfTV) auch für nicht versicherungspflichtige geringfügig beschäftigte Arbeiter beitragspflichtig.
2. Hinsichtlich der Beitragspflicht knüpfen nämlich die Tarifvertragsparteien des Baugewerbes an die Tätigkeit des Arbeitnehmers und nicht seine individuelle Versicherungspflicht nach der RVO an.
Normenkette
TVG § 1; RVO §§ 1229, 1227-1228
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin ist als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes nach näherer tariflicher Maßgabe die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes. Als solche nimmt sie die Beklagten auf Zahlung von Beiträgen für die Zeit ab Dezember 1981 bis September 1986 in rechnerisch unstreitiger Höhe von 15.889,80 DM in Anspruch.
Die Beklagte zu 1) nahm im vorgenannten Zeitraum am Sozialkassenverfahren der Bauwirtschaft teil. Die Beklagte zu 2) ist die persönlich haftende Gesellschafterin der Beklagten zu 1). In den Meldungen an die Klägerin waren die Lohnsummen für die nicht rentenversicherungspflichtigen geringfügig beschäftigten gewerblichen Aushilfen und Teilzeitkräfte nicht enthalten.
Die Klägerin hat sich darauf berufen, auch für die versicherungsfreien geringfügig beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer seien Beiträge abzuführen. Denn auch diese könnten Leistungen nach den Sozialkassentarifverträgen erhalten.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung
von 15.889,80 DM zu verurteilen.
Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie haben vorgetragen, nach dem Tarifwortlaut würden die geringfügig beschäftigten Arbeitnehmer nicht von den Tarifverträgen für das Baugewerbe erfaßt, da nur für Arbeitnehmer Beiträge abzuführen seien, die eine nach den Vorschriften der RVO über die Rentenversicherung der Arbeiter versicherungspflichtige Tätigkeit ausübten. Für die geringfügig beschäftigten Aushilfen und Teilzeitkräfte bestehe aber eine Versicherungspflicht nicht. Dieser Personenkreis könne auch keine Ansprüche aus den verschiedenen Sozialkassentarifverträgen erwerben. Daher habe kein Anlaß bestanden, sie in die Beitragsregelung der Verfahrenstarifverträge aufzunehmen. Die Tarifvertragsparteien knüpften im übrigen an die in der RVO verwendeten Begriffe an, so daß zwischen versicherungspflichtiger Tätigkeit (§ 1227 RVO) und versicherungsfreier Tätigkeit (§§ 1228, 1229 RVO) zu unterscheiden sei.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten ihr Klageabweisungsbegehren weiter. Die Klägerin beantragt Zurückweisung der Revision mit der Maßgabe, daß die Beklagten wie Gesamtschuldner verurteilt werden.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben der Klage mit Recht stattgegeben. Die Klägerin kann von den Beklagten die Zahlung von 15.889,80 DM verlangen. Diesen in seiner rechnerischen Höhe unstreitigen Betrag schulden die Beklagten wie Gesamtschuldner der Klägerin als Beitrag für die bei der Beklagten zu 1) geringfügig beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer nach den Verfahrenstarifverträgen für das Baugewerbe für die Zeit von Dezember 1981 bis Dezember 1986. Denn die Beklagten sind entgegen ihrer Auffassung verpflichtet, auch für die geringfügig beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer Beiträge an die Klägerin abzuführen.
Die im Klagezeitraum geltenden Verfahrenstarifverträge für das Baugewerbe finden kraft Allgemeinverbindlichkeit auf die Parteien mit unmittelbarer und zwingender Wirkung Anwendung (§ 5 Abs. 4, § 4 Abs. 2 TVG). Die von der Klägerin nach den Verfahrenstarifverträgen geforderten Beiträge sind für diejenigen Arbeitnehmer abzuführen, auf die sich der persönliche Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge für die gewerblichen Arbeitnehmer erstreckt. Hierzu bestimmt § 1 Abs. 3 der Verfahrenstarifverträge:
"Persönlicher Geltungsbereich:
-----------------------------
Arbeitnehmer, die eine nach den Vorschriften
der Reichsversicherungsordnung über die Ren-
tenversicherung der Arbeiter (RV0) versicherungspflichtige
Tätigkeit ausüben."
Nach dem für die Tarifauslegung maßgebenden Wortlaut und Gesamtzusammenhang der tariflichen Regelung (BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung) werden damit vom persönlichen Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge diejenigen Arbeitnehmer erfaßt, die eine von der Reichsversicherungsordnung über die Rentenversicherung der Arbeiter erfaßte Tätigkeit ausüben. Ob im Einzelfall für die Arbeitnehmer Versicherungspflicht besteht und Beiträge an die Rentenversicherung abzuführen sind, ist für den persönlichen Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge unerheblich. Mit Recht weist das Landesarbeitsgericht darauf hin, daß die Tarifvertragsparteien auf die Tätigkeit abstellen und nicht auf die persönliche Versicherungspflicht. Der Hinweis auf die Versicherungspflicht nach der RVO bedeutet nur, daß es sich um eine von der RVO erfaßte Tätigkeit handeln muß. Der persönliche Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge für die gewerblichen Arbeitnehmer gilt ersichtlich zur Abgrenzung vom Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge für technische und kaufmännische Angestellte sowie Poliere und Schachtmeister. Dort heißt es in § 1 Abs. 3:
"Technische und kaufmännische Angestellte sowie
Poliere und Schachtmeister, die unter den
persönlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags
über eine gesetzliche Alters- und Invalidenbeihilfe
im Baugewerbe vom 28. Dezember
1979 fallen."
In dem in Bezug genommenen Tarifvertrag über eine zusätzliche Alters- und Invalidenbeihilfe heißt es in § 1 Abs. 3:
"Personen, die als Arbeitnehmer eine nach den
Vorschriften der Reichsversicherungsordnung
über die Rentenversicherung der Arbeiter oder
des Angestelltenversicherungsgesetzes in seiner
jeweils geltenden Fassung versicherungspflichtige
Tätigkeit ausüben."
Der persönliche Geltungsbereich in dem Verfahrenstarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer einerseits und die Angestellten andererseits dient damit zur Abgrenzung der Arbeiter und Angestellten. Die Arbeiter- oder Angestellteneigenschaft hängt aber nicht von der individuellen Versicherungspflicht ab, sondern von der ausgeübten Tätigkeit. Wenn die Tarifvertragsparteien an die persönliche Rentenversicherungspflicht des einzelnen Arbeitnehmers hätten anknüpfen wollen, hätten sie eine andere Formulierung gewählt und etwa formuliert:
"Arbeitnehmer, die nach den Vorschriften der
Reichsversicherungsordnung über die Rentenversicherung
der Arbeiter (RVO) versicherungspflichtig
sind."
Aber selbst diese Formulierung könnte noch so verstanden werden, daß sie nur der Abgrenzung zu den Angestellten dient. So heißt es etwa in § 1 des Gesetzes über die Fristen für die Kündigung von Angestellten vom 9. Juli 1926:
"Die Vorschriften dieses Gesetzes finden Anwendung
auf Angestellte, die nach § 1 des
Versicherungsgesetzes für Angestellte (jetzt:
§§ 2, 3 AVG) versicherungspflichtig sind oder
sein würden, wenn ihr Jahresverdienst die Gehaltsgrenze
nach § 3 des Versicherungsgesetzes
für Angestellte nicht überstiege."
Hierzu wird die Auffassung vertreten, daß das Gesetz auch für solche Angestellte gilt, die nicht versicherungspflichtig sind (z. B. weil sie Altersruhegeld aus der Rentenversicherung beziehen), sofern sie nur eine der in §§ 2, 3 AVG angeführten Beschäftigungen gegen Entgelt ausüben (BAG Urteil vom 26. September 1968 - 2 AZR 409/67 - AP Nr. 1 zu § 1 AngKSchG). Der Gesetzgeber will damit auch in § 1 AngKSchG nur die Angestellten von den Arbeitern abgrenzen, wie es auch die Tarifvertragsparteien des Baugewerbes tun.
Die Auslegung der tariflichen Vorschrift über den persönlichen Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge durch den Senat ergibt auch einen vernünftigen Sinn. Im Hinblick auf die von den Tarifvertragsparteien stets erstrebte Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge für das Baugewerbe und insbesondere der Verfahrenstarifverträge ergibt sich, daß sie möglichst alle Arbeitnehmer des Baugewerbes erfassen wollen. Es ist auch kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, weshalb geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer verhältnismäßig schlechtergestellt werden sollten als vollbeschäftigte Arbeitnehmer. Wenn die geringfügig beschäftigten Arbeitnehmer in den persönlichen Geltungsbereich der Verfahrenstarifverträge einbezogen werden, stehen ihnen auch - wegen des insoweit gleichen persönlichen Geltungsbereichs - die tariflichen Leistungen aus den Sozialkassentarifverträgen und sonstigen Tarifverträgen des Baugewerbes zu (Alters- und Invalidenbeihilfe, Urlaub).
Diese Auslegung der Verfahrenstarifverträge wird durch weitere tarifliche Bestimmungen gestützt. So sind bei Arbeitnehmern, die unter den Geltungsbereich der Tarifverträge für das Baugewerbe fallen, bei der Bemessung des Urlaubs (Betriebszugehörigkeit - § 8 Ziff. 4 und 6 BRTV-Bau -) auch Zeiten einer geringfügigen Beschäftigung zu berücksichtigen. Auch dies spricht dafür, daß die geringfügig Beschäftigten von den Tarifverträgen des Baugewerbes erfaßt werden, wenn sie eine von der RV0 erfaßte versicherungspflichtige Tätigkeit ausüben. Damit trägt der Senat zugleich dem Grundsatz Rechnung, daß im Zweifel derjenigen Tarifauslegung der Vorzug zu geben ist, die zu einer vernünftigen, gerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAGE 46, 308, 316 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung, mit weiteren Nachweisen).
Im übrigen haben die Tarifvertragsparteien des Baugewerbes dann, wenn sie bestimmte Arbeitnehmer nicht in den Geltungsbereich eines Tarifvertrags einbeziehen wollen, dies ausdrücklich geregelt. So heißt es im Tarifvertrag über eine zusätzliche Alters- und Invalidenbeihilfe im Baugewerbe (TVA) in § 1 Abs. 3:
"Persönlicher Geltungsbereich:
-----------------------------
Personen, die als Arbeitnehmer eine nach den
Vorschriften der Reichsversicherungsordnung
über die Rentenversicherung der Arbeiter oder
des Angestelltenversicherungsgesetzes in seiner
jeweils geltenden Fassung versicherungspflichtige
Tätigkeit ausüben.
Ausgenommen sind die unter § 5 Abs. 2 Nrn. 1
bis 4 und Abs. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes
fallenden Personen. Nicht erfaßt werden
ferner Angestellte, deren regelmäßige
wöchentliche Arbeitszeit weniger als 20 Stunden
beträgt."
Hätten die Tarifvertragsparteien auch die geringfügig beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer vom Geltungsbereich des TVA ausschließen wollen, hätten sie dies in § 1 Abs. 3 Unterabs. 2 ebenso wie für die Angestellten geregelt. Auch daraus folgt, daß die Tarifvertragsparteien des Baugewerbes mit dem Begriff der "nach der RVO versicherungspflichtigen Tätigkeit" allein auf die Tätigkeit abstellen.
Damit bestätigt der Senat seine bisherige Rechtsprechung. Bereits im Senatsurteil vom 4. Mai 1977 - 4 AZR 10/76 - (BAGE 29, 138, 146 = AP Nr. 30 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau) hat der Senat ausgeführt, daß die Sozialkassentarifverträge auch im persönlichen Geltungsbereich nicht an die persönliche Rentenversicherungspflicht anknüpfen, sondern objektiv an die Ausübung einer versicherungspflichtigen Tätigkeit. An dieser Rechtsprechung ist aus den angeführten Gründen festzuhalten.
Als persönlich haftende Gesellschafterin der Beklagten zu 1) haftet die Beklagte zu 2) nicht als echter Gesamtschuldner, sondern nur wie ein Gesamtschuldner (vgl. BAGE 36, 138, 186 = AP Nr. 34 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau). Daher war entsprechend dem Antrag der Klägerin die Urteilsformel entsprechend neu zu fassen.
Die Beklagten haben gemäß § 97 Abs. 1, § 100 Abs. 1 ZP0 die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.
Dr. Feller Dr. Freitag Dr. Etzel
Peter Jansen Wiese
Fundstellen
BAGE 59, 346-351 (LT1-2) |
BAGE, 346 |
DB 1989, 184-184 (L1-2) |
BR/Meuer RVO § 1227, 28-09-88, 4 AZR 350/88 (LT) |
NZA 1989, 144-146 (LT1-2) |
RdA 1989, 72 |
AP § 1 TVG Tarifverträge - Bau (LT1-2), Nr 99 |
EzA § 4 TVG Bauindustrie, Nr 39 |