Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifliche Ausschlußfrist bei Lohnabrechnung
Leitsatz (redaktionell)
Bestimmt ein Tarifvertrag, daß die Frist zur Geltendmachung von Forderungen - insbesondere aus der Lohnberechnung - mit der Aushändigung der Lohnabrechnung beginnt, so betrifft dies nicht den in der Lohnabrechnung ausgewiesenen Auszahlungsbetrag. Dieser braucht nach dem Zweck tariflicher Ausschlußfristen allenfalls dann fristgerecht geltend gemacht zu werden, wenn der Arbeitgeber die Lohnabrechnung nach ihrer Erteilung widerrufen hat (im Anschluß an BAG 20.10.1982 - 5 AZR 110/82 = BAGE 40,258 = AP Nr 76 zu § 4 TVG Ausschlußfristen).
Normenkette
BGB § 611; TVG § 4 Abs. 4 Fassung 1969-08-25
Verfahrensgang
LAG Nürnberg (Entscheidung vom 15.02.1982; Aktenzeichen 4 Sa 54/81) |
ArbG Nürnberg (Entscheidung vom 27.03.1981; Aktenzeichen 9 Ca 662/80) |
Tatbestand
Der Kläger war vom 15. Mai 1980 bis 16. Juli 1980 bei der Beklagten, die elektrische und sanitäre Anlagen plant und ausführt, als Installationsmeister beschäftigt. Im Arbeitsvertrag ist vereinbart, daß bezüglich der nicht geregelten Fragen "die Vorschriften des Manteltarifvertrages" gelten.
Nach dem Ausscheiden des Klägers rechnete die Beklagte den Vergütungsanspruch des Klägers für den Monat Juli 1980 mit 1.849,21 DM ab und übersandte ihm am 5. August 1980 die entsprechende Abrechnung. Eine Auszahlung des Abrechnungsbetrages erfolgte nicht. Mit Schreiben vom 22. Oktober 1980 machte der Kläger erstmals die Auszahlung des abgerechneten Betrages geltend; am 8. Dezember 1980 erhob er die vorliegende, auf Auszahlung des Abrechnungsbetrages gerichtete Klage.
Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.849,21 DM zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, die Klageforderung sei gemäß § 14 des im Arbeitsvertrag in Bezug genommenen Manteltarifvertrages verfallen. Vorsorglich hat sie mit Schriftsatz vom 3. Februar 1981 in Höhe eines Betrages von 207,92 DM die Aufrechnung erklärt. Um diesen Betrag habe eine Auftraggeberin der Beklagten eine Rechnung gekürzt. Dies sei geschehen, weil der mit der Ausführung der Arbeiten betraute Kläger während der Arbeitszeit mehr herumgesessen und Bier getrunken als gearbeitet habe. Deshalb seien wesentlich mehr Arbeitsstunden als veranschlagt angefallen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, da die Klageforderung durch Versäumung der tariflichen Ausschlußfrist erloschen sei. Die Berufung des Klägers ist vom Landesarbeitsgericht zurückgewiesen worden. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageanspruch weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
I. Entgegen der Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist die unstreitig entstandene Klageforderung nicht wegen Versäumung einer tariflichen Ausschlußfrist erloschen.
1. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist unstreitig, daß im Arbeitsvertrag die Geltung eines Tarifvertrages vereinbart wurde, der folgende Regelung enthält:
"§ 14
Geltendmachung von Ansprüchen
1. Die beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeits-
verhältnis und solche, die mit dem Arbeitsver-
hältnis in Verbindung stehen, sind schriftlich
wie folgt geltend zu machen:
a) Ansprüche aus der Lohnberechnung innerhalb
von 4 Wochen nach Aushändigung dieser Lohn-
abrechnung;
b) alle übrigen Ansprüche innerhalb von 2 Mona-
ten nach ihrer Fälligkeit.
2. Eine Geltendmachung nach Ablauf der unter 1)
festgesetzten Fristen ist ausgeschlossen, es
sei denn, daß die Einhaltung dieser Frist we-
gen eines unabwendbaren Ereignisses nicht mög-
lich gewesen ist (Ausschlußfrist gem. § 4 Zif-
fer 4 TVG).
3. Lehnt die Gegenpartei den rechtzeitig erhobenen
Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht inner-
halb von zwei Wochen nach der Geltendmachung des
Anspruchs, so verfällt dieser, wenn er nicht
innerhalb von 1 Monat nach der Ablehnung oder
dem Fristablauf - wurde die Schlichtungsstelle
gemäß § 16 angerufen, seit Ablehnung durch die
Schlichtungsstelle - gerichtlich geltend gemacht
wird. Eine spätere Geltendmachung ist ausge-
schlossen."
Daß das Landesarbeitsgericht offengelassen hat, ob es sich bei diesem Tarifvertrag um den Manteltarifvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer des Spengler-, Sanitärinstallateur- und Kupferschmiedehandwerks, den Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer des Heizungs-, Lüftungs- und Klimaanlagenbaus oder den Manteltarifvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer des Elektro- Handwerks in Bayern handelt, begegnet keinen Bedenken. Alle diese Tarifverträge haben enge Berührung zum Geschäftszweig der Beklagten, so daß ihre einzelvertragliche Inbezugnahme schon deshalb unproblematisch ist. Auf die Fragen, ob in einem Arbeitsvertrag auf die tarifliche Regelung einer ganz anderen Branche bzw. nur auf die Ausschlußfristen eines Tarifvertrages verwiesen werden darf bzw. ob (auch ohne Grundlage in einem Tarifvertrag) Ausschlußfristen einzelvertraglich vereinbart werden können, kommt es daher nicht an.
2. Der Kläger brauchte die Klageforderung nicht innerhalb der tariflichen Ausschlußfrist geltend zu machen, denn sie war in der von der Beklagten am 5. August 1980 erteilten schriftlichen Lohnabrechnung als Auszahlungsbetrag ausgewiesen.
a) Die Klageforderung fällt nicht unter Nr. 1 a der vereinbarten tariflichen Verfallklausel. Der Kläger macht weder rechnerisch über den in der Lohnabrechnung ausgewiesenen Betrag hinausgehende Ansprüche noch sonstige Unstimmigkeiten in der Lohnberechnung geltend. Nur für solche Ansprüche haben die Tarifvertragsparteien eine Ausschlußfrist von vier Wochen seit Aushändigung der Lohnabrechnung bestimmt, denn Nr. 1 a der Tarifnorm spricht von Ansprüchen aus der "Lohnberechnung", nicht der "Lohnabrechnung". Der Kläger aber macht gerade den in der Lohnabrechnung ausgewiesenen Betrag geltend.
b) In Betracht kommt vielmehr allein Nr. 1 b der Tarifvorschrift. Auch sie ergreift jedoch nach dem Zweck der Tarifnorm nicht den in der Lohnabrechnung selbst ausgewiesenen Betrag.
Der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat, nachdem er diese Frage im Urteil vom 23. Januar 1980 - 5 AZR 67/78 - noch ausdrücklich offengelassen hatte, mit Urteil vom 20. Oktober 1982 (- 5 AZR 110/82 - BAG 40, 258 = AP Nr. 76 zu § 4 TVG Ausschlußfristen), das dem Landesarbeitsgericht allerdings noch nicht bekannt sein konnte, entschieden, daß durch eine schriftliche Lohnabrechnung des Arbeitgebers die in ihr ausgewiesenen Lohnforderungen streitlos gestellt werden und deshalb vom Arbeitnehmer nicht noch einmal geltend gemacht werden müssen. Dies folgt aus dem Zweck der tariflichen Ausschlußfristen. Durch sie soll der Gläubiger angehalten werden, die Begründetheit und Erfolgsaussichten seiner Ansprüche zu prüfen. Der Gläubiger soll den Schuldner innerhalb der tariflichen Ausschlußfristen darauf hinweisen, ob und welche Ansprüche im einzelnen noch erhoben werden. Der Schuldner soll sich darauf verlassen können, nach Ablauf der tariflichen Verfallfristen nicht mehr weiter in Anspruch genommen zu werden. Ein Nichtschuldner soll nach Ablauf der Fristen vor einem Beweisnotstand bewahrt werden.
Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an. Hat der Arbeitgeber in einer Lohnabrechnung ohne erkennbaren Vorbehalt einen bestimmten Auszahlungsbetrag errechnet, so bringt er durch die Aushändigung dieser Abrechnung an den Arbeitnehmer jedenfalls in tatsächlicher Hinsicht zum Ausdruck, daß einer Forderung des Arbeitnehmers in dieser Höhe keine Einwendungen entgegenstehen. Nach dem Zweck tariflicher Ausschlußfristen besteht deshalb in diesem Falle keine Veranlassung, den Arbeitnehmer zur raschen Geltendmachung seiner Forderung anzuhalten.
c) Ob das Erfordernis der Geltendmachung wieder eingreift, wenn der Arbeitgeber die Lohnabrechnung nach ihrer Erteilung widerruft oder in sonstiger Weise zum Ausdruck bringt, den ausgewiesenen Betrag nicht zahlen zu wollen, läßt der erkennende Senat offen. Denkbar wäre insbesondere, daß in einem solchen Falle die Ausschlußfrist mit der Erhebung der Einwendungen durch den Arbeitgeber beginnt.
Im Streitfalle kommt es hierauf nicht an, weil sich die Beklagte auf Einwendungen erst berufen hat, als der Kläger die Klage bereits erhoben und damit seine Forderung geltend gemacht hatte.
II. Da der - unstreitig entstandenen - Forderung auch keine weiteren schlüssigen Einwendungen entgegenstehen, war die Beklagte nach dem Klageantrag zu verurteilen. Insbesondere greift die von der Beklagten erklärte Aufrechnung nicht durch. Die Gegenforderung der Beklagten war bei Geltendmachung (durch Schriftsatz vom 3. Februar 1981) bereits gemäß § 14 Nr. 1 b des Tarifvertrages verfallen, weil sie spätestens am 14. Oktober 1980 (Datum der berichtigten Rechnung der Beklagten an ihre Auftraggeberin) fällig geworden war. Überdies hat die Beklagte nicht schlüssig dargetan, daß ihr durch das behauptete Verhalten des Klägers ein Schaden in Höhe von 207,92 DM entstanden sei. Auch ohne das behauptete Verhalten des Klägers hätte die Beklagte gegenüber ihrer Auftraggeberin keinen Anspruch auf den erhöhten Rechnungsbetrag gehabt, weil dann die höhere Zahl von Arbeitsstunden nach ihrem eigenen Vortrag nicht angefallen wäre. Für einen anderweiten Schaden der Beklagten fehlt es an einer schlüssigen Berechnung.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Dr. Seidensticker Dr. Becker Dr. Steckhan
Wagner Kordus
Fundstellen
Haufe-Index 441071 |
DB 1985, 2051-2052 (LT1) |
ARST 1986, 42-43 (LT1) |
AP § 4 TVG Ausschlußfristen (LT1), Nr 92 |
AR-Blattei, Ausschlußfristen Entsch 118 (LT1) |
AR-Blattei, ES 350 Nr 118 (LT1) |
EzA § 4 TVG Ausschlußfristen, Nr 66 |