Entscheidungsstichwort (Thema)
Sittenwidrige Versorgungsabfindung
Leitsatz (redaktionell)
Ein Vergleich, der die Abfindung einer Versorgungsanwartschaft durch einen Kapitalbetrag vorsieht, kann gegen die guten Sitten verstoßen und deshalb nichtig sein (§ 138 BGB), wenn ein grobes Mißverhältnis des beiderseitigen Nachgebens besteht. Ein Indiz dafür ist gegeben, wenn die Abfindungssumme nur einen geringfügigen Bruchteil des zeitanteilig erdienten Anwartschaftswertes bildet und für einen so weitgehenden Verzicht kein Grund ersichtlich ist.
Normenkette
BGB §§ 138, 143, 157, 779, 119, 133; BetrAVG §§ 1, 3, 32; BGB § 121 Abs. 1; BetrAVG § 17 Abs. 3
Verfahrensgang
LAG Hamburg (Entscheidung vom 06.05.1983; Aktenzeichen 3 Sa 2/83) |
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 06.08.1982; Aktenzeichen 13 Ca 582/81) |
Tatbestand
Der Kläger war vom 1. Juli 1954 bis zum 30. Juni 1974 bei der Firma L beschäftigt. Diese gewährt ihren Mitarbeitern über die beklagte Unterstützungskasse Leistungen der betrieblichen Altersversorgung. Mit Schreiben vom 27. Dezember 1973 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis. Sie bot dem Kläger eine andere Tätigkeit an und sagte ihm für den Fall, daß er damit nicht einverstanden sei, eine Abfindung in Höhe von 55.000,-- DM zu. Der Kläger lehnte die angebotene neue Tätigkeit mit Schreiben vom 12. Februar 1974 ab, brachte aber zum Ausdruck, seine Abfindung nach §§ 9, 10 KSchG müsse sich auf rund 67.000,-- DM belaufen. Die Arbeitgeberin hielt an ihrem Angebot fest, worauf der Kläger sich mit einer Abfindung von 55.000,-- DM einverstanden erklärte.
Ende April 1974 forderte der Kläger beim Bundesarbeitsgericht die Urteile des Senats vom 10. März 1972 - 3 AZR 278/71 - und vom 9. November 1973 - 3 AZR 66/73 - an. Die Entscheidungen wurden ihm Anfang Mai 1974 zugesandt.
Am 30. Mai 1974 kam es zwischen dem Kläger und Herrn J D, Mitinhaber der Firma L und Vorsitzender der Beklagten, zu einem Gespräch, über dessen Bedeutung Streit besteht. Herr D übergab dem Kläger im Anschluß an diese Unterredung ein Schreiben, das vom Kläger gegengezeichnet ist und wie folgt lautet:
"Ich beziehe mich auf unser heutiges Gespräch, in
dem Sie noch Ihre späteren Ansprüche auf einen
Anspruch gegen die Unterstützungskasse der Firma
E. B. L anmelden.
Unabhängig von der Rechtslage sind wir über-
eingekommen, daß Sie die Ablösungssumme am
30. Juni 1974 erhalten. Diese Summe beträgt
60.000,-- DM. Nach dieser Zahlung haben Sie
keinerlei Forderungen mehr an die Firma
L oder an die Unterstützungskasse.
Bei dem zuständigen Finanzamt werden wir um-
gehend die steuerfreie Behandlung der Aus-
zahlung beantragen."
Der Kläger hat auf dem ihm übergebenen Schriftstück hinter dem zweiten Absatz ("...oder an die Unterstützungskasse") ein Kreuz angebracht und unter dem Schreiben vermerkt:
"außer der Betriebsrente lt. Abs. 1."
Der Kläger hat am 20. Oktober 1981 das 65. Lebensjahr vollendet. Mit Schreiben vom 25. September 1981 meldete er seine Altersrente bei der Beklagten an. Er machte geltend, seine Betriebsrente sei trotz vorzeitigen Ausscheidens unverfallbar geworden und sie betrage monatlich 705,-- DM. Weiter heißt es dort:
"Die mir bei meinem Auscheiden aus der Firma lt.
Ausgleichsquittung gezahlte Abfindung kann gemäß
Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 9.9.1973/
Az: 3 AZR 66/73 nicht auf die Betriebsrente an-
gerechnet werden, da lt. diesem Urteil "eine Aus-
gleichsquittung, in der der Beschäftigte erklärt,
alle Ansprüche aus dem beendeten Arbeitsverhältnis
seien abgegolten, nicht auch den Anspruch auf die
betriebliche Altersrente umfaßt."
Die Abfindung sei lediglich als Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes gezahlt und nur deswegen als steuerfrei anerkannt worden.
Mit der Klage vom 11. November 1981, der Beklagten zugestellt am 30. November 1981, hat der Kläger die Zahlung der Betriebsrente ab 1. November 1981 verlangt. Er hat die Rente für die neun Monate von November 1981 bis Juli 1982 als Rückstände und ab 1. August 1982 als laufende Zahlung eingeklagt.
Er hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen,
1. an ihn 6.345,-- DM zu zahlen;
2. an ihn mit Wirkung von August
1982 an jeweils monatlich nach-
träglich eine monatliche Betriebs-
rente in Höhe von 705,-- DM zu zah-
len.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, schon im Schreiben vom 28. März 1974 habe sich der Kläger mit einer Abfindung sämtlicher Ansprüche durch Zahlung von 55.000,-- DM einverstanden erklärt. Als der Kläger dann am 30. Mai 1974 Ansprüche aus betrieblicher Altersversorgung angemeldet habe, sei es zu der erhöhten Abfindungsvereinbarung über 60.000,-- DM gekommen, die auch die Betriebsrente habe erfassen sollen. Den anders lautenden Zusatz habe der Kläger nachträglich auf das Schreiben gesetzt. Die Unterschrift des Klägers zeige sein Einverständnis mit der getroffenen Regelung.
Der Kläger hat erwidert, die Rente sei nicht abgefunden worden. Hilfsweise hat er in der Berufungsbegründung vom 31. Januar 1983 die Anfechtung wegen Irrtums erklärt.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Nach dem Leistungsplan der Beklagten steht dem Kläger die geltend gemachte Betriebsrente zu.
1. Die Anwartschaft des Klägers war zur Zeit seines Ausscheidens bereits unverfallbar. Die Unverfallbarkeit beruht nicht auf § 1 BetrAVG, sondern auf der Rechtsprechung des Senats. Ein Arbeitnehmer, der mit einer Betriebszugehörigkeit von 20 Jahren ausscheidet, behält seine Anwartschaft auch dann, wenn nach der Versorgungszusage die Anwartschaft verfallen soll, falls das Arbeitsverhältnis vor Vollendung des 65. Lebensjahres endet. Trotz einer mißverständlichen Formulierung in der Entscheidung des Senats vom 10. März 1972 (BAG 24, 177 = AP Nr. 156 zu § 242 BGB Ruhegehalt) reicht es aus, daß die Betriebstreue eine Dauer von vollen 20 Jahren erreicht (vgl. Urteil des Senats vom 7. August 1975 - 3 AZR 12/75 - AP Nr. 10 zu § 242 BGB Ruhegehalt-Unverfallbarkeit, zu 1 und 2 a der Gründe). Eine weitergehende Betriebszugehörigkeit hat der Senat nicht gefordert. Die Formulierung in dem Urteil vom 10. März 1972 (aaO), nach der "mehr" als 20 Jahre Betriebstreue zur Unverfallbarkeit führen, ist einzelfallbezogen. Die Frist von 20 Jahren war, wie alle Fristen des BGB (§§ 186 ff.), als Mindestfrist gemeint. Die späteren Urteile, insbesondere das Urteil vom 7. August 1975 (aaO), belegen das.
Der Kläger hat hiernach die Voraussetzungen der Unverfallbarkeit erfüllt. Er war auf den Tag genau 20 Jahre bei dem Trägerunternehmen der Beklagten beschäftigt.
2. Die Forderung des Klägers ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Die Rente beträgt, ungeachtet etwaiger späterer Anpassungen nach § 16 BetrAVG, monatlich 705,-- DM. Der Kläger hat sie in seinem Schreiben an die Beklagte vom 25. September 1981 aufgrund einer Zusammenstellung seiner letzten Aktiveneinkünfte berechnet. Die Beklagte ist dem nicht entgegengetreten. Auch im Rechtsstreit hat der Kläger die monatliche Rente mit 705,-- DM angegeben und diesen Betrag als unstreitig bezeichnet. Die Beklagte hat dem nicht widersprochen, sondern behauptet, der Anspruch sei abgefunden. Demgemäß haben das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht den diesbezüglichen Parteivortrag zutreffend als unstreitig angesehen. Erstmals in der Revisionsbegründung wird geltend gemacht, der Kläger habe fehlerhaft die Umsatzprovision in die Bemessungsgrundlage eingerechnet, so daß die Rente nur 533,-- DM monatlich betragen würde. Hiermit kann die Beklagte nicht mehr gehört werden (§ 561 Abs. 1 ZPO). Einen Antrag auf Tatbestandsberichtigung (§ 320 ZPO) hat sie nicht gestellt.
II. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts haben die Parteien anläßlich der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses eine Abfindungsvereinbarung über die Betriebsrente geschlossen.
1. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Versorgungsansprüche des Klägers seien von der Vereinbarung der Parteien vom 30. Mai 1974 nicht erfaßt worden. Das vom Kläger gegengezeichnete Schreiben vom selben Tage stelle zwar keine eigentliche Ausgleichsquittung dar, jedoch seien die vom Senat zum Verzicht auf Ruhegeldansprüche in einer Ausgleichsquittung entwickelten strengen Grundsätze anzuwenden (Urteil vom 9. November 1973 - 3 AZR 66/73 - AP Nr. 163 zu § 242 BGB Ruhegehalt). In dem Schreiben vom 30. Mai 1974 seien Ruhegeldansprüche nicht ausdrücklich genannt. Bei den erwähnten Forderungen "an die Unterstützungskasse" könne es sich auch um Ansprüche auf eine Berufsunfähigkeitsrente, eine Witwenrente, Beihilfen oder zinsgünstige Darlehen handeln. Die Nennung der Beklagten als Schuldner solcher Ansprüche reiche nicht aus, um eine Versorgungsabfindung hinreichend klar zu regeln. Dieser Auffassung kann der Senat nicht folgen.
Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß es sich bei dem Schreiben vom 30. Mai 1974 nicht um eine Ausgleichsquittung handelt, wie sie in der vom Kläger mehrfach herangezogene Entscheidung des Senats vom 9. November 1973 (aaO) zu beurteilen war. In jenem Rechtsstreit hatten sich die Parteien bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses über rückständige Ansprüche auf Lohn, Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld geeinigt und sodann die Klausel hinzugefügt, damit seien sämtliche Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis abgegolten. Der Senat hat dazu ausgeführt, derartige, oft routinemäßig vom Arbeitgeber vorbereitete Texte seien nicht geeignet, Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung, die erst Jahre nach Abgabe der Erklärung oder beim Erreichen des Ruhestands fällig würden, zu erfassen (zu I 2 der Gründe).
Das im vorliegenden Rechtsstreit umstrittene Schreiben regelt die Vertragsbeziehungen auf andere Weise. Es erfaßt insbesondere nicht, wie eine Ausgleichsquittung, beiläufig und unerwartet die Ruhegeldforderungen des ausscheidenden Arbeitnehmers, sondern nimmt eingangs ausdrücklich Bezug auf das zuvor geführte Gespräch, in dem der Kläger nach seinem eigenen Vorbringen Ruhegeldansprüche gegen die Beklagte erhoben hatte. Damit waren die Ansprüche deutlich gemacht, über die verhandelt wurde. Die betrieblichen Versorgungsansprüche des Klägers standen im Mittelpunkt; sie waren Anlaß der Verhandlung und Gegenstand des Schreibens. Daß die Beklagte neben dem Altersruhegeld auch sonstige Leistungen wie Beihilfen, Witwen- und Berufsunfähigkeitsrenten gewährte, ist dafür belanglos. Entscheidend ist, daß ausdrücklich und nicht bloß beiläufig bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses über die Ruhegeldansprüche des Klägers verhandelt wurde.
2. Auch die weiteren Bedenken des Berufungsgerichts gegen das Zustandekommen einer Abfindungsvereinbarung überzeugen nicht. Es ist unerheblich, ob die Unterschrift des Klägers unter das Schreiben vom 30. Mai 1974 eine eindeutige Verzichtserklärung darstellt oder, wie das Berufungsgericht in Erwägung zieht, lediglich eine Bestätigung der Kenntnisnahme. Der Kläger selbst hat nicht in Abrede gestellt, daß die Vereinbarung vom 30. Mai 1974 auch und gerade die Ruhegeldansprüche betraf. Er hat ferner nicht bestritten, daß er den Vorschlag hinnahm, die Entschädigungssumme von 55.000,-- DM mit Rücksicht auf die Ruhegeldansprüche auf 60.000,-- DM zu erhöhen. Der Kläger war jedoch der Meinung, die Vereinbarung binde ihn nicht, weil seine Anwartschaft unverfallbar sei und zudem nicht in einer Ausgleichsquittung abgefunden werden könne. Der Kläger ist damit einem zweifachen Rechtsirrtum unterlegen: Er hat das Schreiben vom 30. Mai 1974 unrichtig als Ausgleichsquittung qualifiziert und er hat fälschlich die Unverfallbarkeit mit der Unverzichtbarkeit gleichgesetzt (so noch S. 2 seines Schriftsatzes vom 11. Januar 1982). Diese rechtlichen Irrtümer waren jedoch für die Beklagte nicht erkennbar und rechtsgeschäftlich ohne Bedeutung.
III.Ob die Abfindungsvereinbarung vom 30. Mai 1974 wirksam zustande gekommen ist, kann dennoch nicht abschließend beurteilt werden.
1. Ein Abfindungsvergleich war allerdings rechtlich möglich. Die Vorschriften der §§ 3 und 17 Abs. 3 Satz 3 BetrAVG, die Abfindungen nur unter eng begrenzten Voraussetzungen zulassen, stehen der hier umstrittenen Vereinbarung bereits deshalb nicht entgegen, weil sie bei Vertragsschluß noch nicht galten, sondern erst am 22. Dezember 1974 in Kraft getreten sind (§ 32 BetrAVG).
2. Der Kläger hat die Vereinbarung auch nicht wirksam angefochten.
a) Das Berufungsgericht hat angenommen, schon die Klageschrift enthalte eine stillschweigende Anfechtungserklärung. Dieser Auffassung kann der Senat ebenfalls nicht folgen.
Richtig ist, daß die Anfechtungserklärung eine formfreie Willenserklärung darstellt (§ 143 BGB), die auch durch ein schlüssiges Verhalten abgegeben werden kann. Daher ist es nicht erforderlich, das Wort "anfechten" zu gebrauchen. Vielmehr kann es je nach den Umständen genügen, eine Leistung zurückzufordern oder eine Verpflichtung zu bestreiten. Immer aber muß sich aus dem Zusammenhang unzweideutig ergeben, daß der Anfechtende seine Erklärung nicht gelten lassen und deshalb das abgeschlossene Rechtsgeschäft nicht bestehen lassen will (BGH NJW 1984, 2279, 2280; BGH LM § 119 BGB Nr. 5).
Hieran gemessen kann die Klagebegründung nicht als Anfechtungserklärung verstanden werden. Der Kläger beruft sich dort gerade nicht auf einen Irrtum, sondern auf eine bestimmte Auslegung des Vertrages. Er macht geltend, die Abfindung von 60.000,-- DM habe ihn nur für den Verlust des Arbeitsplatzes entschädigt, mithin sei seine betriebliche Altersversorgung vorbehalten worden.
b) Soweit der Kläger in der Berufungsbegründungsschrift vom 30. Dezember 1982 die Vereinbarung vom 30. Mai 1974 hilfsweise wegen Irrtums angefochten hat, war dies verspätet. Gemäß § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB muß die Anfechtung ohne schuldhaftes Zögern erklärt werden, nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat. Die Beklagte hatte bereits in der Klageerwiderung unter Vorlage des Schreibens vom 30. Mai 1974 behauptet, es sei ein Abfindungsvertrag auch über die Betriebsrente geschlossen worden. Wenn der Kläger dies trotz des eindeutig gegen ihn sprechenden Wortlauts nicht gelten lassen wollte, so hätte er unverzüglich reagieren müssen. Der Kläger beharrte jedoch auf seinem Standpunkt, die Vereinbarung vom 30. Mai 1974 erfasse aus Rechtsgründen die Betriebsrente nicht. Die im Dezember 1982, nahezu ein Jahr später, erklärte Anfechtung wurde nicht mehr unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern erklärt.
3. Die Abfindungsvereinbarung könnte jedoch aus einem anderen Grund nichtig sein: Der Kläger hat wiederholt und ausführlich in der Berufungsbegründung vorgetragen, sein Abfindungsanspruch habe einen Kapitalwert von nahezu 110.000,-- DM gehabt; es stelle ein auffälliges Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung dar, diesen Anspruch mit einem Betrag von 5.000,-- DM abfinden zu wollen. Das Berufungsgericht mußte hierauf von seinem Standpunkt nicht eingehen. Die Wirksamkeit des Abfindungsvergleichs kann aber davon abhängen.
Ein grobes Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung kann auch bei einem außergerichtlichen Vergleich gemäß § 138 Abs. 1 BGB zur Nichtigkeit der Vereinbarung führen. Nichtigkeit tritt unter solchen Umständen dann ein, wenn weitere sittenwidrige Umstände hinzutreten, etwa eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten (vgl. Urteil des Senats vom 11. September 1984 - 3 AZR 184/82 - EzA § 138 BGB Nr. 17, zu IV 1 der Gründe m. w. N.). Derartige, die Sittenwidrigkeit begründende Umstände liegen vor allem dann vor, wenn das objektiv wucherische Geschäft dadurch zustande gekommen ist, daß der wirtschaftlich oder intellektuell Überlegenere die schwächere Lage des anderen Teils bewußt zu seinem Vorteil ausgenutzt hat oder der objektiv sittenwidrig Handelnde sich böswillig oder leichtfertig der Erkenntnis verschließt, daß sich der andere Teil nur unter dem Zwang der Verhältnisse auf den ungünstigen Vertrag einläßt (BAG, aaO, m. w. N.). Ist das Mißverhältnis des beiderseitigen Nachgebens ein besonders grobes, so kann sich bereits hieraus der Schluß rechtfertigen, daß der Begünstigte aus verwerflicher Gesinnung gehandelt hat (RGZ 150, 1, 6; BGH WM 1966, 832, 835; 1969, 1255, 1257; DB 1976, 2106; Palandt/Heinrichs, BGB, 43. Aufl., § 138 Anm. 2 a).
Im vorliegenden Rechtsstreit ist die Wirksamkeit der Abfindungsvereinbarung zweifelhaft, weil die Abfindung einer Versorgungsanwartschaft im Werte von 110.000,-- DM mit einem Betrag von 5.000,-- DM auf ein grobes Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung schließen lassen kann. Für ein Nachgeben des Klägers, das außerhalb jeder verständlichen Relation zum Wert seines Rechts stünde, sind nach dem bisherigen Vortrag der Parteien Gründe nicht ersichtlich.
Das Berufungsgericht wird die Vereinbarung vom 30. Mai 1974 unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt neu bewerten müssen. Es wird in erster Linie darauf ankommen, welchen Kapitalwert die Versorgungsanwartschaft des Klägers zur Zeit seines Ausscheidens objektiv hatte und welche Meinungsverschiedenheiten insoweit zwischen den Parteien bestanden. Der Wert der Versorgungsanwartschaft kann nicht, wie der Kläger meint, nach den Grundsätzen der Streitwertberechnung bei laufenden Rentenansprüchen berechnet werden. Vielmehr kommt es darauf an, wie die unverfallbare Anwartschaft zu berechnen gewesen wäre, wenn die Parteien keinen Abfindungsvergleich geschlossen hätten. Im wesentlichen kann sich das Berufungsgericht an den Berechnungsregeln des § 2 BetrAVG orientieren; diese sind zwar erst später in Kraft getreten, bauen aber auf der Unverfallbarkeitsrechtsprechung des Senats auf, die ebenfalls auf das Verhältnis von tatsächlicher und erwarteter Betriebszugehörigkeit abstellte. Nähere Hinweise kann der Senat hierzu nicht geben, da die erforderlichen Feststellungen fehlen.
Dr. Dieterich Schaub Griebeling
Engel Gnade
Fundstellen
Haufe-Index 438562 |
BB 1986, 531-532 (LT1) |
DB 1986, 548-548 (LT1) |
AuB 1986, 127-128 (T) |
Stbg 1986, 171-171 (T) |
BetrAV 1986, 70-72 (LT1) |
RdA 1986, 65 |
AP § 138 BGB (LT1), Nr 39 |
EzA § 138 BGB, Nr 18 (LT1) |
VersR 1986, 794-795 (LT1) |