Entscheidungsstichwort (Thema)
Fristlose Kündigung einer Arzthelferin
Orientierungssatz
1. Die falsche Medikation einer Arzthelferin, der ärztliche Aufgaben - unter der Verantwortung und Aufsicht des Arztes - delegiert sind, ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung im Sinne von § 626 Abs 1 BGB abzugeben (Vergleiche BAG Urteil vom 14.10.1965 2 AZR 466/64 = AP Nr 27 zu § 66 BetrVG).
2. Ob ein auf falsche Medikation zurückzuführendes Fehlverhalten der Arzthelferin allerdings jeweils eine außerordentliche bzw fristlose Kündigung zu rechtfertigen vermag, hängt von der unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles vorzunehmenden Interessenabwägung ab.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 07.02.1983; Aktenzeichen 2 Sa 123/82) |
ArbG Reutlingen (Entscheidung vom 09.06.1982; Aktenzeichen 1 Ca 769/81) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die fristlose Kündigung des Beklagten vom 7. Dezember 1981 beendet worden ist.
Die am 11. September 1950 geborene Klägerin ist ausgebildete Arzthelferin und über zehn Jahre im Beruf tätig. Vom 7. Januar 1981 bis zu ihrer fristlosen Entlassung am 7. Dezember 1981 war sie beim Beklagten, der eine orthopädische Facharztpraxis betreibt, mit einem Monatsgehalt von zuletzt 1.100,-- DM brutto halbtags als Arzthelferin beschäftigt. Der Beklagte beschäftigt in seiner Arztpraxis neben einer Sekretärin regelmäßig vier Arzthelferinnen.
Zu den Aufgaben der Klägerin gehörte es, in einem hierfür vorgesehenen Praxisraum nach Verordnung durch den Beklagten, den Patienten Bäder, Bestrahlungen und intramuskuläre Injektionen zu verabreichen. Aus der auf den Namen der Patienten ausgestellten Behandlungskarte (Laufzettel oder Serienkarte) konnte sie jeweils die verordnete Behandlung ersehen. Für die häufigsten Behandlungsmethoden verwendete der Beklagte Kurzbezeichnungen. So bedeutete der Vermerk "Serie", daß der Patient Mikrowellenbestrahlung und zehn Spritzen mit dem Medikament Arumalon erhalten soll. Die Behandlung sollte sich dagegen nur auf die Mikrowellenbestrahlung beschränken, wenn der Beklagte auf dem Laufzettel "mikro" vermerkt hatte. Welche Behandlung der Patient erhalten hat, war anschließend auf dem Laufzettel zu notieren. Die Behandlungstermine legte die Klägerin mit dem Patienten jeweils selbst fest. Pro Viertelstunde konnte sie bis zu drei und im Vormittag durchschnittlich etwa 40 Patienten behandeln. Nach Darstellung der Klägerin waren es pro Tag regelmäßig mehr als 50 Patienten.
Im August 1981 hatte die Klägerin einem 81jährigen Patienten zehn Arumalon-Spritzen verabreicht, obwohl der Beklagte lediglich Schulterbestrahlungen verordnet hatte. Als der Beklagte davon erfuhr, erklärte er der Klägerin sinngemäß, daß so etwas nicht passieren dürfe. Im September oder Oktober 1981 hat es die Klägerin unterlassen, einer Patientin, welcher der Beklagte Überwärmungsbäder mit Paraffin und zwölf Arumalon-Spritzen verordnet hatte, neben den Spritzen auch die Bäder zu verabreichen.
Am 27. Oktober 1981 verordnete der Beklagte einer Patientin drei Injektionen mit dem Medikament Delta-Tomanol-B, die an aufeinanderfolgenden Tagen verabreicht werden sollten. Anschließend sollte die Patientin zehn Mikrowellenbestrahlungen erhalten. Der Beklagte hatte mit der Patientin außerdem besprochen, nach erneuter Röntgenkontrolle im Juli 1982 zu entscheiden, ob zusätzlich eine Arthrosebehandlung mit zehn Spritzen Arumalon erfolgen sollte. Auf dem für diese Patientin ausgestellten Laufzettel ist als Verordnung vermerkt: 10 x Mikro/Delta T B 1 2 3. Außerdem findet sich zweimal das Wort "Serie", eines davon durchgestrichen. Die Klägerin injizierte der Patientin entsprechend der Verordnung am 27., 28. und 29. Oktober 1981 Delta-Tomanol-B intramuskulär. Ferner verabreichte sie der Patientin außer der vorgesehenen Bestrahlung mit Mikrowellen am 24., 25., 27., 30. November und am 2. Dezember 1981 auch je eine Spritze mit dem Medikament Arumalon, die der Beklagte nicht verordnet hatte. Als die Patientin am 2. Dezember 1981 die Arzthelferin S fragte, wieviel Spritzen sie noch erhalte, stellte die Arzthelferin S anhand des Laufzettels fest, daß die Klägerin Arumalon ohne Verordnung gespritzt hatte. Die Arzthelferin S informierte darüber sowohl die Klägerin als auch den Beklagten. Letzterer ordnete nunmehr an, daß die Patientin auch weiterhin Arumalon-Injektionen erhielt. Am 7. Dezember 1981 ließ der Beklagte die Klägerin, die ihm bis dahin nicht selbst über den Vorfall berichtet hatte, zu sich kommen und kündigte ihr das Arbeitsverhältnis fristlos. Er brachte dabei sinngemäß zum Ausdruck, daß er sich die Sache nochmals überlegt hätte, wenn die Klägerin vorher selbst wegen des Fehlers zu ihm gekommen wäre. Die fristlose Kündigung wiederholte der Beklagte mit Schreiben vom gleichen Tage.
Die Klägerin, die sich mit der vorliegenden Klage gegen die fristlose Kündigung wendet, hat geltend gemacht, die Kündigung sei mangels eines wichtigen Grundes unwirksam. Die versehentliche Verabreichung von Arumalonspritzen an die Patientin könne nicht als so schwerwiegend angesehen werden, um eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen, da der Beklagte, nachdem er von dem Vorfall erfahren habe, selbst die Weiterbehandlung mit Arumalon angeordnet habe. Abgesehen davon, daß der Beklagte ihre Tätigkeit nicht genügend überwacht habe, sei sie mit Arbeit stark überlastet gewesen. Grund für die fristlose Kündigung sei im übrigen auch nicht die etwaige Gefährdung der Patientin gewesen, sondern die Tatsache, daß sie den Beklagten nicht von sich aus über ihr Versehen aufmerksam gemacht habe. Für den Beklagten wäre es jedenfalls zumutbar gewesen, sie bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unter stärkerer Überwachung ihrer Tätigkeit auf ihrem bisherigen oder auf einem anderen Arbeitsplatz in der Praxis weiterzubeschäftigen.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis
zwischen den Parteien nicht durch frist-
lose Kündigung des Beklagten vom 7. Dezem-
ber 1981 beendet worden ist, sondern bis
zum 31. März 1982 fortbestanden hat.
Der Beklagte hat Klagabweisung beantragt und geltend gemacht, das Verhalten der keineswegs mit Arbeit überlasteten und von ihm auch ausreichend überwachten Klägerin rechtfertige eine Kündigung aus wichtigem Grund. Jede Injektion bedeute - unabhängig vom Medikament - an sich eine Gefahr für den Patienten. Aufgrund der Nachlässigkeit der Klägerin sei es ihm daher wegen der Gefahr für die Gesundheit seiner Patienten nicht zumutbar, die Klägerin auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist auf ihrem bisherigen Arbeitsplatz weiterzubeschäftigen. Auch eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz sei ihm weder zumutbar noch möglich gewesen. Zudem habe die Klägerin ihn nicht selbst über den ihr unterlaufenen Fehler informiert, wodurch das für eine Weiterbeschäftigung erforderliche Vertrauensverhältnis zerstört worden sei.
Das Arbeitsgericht hat nach Vernehmung der Arzthelferin S als Zeugin die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht - unter gleichzeitiger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist - das erstinstanzliche Urteil abgeändert und der Klage stattgegeben.
Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
I. Das Landesarbeitsgericht hat der Klägerin wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt (§ 233 ZPO), da sie ohne ihr Verschulden bzw. ohne ein ihr zuzurechnendes Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO) die Frist versäumt habe. Diese Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist gemäß § 238 Abs. 3 ZPO in der Fassung der Vereinfachungsnovelle vom 3. Dezember 1976 (BGBl. I S. 3281) unanfechtbar und für das Rechtsmittelgericht bindend (BVerfG, NJW 1980, 1095; BGH Beschluß vom 7. Oktober 1981, NJW 1982, 887, 888; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 43. Aufl., § 238 Anm. 2 D a; Zöller/Stephan, ZPO, 13. Aufl., § 238 Anm. 3; Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl., § 238 Rz 11; Thomas/Putzo, ZPO, 13. Aufl., § 238 Anm. 5 a; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 13. Aufl., § 70 IV 2 c, S. 404). Soweit daher die Revision die angefochtene Entscheidung bezüglich der gewährten Wiedereinsetzung angreift und eine Verletzung des § 233 ZPO rügt, kann sie damit infolgedessen nicht gehört werden.
II. In der Sache hat das Landesarbeitsgericht ausgeführt, der Klägerin habe als ausgebildeter Arzthelferin vom Beklagten die Aufgabe übertragen werden können, Patienten entsprechend ärztlicher Verordnungen intramuskuläre Injektionen zu verabreichen. Hierbei handele es sich um eine verantwortungsvolle Tätigkeit, die - da jede Injektion an sich schon ein gesundheitliches Risiko für den Patienten bedeute - der Arzthelferin die Pflicht auferlege, zunächst gewissenhaft zu prüfen, ob und welche Injektionen der Arzt überhaupt verordnet habe. Diese gewissenhafte Prüfung habe die Klägerin unterlassen, indem sie, wie auch durch die Aussagen der Zeugin S nachgewiesen sei, in der Zeit vom 24. November 1981 bis zum 2. Dezember 1981 einer Patientin ohne ärztliche Verordnung fünfmal das Medikament Arumalon injiziert habe. Die Klägerin habe nachlässig gehandelt und dadurch ihre vertraglichen Pflichten verletzt. Obwohl auch ein fahrlässiger Verstoß gegen vertragliche Pflichten eine Kündigung aus wichtigem Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB zu rechtfertigen vermag, mache vorliegend die durchaus erhebliche Nachlässigkeit der Klägerin es dem Beklagten aber gleichwohl nach den gesamten Umständen und bei Abwägung der beiderseitigen Interessen nicht unzumutbar, das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin jedenfalls bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 31. März 1982 fortzusetzen. Davon müsse auch unter Berücksichtigung dessen ausgegangen werden, daß der Klägerin ähnliche Versehen schon einmal im August 1981 und im September oder Oktober 1981 unterlaufen seien, auf die sich der Beklagte zur Begründung der fristlosen Kündigung im Hinblick auf § 626 Abs. 2 BGB zumindest unterstützend noch berufen könne. Der Klägerin könne nämlich keine allgemeine Nachlässigkeit und auch keine mangelnde Eignung vorgeworfen werden. Denn offensichtlich habe sie die vereinbarte sechsmonatige Probezeit ohne nennenswerte Beanstandungen absolviert. Im Verhältnis der Gesamtzahl der Patienten, denen sie während ihrer zehnmonatigen Tätigkeit Behandlungen verabreicht habe, sei es ein verschwindend geringer Prozentsatz an Patienten, bei denen Verordnungen und Behandlungen nicht übereingestimmt haben. Im Regelfall habe die Klägerin daher ihre Arbeit mit der gebotenen Gewissenhaftigkeit verrichtet. Bei den vorgekommenen Nachlässigkeiten handele es sich um Ausnahmefälle. Auch wenn nicht verkannt werde, daß einerseits die Gesundheit des Patienten ein sehr hohes Gut sei und der Patient auch durch eine ärztliche Behandlung keinen zusätzlichen vermeidbaren Risiken ausgesetzt werden dürfe und andererseits auch schon ein einziger Behandlungsfehler den Ruf einer Arztpraxis schmälern könne, sei das Risiko einer Weiterbeschäftigung der Klägerin bis zum Ablauf der Kündigungsfrist gering einzuschätzen. Der Beklagte habe das Risiko für seine Patienten im Falle einer Weiterbeschäftigung der Klägerin zudem selbst nur gering eingeschätzt. Denn am 7. Dezember 1981 habe er der Klägerin gegenüber zum Ausdruck gebracht, daß er sich die Sache möglicherweise nochmals überlegt hätte, wenn sie ihn bis zu diesem Zeitpunkt von dem ihr unterlaufenen Fehler selbst informiert hätte. Außerdem sei es bei keinem der drei Fälle von nicht der Verordnung entsprechenden Behandlung zu einer Gesundheitsschädigung der Patienten gekommen. Im letzten Fall, der Anlaß zur fristlosen Kündigung war, habe der Beklagte sogar nachträglich die Behandlung mit Arumalon angeordnet. Eine Schlechtleistung ohne schädliche Folgen habe aber weniger Gewicht als eine solche mit negativen Auswirkungen. Zu berücksichtigen sei auch, daß eine wegen derartiger Vorfälle fristlos entlassene Arzthelferin nur sehr schwer oder überhaupt keine anderweitige Arbeit in ihrem Beruf erhalte. Unter Berücksichtigung aller dieser Gesichtspunkte sei es daher dem Beklagten zumutbar, die Klägerin jedenfalls bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 31. März 1982 weiterzubeschäftigen.
III. Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten der revisionsrechtlichen Überprüfung stand, zumal es sich bei § 626 Abs. 1 BGB um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffes handelt, die vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden kann, ob der Rechtsbegriff des wichtigen Grundes verkannt worden ist. Das Revisionsgericht kann insoweit nur nachprüfen, ob der Sachverhalt unabhängig von den Besonderheiten des Einzelfalles an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund abzugeben und ob alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände, die für oder gegen die außerordentliche Kündigung sprechen, widerspruchsfrei berücksichtigt worden sind und hierbei nicht gegen Denk- oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen worden ist (BAG 2, 175, 182; 2, 214, 215; 9, 263, 265; 24, 401, 407; BAG Urteil vom 26. August 1976 - 2 AZR 377/75 - AP Nr. 68 zu § 626 BGB).
1. Das Landesarbeitsgericht ist im Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, daß die falsche Medikation einer Arzthelferin, der ärztliche Aufgaben - unter der Verantwortung und Aufsicht des Arztes - delegiert sind, an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen (fristlosen) Kündigung im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB abzugeben (vgl. dazu BAG Urteil vom 14. Oktober 1965 - 2 AZR 466/64 - AP Nr. 27 zu § 66 BetrVG; KR--Hillebrecht, 2. Aufl., § 626 BGB Rz 58, 68 und 331, jeweils m. w. N.). Die insoweit auch der Arzthelferin anvertraute Gesundheit des Patienten ist ein sehr hohes Gut und darf deshalb auch bei einer ärztlichen Behandlung keinen zusätzlichen vermeidbaren Risiken ausgesetzt werden. Selbst ein einziger, auf Unachtsamkeit beruhender Fehler kann die Gesundheit des Patienten und den Ruf der Arztpraxis schmälern. Ob ein auf falsche Medikation zurückzuführendes Fehlverhalten der Arzthelferin allerdings jeweils eine außerordentliche bzw. fristlose Kündigung zu rechtfertigen vermag, hängt von der unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles vorzunehmenden Interessenabwägung ab (BAG Urteil vom 24. März 1958 - 2 AZR 587/55 - AP Nr. 5 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; BAG 9, 263; BAG Urteil vom 17. Mai 1984 - 2 AZR 3/83 - DB 1984, 2702). Davon ist zutreffend auch das Landesarbeitsgericht ausgegangen, dem bei der Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles und der Interessenabwägung ein weitgehender Beurteilungsspielraum zusteht.
2. Unter Berücksichtigung der konkreten Fallumstände ist das Landesarbeitsgericht zu dem Ergebnis gekommen, daß das Fehlverhalten der Klägerin eine fristlose Kündigung nicht rechtfertige und dem Beklagten eine Weiterbeschäftigung der Klägerin, jedenfalls bis zum 31. März 1982, zumutbar sei. Diese Würdigung ist nicht zu beanstanden.
a) Zusätzlich zu dem Vorfall, der Anlaß für die fristlose Kündigung war, hat das Landesarbeitsgericht unter Berufung auf die Senatsrechtsprechung (BAG 24, 383; BAG Urteil vom 10. April 1975 - 2 AZR 113/74 - AP Nr. 7 zu § 626 BGB Ausschlußfrist; BAG Urteil vom 12. April 1956 - 2 AZR 247/54 - AP Nr. 11 zu § 626 BGB) die beiden vorhergehenden Vorgänge vom August 1981 und vom September/Oktober 1981 zutreffend mit in die Würdigung einbezogen. Es hat die der Klägerin zur Last gelegten Vorfälle als eine "durchaus erhebliche Nachlässigkeit" und als "fahrlässige Vertragsverstöße" beurteilt, die aber gleichwohl den Vorwurf der allgemeinen Nachlässigkeit bei der Ausführung der Arbeit und der mangelnden Eignung für dieselben nicht rechtfertigten. Auch der Beklagte wirft der Klägerin kein bewußt vorsätzliches Handeln vor, sondern nur mangelnde Sorgfalt, also fahrlässiges Verhalten. Die Revision weist allerdings insoweit zutreffend darauf hin, daß die drei Vorfälle insgesamt 27 Fehlhandlungen der Klägerin beinhalten. Nach dem festgestellten Sachverhalt hat die Klägerin im August 1981 dem 81jährigen Patienten zehn Injektionen an verschiedenen Tagen ohne ärztliche Verordnung verabreicht und im September/Oktober 1981 einer Patientin zwar die zwölf Injektionen, nicht aber auch die verordneten Überwärmungsbäder gegeben. Im letzten, die Kündigung auslösenden Fall hat die Klägerin - wie das Landesarbeitsgericht ausdrücklich vermerkt - unter Berücksichtigung der nachträglich angeordneten Behandlung in fünf Fällen der Patientin Arumalon ohne ärztliche Verordnung gespritzt. Im Rahmen der drei aufgezeigten Komplexe hat die Klägerin mithin insgesamt in 27 Fällen den Laufzettel in der Hand gehabt, eingesehen und die vorgenommene Behandlung eingetragen, ohne zu merken, daß Verordnung und Behandlung nicht übereinstimmen. Diesen wesentlichen Umstand hat das Landesarbeitsgericht bei seiner Würdigung, wie aus seinen Ausführungen, insbesondere aber aus dem Hinweis folgt, die Klägerin habe im letzten Fall einer Patientin fünf Arumalon-Spritzen ohne ärztliche Verordnung verabreicht, entgegen der Auffassung der Revision allerdings auch hinreichend berücksichtigt.
b) Die spezifischen Besonderheiten der Dienstleistungen einer Arzthelferin sind mit sonstigen allgemeinen Dienstleistungen nicht vergleichbar. Soweit eine Arzthelferin ärztliche Dienstleistungen erbringt, die ihr zulässigerweise delegiert worden sind, ist nicht nur aus haftungsrechtlichen Gründen, sondern schon im Hinblick auf die besondere Verantwortung gegenüber dem Patienten jede Fehlleistung ein gravierender Vorgang. Dazu steht aber nicht im Widerspruch und stellt keinen Verstoß gegen Denkgesetze dar, wenn das Landesarbeitsgericht die Zahl der von der Klägerin behandelten Patienten in Relation zu den fehlerhaften Behandlungen gesetzt hat. Das Landesarbeitsgericht bezeichnet die Gesundheit des Patienten ausdrücklich als ein sehr hohes Gut; der Patient dürfe deshalb auch keinem zusätzlichen vermeidbaren Risiko ausgesetzt werden. Es ist deshalb nicht anzunehmen und auch nicht erkennbar, daß das Landesarbeitsgericht bei seiner Beurteilung nicht den Sorgfaltsmaßstab angelegt hat, der von einer sorgfältigen, gewissenhaften und verantwortungsbewußten Arzthelferin erwartet werden kann.
c) Entgegen der Auffassung der Revision ist es auch nicht zu beanstanden und stellt keinen revisiblen Rechtsfehler dar, wenn das Landesarbeitsgericht bei seiner Würdigung mit einbezogen hat, das Fehlverhalten der Klägerin habe unstreitig keine schädlichen Folgen für die betroffenen Patienten gehabt. Es ist auch nicht zu beanstanden, daß das Landesarbeitsgericht bei der Interessenabwägung die schlechten Aussichten der Klägerin, einen anderen Arbeitsplatz in ihrem Beruf zu erhalten, wenn sie aus dem gegebenen Anlaß fristlos gekündigt wird, berücksichtigt hat. Darin liegt keine verschärfte Auslegung oder Verkennung des unbestimmten Rechtsbegriffes des "wichtigen Grundes". Zugunsten der Klägerin konnte das Landesarbeitsgericht auch den Umstand heranziehen, daß die Klägerin die sechsmonatige Probezeit "offensichtlich ohne nennenswerte Beanstandungen" hinter sich gebracht hat. Die hiergegen angebrachte Rüge nach § 139 ZPO ist unbegründet. Für das Berufungsgericht hat keine Veranlassung bestanden, in dieser Richtung aufklärend tätig zu werden. Der Beklagte hat nicht, auch nicht andeutungsweise, vorgetragen, daß die Klägerin sich während ihrer Probezeit nicht bewährt hat.
d) Unstreitig hat sich der Beklagte dahin geäußert, er hätte sich die Sache mit der fristlosen Kündigung noch einmal überlegt, wenn ihn die Klägerin über ihr Fehlverhalten informiert hätte. Soweit die Revision die Berücksichtigung dieses Vortrages zugunsten der Klägerin im Hinblick auf die Formulierung "bis zu diesem Zeitpunkt" im Urteil beanstandet, ist dies nicht recht verständlich. Denn auf den Zeitpunkt "7. Dezember 1981" kam es dem Landesarbeitsgericht gar nicht an. Ersichtlich hat das Landesarbeitsgericht nämlich damit zum Ausdruck bringen wollen, daß der Beklagte dann, wenn er bei rechtzeitiger Information (7. Dezember 1981 oder früher) von einer Kündigung möglicherweise abgesehen hätte, das Risiko für seine Patienten bei einer Weiterbeschäftigung der Klägerin offenbar selbst nicht sehr hoch eingeschätzt habe. Diese Schlußfolgerung ist naheliegend, jedenfalls aber nicht verfehlt.
e) Schließlich ist entgegen der Revision auch nicht zu beanstanden, wenn das Landesarbeitsgericht im Hinblick auf die erfolgte Unterrichtung des Beklagten über die Vorkommnisse durch die Erstkraft S nicht davon ausgegangen ist, die Klägerin habe dem Beklagten ihr Fehlverhalten verheimlichen wollen.
IV. Das Landesarbeitsgericht hat nach alledem weder den Rechtsbegriff des wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB verkannt, noch hat es bei der Interessenabwägung wesentliche Umstände unberücksichtigt gelassen. Unter Berücksichtigung des dem Tatsachengericht eingeräumten Beurteilungsspielraums läßt die Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts aus revisionsrechtlicher Sicht keinen Rechtsfehler erkennen. Die Revision des Beklagten war daher mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.
Hillebrecht Dr. Röhsler Dr. Weller
Dr. Peppler Timpe
Fundstellen