Prof. Dr. Stefan Müller, Lina Warnke
Rz. 23
Die Wertansätze der Eröffnungsbilanz haben nach § 252 Abs. 1 Nr. 1 HGB den Wertansätzen in der Schlussbilanz des vorherigen Gj zu entsprechen. Mittels Normierung des Grundsatzes der Bilanzidentität – der im Steuerecht primär als Grundsatz des Bilanzzusammenhangs bezeichnet wird – soll sichergestellt werden, dass sämtliche Geschäftsvorfälle in das neue Gj übertragen werden, ohne dass Erfolgsbeiträge aus der GuV eliminiert und damit den Anteilseignern vorenthalten werden können. Die Regelung ist dabei Ausdruck des Stetigkeitsgebots sowie der Willkürfreiheit und dient einer periodengerechten Gewinnermittlung. Darüber hinaus wird argumentiert, dass nur so eine korrekte Darstellung des zumindest gedanklichen Totalgewinns der Unternehmung, der der Summe der Jahresüberschüsse und -fehlbeträge über alle Gj der gesamten Lebensdauer eines Unt entspricht, erreicht werden kann und sich die Schwankungen der Wertansätze im Zeitverlauf ausgleichen. Allerdings handelt es sich bei dem Konstrukt des Totalgewinns lediglich um ein theoretisches Gebilde und etwa in den Übergangsvorschriften zum BilMoG wurde eine erfolgsneutrale Erfassungen von Erträgen aus der Umstellung bei bestimmten Sachverhalten im Widerspruch zu dem Grundsatz der Bilanzidentität gefordert bzw. erlaubt (z. B. Art. 67 EGHGB Rz 36).
Rz. 24
Da weder dem HGB noch den GoB eine Pflicht zur Aufstellung einer Eröffnungsbilanz für jedes Gj inhärent ist, ist unter der in § 252 HGB irreführenderweise verwendeten Formulierung "Eröffnungsbilanz" die Übereinstimmung der Saldenvorträge auf den Bestandskonten mit den Schlusssalden der entsprechenden Konten aus dem vorangegangenen (Rumpf-)Gj zu verstehen. Auch aus der Regelung des § 252 HGB ergibt sich keine Pflicht zur Aufstellung einer Eröffnungsbilanz. Die Pflicht zur Aufstellung einer solchen liegt nur im Falle des Beginns eines Handelsgewerbes (§ 242 Abs. 1 Satz 1 HGB) oder gem. § 71 Abs. 1 GmbHG im Falle einer Liquidation vor, wobei die Liquidationseröffnungsbilanz – vorbehaltlich abweichender Vorgaben – bei einer GmbH sachlich der Eröffnungsbilanz des § 242 Abs. 1 Satz 1 HGB und inhaltlich der Schlussbilanz entspricht.
Ebenfalls folgt aus der Regelung kein Gebot zur Gliederungsstetigkeit. Es ist entsprechend nicht erforderlich, die Kontengliederung des vorangegangenen Gj für das neue Gj zu verwenden. Allerdings ergibt sich i. S. d. Bilanzidentität bei Änderungen die Anforderung zur Vorlage von Überleitungen und der Beibehaltung der Kontengliederungen für ein Gj.
Rz. 25
Während § 252 Abs. 1 Nr. 1 HGB zunächst nur allgemein von der Übernahme der Wertansätze spricht, ergibt sich aus § 252 Abs. 1 Satz 1 HGB die Spezifizierung, dass darunter die Wertansätze der im Jahresabschluss ausgewiesenen VG und Schulden zu verstehen ist. Allerdings umfasst der Grundsatz der Bilanzidentität nicht nur den Wertansatz sämtlicher Aktiva und Passiva und damit auch der Posten des Eigenkapitals, sondern vielmehr auch den übereinstimmenden Ansatz dieser. Daraus folgt neben der Vorgabe zur unveränderten Übernahme der Wertansätze der ausgewiesenen Posten unter Ausschluss von Weglassungen oder Ergänzungen auch die Pflicht zur Beibehaltung der Zuordnung zu den Aktiv- und Passivpositionen genauso wie das Erfordernis zur Übernahme der Wertansätze zusammengefasster und nicht gesondert ausgewiesener (Unter-)Positionen in den Fällen unveränderter Gesamtwerte. Darüber hinaus ergibt sich in Konsequenz der Grundsatzanwendung auch das Verbot zur Anpassung infolge einer abweichenden Steuerbilanz.
Die X GmbH hat im am 31.12.X1 endenden Gj i. R. d. Zugangsbewertung gem. § 255 Abs. 2 Satz 2 HGB sämtliche dem einzelnen Erzeugnis unmittelbar zurechenbare Aufwendungen und damit die Pflichtbestandteile der HK i. H. v. insgesamt 550.000 EUR sowie nach § 255 Abs. 2 Satz 3 HGB alle wahlrechtsgemäßen Gemeinkosten, die unabhängig von der Produktionsmenge angefallen sind (allgemeine Verwaltungskosten, Kosten für soziale Einrichtungen des Betriebs und freiwillige soziale Leistungen, sowie Kosten der betrieblichen Altersvorsorge), i. H. v. insgesamt 150.000 EUR in die aktivierten HK einbezogen.
Infolge des Grundsatzes der Bilanzidentität ist es der X GmbH nicht gestattet, i. R. d. Eröffnungsbuchungen nur die Pflichtbestandteile der HK i. H. v. insgesamt 550.000 EUR für das Gj X2 vorzutragen. Der Schlusssaldo von insgesamt 700.000 EUR ist zu übernehmen.
Rz. 26
Die Praxis der Berücksichtigung von bereits vorhandenen Gewinnveränderungsbeschlüssen und den damit etwaig verbundenen Änderungen der Eigenkapital- und Verbindlichkeitskonten bzw. Umbuchungen von Gewinnen/Verlusten oder Gewinn-/Verlustvorträgen bereits im Zuge der Eröffnungsbuchungen als Alternative zur Erfassung erst im Laufe des neuen Gj soll keine Durchbrechung des Grundsatzes darstellen. U. E. nach kann dies so nicht gelten und widerspricht dem mitunter von gleicher Seite vorgebrachten Argument hinsichtlich eines Verbots zur Änderung der Zuordnung von Aktiv- und...