Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückforderung vorfinanzierter Ausfuhrerstattung
Leitsatz (NV)
- § 11 des Gesetzes über die Durchführung gemeinsamer Marktorganisationen betreffend die Verteilung der Beweislast ist im Falle der Rückforderung vorfinanzierter Ausfuhrerstattung nicht anzuwenden.
- Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften ist der Begriff der höheren Gewalt eindeutig geklärt und bedarf keiner weiteren Klärung in einem Revisionsverfahren.
- Zur Rechtsgrundlage für die Rückforderung vorfinanzierter Ausfuhrerstattung.
- Das Finanzgericht ist als erstinstanzliches Gericht nicht verpflichtet, eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen.
Normenkette
EGVtr Art. 234 Abs. 3; EWGV 565/80 Art. 6; EWGV 3665/87 Art. 33 Abs. 1 Unterabs. 2; FGO § 76; MOG §§ 10-11
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ließ am 24. April 1991 beim Hauptzollamt X (HZA X) … kg Kartoffelstärke zur Erstattungslagerung mit Vorfinanzierung der Erstattung mit dem Ziel der Ausfuhr in verschiedene Drittländer abfertigen und beantragte hierfür beim Beklagten und Beschwerdegegner (HZA Z) die Vorfinanzierung eines der Ausfuhrerstattung entsprechenden Betrages, welche das HZA gewährte. In der Folgezeit wurde bis August 1991 die eingelagerte Kartoffelstärke mit ca. 260 Ausfuhrsendungen und den dazugehörigen Kontrollexemplaren T5 (KE) in verschiedene Drittländer ausgeführt. Entsprechend dem Rücklauf der KE wurde die geleistete Sicherheit abschnittsweise neu berechnet und zu verschiedenen Zeitpunkten in Teilbeträgen freigegeben. Ausweislich der letzten Sicherheiten-Berechnung vom 18. Oktober 1991 war schließlich noch eine Teilmenge an Kartoffelstärke von … kg verblieben, für welche die Sicherheit noch nicht freigegeben worden war. Für diese Teilmenge fehlten die Ausfuhrnachweise, weil dafür die vier vom HZA X erteilten KE nicht an das HZA Z zurückgelangt waren. Das HZA Z forderte deswegen mit Erstattungsbescheid vom 22. Juli 1996 den für diese Teilmenge vorfinanzierten Erstattungsbetrag mit einem Zuschlag von 20 %, insgesamt … DM zurück; der hiergegen gerichtete Einspruch war erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 10. September 1997).
Die Klage, mit der die Klägerin geltend gemacht hatte, dass die KE bei den jeweiligen Ausgangszollstellen vorgelegt worden seien und auf dem Wege von den Ausgangszollstellen zum HZA Z verloren gegangen sein müssten, hatte ebenfalls keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hielt den Rückforderungsbescheid für rechtmäßig, weil die Klägerin die Ausfuhr der in Rede stehenden Teilmenge nicht nachgewiesen habe. Rechtsgrundlage für den Rückforderungsbescheid sei Art. 33 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 (VO Nr. 3665/87) der Kommission vom 27. November 1987 über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ―ABlEG― Nr. L 351/1) i.V.m. Art. 29 der Verordnung (EWG) Nr. 2220/85 (VO Nr. 2220/85) der Kommission vom 22. Juli 1985 mit gemeinsamen Durchführungsbestimmungen zur Regelung der Sicherheiten für landwirtschaftliche Erzeugnisse (ABlEG Nr. L 205/5).
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des FG macht die Klägerin geltend, die Sache habe grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―), außerdem lägen Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) vor, auf denen das Urteil beruhe.
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet.
1. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die von der Klägerin aufgeworfenen Fragen,
welche Anforderungen an die Beweislastregelung nach § 11 des Gesetzes zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen (MOG) zu setzen und wann die Voraussetzung für die Anwendung dieser Vorschrift als erfüllt anzusehen sind,
welche Anforderungen an das subjektive Element der höheren Gewalt zu setzen sind,
ob im Rahmen des Art. 33 Abs. 1 Unterabs. 2 VO Nr. 3665/87 § 48 Abs. 2 bis 4 und § 49a des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) anzuwenden sind,
haben keine grundsätzliche Bedeutung. Sie sind nicht klärungsbedürftig, weil sie eindeutig so zu beantworten sind, wie das FG es getan hat.
Wie das FG im Ergebnis richtig erkannt hat, ist § 11 MOG im Streitfall nicht anwendbar. Das folgt deutlich schon aus dem Wortlaut der Vorschrift. Danach betrifft die darin geregelte Beweislast nur Fälle, in denen der Begünstigte bereits eine Vergünstigung empfangen hat und diese Vergünstigung zurückgefordert werden soll. Im Falle der Vorfinanzierung der Ausfuhrerstattung hat der Ausführer aber noch keine Vergünstigung erhalten, diese ist ihm vielmehr lediglich gegen Sicherheitsleistung vorfinanziert worden. Ihm obliegt daher uneingeschränkt der Nachweis, dass die Voraussetzungen für die Gewährung der Vergünstigung in Gestalt der Ausfuhrerstattung erfüllt worden sind. Dazu gehört auch der Nachweis, dass das Erzeugnis, für das die Ausfuhrerstattung begehrt wird, ausgeführt worden ist.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) ist der Begriff der höheren Gewalt eindeutig geklärt und bedarf keiner weiteren Klärung. Höhere Gewalt ist danach ein ungewöhnliches und unvorhersehbares Ereignis, auf das der betroffene Wirtschaftsteilnehmer keinen Einfluss hatte und dessen Folgen trotz Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht hätten vermieden werden können (EuGH, Urteile vom 22. Januar 1986 Rs. 266/84, EuGHE 1986, 149; vom 18. März 1993 Rs. C-50/92, EuGHE 1993, I-1035; Senats-Urteil vom 12. Oktober 1999 VII R 6/99, BFHE 190, 507, m.w.N.). Die Frage, ob unter Zugrundelegung dieser Definition im Einzelfall die Voraussetzungen für das Vorliegen höherer Gewalt gegeben sind, ist einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich, sondern hängt ―wie auch im Streitfall― von den Umständen des Einzelfalls ab. Das FG hat hier mit Recht erkannt, dass die Fa. W die gebotene Sorgfalt nicht hat walten lassen, weil sie von der Möglichkeit, die Ausfuhr der Erzeugnisse durch den KE gleichwertige Unterlagen (Art. 47 Abs. 3 VO Nr. 3665/87) nachzuweisen, keinen Gebrauch gemacht habe. Nach den Feststellungen des FG, an die das Revisionsgericht gebunden wäre (§ 118 Abs. 2 FGO), war der Klägerin diese Möglichkeit nicht dadurch genommen, dass sie keine Kenntnis davon hatte, dass die KE mit dem Ausfuhrnachweis nicht an das HZA geschickt worden waren. Denn die Fa. W hätte aus den ihr übersandten Sicherheiten-Überwachungen entnehmen können, dass dem HZA die KE für die hier in Rede stehenden Sendungen nicht vorlagen.
Geklärt ist ebenfalls, dass Rechtsgrundlage für die Rückforderung einer gewährten Vorfinanzierung der Ausfuhrerstattung nicht § 10 MOG, sondern unmittelbar Art. 6 der Verordnung (EWG) Nr. 565/80 des Rates vom 4. März 1980 über die Vorauszahlung von Ausfuhrerstattungen für landwirtschaftliche Erzeugnisse (ABlEG Nr. L 62/5) i.V.m. Art. 33 Abs. 1 Unterabs. 2 VO Nr. 3665/87 i.d.F. der Verordnung (EWG) Nr. 1615/90 der Kommission vom 15. Juni 1990 (ABlEG Nr. L 152/33) i.V.m. Art. 29 VO Nr. 2220/85 ist (vgl. Senats-Urteil vom 18. Mai 1993 VII R 70/92, BFH/NV 1994, 208). Damit ist auch die Frage, ob bei der Rückforderung der Vorfinanzierung von Ausfuhrerstattung die §§ 48 und 49a VwVfG zu berücksichtigen sind, eindeutig zu verneinen. Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes oder des Wegfalls der Bereicherung können in diesem Fall schon deswegen nicht eingreifen, weil durch die Gewährung der Vorfinanzierung kein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist, sondern im Gegenteil die Freigabe der im Zusammenhang damit geleisteten Sicherheit ausdrücklich davon abhing, dass die Voraussetzungen für die Gewährung der Ausfuhrerstattung erfüllt wurden.
2. Die Klägerin sieht einen Verfahrensfehler mangelnder Sachverhaltsaufklärung (§ 76 FGO) darin, dass das FG von weiteren Aufklärungen des Sachverhalts im Zusammenhang mit der Vorlage der KE beim HZA abgesehen habe. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die unterlassene Sachaufklärung durch das FG insoweit aber kein Verfahrensfehler, weil es auf die Aufklärung dieser Tatsachen nach der für die Entscheidung maßgebenden Auffassung des FG nicht ankam. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Auffassung richtig oder, wie die Klägerin meint, unzutreffend ist (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 115 Rz. 34). Entscheidend war für das FG insoweit, dass die Klägerin die nachteiligen Folgen eines etwaigen Verlustes der KE dadurch hätte abwenden können, dass sie den erforderlichen Nachweis der Ausfuhr auf andere Weise führte.
3. Ein Verfahrensfehler liegt auch nicht deshalb vor, weil es das FG unterlassen hat, bestimmte Fragen in Bezug auf die Auslegung von Gemeinschaftsrecht dem EuGH zur Vorabentscheidung gemäß Art. 234 Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i.d.F. des Vertrages von Amsterdam vom 2. Oktober 1997 (ABlEG 1997 Nr. C 340/1; 1999 Nr. L 114/56) vorzulegen. Das FG ist als erstinstanzliches Gericht nicht verpflichtet, eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen. Mithin kann die Unterlassung der Vorlage kein Verfahrensfehler sein (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, vgl. Beschlüsse vom 12. Juli 1999 VII B 81/99, BFH/NV 1999, 1655; vom 11. März 1998 X B 49/97, BFH/NV 1998, 1091; Urteil vom 2. April 1996 VII R 119/94, BFHE 180, 231, BFH/NV-BFH/R 1996, 306, und Beschluss vom 17. Februar 2000 V B 144/99, BFH/NV 2000, 999).
Fundstellen
Haufe-Index 585694 |
BFH/NV 2001, 947 |