Entscheidungsstichwort (Thema)
Außenprüfung und Steuerfahndungsprüfung nebeneinander zulässig
Leitsatz (NV)
- Die Frage, ob die Erweiterung einer Außenprüfung i.S. des § 193 AO 1977 auf solche Steuerarten und Veranlagungszeiträume rechtmäßig ist, für welche der Verdacht einer Steuerstraftat besteht und für die nach der Erweiterung der Betriebsprüfung das Steuerstrafverfahren eingeleitet wird, ist eindeutig zu bejahen.
- Besteuerungsverfahren und Steuerstrafverfahren stehen unabhängig und gleichrangig nebeneinander.
- Beweisanträge können erstmals im Urteil zurückgewiesen werden.
Normenkette
AO 1977 §§ 193, 196, 208
Gründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde kann keinen Erfolg haben.
1. Die vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) aufgeworfenen Rechtsfragen haben keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
a) Die Frage, ob die Erweiterung einer Außenprüfung i.S. des § 193 der Abgabenordnung (AO 1977) auf solche Steuerarten und Veranlagungszeiträume rechtmäßig ist, für welche der Verdacht einer Steuerstraftat besteht und für die nach der Erweiterung der Betriebsprüfung das Steuerstrafverfahren eingeleitet wird, ist nicht klärungsbedürftig (vgl. hierzu z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rdnr. 28, m.w.N.). Die Frage ist zweifelsfrei zu bejahen.
Die Zulässigkeit des Nebeneinanders von Außenprüfung und Steuerfahndungsprüfung ergibt sich eindeutig aus § 393 Abs. 1 Satz 1 AO 1977, wonach sich die Rechte und Pflichten des Steuerpflichtigen und der Finanzbehörde im Besteuerungsverfahren und im Strafverfahren nach den für das jeweilige Verfahren geltenden Vorschriften richten. Würde das Steuerstrafverfahren eine Außenprüfung ausschließen, ginge diese Vorschrift ins Leere (vgl. auch z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 7. Dezember 1999 IV B 146/99, BFH/NV 2000, 413). Dementsprechend hat der erkennende Senat mit Urteil vom 19. August 1998 XI R 37/97 (BFHE 186, 506, BStBl II 1999, 7) entschieden, dass die Einleitung eines Steuerstrafverfahrens weitere Ermittlungen durch die Außenprüfung unter Erweiterung des Prüfungszeitraums nicht hindert. Die Finanzbehörde ermittelt den Sachverhalt auch bei Verdacht einer Steuerstraftat. Mit welchen Mitteln oder auf welche Weise sie dieser Ermittlungspflicht nachkommt, ist eine Frage der Zweckmäßigkeit und der Praktikabilität. Abweichendes ergibt sich auch nicht aus § 208 Abs. 1 AO 1977, da § 208 Abs. 3 AO 1977 ausdrücklich klarstellt, dass die Aufgaben und Befugnisse der Finanzbehörden von den Befugnissen der Steuerfahndung unberührt bleiben (vgl. BFH-Urteil in BFHE 186, 506, BStBl II 1999, 7).
b) Geklärt ist ferner die Frage, dass Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren grundsätzlich unabhängig und gleichrangig nebeneinander stehen (vgl. BFH-Urteil vom 23. Januar 2002 XI R 10, 11/01, BFHE 198, 7, BStBl II 2002, 328). Der BFH ist damit der teilweise in der Literatur vertretenen gegenteiligen und vom Kläger zitierten Auffassung nicht gefolgt (vgl. auch z.B. BFH-Beschluss vom 19. September 2001 XI B 6/01, BFHE 196, 200, BStBl II 2002, 4, m.w.N.). Da Außen- und Steuerfahndungsprüfung nebeneinander durchgeführt werden können, ist auch rechtlich unerheblich, dass im Streitfall ―anders als z.B. BFH in BFHE 186, 506, BStBl II 1999, 7― die Prüfung vor Einleitung des Steuerstrafverfahrens erweitert wurde.
Die Tatsache, dass der Kläger die Rechtsprechung des BFH für unzutreffend hält, ist kein Grund für die Zulassung der Revision. Ebenso wenig, dass einige Finanzgerichte vor Ergehen der genannten Rechtsprechung des BFH eine ―möglicherweise― andere Auffassung vertreten haben.
c) Die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob das Gesetz hinreichend die teilweise unterschiedliche Struktur von Besteuerungsverfahren einerseits und Strafverfahren andererseits berücksichtigt, kann im Revisionsverfahren nicht geklärt werden (vgl. hierzu z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rdnr. 30, m.w.N.).
Das Verhältnis der beiden Verfahren zueinander regelt § 393 Abs. 1 AO 1977. Daran ist die Rechtsprechung gebunden (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes ―GG―). Über die Frage, ob, ggf. auf welche Weise dem strafprozessualen Grundsatz, dass sich niemand selbst einer Straftat bezichtigen müsse, im Besteuerungsverfahren Rechnung getragen wird, hat der Gesetzgeber, nicht die Rechtsprechung zu entscheiden. Eine Gesetzeslücke liegt nicht vor (vgl. auch z.B. BTDrucks 7/4292, S. 46).
2. Die Verfahrensrügen haben ebenfalls keinen Erfolg.
a) Das Finanzgericht (FG) hat nicht seine Pflicht zur Sachaufklärung gemäß § 76 FGO dadurch verletzt, dass es die beantragten Beweise nicht erhoben hat. Von einer Beweiserhebung kann ein FG nach ständiger Rechtsprechung des BFH u.a. absehen, wenn es die Richtigkeit der unter Beweis gestellten Tatsache unterstellt (z.B. BFH-Beschluss vom 7. August 2001 III B 67/00, BFH/NV 2002, 45, m.w.N.).
Im Übrigen kommt es bei der Frage, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, auf den materiell-rechtlichen Standpunkt des FG an (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rdnr. 79, m.w.N.). Die Verletzung der Sachaufklärungspflicht kann daher im Streitfall nicht damit begründet werden, dass das FG die widersprechenden Prinzipien im Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren verkannt habe.
b) Die Nichterhebung beantragter Beweise verletzt als solches nicht den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO), wenn das Gericht den Vortrag der Beteiligten einschließlich der Beweisanträge zur Kenntnis nimmt und in seine Würdigung miteinbezieht (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rdnr. 10 a, m.w.N.). Dies ist im Streitfall ausweislich der Urteilsgründe geschehen.
c) Die Zurückweisung eines Beweisantrages bedarf keines besonderen Beschlusses. Sie kann auch im Urteil selbst begründet werden (Gräber/Koch, a.a.O., § 82 Rdnr. 3, m.w.N.). Im Übrigen hat das FG die unter Beweis gestellten Tatsachen als wahr unterstellt. Insoweit ist auch der Vortrag des Klägers, das Gericht habe ihm mit der Zurückweisung der Beweisanträge im Urteil die Möglichkeit genommen, neue Beweisanträge zu stellen, unschlüssig.
d) Unschlüssig ist auch die Rüge, das FG sei nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen (§ 119 Nr. 1 FGO). Insbesondere enthält die Beschwerdebegründung keine Anhaltspunkte dazu, aus welchen Gründen die an der mündlichen Verhandlung teilnehmenden Richter nicht dem gesetzlichen Richter i.S. des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG entsprochen haben könnten. Ebenso wenig hat der Kläger dargelegt, dass an der Verkündung ein gesetzlich nicht vorgesehener Richter beteiligt gewesen sei. Im Übrigen müssen die an der Urteilsverkündung beteiligten Richter nicht mit denen identisch sein, die das Urteil gefällt haben (vgl. z.B. Gräber/von Groll, a.a.O., § 104 Rdnr. 4, m.w.N.).
e) Das Protokoll über die mündliche Verhandlung ist vom Vorsitzenden zu unterzeichnen, wenn wie im Streitfall kein Urkundsbeamter zugezogen worden ist (vgl. hier Sitzungsprotokoll vom 21. Februar 2002 Bl. 1; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 94 FGO Rdnr. 11).
Die Entscheidung ergeht nach § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO mit Kurzbegründung.
Fundstellen
Haufe-Index 946404 |
BFH/NV 2003, 1034 |