Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung der Sachaufklärungspflicht bei Anwendung von nicht allgemein bekannten "Erfahrungssätzen"; Rügeverlust; Liebhaberei
Leitsatz (NV)
1. Das FG verletzt § 76 Abs. 1 FGO, wenn es seiner Entscheidung nicht allgemein bekannte "Erfahrungssätze" ohne weitere Sachaufklärung zugrunde legt.
2. Lässt der Vorsitzende am Ende der mündlichen Verhandlung erkennen, dass das Gericht über die Frage weiterer Sachaufklärung noch beraten werde, ist für eine Rüge nach § 295 ZPO kein Raum.
3. Eine schlechte Betriebsführung oder die systembedingte Saldierung positiver und negativer Einkünfte indizieren alleine noch nicht das Fehlen der Gewinnerzielungsabsicht.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 76 Abs. 1; ZPO § 295; EStG § 15
Verfahrensgang
FG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 25.09.2003; Aktenzeichen 6 K 3040/01) |
Gründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist wegen Verfahrensfehlern gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) begründet. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) wird aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 116 Abs. 6 FGO).
1. Soweit sich die Nichtzulassungsbeschwerde auf grundsätzliche Bedeutung und Divergenz stützt (§ 115 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 FGO), ist sie unzulässig. Ihre Begründung entspricht insoweit nicht den vom Gesetz gestellten Anforderungen.
a) Nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO müssen in der Beschwerdebegründung die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden. Dazu reicht es nicht aus, Revisionszulassungsgründe lediglich zu behaupten. Stützt sich die Beschwerde auf grundsätzliche Bedeutung, muss der Beschwerdeführer konkret auf die Rechtsfrage und ihre Bedeutung für die Allgemeinheit eingehen. Er muss eine bestimmte für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche abstrakte Rechtsfrage herausstellen, der grundsätzliche Bedeutung zukommen soll. Erforderlich ist ferner ein konkreter und substantiierter Vortrag, aus welchen Gründen im Einzelnen die Klärung der Rechtsfrage durch die angestrebte Revisionsentscheidung im allgemeinen Interesse liegt, also ein Vortrag zur Klärungsbedürftigkeit (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 116 Rdnr. 32, m.w.N.). Daran fehlt es hier.
b) Stützt sich eine Beschwerde auf die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, so muss sich aus der Beschwerdebegründung ergeben, in welcher konkreten Rechtsfrage das FG nach Ansicht des Beschwerdeführers von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) o.a. abgewichen ist; es genügt nicht die bloße Behauptung, das FG habe die bezeichnete Entscheidung des BFH unrichtig angewendet. Notwendig ist, dass der Beschwerdeführer abstrakte Rechtssätze im Urteil des FG und in der Divergenzentscheidung des BFH so genau bezeichnet, dass die Abweichung erkennbar wird (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rdnr. 42). Diesen Anforderungen entspricht die Beschwerdebegründung nicht.
c) Nach der Neufassung der Revisionszulassungsgründe durch das Zweite Gesetz zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom 19. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1757) können zwar auch erhebliche Fehler eines FG bei der Auslegung revisiblen Rechts zur Zulassung der Revision führen (vgl. BTDrucks 14/4061, 9; BFH-Beschluss vom 14. Juli 2003 IV B 81/01, BFH/NV 2003, 1379). Ein solcher Fehler liegt aber nur vor, wenn die Entscheidung des FG objektiv willkürlich oder doch jedenfalls so greifbar gesetzwidrig ist, dass das Vertrauen in die Rechtsprechung nur durch eine höchstrichterliche Korrektur der Entscheidung des FG wieder hergestellt werden könnte (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 21. März 2003 VII B 197/02, BFH/NV 2003, 1103). Einen derartigen Fehler hat der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) nicht dargelegt.
2. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist insoweit zulässig und begründet, als der Kläger Verfahrensmängel geltend gemacht hat, die vorliegen und auf denen die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).
a) Das FG durfte seiner Entscheidung keine "Erfahrungssätze" zugrunde legen, die nicht allgemein bekannt sind. Zu Recht rügt der Kläger, dass das FG seiner Entscheidung ohne die notwendigen tatsächlichen Feststellungen den "Erfahrungssatz" zugrunde gelegt hat, dass ein Gewerbetreibender, der mit Flugzeugen handelt und/oder diese verchartert, den Absturz seiner Maschinen typischerweise in seine Preise mit einkalkuliere. Insoweit hat das FG § 76 Abs. 1 FGO verletzt.
Verstöße gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze sind zwar nach der Rechtsprechung des BFH in der Regel materiell-rechtliche Fehler, und zwar auch dann, wenn ein solcher Verstoß sich nicht auf die rechtliche Subsumtion, sondern auf die Würdigung von Tatsachen erstreckt. Entgegen der Auffassung des Klägers hat auch der Bundesgerichtshof (BGH) die Verletzung von Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen dem materiellen Recht zugeordnet (vgl. z.B. BGH-Urteile vom 15. Januar 1993 V ZR 202/91, Neue Juristische Woche-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht --NJW-RR-- 1993, 653; vom 14. Januar 1993 IX ZR 238/91, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1993, 935, 937; vom 23. Oktober 2003 III ZR 9/03, NJW 2003, 3693, 3694). Demgegenüber vertritt aber beispielsweise das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) im Urteil vom 19. Januar 1990 4 C 28/89 (Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht --NVwZ-- 1990, 754) die Auffassung, dass ein Verstoß gegen die Denkgesetze oder Erfahrungssätze dann ein Verfahrensfehler ist, wenn hiervon --wie im Streitfall (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 5. Juli 2002 IV B 42/02, BFH/NV 2002, 1447)-- ein Indizienbeweis betroffen ist. Der Senat kann im Streitfall offen lassen, ob der Rechtsprechung des BVerwG beizutreten ist. Der Kläger hat nämlich zugleich schlüssig dargelegt, dass die Annahme des FG, bei einem Unternehmen, das Flugzeuge vercharterte bzw. mit Flugzeugen handelt, sei nach allgemeiner Erfahrung mit dem Absturz der Maschinen zu rechnen und der daraus entstehende Einnahmeausfall werde typischerweise in die Preiskalkulation mit einbezogen, nicht durch tatsächliche Feststellungen gedeckt ist. Erfahrungstatsachen des wirtschaftlichen Lebens sind vom Gericht grundsätzlich ebenso festzustellen wie andere entscheidungserhebliche Tatsachen, so dass das Gericht angeben muss, woher es die Kenntnis von diesen Tatsachen hat. Das gilt nur nicht für offenkundige Tatsachen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 6. November 1987 III R 178/85, BFHE 151, 425, BStBl II 1988, 442; BFH-Beschluss vom 5. November 2001 VIII B 16/01, BFH/NV 2002, 312, m.w.N.). Das FG hat keine Feststellungen dazu getroffen, wie es zu der Annahme gelangt ist, dass der Verlust von zwei Maschinen --lt. Klägervortrag drei-- bei einem Maschinenpark von insgesamt fünf Maschinen betriebstypisch ist. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Verlust (fast) der Hälfte des Maschinenparks durch Abstürze zu den offenkundigen Tatsachen in der Luftfahrt gehört.
b) Dem FG ist auch insoweit ein Verfahrensfehler unterlaufen, als es das vom Kläger beantragte Gutachten über die vom Kläger behauptete Wertsteigerung gebrauchter Flugzeuge nicht eingeholt hat.
Auch diese Rüge ist in zulässiger Form erhoben worden. Der Kläger hat den Schriftsatz, in dem er den Beweisantrag gestellt hat, bezeichnet und in schlüssiger Form dargelegt, dass der Vorsitzende des Senats selbst am Ende der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hat, dass auch noch eine Beweiserhebung erforderlich werden kann (vgl. Protokoll über die mündliche Verhandlung am 25. September 2003). Unter diesen Umständen war für eine Rüge nach § 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung (ZPO), das FG habe zu Unrecht den Beweisanträgen nicht entsprochen, kein Raum. Der Kläger hat zudem --wie er auch in seiner Beschwerdebegründung im Einzelnen darlegt-- im Schriftsatz vom 8. März 2002 unter Beifügung eines Auszugs aus dem "blue book" ausgeführt, dass die Verkehrswerte seiner Maschinen bis zum Jahr 2002 eine erhebliche Wertsteigerung erfahren haben und unter Berücksichtigung der möglichen Verkaufserlöse sich ein positiver Totalgewinn ergebe. Da das FG den Auszug aus dem blue book nicht als Nachweis ausreichen ließ, was als solches nicht zu beanstanden ist, hätte es den vom Kläger gestellten Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens gemäß § 76 Abs. 1 FGO folgen müssen.
c) Da damit die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO für eine Zulassung der Revision erfüllt sind, kann der Senat offen lassen, ob sich aus der Nichtberücksichtigung weiteren unstreitigen Klägervorbringens auch eine Verletzung des § 96 FGO ergibt. Der Kläger kann insoweit seinen Vortrag im zweiten Rechtsgang vor dem FG wiederholen.
3. Der erkennende Senat hält es in Anbetracht der nachzuholenden Feststellungen für sachgerecht, das Urteil des FG aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 116 Abs. 6 FGO). Dem steht der Beschluss des VII. Senats des BFH vom 9. April 2002 VII B 73/01 (BFHE 198, 55, BStBl II 2002, 509) nicht entgegen. Fragen von grundsätzlicher Bedeutung wären im Revisionsverfahren nicht mehr zu entscheiden.
a) Die vom Kläger --wenn auch in unzulässiger Form-- aufgeworfene Rechtsfrage, ob eine subjektiv schlechte Betriebsführung oder anderweitig hohe Einkünfte allein das Fehlen der Gewinnerzielungsabsicht indizieren, hat der erkennende Senat bereits im Urteil vom 22. April 1998 XI R 10/97 (BFHE 186, 206, BStBl II 1998, 663) verneint. Seit der Entscheidung des Großen Senats vom 25. Juni 1984 GrS 4/82 (BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751, 767) ist ferner geklärt, dass auch bei längeren Verlustperioden aus weiteren Beweisanzeichen die Feststellung möglich sein muss, dass der Steuerpflichtige die verlustbringende Tätigkeit nur aus im Bereich seiner Lebensführung liegenden persönlichen Gründen oder Neigungen ausübt. Die sich aus der bloßen Saldierung positiver und negativer Einkünfte nach § 2 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes ergebende "Steuerersparnis" ist systembedingt, kann daher als solche eine Liebhaberei nicht begründen. Eine unter persönlichem Einsatz ausgeübte Tätigkeit ist auch nicht ohne weiteres mit der Beteiligung an Verlustzuweisungsgesellschaften, die typischerweise auf Steuerersparnisse ausgerichtet sind, vergleichbar (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 21. November 2000 IX R 2/96, BFHE 193, 460, BStBl II 2001, 789). Geklärt ist ferner, dass das Fehlen von Sachkunde gegen eine Gewinnerzielungsabsicht spricht (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 11. Dezember 1997 IV R 4/95, BFH/NV 1998, 947). Auch die Tatsache, dass der Inhaber eines Unternehmens, das Flugzeuge verchartert, ggf. mit Flugzeugen handelt, eine Pilotenlizenz und damit Fachkunde besitzt, vermag daher nicht zu belegen, dass fünf Flugzeuge bzw. Helikopter aus Gründen der persönlichen Neigung angeschafft und verchartert werden.
b) Keine grundsätzliche Bedeutung hat auch die vom Kläger angesprochene Frage, ob das FG zu Recht davon ausgehen konnte, dass die Höhe der Versicherungsentschädigungen keinen Rückschluss auf den Zeitwert der Flugzeuge zulasse, da diese "nur von der Versicherungssumme abhingen". Nach § 52 des Versicherungsvertragsgesetzes gilt der Wert der Sache als Versicherungswert, soweit sich nicht aus den Umständen etwas anderes ergibt. Letzteres in tatsächlicher Hinsicht zu klären, ist Aufgabe des FG.
c) Sollte sich aufgrund weiterer Feststellungen ergeben, dass tatsächlich die vom Kläger angeschafften Maschinen nicht an Wert verlieren, teilweise sogar seinerzeit Wertsteigerungen erfahren haben, so wird das FG noch prüfen müssen, ob die bisher angesetzte Absetzung für Abnutzung der Höhe nach sachgerecht ist. Hieraus kann sich eine Verminderung des Verlustes bzw. die Erzielung von Gewinnen ergeben. Ggf. wären auch die Vertragsbeziehungen zu der Gesellschaft in X zu prüfen.
Die Entscheidung ergeht mit Kurzbegründung (§ 116 Abs. 5 FGO).
Fundstellen