Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuergeheimnis
Leitsatz (NV)
Steht fest, dass die Unternehmensführung des Betriebsnachfolgers in etwa der des Vorgängers entspricht, steht § 30 AO 1977 der Offenbarung der Vergleichszahlen des Vorgängerbetriebs ‐ unabhängig von verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen Betriebsübergeber und ‐übernehmer ‐ nicht entgegen. In diesem Fall dient die Offenbarung nach § 30 Abs. 4 Nr. 1 Buchst. a AO 1977 der Durchführung eines Verfahrens i.S. von § 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a bzw. b AO 1977.
Normenkette
AO 1977 § 30; FGO §§ 96, 115 Abs. 2 Nrn. 1-2, § 119 Nr. 6
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (Urteil vom 29.06.2005; Aktenzeichen 3 K 92/04, 3 K 5/05) |
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Dies gilt zunächst hinsichtlich der vom Beklagten und Beschwerdeführer (Finanzamt --FA--) gerügten Verfahrensmängel.
a) Die Rüge des FA, das Finanzgericht (FG) habe seine Überzeugung nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen (§ 96 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), weil es auf S. 13 der Entscheidungsgründe festgestellt habe, dass dem Gericht die steuerlichen Gegebenheiten der Mutter des Klägers und Beschwerdegegners (Kläger) nicht bekannt seien, obwohl die Akten eine mit "Erklärte Umsätze/Umsatzhochrechnung lt. BpF" überschriebene Zusammenstellung der Umsatzentwicklung des Betriebs für die die Betriebsführung der Mutter betreffenden Jahre 1992 bis 1996 enthalten habe, rechtfertigt im Streitfall nicht die Zulassung der Revision. Aus den erklärten Umsätzen alleine lassen sich die steuerlichen Gegebenheiten eines Steuerpflichtigen nicht ersehen; ein äußerer Betriebsvergleich nur auf der Grundlage dieser Zahlen ist nicht möglich.
b) Mit dem Vorbringen, das FG sei im Urteil nicht auf den --vom Kläger unterzeichneten-- Vorentwurf einer Niederschrift eingegangen, wonach die Größenangaben von der "Vor-Bp" zutreffend ermittelt worden seien und sich daran nichts geändert habe, hat das FA einen Verstoß gegen § 96 FGO nicht schlüssig gerügt, weil es nicht ausgeführt hat, inwiefern das angegriffene Urteil ohne diesen Verfahrensmangel anders ausgefallen wäre (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 25. Juni 1999 XI B 86/98, BFH/NV 1999, 1617). Der Hinweis in der Beschwerdeschrift, dass nicht auszuschließen sei, dass das FG der ausdrücklichen schriftlichen Bestätigung ein anderes Gewicht beigemessen hätte als einer mündlichen Äußerung des Klägers, bei der nach Ansicht des FG nicht sicher feststehe, ob diese überhaupt abgegeben worden sei, erfüllt diese Anforderung nicht, zumal sich aus der gleichen Größenklasse von Betrieben keine Rückschlüsse für die Vergleichbarkeit der Betriebe bei einem äußeren Betriebsvergleich ziehen lassen. Zudem gebietet § 96 FGO nicht, dass sich das Gericht mit allen im Verfahren eingereichten Schriftsätzen im Urteil befasst. Es ist vielmehr im Allgemeinen davon auszugehen, dass ein Gericht auch denjenigen Akteninhalt in Erwägung gezogen hat, den es in den schriftlichen Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich erörtert hat (BFH-Beschluss vom 27. September 1999 I B 83/98, BFH/NV 2000, 673).
c) Der Mangel, dass ein Urteil nicht mit Gründen versehen ist, liegt nicht nur dann vor, wenn das Urteil überhaupt keine Entscheidungsgründe enthält. Andererseits ist ein Verfahrensfehler i.S. von § 119 Nr. 6 FGO nicht schon dann gegeben, wenn die Gründe in irgendeiner Beziehung lückenhaft oder unvollständig sind. Nach dem BFH-Beschluss vom 20. April 2004 IV B 113/02 (BFH/NV 2004, 1411) ist eine Entscheidung nicht mit Gründen versehen, wenn eine Beweiswürdigung gänzlich fehlt. Diese Voraussetzung liegt im Streitfall nicht vor. In Wirklichkeit macht das FA damit eine unzureichende Beweiswürdigung durch das FG geltend und wendet sich gegen die materielle Richtigkeit der Entscheidung des FG. Dies kann jedoch nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl. BFH-Beschluss vom 4. Juli 2002 IX B 169/01, BFH/NV 2002, 1476,m.w.N.). Im Übrigen sagt --wie das FG zu Recht angenommen hat-- die Äußerung des Zeugen H in der mündlichen Verhandlung, am 7. oder 8. Januar 2003 seien keine Lieferungen an F erfolgt, die der Kläger am 8. Januar 2003 dort hätte abholen können, nichts darüber aus, ob nicht der Kläger zu einem früheren Termin an F übergebene Lieferungen dort abgeholt hat.
2. Die Revision ist auch nicht nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen. Das FA vermochte nicht aufzuzeigen, dass die von ihm für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Rechtsfrage, "ob die Offenbarung von dem Steuergeheimnis unterliegenden Daten zur Durchführung des Verfahrens einer anderen Person im Rahmen eines Betriebsvergleichs zulässig ist, wenn es sich bei dem Vergleichsbetrieb um denselben Betrieb in der Hand eines Rechtsvorgängers handelt, welcher zugleich naher Angehöriger des Steuerpflichtigen ist", für die Entscheidung des Streitfalles rechtserheblich und in einem künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig ist (vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 31, m.w.N.). Bestimmte Merkmale im Betrieb des Klägers --insbesondere die Umsatz-, Rohgewinn- und Reingewinnrelationen-- könnten nur dann mit den gleichartigen Merkmalen des Betriebs der Mutter des Klägers verglichen werden, wenn feststünde, dass die Betriebsführung des Klägers und der seiner Mutter vergleichbar wäre. Solche Feststellungen haben weder das FA noch das FG im Streitfall getroffen. Da das FA insoweit auch keine zulässige und begründete Rüge mangelnder Sachaufklärung erhoben hat, können diese Feststellungen auch nicht nachgeholt werden.
Im Übrigen ist die vom FA aufgeworfene Rechtsfrage durch die Rechtsprechung des BFH bereits beantwortet. Im Urteil vom 18. Dezember 1984 VIII R 195/82 (BFHE 142, 558, BStBl II 1986, 226) hat der BFH erkannt, dass das Steuergeheimnis (§ 30 der Abgabenordnung --AO 1977--) nicht ausschließe, dass das FG anhand der für die Vergleichsbetriebe geführten Steuerakten prüfe, ob gegen die Zahlen der Vergleichsbetriebe Bedenken bestünden. Nach Auffassung des erkennenden Senats ist ein äußerer Betriebsvergleich gerade in Fällen einer Unternehmensnachfolge für eine Nachkalkulation geeignet. Steht fest, dass die Unternehmensführung des Betriebsnachfolgers in etwa der des Vorgängers entspricht, steht § 30 AO 1977 der Offenbarung der Vergleichskennzahlen des Vorgängerbetriebs nicht entgegen, da in diesem Fall --und zwar unabhängig von verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen Betriebsübergeber und -übernehmer-- die Offenbarung nach § 30 Abs. 4 Nr. 1 Buchst. a AO 1977 der Durchführung eines Verfahrens i.S. von § 30 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a bzw. b AO 1977 dient.
3. Auch eine mögliche Divergenz des FG-Urteils zum Senatsurteil vom 2. November 2000 X R 17/00 (BFH/NV 2001, 611) führt nicht zur Zulassung der Revision. Als Konkretisierung der Grundsatzrevision setzt auch § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO voraus, dass die divergierend beurteilte Rechtsfrage in einem künftigen Revisionsverfahren beantwortet (geklärt) und die gestörte Rechtseinheit wieder hergestellt werden kann (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 59). Es muss deshalb zumindest die Möglichkeit bestehen, dass das FG-Urteil bei Berücksichtigung der Rechtsgrundsätze des BFH-Urteils, von dem es abgewichen ist, anders ausgefallen wäre. Daran fehlt es im Streitfall, weil keine Feststellungen getroffen worden sind, ob der von der Mutter übertragene Betrieb für einen äußeren Betriebsvergleich geeignet ist.
Fundstellen
Haufe-Index 1553998 |
BFH/NV 2006, 1797 |