Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Der Senat hält auch nach Inkrafttreten der FGO daran fest, daß der Streitwert des Verfahrens über die Aussetzung der Vollziehung eines angefochtenen Steuerbescheides auf 10 v. H. des Betrages festzusetzen ist, um den im Verfahren über die Hauptsache gestritten wird.
Normenkette
FGO § 140 Abs. 3
Tatbestand
In seinem Urteil vom 29. Juli 1966, durch das die Aussetzung der Vollziehung eines Ausgleichsteuerbescheids angeordnet wurde, setzte das Finanzgericht (FG) den Streitwert auf den zehnten Teil des streitigen Steuerbetrages fest. Ihre hiergegen gerichtete Beschwerde begründet die Klägerin wie folgt:
Die ständige Rechtsprechung der Steuergerichte, daß bei der Aussetzung der Vollziehung der Streitwerte sich auf ein Zehntel des Streitwertes der Hauptsache belaufe, werde für die FGO in aller Regel nicht übernommen werden können, da sie nur auf die Fälle zugeschnitten gewesen sei, in denen die Gebühren der Bevollmächtigten ohnehin noch nicht erstattungsfähig gewesen seien. Damals möge es sachgerecht gewesen sein, die Streitwerte aus sozialen Gründen so niedrig wie möglich anzusetzen. Nach der Erstattungsregelung des § 139 Abs. 3 FGO seien aber auch die berechtigten Interessen der Bevollmächtigten auf angemessene Entlohnung zu berücksichtigen. Das entspreche heute ebenfalls dem Interesse der Steuerpflichtigen selbst. Würde die Streitwertrechtsprechung zu unangemessen niedrigen Gebühren führen, würden die Bevollmächtigten mit ihren Mandanten Gebührenvereinbarungen treffen. Die Mandanten müßten dann wieder höhere Gebühren zahlen, als ihnen auch bei vollem Obsiegen von der Gegenseite erstattet würden. Daß die Aussetzung der Vollziehung eine geringere Bedeutung habe als die Anfechtung des Verwaltungsaktes in der Hauptsache, sei nämlich schon in den Kostengesetzen hinreichend berücksichtigt. Anwälte und andere Bevollmächtigte erhielten nach § 114 Abs. 5 der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGebO) in der Regel nur 5 oder 10/10 Gebühren für das Aussetzungsverfahren gegenüber 20 oder 30/10 für das Hauptverfahren. Wenn man zusätzlich zu dieser Senkung des Gebührensatzes auch noch den Streitwert, also die Bemessungsgrundlage senken wolle, würde man den gleichen Umstand doppelt berücksichtigen. Man würde dabei übersehen, daß die früheren Kostenvorschriften der Reichsabgabenordnung für das Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung grundsätzlich die gleichen Gebühren wie für das Hauptverfahren vorgesehen hätten. Rechtlich und wirtschaftlich unrichtig sei die Auffassung, das Interesse des Klägers am Ausgang eines vorläufigen Verfahrens müsse begrifflich geringer sein als das am Ausgang eines endgültigen Verfahrens. Bei hinreichend langer Dauer könne das Interesse des Kaufmanns am vorläufigen Verfahren erheblich größer sein als das am endgültigen Verfahren. Ein zinsloser Kredit für eine Reihe von Jahren könne für einen Kaufmann mehr wert sein als ein Geschenk in Höhe der Kreditsumme, welche erst nach ebenso vielen Jahren verfügbar sei. Es werde auf Schumann, Der Betriebs- Berater 1966 S. 1059 und Wendt, ebenda S. 1056, verwiesen. Die Annahme, es gehe nur um die Zinsersparnis, sei schon vom Ausgangspunkt her verfehlt. Gegenstand des Rechtsstreits sei vielmehr die Frage, ob der Steuerpflichtige - zur Zeit - x DM zu zahlen habe. Schon hieran zeige sich, daß der Streitwert des Aussetzungsverfahrens nicht geringer sei als der der Hauptsache. Das gleiche folge aus der überlegung, daß im Aussetzungsverfahren schon die Entscheidung zur Hauptsache in gewissem Umfange vorweg genommen werde. Verfehlt wäre es, den Streitwert zu bemessen nach der Dauer der beantragten Aussetzung. Höhe des Zinssatzes und wirtschaftlicher Lage des Antragstellers. Die Dauer des Verfahrens lasse sich nicht voraussehen. Auch könne die Höhe des Streitwerts von der Schnelligkeit der Arbeit verschiedener Gerichte abhängig sein. Auf den üblichen Zinssatz könne man nicht abstellen. Das Interesse des Antragstellers beschränke sich nicht auf eine bloße Zinsersparnis. Es gehe darum, mit dem, was er für sein Geld halte, arbeiten zu können. Mit eigenem Kapital aber pflegten Kaufleute in der Regel mehr zu verdienen, als dem üblichen Zins entspreche. Sonst würde niemand Bankkredite zu 12 und 14 % aufnehmen. Wolle man überhaupt den Gedanken der Zinsersparnis anwenden, müsse man wohl mindestens von 30 bis 50 % Kapitalnutzung im Jahre ausgehen. Bei einer Dauer von 4 bis 5 Jahren bis zur endgültigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Ausgleichsteuer käme man auf einen Streitwert von 120 bis 250 % des Streitwerts der Hauptsache. Es treffe zu, daß nach § 316 der Reichsabgabenordnung in der Fassung von 1953 Anwaltskosten im Verfahren vor den Gerichten schon erstattungsfähig gewesen seien. Das ändere aber nichts daran, daß die Rechtsprechung, die 10 % für angemessen halte, ihre geistigen Grundlagen in der Rechtssituation habe, wie sie vor 1953 jahrzehntelang bestanden habe. Auf § 114 Abs. 5 BRAGebO könne sich die Antragsgegnerin schon deswegen nicht berufen, weil diese Vorschrift sich nicht speziell auf das Verfahren vor den FG beziehe. Sie gelte vielmehr in erster Linie für das Verfahren vor den allgemeinen Verwaltungsgerichten, in welchem Anwaltsgebühren spätestens seit 1948 erstattungsfähig gewesen seien. Selbständige Steuergerichtsverfahren wegen Aussetzung habe es vor dem 1. Januar 1966 überhaupt nicht gegeben. Nur auf solche selbständigen Verfahren aber beziehe sich § 114 Abs. 5 BRAGebO. Das ergebe sich schon aus der systematischen Stellung der Vorschrift, die an § 49 BRAGebO anknüpfe. In der bis zum änderungsgesetz vom 30. Juni 1965 (BGBl I S. 577) geltenden Fassung des § 114 Abs. 5 sei auch noch ausdrücklich auf § 49 Abs. 1 verwiesen worden. Diese Vorschrift sei aber schon ihrem Wortlaut nach nur auf Beschlußverfahren der in § 69 Abs. 3 FGO, § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) geregelten Art anwendbar. Auf Urteilsverfahren könne § 49 BRAGebO dagegen nicht angewandt werden. Eine "abgesonderte mündliche Verhandlung" - d. h. eine Verhandlung, die von der gleichzeitig anhängigen Hauptsache abgesondert sei - sei nur bei Beschlußverfahren, nicht aber bei Urteilsverfahren denkbar. Dementsprechend seien auch vor dem 1. Januar 1966 für Urteilsverfahren, in welchen es um die Aussetzung der Vollziehung gegangen sei, nicht die in § 114 Abs. 5 geregelten, sondern die vollen Gebühren des § 31 angesetzt worden.
Die beteiligten Finanzbehörden machen demgegenüber folgendes geltend:
Das FG bestimme den Streitwert nach freiem Ermessen. Es habe dabei neben den Anträgen der Beteiligten im Interesse einer geichmäßigen Handhabung die von der Rechtsprechung erarbeiteten Grundsätze zu beachten. Nach ständiger Rechtsprechung werde der Streitwert für die Aussetzung der Vollziehung auf 1/10 des Betrages festgesetzt, dessen Aussetzung begehrt werde. Die Klägerin übersehe, daß die Festsetzung des Streitwertes, die letzten Endes das Interesse des Rechtsuchenden an dem Ausgang der Streitsache darstelle, nicht im unmittelbarem Zusammenhang mit der Gebührenfestsetzung nach der BRAGebO stehe. Die Tatsache, daß die BRAGebO die Tätigkeit eines Rechtsanwaltes in einem vorläufigen Verfahren geringer als in einem endgültigen bewerte, rechtfertige keinen Ausgleich auf dem Umweg über die Streitwertfeststellung. Das wäre nichts anderes als eine Manipulation mit einer Kostenberechnungsgrundlage, deren Festsetzung sich allein nach dem Interesse am Ausgang des Verfahrens bemesse. Das Interesse am Ausgang eines vorläufigen Verfahrens könne begrifflich nicht genau so groß sein, wie dasjenige an dem Ausgang eines endgültigen Verfahrens. Es sei in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, daß der Streitwert in vorläufigen Verfahren der ordentlichen Gerichtsbarkeit, wie bei der vorläufigen Verfügung und der einstweiligen Anordnung, in der Regel auch geringer festgesetzt werde als im endgültigen Verfahren und daß die BRAGebO auch dort wegen der Vorläufigkeit der Verfahren niedrigere Gebühren vorsehe.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Nach § 140 Abs. 3 FGO ist der Streitwert unter Berücksichtigung der Sachanträge der Beteiligten nach freiem Ermessen zu bestimmen. Bei der Ausübung dieses Ermessens müssen jedoch, damit dies zu geichmäßigen und sachlich vertretbaren Ergebnissen führt, geeignete Anhaltspunkte als Maßstab genommen werden.
Bei einem Rechtsbehelf ist Streitgegenstand, aus dessen Bewertung sich der Streitwert ergibt, das, was die betreffende Partei mit ihm unmittelbar erreichen will (so auch das Urteil des BFH I 114/60 S vom 28. Februar 1961, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 73 S. 52 - BFH 73, 52 -, BStBl III 1961, 287, in seinen einleitenden Sätzen). Bei einem Streit um die Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheids ist das, was der anfechtende Steuerpflichtige erreichen will, die Entscheidung über das Bestehen oder die Höhe der Steuerforderung. Mit dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung eines Steuerbescheides erstrebt der Steuerpflichtige, daß er die festgesetzte Steuerschuld nicht alsbald, sondern allenfalls erst nach einem für ihn ungünstigen Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache zu zahlen hat. So wie es im Streit um die Hauptsache allein um den Steueranspruch als solchen geht, nicht aber um das wirtschaftliche Interesse an etwaigen mittelbaren Auswirkungen der erstrebten Entscheidung - wie z. B. bei der Führung eines Musterprozesses -, so daß dieses für die Höhe des Streitwerts nicht maßgebend sein kann, so ist Gegenstand des Verfahrens über die vorläufige Aussetzung der Vollziehung nur die vorläufige Befreiung des Steuerpflichtigen von der alsbaldigen Befolgung des Leistungsgebots, nicht aber sein etwaiges Interesse an einer sich ihm bietenden speziellen Möglichkeit nutzbringender Verwendung des vorläufig nicht zu entrichtenden Geldbetrages, so daß auch dieses Interesse den Streitwert im Aussetzungsverfahren nicht beeinflussen kann (vgl. hierzu auch Mattern-Messmer, Reichsabgabenordnung, Tz. 2541).
Demnach kann als geeigneter Maßstab für den Wert des Streitgegenstandes nur eine von Verfahrensdauer, subjektivem Interesse und Nutzungsmöglichkeit des aufzuwendenden Betrages oder anderen Umständen des Einzelfalles unabhängige Größe dienen. Für die Wahl dieses Maßstabes ist von der oben dargelegten Unterschiedlichkeit der Streitgegenstände auszugehen. Es ist aber einleuchtend, daß der Streit in der Hauptsache, in dem darüber entschieden werden soll, ob ein bestimmter Geldbetrag aus dem Vermögen des Steuerpflichtigen endgültig zu leisten ist oder nicht, von größerer Wichtigkeit und damit höherem Wert ist als der Streit im Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung, in dem nur darüber zu befinden ist, ob dieser Betrag vorläufig zu entrichten ist oder nicht (vgl. dazu aus neuerer Zeit den Beschluß des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 31. Oktober 1966 III B 228/66, abgedruckt im Eildienst der Deutschen Steuer-Zeitung 1967 S. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Gegen eine solche geringere Bewertung des Streitgegenstandes bei der Aussetzung der Vollziehung läßt sich nicht etwa einwenden, daß bereits die Gebührenvorschriften in diesem Fall geringere Quoten vorsehen als im Verfahren über die Hauptsache. Denn diese Vorschriften berücksichtigen dabei die durchschnittlich unterschiedliche Arbeitsleistung in diesen Verfahren. Das hat aber nichts zu tun mit dem Wert des Streitgegenstandes, bei dem es auf das mit dem Rechtsbehelf erstrebte Ziel ankommt.
Demnach rechtfertigt es sich, einen hinter dem umstrittenen Abgabenbetrag zurückbleibenden Streitwert anzunehmen, der sich danach richtet, welches unmittelbare Interesse ein beliebiger Steuerpflichtiger an der Hinausschiebung der Leistungspflicht hat. Es muß also im Interesse eines geichmäßigen Ergebnisses ein Durchschnittswert gewählt werden. Als solcher erscheint ein von der Art der Geldaufbringung und den Schwankungen des Zinssatzes unabhängiger Teil des streitigen Abgabenbetrages geeignet. Es kann daher nicht als ein Mißbrauch des freien Ermessens angesehen werden, daß die Vorinstanz den schon bisher üblichen Satz von 10 v. H. des Abgabenbetrages angenommen hat (vgl. dazu für den Fall der Stundung das BFH-Urteil IV 44/58 U vom 9. November 1962, BFH 76, 214, BStBl III 1963, 76; siehe im übrigen Lauterbach, Kostengesetze, der in 15. Aufl. bei § 115 BRAGebO, Anh. Nr. 4, nunmehr ebenfalls als Streitwert für den Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung 10 v. H. des Streitwerts im Hauptverfahren für angemessen hält). Die vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof in seinem Urteil vom 29. März 1965 (Die öffentliche Verwaltung 1966 S. 67, Neue Juristische Wochenschrift 1965 S. 1829) für zutreffend gehaltene Quote von 1/3 oder 1/2 ist im wesentlichen mit der auch im Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung erforderlichen intensiveren Tätigkeit des Gerichts als bei einem Verfahren nach § 719 der Zivilprozeßordnung begründet, die aber nach den obigen Ausführungen für die Höhe des Streitwerts nicht von entscheidender Bedeutung sein kann. Der Umstand aber, daß nach §§ 111, 112 FGO - ähnlich wie früher nach §§ 155, 251 a AO (vgl. dazu Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung, 2. Aufl., Anm. 8 zu § 320 - alt -) - eine Verzinsung zuviel entrichteter oder infolge Aussetzung der Vollziehung nicht entrichteter Beträge vorgesehen ist, könnte jedenfalls nicht eine Erhöhung der Quote rechtfertigen.
Nach alledem sieht der Senat keinen Anlaß, von der seither in ständiger Rechtsprechung bei Stundung und Aussetzung der Vollziehung angewendeten Quote von 10 v. H. des Streitwerts der Hauptsache abzugehen. Daher war die Beschwerde gegen die Streitwertfestsetzung des FG als unbegründet zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2, die Streitwertfestsetzung auf § 140 Abs. 4 FGO.
Fundstellen
Haufe-Index 412458 |
BStBl III 1967, 121 |
BFHE 1967, 410 |
BFHE 87, 410 |