Entscheidungsstichwort (Thema)
Zu den Voraussetzungen einer steuerbegünstigten Praxisveräußerung durch einen Freiberufler
Leitsatz (NV)
1. Zur Befristung einer vom FA gewährten Aussetzung der Vollziehung.
2. Eine steuerbegünstigte Praxisveräußerung liegt nicht vor, wenn eine Steuerberaterin 3 von etwa 110 Mandanten zurückbehalten hat, diese von ihrer nahe bei der früheren Praxis gelegenen Privatwohnung aus weiter betreut und aus der Betreuung nicht unerhebliche Einnahmen bezieht.
Normenkette
AO 1977 § 361 Abs. 2, § 120 Abs. 2 Nr. 1; EStG 1980 § 18 Abs. 3, § 16 Abs. 2-4, § 34 Abs. 1, 2 Nr. 1
Tatbestand
Im Hauptsacheverfahren IV R 75/85 ist streitig, ob eine steuerbegünstigte Praxisveräußerung vorliegt, wenn drei aus etwa 110 Mandaten zurückbehalten und von der nahe bei der früheren Praxis gelegenen Privatwohnung aus weiter betreut werden.
Die Klägerin, Revisionsklägerin und Antragstellerin (Klägerin) betrieb seit 1951 in freiberuflicher Tätigkeit eine Steuerberatungskanzlei. Ihre Einnahmen aus dieser Praxis betrugen in den Jahren 1979 und 1980 ca. . . . DM. Mit Kaufvertrag vom 17. November 1980 veräußerte die Klägerin mit Wirkung vom 1. Januar 1981 ihre Kanzlei an einen Kollegen. Der Käufer übernahm das gesamte Inventar, die EDV-Anlage mit Programm und Beraternummer bei der DATEV und den weit überwiegenden Teil der ca. 110 Mandate. Die Klägerin behielt drei Mandate zurück und betreute sie seitdem von ihrer ca. 2 km von der alten Praxis belegenen Wohnung aus, in welcher sie einen Büroraum neu einrichtete und diesen mit Büromaterial sowie einem Buchungsautomaten mit neuer DATEV-Beraternummer ausstattete. Sie firmierte fortan als Steuerberaterin unter ihrer Wohnanschrift (Briefkopf, Telefoneintrag). Mit den verbliebenen Mandaten erzielte sie im Streitjahr 1981 und in den Folgejahren Honorareinnahmen in Höhe von über . . . DM (ca. 40% der früheren Einnahmen).
Der Beklagte, Revisionsbeklagte und Antragsgegner (das Finanzamt - FA -) versagte die Steuerbegünstigung für den Veräußerungsgewinn nach § 18 Abs. 3 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes 1980 (EStG) i.V.m. § 16 Abs. 2 bis 4 und § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 EStG. Die Klägerin legte gegen den Einkommensteuerbescheid 1981 Einspruch ein.
Auf Antrag der Klägerin gewährte das FA für den Gesamtbetrag der strittigen Steuer gegen eine Sicherheit Aussetzung der Vollziehung durch Teilverfügungen vom 28. Juni 1983, 20. Juli 1983 und 24. August 1983. Die Verfügungen waren jeweils ,,bis zum Ablauf eines Monats nach der Bekanntgabe der Entscheidung über Ihren Einspruch v. 3. 5. 83" befristet. Nach Zurückweisung des Einspruchs als unbegründet und Klageerhebung mahnte das FA den ausgesetzten Betrag bei der Klägerin nicht an.
Nachdem das Finanzgericht (FG) seine die Klage abweisende Entscheidung verkündet hatte, forderte das FA den strittigen Betrag mit Verfügung vom 8. März 1985 an. Als Begründung war im Vordruck angegeben: ,,Das der o. g. Aussetzung zugrunde liegende Rechtsbehelfsverfahren hat sich erledigt durch Entscheidung des Finanzgerichts." Die Klägerin beantragte daraufhin Aussetzung der Vollziehung, die das FA verweigerte.
Zusammen mit ihrer Revision beantragte die Klägerin mit Schreiben vom 16. April 1985 Aussetzung der Vollziehung.
Sie ist der Auffassung, daß ,,Rechtsbehelf" ein Oberbegriff sei und sowohl ein außergerichtliches als auch ein gerichtliches Rechtsbehelfsverfahren umfasse. Die zweite Instanz sei ein Teil des gerichtlichen Klageverfahrens und die gewährte Aussetzung dürfe dafür nicht widerrufen werden. Außerdem bedeute die sofortige Vollziehung des Steuerbetrags für die Klägerin, die nunmehr wie ihr Ehemann von einer Rente abhängig sei, eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte. Eine Gefährdung des streitigen Steuerbetrags sei aufgrund der gestellten Sicherheit ausgeschlossen. Schließlich ergäben sich aufgrund ihrer Revisionsbegründung im Hauptsacheverfahren IV R 75/85 ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Vorentscheidung.
Entscheidungsgründe
Der Antrag ist unbegründet, weil ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der den Einkommensteuerbescheid 1981 bestätigenden Vorentscheidung nicht bestehen und wegen Unbegründetheit der Revision auch eine Aussetzung der Vollziehung wegen unbilliger Härte nicht in Betracht kommt.
1. Das FA hat den ausgesetzten Betrag zu Recht bei der Klägerin angefordert, da sich die Aussetzung der Vollziehung spätestens einen Monat nach Verkündung des finanzgerichtlichen Urteils erledigt hatte.
Das FA hatte die Teilaussetzungsverfügungen vom 28. Juni, 20. Juli und 24. August 1983 mit einer Befristung (§ 120 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -) versehen: Sie sollten jeweils nur bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung gelten. Nach Klageerhebung hat das FA weiter stillschweigend von der Vollziehung abgesehen. Dieses Verhalten konnte die Klägerin nicht dahingehend verstehen, daß die gewährte Aussetzung bis zum Eintritt der Rechtskraft im gerichtlichen Verfahren Bestand haben sollte. Denn entgegen der Auffassung der Klägerin bezieht sich die Formulierung ,,Rechtsbehelfsverfahren" in der Verfügung vom 8. März 1985 nicht auf die endgültige Erledigung im Einspruchs-, Klage- oder Revisionsverfahren je nach dem Rechtsmittel, das der Steuerpflichtige gegen eine ihm ungünstige Entscheidung einlegt; sondern es ist auf die Erledigung des konkreten Rechtsmittels, hier des Einspruchs, abzustellen.
2. Zu Recht hat das FG angenommen, daß im Streitfall keine steuerbegünstigte Betriebs- oder Teilbetriebsveräußerung vorlag.
Gemäß § 18 Abs. 3 EStG i.V.m. § 16 Abs. 2 bis 4 und § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 1 EStG kann ein steuerbegünstigter Veräußerungsgewinn entstehen, wenn ein freiberuflich Tätiger sein Vermögen oder einen selbständigen Teil des Vermögens, das der selbständigen Arbeit dient, veräußert hat. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist die steuerliche Begünstigung jedoch nur dann zu gewähren, wenn der Steuerpflichtige neben der Veräußerung des der freiberuflichen Praxis dienenden Vermögens, einschließlich der Beziehungen zur Mandantschaft, die freiberufliche Tätigkeit in dem bisherigen örtlich begrenzten Wirkungskreis wenigstens für eine gewisse Zeit eingestellt hat (Urteile vom 10. Oktober 1963 IV 198/62 S, BFHE 78, 303, BStBl III 1964, 120; vom 14. Mai 1970 IV 136/65, BFHE 99, 126, BStBl II 1970, 566; vom 14. März 1975 IV R 78/71, BFHE 116, 8, BStBl II 1975, 661, und vom 27. April 1978 IV R 102/74, BFHE 125, 249, BStBl II 1978, 562; siehe auch Schmidt/Seeger, Einkommensteuergesetz, 4. Aufl., § 18 Anm. 32).
b) Die Klägerin hat weder die wesentlichen Grundlagen der ihrer freiberuflichen Tätigkeit dienenden Vermögenswerte auf den Praxiserwerber übertragen noch durch die Verlegung ihrer Kanzlei in ihre Privatwohnung ihre Tätigkeit in dem bisherigen örtlichen Wirkungskreis eingestellt.
aa) Eine Veräußerung des gesamten, der selbständigen Arbeit dienenden Vermögens liegt dann nicht vor, wenn der bisherige Praxisinhaber nach der Veräußerung der Praxis seine Beziehungen zu einem, wenn auch kleinen, Teil seiner bisherigen Mandanten in der Weise selbst nutzt, daß er diese Mandanten weiterhin selbst betreut (BFHE 116, 8, 10, 11, BStBl II 1975, 661, 662). Dabei kommt es nicht auf die Anzahl der zurückbehaltenen Mandate, sondern auf deren Umfang und die Höhe der damit verbundenen Einnahmen an.
Entgegen der Ansicht der Revision war der quantitative und qualitative Umfang der zurückbehaltenen Mandate so bedeutsam, daß von einer Veräußerung des gesamten Praxisvermögens nicht mehr gesprochen werden kann. Die Klägerin selbst hat in einem Schriftsatz an das FG ausgeführt, daß das Umsatzvolumen der zurückbehaltenen Mandate ca. . . . DM betragen habe. Diese Angabe wird durch die Bestimmungen im Kaufvertrag im wesentlichen bestätigt: Danach entfielen . . . DM auf die beiden in § 9 des Vertrags genannten zurückbehaltenen Mandate. Außerdem wurde der Kaufpreis nachträglich um . . . DM herabgesetzt, weil noch ein drittes Mandat von der Klägerin weiterhin bearbeitet werden sollte. Das von der Klägerin veranschlagte Umsatzvolumen für alle drei Mandate erreichte somit fast die Summe von . . . DM. Dies sind fast 25% des für die übertragenen Mandate angesetzten Jahresumsatzes.
Die Einlassung der Revision, die drei Mandate hätten einer ,,umgehenden anderweitigen Beendigung" zugeführt werden sollen, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Das FG hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, daß die Mandate gerade deshalb von der Praxisveräußerung ausgenommen worden seien, weil die Übertragung der Betriebe auf die Söhne bzw. in einem Falle die Umstellung der Buchführung auf EDV bevorstand und der notwendig erhöhte Beratungsaufwand von der Klägerin geleistet werden sollte, zu der jeweils ein besonderes Vertrauensverhältnis bestand. Dabei handelt es sich um eine mögliche Tatsachenwürdigung, die von der Klägerin nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffen wurde (§ 120 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Zudem hat die Klägerin selbst wiederholt davon gesprochen, daß sie mit den aus der Fortführung der Mandate zu erwartenden Einnahmen ihre Rente hat aufbessern wollen. Sie hat zu diesem Zweck sogar ein eigenes Büro mit dem nötigen Inventar in ihrer Privatwohnung eingerichtet und firmierte weiterhin als Steuerberaterin unter ihrer Privatadresse. All dies deutet auf eine längerfristige Betreuung und nicht auf eine lediglich kurzfristige Abwicklung hin.
bb) Die Klägerin ist auch in ihrem angestammten räumlichen Wirkungsbereich verblieben, weil sie ihre Tätigkeit ohne zeitliche Unterbrechung in ihrer nur 2 km von der alten Kanzlei entfernten Privatwohnung mit alten Mandanten fortgesetzt hat. Eine Einstellung der bisherigen freiberuflichen Tätigkeit ist also auch nach außen hin nicht einmal für eine gewisse Zeitspanne in Erscheinung getreten (vgl. BFHE 116, 8, 11, BStBl II 1975, 661, 662). Die aus dieser fortgesetzten freiberuflichen Tätigkeit erzielten Einnahmen waren auch keineswegs unbedeutend. Sie betrugen in den Jahren 1981 bis 1984 rd. 40% der 1979/80 erzielten Umsätze. Daß die aus ihrer freiberuflichen Tätigkeit bezogenen Gewinne - nach Abzug der auf sie entfallenden Einkommensteuer 1981 bis 1984 - angeblich gerade ausreichen, um die aus der Nichtgewährung der Steuerbegünstigung für den Veräußerungsgewinn erwachsenden Mehrsteuern zu bezahlen, spielt in dieser Hinsicht keine Rolle. Selbst wenn die übernommenen Mandate wegen der von der Revision geschilderten unvorhersehbaren Ereignisse und der damit verbundenen zusätzlichen Aufgaben als neue Mandate zu bewerten wären, ändert dies am Ergebnis nichts, weil auch die lückenlose Fortsetzung der Tätigkeit mit neuen Mandaten im bisherigen örtlichen Wirkungskreis zum Fortfall der Steuerbegünstigung führt.
cc) Das FG hat ebenfalls zutreffend entschieden, daß keine steuerbegünstigte Teilpraxisveräußerung i. S. des § 18 Abs. 3 Satz 1 EStG vorliegt (vgl. BFHE 99, 126, BStBl II 1970, 566, und BFHE 125, 249, BStBl II 1978, 562). Insoweit hat die Klägerin die Vorentscheidung auch nicht gerügt.
dd) Ob die von der Klägerin vorgetragenen Billigkeitsgesichtspunkte - Verkauf der Praxis aus sozialen und / oder aus gesundheitlichen Gründen - einen Erlaß nach § 227 AO 1977 rechtfertigen könnten, ist, wie das FG zu Recht bemerkt, im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden.
3. Auch die Voraussetzungen einer Aussetzung wegen unbilliger, nicht durch öffentliche Interessen gebotener Härte sind nicht gegeben.
Die Klägerin hat nicht schlüssig dargelegt, daß ihr durch die Zahlung der strittigen Steuerschuld Nachteile drohen, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und nicht oder schwer wiedergutzumachen wären. Sie hat aus ihrer Praxisveräußerung zum 1. Januar 1981 und aus der Veräußerung der Restpraxis im Jahre 1985 nicht unbedeutende Veräußerungsgewinne erzielt und außerdem aus der Weiterführung ihrer Praxis in den Jahren 1981 bis 1984 erhebliche Einnahmen bezogen. Sie hat weder hinreichend ausführlich vorgetragen noch glaubhaft gemacht, daß ihr aufgrund ihrer derzeitigen Vermögensverhältnisse eine Kreditaufnahme zur Bezahlung der Steuerschuld nicht möglich oder zumutbar sei.
Hinzu kommt, daß nach Auffassung des Senats die Revision offensichtlich keinen Erfolg hat (siehe Anhörungsschreiben nach Art. 1 Nr. 7 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs vom 6. Februar 1986 und die obigen Ausführungen unter Tz. 2). Sind Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Vorentscheidung so gut wie ausgeschlossen, kommt eine Aussetzung der Vollziehung auch wegen unbilliger Härte nicht in Betracht (BFH-Beschlüsse vom 21. Dezember 1967 V B 26/67, BFHE 90, 318, BStBl II 1968, 84, und vom 19. April 1968 IV B 3/66, BFHE 92, 314, BStBl II 1968, 538).
Fundstellen
Haufe-Index 414402 |
BFH/NV 1986, 336 |