Entscheidungsstichwort (Thema)
Programmierer als freier Beruf; prozessuale Mitwirkungspflichten
Leitsatz (NV)
1. Gibt das Finanzgericht dem Kläger im Anschluss an einen Erörterungstermin auf, nachzuweisen, dass seine theoretischen Kenntnisse in ihrer Breite und Tiefe denjenigen eines ausgebildeten Diplom-Informatikers entsprechen, so muss er daraus entnehmen, dass seine bisherigen Angaben dem FG noch nicht zur abschließenden Beurteilung genügen.
2. Die Amtsermittlungspflicht des FG wird durch die Mitwirkungspflicht der Beteiligten begrenzt; je weniger die Beteiligten ihrer Mitwirkungspflicht aus § 76 Abs. 1 Satz 2 FGO nachkommen, umso weniger ist das FG grundsätzlich zur Sachverhaltsaufklärung verpflichtet.
3. Ein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO kann im Übergehen eines Beweisantrages nur dann gesehen werden, wenn das Beweisthema wenigstens so weit konkretisiert worden ist, dass das FG in die Lage versetzt wird, sich eine (vorläufige) Meinung zur Brauchbarkeit des Beweismittels zu bilden. Das gilt in verstärktem Maße dann, wenn über Tatsachen zu urteilen ist, die letztlich nur der Rechtsuchende kennt und deren Aufklärung daher in besonderem Maße von seiner Mitwirkung abhängt.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 1, § 81 Abs. 1 S. 2, § 96 Abs. 2, § 115 Abs. 2
Verfahrensgang
FG Berlin (Urteil vom 24.09.2003; Aktenzeichen 6 K 6572/00) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), der über keine abgeschlossene Schulausbildung verfügt und gelernter Industriekaufmann ist, arbeitete in den Streitjahren 1991 bis 1995 als "Chefprogrammierer" für die Firmen X und Y an der Entwicklung von EDV-Programmen für Freiberufler. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--), ging für die Streitjahre von einer gewerblichen Tätigkeit des Klägers aus. Dagegen machte der Kläger geltend, es handele sich insoweit um eine Tätigkeit aus einem freien Beruf. Außerdem sei die im Streitjahr 1995 für den Aufbau der Firma X gezahlte "Abfindung" in Höhe von brutto 805 000 DM (700 000 DM + Mehrwertsteuer --MwSt--) den Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit zuzurechnen, weil er gleichzeitig angestellter Geschäftsführer der Y gewesen sei.
Nach Durchführung einer ersten mündlichen Verhandlung gab das Finanzgericht (FG) dem Kläger auf, in geeigneter Weise darzulegen und nachzuweisen, dass seine theoretischen Kenntnisse in den Streitjahren ihrer Breite und Tiefe nach denjenigen eines an einer Fachhochschule oder wissenschaftlichen Hochschule ausgebildeten Diplom-Informatikers entsprochen hätten, außerdem nachzuweisen, dass er Teile des EDV-Programms eigenständig entwickelt habe und um welche Teile es sich hierbei genau handele. Der Kläger beantragte daraufhin, das FG möge die Firma auffordern, den Quellcode des Programms Y zur Prüfung durch das Gericht zur Verfügung zu stellen, da er hierüber nicht mehr verfüge und durch einen Sachverständigen prüfen zu lassen. Das FG lehnte dies ab, weil zunächst der Kläger nachweisen müsse, dass seine theoretischen Kenntnisse in den Streitjahren ihrer Breite und Tiefe nach denjenigen eines an einer Fachhochschule oder wissenschaftlichen Hochschule ausgebildeten Diplom-Informatikers entsprochen hätten. Der Kläger erwiderte, er sehe lediglich die Möglichkeit, den Nachweis auf die von ihm erbrachten Arbeitsergebnisse zu stützen. Er stelle aber alternativ anheim, eine Wissensprüfung vorzunehmen.
Das FG wies die Klage ab. Die Darlegungslast treffe den Kläger. Es sei zu erwarten gewesen, dass er schlüssig und für das Gericht nachvollziehbar darlege, dass seine theoretischen Kenntnisse in den Streitjahren denen eines wissenschaftlich ausgebildeten Informatikers entsprachen. Erst nach einer insoweit schlüssigen Darlegung --um die sich der Kläger aber keineswegs bemüht habe-- kämen ggf. weitere gerichtliche Ermittlungen oder eine Beweiserhebung in Betracht. Das gelte auch für die angebotene (aktuelle) Wissensüberprüfung. Auch sei die "Abfindung" nicht den nichtselbständigen Einkünften zuzurechnen. Das ergebe sich aus dem Ausweis der MwSt, der Zahlung zur ausdrücklichen "Abgeltung für entgangene Gewinnansprüche" und daraus, dass sich der Kläger mit dem FA dahin gehend verständigt habe, es handele sich insoweit um nach § 24 Nr. 1 i.V.m. § 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ermäßigt zu besteuernde Einkünfte aus Gewerbebetrieb.
Der Kläger begehrt die Zulassung der Revision und rügt mit seiner Beschwerde Verletzung des rechtlichen Gehörs und mangelnde Sachaufklärung; außerdem entspreche das Urteil nicht der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH).
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet.
Gemäß § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision müssen innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des Urteils dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 FGO).
1. Nach § 96 Abs. 2 FGO darf ein Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten. Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--) schützt die Beteiligten aber auch in rechtlicher Hinsicht vor Überraschungen (BFH-Urteil vom 17. Juni 1998 II R 29/97, BFH/NV 1999, 185).
Im Streitfall liegt der vom Kläger gerügte Verfahrensmangel einer Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO nicht vor; der Kläger hatte in den mündlichen Verhandlungen vom 9. April 2003 und vom 24. September 2003 Gelegenheit, seine Klage vorzutragen und zu begründen. Auf Grund des Beschlusses des FG vom 9. April 2003 war dem Kläger zudem bekannt, worauf es für einen Erfolg seiner Klage im Wesentlichen ankam. Insbesondere hatte er danach nachzuweisen, dass er die Teile des EDV-Programms, die zum Beweis seiner theoretischen Kenntnisse in den Streitjahren dienen sollten, eigenständig entwickelt habe und um welche Teile es sich hierbei genau handele. Dass, wie der Kläger vorträgt, der Beschluss insoweit unverständlich gewesen sein sollte, ist nicht ersichtlich.
Soweit er seine Beschwerde damit begründet, er habe detailliert vorgetragen, welche Programmbestandteile er alleinverantwortlich und eigenständig entwickelt und programmiert habe, und nachvollziehbar erläutert, woraus das Y-Programm bestanden und welchen Anteil er an der Entwicklung der Programmteile gehabt habe, beziehen sich diese Angaben auf sein Vorbringen vor der Aufklärungsverfügung des FG vom 9. April 2003. Dem FG genügten die bisherigen Angaben demnach erkennbar nicht zur Beurteilung des eigenständigen Anteils des Klägers. Der Kläger hatte damit Gelegenheit erhalten, seine Angaben entsprechend zu vertiefen; das hat er aber auch nicht ansatzweise getan. Die Rüge, das FG hätte ihn darüber aufklären müssen, wenn es der Ansicht gewesen sei, allein aus der Programmentwicklung könne noch nicht darauf geschlossen werden, dass der Kläger über die erforderliche Breite und Tiefe seiner Vorbildung verfüge, geht angesichts der Aufklärungsverfügung fehl. Dass das FG sich von den Angaben des Klägers nicht überzeugen ließ, stellt für sich jedenfalls keine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar.
2. Die Beschwerde hat auch keinen Erfolg, soweit der Kläger rügt, das FG habe gegen seine Pflicht zur Sachaufklärung gemäß § 76 Abs. 1 FGO und zur Erhebung der erforderlichen Beweise (§ 81 Abs. 1 Satz 2 FGO) verstoßen, indem es unterlassen habe, die Y --wie beantragt-- aufzufordern, den Quellcode dem Gericht zur Begutachtung zu überlassen.
a) Die Rüge trifft angesichts der eigenen Versäumnisse des Klägers nicht zu; die Amtsermittlungspflicht des FG wird durch die Mitwirkungspflicht der Beteiligten begrenzt. Je weniger die Beteiligten ihrer Mitwirkungspflicht aus § 76 Abs. 1 Satz 2 FGO nachkommen, umso weniger ist das FG grundsätzlich zur Sachverhaltsaufklärung verpflichtet (zur Wechselwirkung der Sachaufklärungspflicht des Gerichts und den Mitwirkungspflichten des Klägers: Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 76 Rz. 28; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 76 FGO Tz. 76 ff.; vgl. auch BFH-Urteil vom 30. Juli 2003 X R 28/99, BFH/NV 2004, 201, und BFH-Beschluss vom 19. Dezember 2002 VIII B 116/02, Haufe-Index, 925999).
Da die Beteiligten meist ein erheblich größeres Wissen um die in ihrer Sphäre liegenden rechtserheblichen Umstände besitzen, ist ohne ihre intensive Mitwirkung eine zutreffende Entscheidung des Gerichts fast unmöglich. Daraus folgt, dass zumutbarer Inhalt und Intensität der richterlichen Ermittlung in einem zwingenden Zusammenhang mit dem Vorbringen der Beteiligten stehen. Aus dem Grundsatz der Prozessökonomie ergibt sich ergänzend, dass das Gericht zwar berechtigt, aber keineswegs stets verpflichtet ist, unter Inkaufnahme eines unverhältnismäßig großen Aufwands Umstände zu ermitteln, die im Wissensbereich der Beteiligten liegen und die diese unter Verletzung ihrer Mitwirkungspflicht nicht preisgeben (BFH-Urteil vom 9. September 1986 VIII R 100/83, BFH/NV 1987, 105, m.w.N.).
Im Streitfall ist der Kläger seinen prozessualen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen. Auf die Aufklärungsverfügung des FG hat er lediglich die Anforderung des Quellcodes beantragt, ohne die Umstände darzulegen oder glaubhaft zu machen, die nur ihm bekannt sein konnten und anhand deren sich erst hätte (vorläufig) beurteilen lassen, ob das genannte Beweismittel brauchbar ist. Zwar darf eine Beweisaufnahme in der Regel nur abgelehnt werden, wenn das angebotene Beweismittel für die zu treffende Entscheidung untauglich ist, wenn es auf die Beweistatsache --nach Auffassung des FG-- nicht ankommt oder wenn die Beweistatsache als wahr unterstellt wird (BFH-Urteil vom 15. Mai 1996 X R 252-253/93, BFH/NV 1996, 906). Ein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO kann im Übergehen eines Beweisantrages aber nur dann gesehen werden, wenn das Beweisthema wenigstens so weit konkretisiert worden ist, dass das FG in die Lage versetzt wird, sich eine (vorläufige) Meinung zur Brauchbarkeit des Beweismittels zu bilden. Das gilt in verstärktem Maße dann, wenn über Tatsachen zu urteilen ist, die letztlich nur der Rechtssuchende kennt und deren Aufklärung daher in besonderem Maße von seiner Mitwirkung abhängt (vgl. BFH-Beschluss vom 9. März 1998 X B 162, 163/97, BFH/NV 1998, 968, m.w.N.). Danach bedurfte es im Streitfall --wie dem Kläger bereits aus der Aufklärungsverfügung des FG bekannt sein musste-- insbesondere konkreter Angaben darüber, dass der Kläger Teile des EDV-Programms eigenständig entwickelt hat und um welche Teile es sich hierbei handelte.
b) Dementsprechend ist der Beschwerdebegründung auch nicht zu entnehmen, dass und warum sich im Falle einer Vorlage des Quellcodes das FG der Klage hätte stattgeben müssen. Zur Verfahrensrüge unterlassener Ermittlungen gehört nicht nur die Darstellung der ermittlungsbedürftigen Punkte, sondern auch die des auf Grund der Ermittlung zu erwartenden Ergebnisses (BFH-Urteil vom 26. Februar 1975 II R 120/73, BFHE 115, 185, BStBl II 1975, 489) und die Darlegung, dass --auf der Grundlage des materiellen Rechtsstandpunktes des FG-- dies zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (BFH-Beschluss vom 28. August 2003 VII B 71/03, BFH/NV 2004, 493, m.w.N.).
Es kann daher im Streitfall dahingestellt bleiben, ob die Rüge bereits deshalb zurückzuweisen wäre, weil der sich im finanzgerichtlichen Verfahren selbst vertretende Kläger in der letzten mündlichen Verhandlung nicht ausdrücklich das Unterlassen der Anforderung des Quellcodes nochmals gerügt hat (vgl. BFH-Beschluss vom 17. Dezember 1999 VII B 183/99, BFH/NV 2000, 597), oder ob wegen des vorangegangenen Schriftwechsels und fehlender fachkundiger Vertretung kein Rügeverzicht eingetreten ist.
3. Unzulässig ist die Beschwerde, soweit der Kläger hinsichtlich der "Abfindung" geltend macht, diese sei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit eines angestellten Geschäftsführers und Leiters der Entwicklungsabteilung zuzurechnen. Abgesehen davon, dass er hierfür Tatumstände anführt, die so nicht in dem Urteil des FG festgestellt worden sind (Zahlung ausschließlich auf der Grundlage eines bestehenden Dienstvertrages, der eine gewinnorientierte Vergütung vorsah und für einen Zeitraum, in dem er noch nicht selbständig gewesen sei) und die deshalb mangels zulässiger und begründeter Verfahrensrügen vom BFH nicht berücksichtigt werden können (§ 118 Abs. 2 FGO), vermag die Rüge fehlerhafter Rechtsanwendung die Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO nicht zu begründen (BFH-Beschlüsse vom 18. August 2003 X S 5/03 (PKH), BFH/NV 2004, 66; vom 17. Januar 2002 V B 88/01, BFH/NV 2002, 748, und vom 10. Juli 2001 XI B 73/99, BFH/NV 2002, 17; vgl. auch Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 82 f., m.w.N.).
4. Die Revision ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Zur Zulässigkeit einer auf Divergenz gestützten Nichtzulassungsbeschwerde muss der Beschwerdeführer dartun, dass das vorinstanzliche Gericht dem angefochtenen Urteil einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der von einem --ebenfalls tragenden-- abstrakten Rechtssatz einer Entscheidung des BFH abweicht. Das setzt voraus, dass die betreffenden Rechtssätze der Vorentscheidung und des BFH so genau bezeichnet werden, dass die behauptete Abweichung erkennbar wird (vgl. Gräber/ Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 48 ff. und § 116 Rz. 42 f.). Diesen Anforderungen genügt es nicht, wenn der Kläger lediglich in allgemeiner Form rügt, das Urteil entspreche nicht der bisherigen Rechtsprechung des BFH.
Fundstellen