Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückabwicklung der Ausübung einer Option für die Umsatzsteuerpflicht
Leitsatz (NV)
Hat ein Unternehmer einen der in §9 Abs. 1 UStG bezeichneten steuerfreien Umsätze als steuerpflichtig behandelt, kann er dies nach Eintritt der sog. formellen Bestandskraft der Steuerfestsetzungen für die betreffenden Jahre nicht mehr rückgängig machen.
Normenkette
AO 1977 § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; UStG 1973 § 9 Abs. 1, § 19 Abs. 1, 2 S. 4
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) -- eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) -- schloß im Jahre 1973 mit einer gemeinnützigen Verwaltungsgesellschaft (V-GmbH) einen Immobilien-Leasingvertrag. Das Rechtsgeschäft wurde wegen besonderer vertraglicher Vereinbarungen sowohl von den Beteiligten als auch von der Finanzverwaltung als steuerfreie Kreditgewährung eingestuft (vgl. §4 Nr. 8 des Umsatzsteuergesetzes -- UStG -- 1973). Die Klägerin verzichtete auf diese Steuerbefreiung, indem sie der V-GmbH für die vereinbarten monatlichen Ratenzahlungen ab 1. Januar 1976 mit Ausnahme der anteiligen Tilgungsleistungen Umsatzsteuer in Rechnung stellte und entsprechende Umsatzsteuererklärungen abgab.
Im Jahre 1990 berichtigte die Klägerin die für die Jahre 1976 bis 1985 ausgestellten Rechnungen: Sie wies Umsatzsteuer nur noch insoweit aus, als es dem prozentualen Verhältnis der von der V-GmbH an Unternehmer vermieteten Fläche innerhalb des Leasingsobjekts entsprach. Die V-GmbH hatte für die Steuerpflicht dieser Vermietungsumsätze optiert.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) lehnte eine Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung für 1990 wegen der Rechnungsberichtigungen ab und berief sich dazu auf die Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzungen für die betreffenden Jahre. Der Einspruch der Klägerin führte nur zu einer geringfügigen Umsatzsteuerminderung im Hinblick auf einen Teilposten der monatlichen Zinsraten.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab.
Mit der Beschwerde beantragt die Klägerin Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache. Sie hält es für klärungsbedürftig, ob ein Umsatzsteuerausweis infolge des irrtümlichen Verzichts auf die Steuerbefreiung des betreffenden Umsatzes nach Aufdeckung des Irrtums und dem Widerruf der Option unbefristet rückgängig gemacht werden könne. Diese Frage, die im Schrifttum unter Berufung auf die Regelungen des §14 Abs. 2 und des §17 Abs. 1 UStG bejaht werde (Hinweis auf Stadie in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, Umsatzsteuergesetz, 8. Aufl., §17 Rz. 130.3 und 130.4), sei höchstrichterlich noch nicht entschieden.
Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Eine Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung i. S. des §115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung, wenn die (entscheidungserhebliche) Rechtsfrage bereits aufgrund der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs -- BFH -- geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte vorgetragen werden, die eine Überprüfung dieser Rechtsprechung als erforderlich erscheinen lassen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 18. Januar 1991 VI B 140/89, BFHE 163, 204, BStBl II 1991, 309, und vom 23. Januar 1992 II B 64/91, BFH/NV 1992, 676).
Die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage ist durch die Rechtsprechung bereits grundsätzlich geklärt.
Im Streitfall hatte die Klägerin die in den Jahren 1976 bis 1985 an die V-GmbH ausgeführten, in §9 Abs. 1 UStG bezeichneten steuerfreien Umsätze als steuerpflichtig behandelt, indem sie gegenüber dieser Unternehmerin mit gesondertem Ausweis der Umsatzsteuer abrechnete. Die Steuerfestsetzungen für diese Jahre sind unanfechtbar. Der Senat hat mit Urteil vom 2. April 1998 V R 34/97, BFHE 185, 536 ausgeführt, daß der Unternehmer die der bestandskräftigen Steuerfestsetzung zugrundeliegende Wahl für die Steuerfreiheit oder Steuerpflicht einer Grundstückslieferung gemäß §9 Abs. 1 UStG nicht mit Rückwirkung (§175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung -- AO 1977 --) durch Ausgabe einer Rechnung mit Steuerausweis ändern kann (vgl. auch BFH-Urteil vom 30. November 1994 XI R 84/92, BFH/NV 1995, 665). Eine Steuerfestsetzung ist unanfechtbar, wenn sie nicht oder nicht mehr mit ordentlichen Rechtsbehelfen angefochten werden kann; auf die Unabänderbarkeit kommt es dabei nicht an (ständige BFH- Rechtsprechung, vgl. dazu zuletzt BFH-Urteil vom 11. Dezember 1997 V R 50/94, BFHE 185, 82, BStBl II 1998, 420, m. w. N.). Nach der Vorentscheidung war diese sogenannte formelle Bestandskraft der Steuerfestsetzungen für die Jahre 1976 bis 1985 schon eingetreten, bevor die Klägerin im Jahr 1990 die berichtigten Rechnungen ausstellte und ihr Änderungsbegehren dem FA mitteilte. Für die -- hier erklärte -- Rücknahme des Verzichts auf die Steuerbefreiung gilt nichts anderes, als für den Verzicht selbst.
Eine rechtssystematisch vergleichbare Situation besteht beim Widerruf des Verzichts auf die Anwendung des §19 Abs. 1 UStG durch einen sogenannten Kleinunternehmer. Für diesen Fall ist im Gesetz ausdrücklich geregelt, daß ein solcher Widerruf spätestens bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung des Kalenderjahres, für das er gelten soll, zu erklären ist (§19 Abs. 2 Satz 4 UStG). Sachliche Gründe dafür, ein Rückabwicklungsbestreben im Rahmen des §9 UStG anders zu behandeln als einen Widerruf im Rahmen des §19 UStG, sind nicht erkennbar.
Neue rechtliche Gesichtspunkte, die eine Revision der dargelegten BFH-Rechtsprechung als erforderlich erscheinen lassen, hat die Klägerin nicht vorgetragen.
Von einer weiteren Begründung seiner Entscheidung sieht der Senat gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs ab.
Fundstellen