Entscheidungsstichwort (Thema)
Erforderliche Antragsbegründung für Wiedereinsetzung in den vorigen Stand -- Verfahrensaussetzung
Leitsatz (NV)
1. Der Wiedereinsetzungsantrag bedarf einer substantiierten und in sich schlüssigen Darstellung der entscheidungserheblichen Tatsachen innerhalb der Zweiwochenfrist. Lücken in der Begründung können nach Ablauf der Antragsfrist nicht mehr geschlossen werden.
2. Eine Aussetzung (§ 74 FGO) des Beschwerdeverfahrens mit Rücksicht auf eine anhängige Verfassungsbeschwerde kommt nicht in Betracht, wenn die Beschwerde unzulässig ist und dem Senat eine Sachentscheidung verwehrt ist.
Normenkette
FGO §§ 56, 74, 115 Abs. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Die gegen den Einkommensteuerbescheid für 1991 gerichtete Klage ist vom Finanzgericht (FG) durch Urteil vom 30. Oktober 1995 als unzulässig abgewiesen worden.
Das mit ordnungsgemäßer Rechtsmittelbelehrung versehene erstinstanzliche Urteil wurde dem Prozeßbevollmächtigten der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) am 22. November 1995 zugestellt. Dieser erhob am 27. Dezember 1995 Nichtzulassungsbeschwerde mit dem Antrag, die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen. Außerdem rügen die Kläger die Verletzung des gesetzlichen Richters (Art. 101 des Grundgesetzes -- GG --) beim Bundesfinanzhof (BFH) und beantragen, das Verfahren auszusetzen, bis das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) über die streitige Frage des gesetzlichen Richters und über den BFH-Beschluß vom 17. Mai 1995 X B 274/94 "in Sachen Rechtsschutzbedürfnis bei Vorläufigkeitserklärung" entschieden habe.
Mit Schriftsatz vom 8. Januar 1996 beantragten die Kläger durch ihren Prozeß bevollmächtigten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Der Prozeßbevollmächtigte habe versucht, den Schriftsatz vom 27. Dezember 1995 an diesem Tag ab 18.36 Uhr durch Fax an das FG zu übermitteln. Dies sei nicht möglich gewesen, weil unter der einen Faxnummer überhaupt keine Verbindung und nach 23.16 Uhr unter beiden Faxnummern keine Verbindung mehr zustande gekommen sei. Mit Schreiben vom 25. Januar 1996 wies der Vorsitzende des erkennenden Senats den Prozeßbevollmächtigten darauf hin, daß die Beschwerdefrist am 22. Dezember 1995 abgelaufen, die Nichtzulassungsbeschwerde jedoch erst am 27. Dezember 1995 und damit verspätet beim FG eingegangen sei. Gleichzeitig wies er auf § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und den als ergänzende Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde mit Schreiben vom 8. Januar 1996 gestellten Antrag des Prozeßbevollmächtigten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hin.
Unter Bezugnahme auf dieses Schreiben beantragte der Prozeßbevollmächtigte für die Kläger erneut Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung, der Beschwerdeschriftsatz sei am Dienstag, dem 26. Dezember 1995, um 10.07 Uhr, in den Briefkasten vor dem Postamt ... durch die Büroangestellte Frau A eingeworfen worden. Bei regulärer Postlaufzeit hätte der Brief deshalb dem Empfänger fristgerecht am 27. Dezember 1995 zugehen müssen.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) hat von der Möglichkeit, sich zu äußern, keinen Gebrauch gemacht.
Entscheidungsgründe
1. Der Senat ist ordnungsgemäß besetzt. Nach dem Geschäftsverteilungsplan des X. Senats für das Jahr 1996 richtet sich in Beschlußsachen (Besetzung mit drei Richtern) die Mitwirkung nach bestimmten materiell-rechtlichen Fragen, über die der Senat zu entscheiden hat oder -- wenn diese Regelung nicht greift -- nach der letzten Zahl des Aktenzeichens (laufende Nummer des Rechtsbehelfsregisters). Im Streitfall war das Aktenzeichen für die Bestimmung der mitwirkenden Richter entscheidend. Einen Beurteilungsspielraum bei der Mitwirkung der weiteren Richter hat der Vorsitzende nicht.
2. Die Beschwerde ist unzulässig (§ 115 Abs. 3 FGO), weil sie verspätet eingelegt wurde und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden kann.
Die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision ist gemäß § 115 Abs. 3 FGO innerhalb eines Monats nach Zustellung des angefochtenen Urteils einzulegen. Eine Ausfertigung des angefochtenen Urteils wurde dem Prozeßbevollmächtigten der Kläger ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 22. November 1995 zugestellt. Die Monatsfrist endete danach mit Ablauf des 22. Dezember 1995 (§ 54 FGO i. V. m. § 222 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung -- ZPO -- und § 187 Abs. 1 und § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches -- BGB --). Die Beschwerdeschrift ging am 27. Dezember 1995 und daher verspätet beim FG ein.
Nach § 56 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 FGO ist demjenigen, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren; der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen und zu begründen. Die Begründung erfordert eine substantiierte und in sich schlüssige Darstellung aller entscheidungserheblichen Tatsachen innerhalb dieser Zweiwochenfrist (vgl. u. a. Entscheidungen des BFH vom 28. Dezember 1989 VIII R 70/87, BFH/NV 1990, 714, und vom 20. Februar 1990 VII R 125/89, BFHE 159, 573, BStBl II 1990, 546; Gräber, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 56 Rz. 49 f., m. w. N.). Daran fehlt es hier.
Weder die Begründung des Prozeßbevollmächtigten im Wiedereinsetzungsantrag vom 8. Januar 1996 -- sein Mitarbeiter habe vergeblich versucht, am Mittwoch, dem 27. Dezember 1995 den Beschwerdeschriftsatz durch Fax an das FG zu übermitteln -- noch im zweiten Wiedereinsetzungsantrag vom 13. Februar 1996 -- der Beschwerdeschriftsatz sei am Dienstag, dem 26. Dezember 1995, um 10.07 Uhr, in den Briefkasten vor dem Postamt ... eingeworfen worden -- ist geeignet, ein Verschulden des Prozeßbevollmächtigten an der verspäteten Beschwerdeeinlegung auszuschließen. Denn die Beschwerdefrist war bereits am 22. Dezember 1995 abgelaufen. Hierauf wurde der Prozeßbevollmächtigte der Kläger ausdrücklich durch das Schreiben des Vorsitzenden des erkennenden Senats vom 25. Januar 1996 hingewiesen. Eine in sich schlüssige Darstellung hätte angesichts des Vortrags, ohne nicht zu verschuldende Störungen hätte die Beschwerdeschrift am 27. Dezember 1995 beim FG eintreffen müssen, auch eine Erklärung darüber erfordert, weshalb der Prozeßbevollmächtigte als Fristende offenbar den 27. Dezember 1995 angesehen hatte.
Unter diesen Umständen kann ein Mangel in der Büroorganisation des Prozeßbevollmächtigten, der die Anwendung des § 56 FGO unabhängig davon verbietet, welche Anforderungen an das Verschulden im Sinne dieser Vorschrift zu stellen sind (vgl. z. B. Senatsbeschluß vom 19. Januar 1993 X R 82/92, BFH/NV 1993, 611; Gräber, a.a.O., Rz. 19, jeweils m. w. N.), nicht ausgeschlossen werden. Dies müssen sich die Kläger zurechnen lassen (§ 155 FGO i. V. m. § 51 Abs. 2 und § 85 Abs. 2 ZPO).
Die aufgezeigte Lücke in der Begründung des Wiedereinsetzungsbegehrens kann nach Ablauf der Frist des § 56 Abs. 2 Satz 2 FGO nicht mehr geschlossen werden (vgl. Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 28. Februar 1991 IX ZB 95/90, Betriebs- Berater 1991, 1222); sie geht zu Lasten des Betroffenen: Bleibt die Verschuldensfrage offen, ist das Wiedereinsetzungsbegehren abzulehnen (BFH in BFH/NV 1993, 611, m. w. N.).
3. Eine Aussetzung des Verfahrens mit Rücksicht auf die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluß des BFH vom 17. Mai 1995 X B 274/94 kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die Beschwerde unzulässig ist und dem Senat eine Sachentscheidung über die als vorgreiflich behauptete Rechtsfrage verwehrt ist.
Im übrigen hat das BVerfG die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde mit Beschluß vom 27. März 1996 2 BvR 1755/95 nicht zur Entscheidung angenommen.
Fundstellen
Haufe-Index 421485 |
BFH/NV 1996, 833 |