Entscheidungsstichwort (Thema)
Verzicht auf Durchführung der mündlichen Verhandlung; Rüge der nicht ordnungsgemäßen Aufklärung des Sachverhalts; abstraktes Interesse an Revisionsentscheidung; keine Zwangsaufgabe bei Betriebsfortführung auf verkleinerter Grundlage
Leitsatz (NV)
1. Der Verzicht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung kann ausnahmsweise unwirksam sein, wenn er durch bewusste Täuschung, Drohung, eine bewusst falsche Auskunft oder mittels unzutreffender Erwägungen ‐ insbesondere gegenüber rechtkundigen Personen ‐ veranlasst worden ist. Selbst wenn der Berichterstatter eine bestimmte Ansicht unmissverständlich geäußert hat, ist der Vollsenat nicht daran gehindert, davon im Urteil abzuweichen.
2. Zu einer Rüge, das FG habe den Sachverhalt hinsichtlich einer Betriebsaufgabe nicht ordnungsgemäß aufgeklärt, wenn ein Aufgabe ‐ oder Veräußerungsgewinn nicht erklärt worden ist.
3. Zulassungsgründe i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 FGO sind nicht ordnungsgemäß dargelegt, wenn der Beschwerdeführer nicht ausführt, dass das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt sein oder eine Revisionsentscheidung aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit oder Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegen könnte.
4. Eine Zwangsaufgabe eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs liegt nicht vor, wenn er lediglich auf verkleinerter Grundlage fortgeführt wird.
Normenkette
EStG §§ 13-14, 16; FGO § 76 Abs. 1 S. 1, §§ 90, 115 Abs. 2 Nrn. 1-3, § 116 Abs. 3 S. 3
Verfahrensgang
FG München (Urteil vom 08.08.2002; Aktenzeichen 11 K 3201/94) |
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Dabei kann der Senat hinsichtlich des Vorwurfs, der erklärte Verzicht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung sei nur durch eine bewusste Täuschung zustande gekommen, dahin gestellt sein lassen, ob die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) einen Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 Nr. 1, 2 und 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.S. von § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO ausreichend dargelegt haben (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 11. Februar 1987 II B 140/86, BFHE 148, 494, BStBl II 1987, 344). Denn jedenfalls ist die Beschwerde insoweit unbegründet.
Das angefochtene Urteil beruht nicht etwa deshalb auf einem Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, weil das Finanzgericht (FG) durch Urteil entschieden hat, ohne eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Denn dem FG lag ein wirksamer Verzicht beider Beteiligter auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor. Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass die Kläger nach ihren Angaben ihre Verzichtserklärung erst aufgrund einer bewussten Täuschung durch die Berichterstatterin des FG abgegeben haben wollen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH können Prozesserklärungen, zu denen der Verzicht auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gehört, nicht wegen Irrtums angefochten werden; sie sind auch nicht frei widerrufbar (vgl. BFH-Urteil vom 9. August 1996 VI R 37/96, BFHE 181, 115, BStBl II 1997, 77, m.w.N.). Allerdings kann eine Prozesserklärung ausnahmsweise unwirksam sein, wenn sie durch bewusste Täuschung, Drohung, durch eine bewusst falsche Auskunft oder mittels offensichtlich unzutreffender Erwägungen --insbesondere gegenüber rechtsunkundigen Personen-- veranlasst worden war (BFH-Urteil vom 20. Oktober 1981 VIII R 152/80, juris, m.w.N., sowie Hinweis auf das Senatsurteil vom 17. August 1961 IV 176/59 S, BFHE 74, 284, BStBl III 1962, 107). Von einem solchen Ausnahmesachverhalt kann der Senat hier nicht ausgehen. Es mag zutreffen, dass die Klägerin in einem Telefonat --angeblich im Juli 1999-- mit der Berichterstatterin auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gedrängt hatte, schon um den Sachverhalt selbst erläutern zu können. Das ausdrücklich erklärte Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung stammt aber nicht von der forensisch nicht erfahrenen Klägerin, sondern von dem klägerischen Prozessbevollmächtigten. Zudem datiert dessen Erklärung erst vom 31. Mai 2002. Soweit der Prozessbevollmächtigte unter Berufung auf seine Gesprächsnotiz vom 14. Mai 2002 geltend macht, die Berichterstatterin habe ihm erklärt, sie habe nach langem Aktenstudium erkannt, dass die Eheleute W und die Kläger jeweils einen eigenen Betrieb auf eigene Rechnung geführt hätten, so dass weitere Steuerakten nicht beizuziehen seien und eine mündliche Verhandlung nicht mehr sinnvoll sei, ändert dies --selbst wenn die Erläuterungen der Berichterstatterin objektiv unrichtig gewesen sein sollten-- nichts an der Wirksamkeit der abgegebenen Verzichtserklärung. Denn selbst wenn die Berichterstatterin diese Ansicht unmissverständlich geäußert hätte, war der Vollsenat nicht gehindert, in dem später ergangenen Urteil von dieser Ansicht abzuweichen (BFH-Urteil vom 20. Oktober 1981 VIII R 152/80, juris). Zudem erscheint es zweifelhaft, ob der Prozessbevollmächtigte die Berichterstatterin tatsächlich richtig verstanden hat. Denn wie im angefochtenen Urteil auf Seite 9 Mitte ausgeführt, ist zumindest das FG tatsächlich davon ausgegangen, dass die Eheleute W auf den Flurstücken Nr. … und … einen eigenen Betrieb unterhalten haben. Diese Flächen waren nicht Betriebsvermögen des von den Klägern und den Eheleuten W gemeinsam bewirtschafteten Betriebes. Im Übrigen ist das FG weiter davon ausgegangen, dass die Eheleute W ihre Rechte aus der Personengesellschaft, die aus ihnen selbst und den Klägern bestand, gegen diese gerichtlich sogar erfolgreich durchgesetzt hatten. Dementsprechend bestand kein Grund mehr, daneben noch einen Pachtbetrieb des Klägers anzunehmen. Denn der Pachtvertrag hatte sich durch die Übergabe der Flächen erledigt. Zudem wurden Pachtzahlungen weder geleistet noch eingefordert.
2. Die Rüge, das angefochtene Urteil beruhe auf einem vom FG nicht ordnungsgemäß aufgeklärten Sachverhalt, ist nicht schlüssig erhoben. Weder haben die Kläger dargelegt, dass das FG Beweisanträge der rechtskundig vertretenen Kläger übergangen habe. Noch haben sie dargelegt, warum das FG auch ohne entsprechenden Sachvortrag ihres Prozessbevollmächtigten verpflichtet gewesen wäre, von Amts wegen den Sachverhalt weiter aufzuklären (vgl. etwa BFH-Urteil vom 6. Juni 2000 VII R 72/99, BFHE 192, 390, Abschn. II. Nr. 1 b). Auch ist nichts dafür ersichtlich, dass das FG aufgrund der vorliegenden Akten hätte erkennen müssen, dass die Kläger in den angeblich erst 1984 begonnenen gemeinsamen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb vorhandenes Betriebsvermögen tatsächlich mit dem höheren Teilwert eingebracht hätten, zumal klägerseits kein Aufgabe- oder Veräußerungsgewinn erklärt wurde (zu den in der Anlage L zur Einkommensteuererklärung erforderlichen Angaben vgl. BFH-Urteil vom 7. Februar 2002 IV R 32/01, BFH/NV 2002, 1135). Darüber hinaus geben die Kläger nicht einmal an, wann und in welcher Form sie dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) den höheren Teilwert des eingebrachten Betriebsvermögens mitgeteilt hätten und warum das FG die Aufdeckung der stillen Reserven hätte erkennen müssen. Schließlich geben die Kläger nicht an, welche Steuerakten das FG noch hätte beiziehen müssen.
3. Soweit die Kläger geltend machen, das angefochtene Urteil verstoße gegen materielles Recht, ist als Zulassungsgrund weder die grundsätzliche Bedeutung der Sache i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO noch die Rechtsfortbildung oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Form dargelegt. Denn die Kläger führen nicht --wie erforderlich-- aus, dass durch die zu treffende Revisionsentscheidung ein abstraktes Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt sein oder eine solche Entscheidung aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegen könnte (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rz. 23, m.w.N.). Vielmehr wird nur das individuelle Interesse der Kläger angesprochen; das genügt jedoch nicht (Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz. 34, m.w.N.)
Auch haben die Kläger nicht hinreichend dargelegt, dass das FG von dem Senatsurteil vom 1. Februar 1990 IV R 8/89 (BFHE 159, 471, BStBl II 1990, 428) abgewichen wäre. Sie haben nämlich nicht --wie notwendig-- durch eine Gegenüberstellung von tragenden Rechtssätzen aus dieser Entscheidung und denen des angefochtenen Urteils eine Divergenz erkennbar gemacht (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz. 42, sowie BFH-Beschluss vom 24. Januar 2000 XI B 92/98, BFH/NV 2000, 959). Außerdem ist der Fall der Kläger mit dem damals entschiedenen nicht einmal vergleichbar. Während es im Urteil in BFHE 159, 471, BStBl II 1990, 428 darum ging, ob der Sohn die wesentlichen Grundlagen des väterlichen Betriebes übernommen hatte, was der erkennende Senat verneint hatte, waren die Eheleute W Miteigentümer der gemeinsam mit den Klägern bewirtschafteten Flächen geblieben oder hatten sowohl im Jahr 1974 als auch im Jahr 1978 nur für den Gesamtbetrieb nicht wesentliche Teile entnommen bzw. in einen anderen Betrieb überführt. Insofern war der Betrieb sowohl nach 1974 als auch nach 1978, allerdings in verkleinerter Form (vgl. Senatsurteil vom 28. November 1991 IV R 58/91, BFHE 167, 19, BStBl II 1992, 521), zunächst von der Klägerin und den Eheleuten W gemeinsam, dann von der Klägerin allein und letztlich von beiden Klägern fortgeführt worden. Die gemeinsam mit den Eheleuten W bewirtschafteten Flächen standen aber sogar im Miteigentum der Eheleute W und der Klägerin (vgl. Senatsurteil vom 22. Januar 2004 IV R 44/02, BStBl II 2004, 500).
4. Soweit die Kläger mit dem Schriftsatz vom 27. Januar 2003 eine weitere Begründung gegeben haben, kann diese schon aus formellen Gründen nicht berücksichtigt werden. Die Beschwerdebegründungsfrist von zwei Monaten war nämlich bereits am 4. November 2002 abgelaufen (§ 116 Abs. 3 Satz 1 FGO).
Fundstellen