Leitsatz (amtlich)
Es ist ernstlich zweifelhaft, ob § 2 NATO-ZAbk-UStDV rechtswirksam ist, soweit er den Abzug der Vorsteuerbeträge auch für sonstige Leistungen gewährt, die nach Art. 67 Abs. 3 NATO-ZAbk steuerfrei sind.
Normenkette
NATO-ZAbk Art. 67 Abs. 3; NATO-ZAbk-UStDV § 2
Tatbestand
Die Steuerpflichtige (Antragstellerin, Beschwerdegegnerin) betreibt ein Wohnungsbauunternehmen. Sie erstellt und vermietet Wohnungen. Sie nimmt für die Vermietungen Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 12 UStG 1967 und - soweit sie an NATO-Bedienstete vermietet - auch Steuerfreiheit nach Art. 67 Abs. 3a II Satz 1 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut - NATO-ZAbk - (BGBl II 1961, 1218) in Anspruch. 1968 wurden Teile des NATO-Bauvorhabens E fertiggestellt. Die Herstellungskosten hierfür betrugen 1 550 000 DM 1). Das FA (Antragsgener, Beschwerdeführer) hat mit vorläufigem Umsatzsteuerbescheid vom 17. November 1970 für 1968 eine Umsatzsteuer von 39 644 DM festgesetzt. Dieser Betrag errechnet sich wie folgt:
Mieteinnahmen 822 420 DM
davon steuerfrei nach Art. 67 NATO-ZAbk 528 028 DM
steuerfrei nach § 4 Nr. 12 UStG 1967 294 392 DM
steuerpflichtiger Umsatz 0 DM
Umsatzsteuer 0 DM
abzüglich Vorsteuer gemäß § 2 der Verordnung
zur Durchführung der umsatzsteuerlichen Vor-
schriften des Zusatzabkommens vom
3. August 1959 zu dem Abkommen zwischen
den Parteien des Nordatlantikvertrages vom
19. Juni 1951 über die Rechtsstellung ihrer
Truppen (NATOZAbk-UStDV) in der Fassung
vom 20. Dezember 1967
(BGBl I, 1296, BStBl I 1968, 159) 62 322 DM
zuzüglich Steuer für den Selbstverbrauch
(8 v. H. von 1 550 000 DM) 124 000 DM
abzüglich Milderungsbeträge nach § 30 A
bs. 9 UStG 1967 22 034 DM
Umsatzsteuerschuld 39 644 DM.
Die Steuerpflichtige bestreitet im Hauptsacheverfahren die Selbstverbrauchsteuerpflicht.
Sie hat bei dem FG gemäß § 69 Abs. 3 FGO beantragt, die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheids 1968 auszusetzen. Das FG hat dem Antrag mit folgender Begründung stattgegeben: Die Steuerpflichtige tätige nur steuerfreie Umsätze gemäß § 4 Nr. 12 UStG 1967. Sie sei gemäß § 30 Abs. 3, § 15 Abs. 2 UStG 1967 von der Selbstverbrauchsteuerpflicht freigestellt. Der Vorsteuerabzug, der ihr nach § 2 NATO-ZAbk-UStDV zustehe, sei eine außerhalb des UStG 1967 stehende Begünstigung. Sie beruhe auf Art. 67 Abs. 3 NATO-ZAbk, der als selbständige völkerrechtliche Regelung dem nationalen UStG vorgehe.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des FA. Es macht geltend: § 2 NATO-ZAbk-UStDV beziehe die gemäß Art. 67 Abs. 3 NATO-ZAbk steuerfreien Umsätze in das UStG 1967 ein und gewähre einen echten Vorsteuerabzug. § 15 Abs. 2, § 30 Abs. 3 UStG 1967 seien nicht anwendbar.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Beschwerde ist teilweise begründet.
Das FG hat die Vollziehung des angegriffenen vorläufigen Umsatzsteuerbescheids 1968 ohne Einschränkung ausgesetzt. Das bedeutet nach der Rechtsprechung des Senats, daß das FA weder den festgesetzten (positiven) Steuerbetrag von 39 644 DM einfordern noch den Betrag von 58 217 DM, den es der Steuerpflichtigen als Vorsteuer auf die zunächst erwartete negative Steuerfestsetzung erstattet hat, zurückfordern kann (vgl. BFH-Beschluß V B 71/70 vom 29. April 1971, BStBl II 1971, 632). Die Vorentscheidung ist hinsichtlich des noch einzufordernden Betrags im Ergebnis zu bestätigen, hinsichtlich des rückzufordernden Betrags aufzuheben. An der Rechtmäßigkeit des Bescheids bestehen nur insoweit ernstliche Zweifel (§ 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO), als er eine Umsatzsteuer von mehr als 0 DM festsetzt.
Das FG ist davon ausgegangen, daß das FA der Steuerpflichtigen zu Recht einen Vorsteuerabzug gewährt hat und dieser seine Rechtsgrundlage in § 2 NATO-ZAbk-UStDV findet. Hiergegen bestehen erhebliche Bedenken. Nach § 2 NATO-ZAbk-UStDV in der ab 1. Januar 1968 geltenden Fassung werden die Umsatzsteuervergütungen nach Art. 67 Abs. 3 NATO-ZAbk in der Weise gewährt, daß der Unternehmer für seine nach dieser Bestimmung steuerfreien Umsätze die Vorsteuerbeträge nach Maßgabe der §§ 15 und 16 UStG 1967 abziehen kann. Art. 67 Abs. 3a II Satz 2 NATO-ZAbk gewährt Umsatzsteuervergütungen jedoch ausdrücklich nur für Lieferungen. Sonach könnte § 2 NATO-ZAbk-UStDV dahin verstanden werden, daß, falls wie hier sonstige Leistungen erbracht werden, kein Vorsteuerabzug zu gewähren ist. Diese Frage braucht nicht abschließend erörtert zu werden. Denn wird § 2 NATO-ZAbk-UStDV wegen der Bezugnahme auf die in Art. 67 Abs. 3a II Satz 1 NATO-ZAbk angeführten steuerfreien Umsätze so ausgelegt, daß der Vorsteuerabzug auch für sonstige Leistungen zu gewähren ist (so Erlaß des BdF IV A/3 - S 7492 - 31/69 vom 15. Dezember 1969, BStBl I 1970, 150, vgl. unter D Abs. 1), dürfte die Vorschrift rechtsunwirksam sein. Ihre Ermächtigungsgrundlage ist § 9 des Truppenzollgesetzes 1962 (TruZG 1962) vom 17. Januar 1963 (BGBl I, 51). Hiernach ist die Bundesregierung ermächtigt, zur "Durchführung" des Art. 67 Abs. 3 NATO-ZAbk Rechtsverordnungen zu erlassen über "den Umfang der Umsatzsteuervergütungen und des Befreiungs- und Vergütungsverfahrens entsprechend den jeweils geltenden umsatzsteuerrechtlichen Vorschriften". Diese Vorschrift berechtigt die Bundesregierung lediglich dazu, den Rechtsanwendungsbereich des Art. 67 Abs. 3 NATO-ZAbk zu verdeutlichen, den Zweck dieser Vorschrift zu realisieren und eine der Absicht des Gesetzgebers (hier der vertragschließenden Staaten) entsprechende Handhabung zu sichern (dazu Beschluß des BVerfG 2 BvL 29/56 vom 11. Februar 1958, BVerfGE 7, 267, BStBl I 1958, 83). Es kann schon zweifelhaft sein, ob der Verordnungsgeber das in Art. 67 Abs. 3a II Satz 2 NATO-ZAbk vorgesehene Vergütungsverfahren durch eine Gewährung des Vorsteuerabzugs ersetzen kann. Der vorliegende Fall zeigt, daß eine solche Ersetzung nicht nur formale Bedeutung hat, sondern - wenn der Auffassung des FA gefolgt wird - eine zusätzliche Besteuerung nach § 30 Abs. 2 UStG 1967 auslöst. § 2 NATO-ZAbk-UStDV schafft aber vollends neues Recht, wenn er entgegen Art. 67 Abs. 3a II Satz 2 NATO-ZAbk den Vorsteuerabzug (Vergütung) nicht nur für Lieferungen, sondern darüber hinausgehend auch für sonstige Leistungen gewährt. Zu einer solchen Erweiterung des Vergütungsanspruchs erscheint die Bundesregierung selbst nicht unter den Gesichtspunkten ermächtigt, daß die Regelung generell zugunsten der Steuerpflichtigen wirkt und sich der Systematik des UStG 1967 anpaßt. Der Verordnungsgeber ist ohne eine entsprechende Ermächtigung auch nicht befugt, begünstigende gesetzesabändernde Regelungen zu treffen. Wenn Art. 67 Abs. 3 NATO-ZAbk, der auf das System des UStG 1951 abgestellt ist, nach Inkrafttreten des UStG 1967 keine Grundlage mehr für eine sachgerechte Regelung der Begünstigungen im Rahmen des NATO-Truppenstatuts abgab, hätte eine vertragliche Abänderung der Vorschrift versucht oder - falls diese Möglichkeit nicht bestand - eine nationale gesetzliche Sonderregelung geschaffen werden müssen.
Sollte § 2 NATO-ZAbk-UStDV seiner Fassung nach keinen Vorsteuerabzug gewähren, soweit steuerfreie sonstige Leistungen gemäß Art. 67 Abs. 3a II Satz 1 NATO-ZAbk erbracht werden, oder einen solchen Vorsteuerabzug inhaltlich zwar gewähren, aber im gleichen Ausmaß - möglicherweise sogar insgesamt - rechtsunwirksam sein, käme auch nach Auffassung der Finanzverwaltung in vorliegenden Falle eine Selbstverbrauchsteuerpflicht nicht in Betracht. In diesem Fall ist davon auszugehen, daß im Hauptsacheverfahren eine Umsatzsteuer von 0 DM festgesetzt wird, weil im angegriffenen Steuerbescheid sämtliche Hinzu- und Abrechnungen entfallen dürften.
Dementsprechend ist unter Abänderung der Vorentscheidung die Vollziehung des angegriffenen Bescheids insoweit auszusetzen, als Umsatzsteuer in Höhe von 39 644 DM angefordert ist. Der Vollziehungsaussetzungsantrag ist hingegen abzuweisen, soweit er sich gegen die Rückforderung des bereits erstatteten Betrags wendet. Soweit Aussetzung der Vollziehung gewährt wird, kommt die Anordnung einer Sicherheitsleistung nicht in Betracht. Die Steuerpflichtige wird mit großer Wahrscheinlichkeit in diesem Ausmaß im Hauptsacheverfahren obsiegen (dazu BFH-Beschluß V B 115-116/69 vom 22. Dezember 1969, BFH 97, 240, BStBl II 1970, 127).
1) Zahlenangaben sind geändert
Fundstellen
BStBl II 1971, 650 |
BFHE 1971, 333 |