Entscheidungsstichwort (Thema)
Sachaufklärungsrüge und fehlerhafte Beweiswürdigung
Leitsatz (NV)
1. Die Sachaufklärungspflicht richtet sich nach der materiell-rechtlichen Auffassung des FG.
2. Die Grundsätze der Beweiswürdigung sind dem materiellen Recht zuzuordnen. Im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde ist daher nicht zu prüfen, ob das FG aus einem Grad der Behinderung von 20, vorübergehender Erwerbstätigkeit und ärztlichen Gutachten zu Recht gefolgert hat, dass das Kind sich bei ärztlicher Behandlung selbst hätte unterhalten können.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3; FGO § 76 Abs. 1 S. 1, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 3
Verfahrensgang
FG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 07.03.2006; Aktenzeichen 6 K 2500/05) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Vater einer am … geborenen Tochter, die wegen intermittierender Depressionen und neurogener Verhaltensstörungen ärztlich behandelt wurde. Der behandelnde Arzt bescheinigte im August 1998, die Tochter sei nicht in der Lage, sich selbst zu unterhalten. Die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) gewährte daher dem Kläger zunächst Kindergeld und überprüfte in regelmäßigen Abständen die Voraussetzungen für dessen Gewährung. Nachdem die Tochter zu einer für den 10. August 2001 angeordneten amtsärztlichen Untersuchung nicht erschienen war, hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung wegen fehlender Mitwirkung ab April 2001 auf.
Die dagegen gerichtete Klage wurde vornehmlich damit begründet, dass die Tochter aufgrund ihrer Erkrankung zu den anberaumten Untersuchungsterminen nicht habe erscheinen können. Es sei darum gebeten worden, sie zu Hause untersuchen zu lassen.
Das Finanzgericht (FG) ordnete auf Antrag beider Beteiligten das Ruhen des Verfahrens an bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag der Tochter auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft. Mit Bescheid vom 28. November 2003 wurde ab Oktober 2003 ein Grad der Behinderung von 20 festgestellt. Nachdem dieser Bescheid bestandskräftig geworden war, wies das FG die Klage ab, weil nicht erwiesen sei, dass die Tochter sich wegen ihrer Behinderung nicht selbst habe unterhalten können (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes). Die Feststellung eines Grades der Behinderung von 20 im amtsärztlichen Gutachten vom 28. November 2003 rechtfertige nicht den Schluss, dass die Tochter aufgrund ihrer seelischen Erkrankung außer Stande sei, sich selbst zu unterhalten. Nach der psychiatrischen Begutachtung und der amtsärztlichen Feststellung der Arbeitsfähigkeit vom 12. Februar 2002 sei die Tochter zum damaligen Zeitpunkt zwar nicht fähig gewesen, eine regelmäßige Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben. Aus den gutachtlichen Ausführungen der Fachärztin für Psychiatrie, dass bei einer adäquaten Therapie gute Heilungschancen bestünden, sei aber zu folgern, dass nicht die seelische Behinderung für die mangelnde Arbeitsfähigkeit ursächlich sei, sondern die fehlende psychiatrische Behandlung, der sich die Tochter verweigere. Die Tochter sei zudem durch ihre Tätigkeit in einem Schnellrestaurant und einem Supermarkt in der Lage gewesen, einen Anspruch auf Arbeitslosengeld zu erwerben.
Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision rügt der Kläger, das angefochtene Urteil beruhe auf Verfahrensfehlern. Das FG habe seine Sachaufklärungspflicht verletzt und kein ausreichendes rechtliches Gehör gewährt. Die Tochter habe nicht, wie das FG fehlerhaft angenommen habe, seit dem 21. August 2003 Arbeitslosengeld erhalten, dieses sei vielmehr wegen angeblich mangelnder Mitwirkung versagt worden. Das FG habe sich auch über die wiederholt vorgetragene Tatsache hinweggesetzt, dass die Tochter wegen ihrer fachärztlich festgestellten Angstsymptomatik nicht in der Lage gewesen sei, ihre gewohnte Umgebung und ihr Heim zu verlassen und sich auswärtig untersuchen zu lassen. Statt auf das Angebot einer Untersuchung in ihrer Wohnung oder im ortsnahen Kreiskrankenhaus einzugehen, sei die Begutachtung in einer Großstadt angeboten worden, wohl wissend, dass sie wegen ihrer psychischen Behinderung dorthin nicht habe reisen können. Für die Annahme des FG, dass nicht die seelische Behinderung, sondern deren unterbliebene Behandlung einer Erwerbstätigkeit entgegengestanden habe, sei kein Beweis erhoben worden. Aus der Akte ergebe sich dazu nichts. Der Stellungnahme des Hausarztes habe das FG keine Bedeutung zugemessen und dabei übersehen, dass er die Tochter langjährig behandelt habe. Der Sachverhalt sei daher nicht vollständig aufgeklärt worden, obwohl ausreichend Beweis angeboten worden sei. In einem weiteren Schriftsatz erklärte der Kläger, er begehre keine weitere Beweiserhebung, sondern rüge die Beweiswürdigung durch das FG.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet und wird durch Beschluss (§ 132 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) zurückgewiesen. Das FG-Urteil beruht nicht auf Verfahrensfehlern (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).
1. Die Sachaufklärungsrüge (vgl. § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) hat keinen Erfolg.
a) Das FG ging materiell-rechtlich davon aus, dass für ein über 18 Jahre altes behindertes Kind Anspruch auf Kindergeld nur bestehe, wenn die Behinderung ursächlich für die Unfähigkeit des Kindes sei, sich selbst zu unterhalten. An der Ursächlichkeit fehle es, wenn sich ein Kind mit seelischer Behinderung erfolgversprechenden therapeutischen Maßnahmen entziehe. Zu Unrecht rügt der Kläger, das FG habe keinen Beweis darüber erhoben, dass nicht die seelische Behandlung, sondern die fehlende qualifizierte fachärztliche Behandlung Ursache dafür gewesen sei, dass sie sich nicht selbst habe unterhalten können. Denn das FG hat sich auf das amtsärztliche Gutachten des Gesundheitsamts vom 12. Februar 2002 gestützt. Danach war die Tochter zwar "derzeit" nicht fähig, eine regelmäßige Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben. Bei einer adäquaten Therapie, die dringend erforderlich sei, bestünden aber gute Heilungschancen. Hieraus hat das FG gefolgert, nicht die seelische Behinderung sei ursächlich für die mangelnde Fähigkeit der Tochter, sich selbst zu unterhalten, sondern die fehlende psychiatrische Behandlung, der sich die Tochter verweigere. Ausgehend von der materiell-rechtlichen Auffassung des FG bedurfte es keiner weiteren Sachaufklärung.
Abgesehen davon, dass der Kläger im Schriftsatz vom 30. Juni 2006 erklärt hat, er begehre keine weitere Beweiserhebung, hätte er für die Rüge, das FG habe angebotene Beweise nicht erhoben, darlegen müssen, welche Beweisanträge er konkret gestellt hat und inwiefern die Erhebung der beantragten Beweise ausgehend von der Rechtsauffassung des FG zu einer anderen Entscheidung geführt hätten (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 29. Oktober 2004 XI B 213/02, BFH/NV 2005, 566, m.w.N.).
b) Die Rüge des Klägers, er habe sich in der mündlichen Verhandlung nicht zum Bezug von Arbeitslosengeld durch die Tochter äußern können, weil es sich hierbei um völlig neuen Vortrag gehandelt habe, und das FG habe den Sachverhalt im Urteil insoweit fehlerhaft dargestellt, greift nicht durch. Das FG hat lediglich angenommen, dass die Tochter durch ihre Tätigkeit in einem Schnellrestaurant und einem Einzelhandelsgeschäft einen Anspruch auf Arbeitslosengeld erworben habe; dies trifft auch unstreitig zu. Ob Arbeitslosengeld tatsächlich bezogen wurde, hat das FG nicht festgestellt.
2. Die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs ist nicht ausreichend dargelegt (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Hierzu hätte der Kläger ausführen müssen, wie das rechtliche Gehör verwehrt wurde, was er bei rechtzeitiger Gewährung des Gehörs zusätzlich geltend gemacht hätte und inwieweit dies zu einer für ihn günstigeren Entscheidung hätte führen können (vgl. BFH-Urteil vom 5. Juni 2007 I R 1/06, BFH/NV 2007, 2000, m.w.N.).
3. Mit seinen Einwänden gegen die Beweiswürdigung des FG macht der Kläger keinen Verfahrensmangel geltend. Denn die Grundsätze der Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen und daher der Prüfung im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde entzogen (BFH-Beschluss vom 4. Juni 2004 VI B 256/01, BFH/NV 2004, 1416; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 82). Ob das FG aus den Befunden des Hausarztes, des Amtsarztes und der beim Gesundheitsamt tätigen Psychiaterin sowie dem Grad der Behinderung von 20 und der vorübergehenden Erwerbstätigkeit die zutreffenden Schlüsse gezogen und zu Recht angenommen hat, dass sich die Tochter bei ärztlicher Behandlung selbst hätte unterhalten können, ist deshalb hier unerheblich.
Fundstellen
Haufe-Index 1834060 |
BFH/NV 2008, 95 |