Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrechnung von Mehrwertsteuer auf Einfuhrumsatzsteuer im innergemeinschaftlichen Verkehr
Leitsatz (NV)
1. Die Frage, ob bei der Nacherhebung von Zoll eine Auswechslung von Gründen in Betracht kommt, ist grundsätzlich zu bejahen und somit nicht klärungsbedürftig.
2. Keine Klärungsbedürftigkeit von Fragen im Zusammenhang mit der Anrechnung von Mehrwertsteuer auf die EUSt im innergemeinschaftlichen Verkehr.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1; EWGV 1697/79 Art. 2 Abs. 1, Art. 4, 5 Abs. 2; UStG § 1 Abs. 1 Nr. 4, § 21 Abs. 2
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ersteigerte Ende 1990 in X (Großbritannien) einen gebrauchten Personenkraftwagen der Marke BMW zu einem aus "Hammerpreis", Provision des britischen Auktionshauses und 15 % britischer Mehrwertsteuer (auf die Provision) bestehenden Betrag. Laut Rechnung des Auktionshauses war das Unternehmen S in Y (Großbritannien) Verkäufer des Fahrzeugs. S hatte dieses reparieren lassen und die dafür berechnete britische Mehrwertsteuer als Vorsteuer geltend gemacht. Der Kläger ließ das Fahrzeug März 1991 bei dem beklagten Hauptzollamt (HZA) zum freien Verkehr abfertigen. Das HZA sah von der Festsetzung der Einfuhrumsatzsteuer ab, weil es britische Umsatzsteuer (auf den Wert des Kraftwagens) in voller Höhe antragsgemäß anrechnete. Mit Steueränderungsbescheiden vom September 1991 und Januar 1992 forderte das HZA die um die auf die Provision entfallende britische Mehrwertsteuer verminderte Einfuhrumsatzsteuer nach. Die hiergegen nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage wurde abgewiesen. Das Finanzgericht (FG) führte im wesent lichen aus, der Kläger könne eine weitere Anrechnung von Mehrwertsteuer nicht verlangen. Eine fortwirkende Belastung mit deutscher Umsatzsteuer, die im übrigen nicht nachgewiesen sei, könne von vornherein nicht berücksichtigt werden. Eine Anrechnung weiterer britischer Umsatzsteuer nach den in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) entwickelten Grundsätzen für den Erwerb zwischen Privatpersonen scheide mangels entsprechenden Nachweises über die Belastung mit dieser Steuer aus. Auch sei von der Möglichkeit einer steuerfreien Ausfuhrlieferung kein Gebrauch gemacht worden. Durch eine etwa erfolgte Umstellung der Begründung zum Steueränderungsbescheid werde die Nacherhebungsfrist nicht berührt. Von der Nacherhebung sei auch nicht abzusehen gewesen: den dem HZA bei der Abfertigung unterlaufenen (aktiven) Irrtum hätte der Kläger erkennen müssen. Da er selbst die Anrechnung beantragt habe, hätten ihm deren Voraussetzungen -- Anrechnungsmöglichkeit nur bei Geschäften zwischen Privatpersonen; Nachweis -- zumindest in groben Zügen bekannt sein müssen.
Der Kläger begehrt Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung. Zu klären seien die Fragen, ob es für die Einhaltung der Nacherhebungsfrist nicht auch auf die Begründung des Nachforderungsbescheides ankomme und ob bei beantragter Anrechnung denkgesetzlich ein Kennenmüssen der Anrechnungsvoraussetzungen zu postulieren sei; letztere Frage bleibe auch nach Einführung des Binnenmarktes bedeutsam. Ferner sei rechtsgrundsätzlich zu entscheiden, welche Art von Nachweis über den Mehrwertsteuer-Restbetrag in Hinblick auf die vom FG angeführte Rechtsprechung des EuGH zu verlangen sei, ebenso, ob bei Lieferung durch einen Unternehmer die Möglichkeit steuerfreier Ausfuhrlieferung eine Mehrwertsteueranrechnung von vornherein ausschließe. Grundsätzliche Bedeutung habe schließlich die Frage der Anrechnung deutscher Mehrwertsteuer.
Das HZA hat von einer Gegenäußerung abgesehen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von dem Kläger angenommene grundsätzliche Bedeutung der Sache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) ist nicht gegeben.
1. Nicht klärungsbedürftig ist die Frage, ob für die Nacherhebung nach § 21 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG), Art. 2 Abs. 1 Unterabs. 2, Art. 4 der (Nacherhebungs-) Verordnung (EWG) Nr. 1697/79 des Rates vom 24. Juli 1979 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 197/1) Raum für ein Auswechseln von Gründen besteht. Nach Wortlaut und Sinn der Gemeinschaftsregelung, die -- nur -- auf die Mitteilung der Höhe der Abgaben innerhalb der mit der buchmäßigen Erfassung beginnenden Frist abstellt (Art. 2 Abs. 2 VO Nr. 1697/79), ist diese Frage ohne weiteres zu bejahen (vgl. auch Senatsbeschluß vom 15. Juni 1993 VII B 14/93, BFHE 172, 248, 251). Die Wirkung der Mitteilung tritt unabhängig von ihrer Begründung ein; letztere kann geändert, ergänzt oder gar ausgetauscht werden. Rechtssicherheit ist -- vom Normgeber gewollt (2. Erwägungsgrund der VO Nr. 1697/79) -- erst mit Fristablauf gegeben.
2. Die Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Anrechnung von Mehrwertsteuer auf die Einfuhrumsatzsteuer im innergemeinschaftlichen Verkehr und des dafür erforderlichen Nachweises betreffen seit der Einführung des Binnenmarktes zum 1. Januar 1993 und dem damit verbundenen Wegfall der Einfuhrumsatzsteuer im innergemeinschaftlichen Verkehr (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG; zur neuen Rechtslage allgemein Senat, Urteil vom 30. Januar 1996 VII R 84/95, BFHE 179, 508) ausgelaufenes, "altes" Recht. Die vom FG behandelte EuGH-Rechtsprechung -- "Gaston Schul" und folgende Fälle -- hat sich erledigt (vgl. etwa Müller-Eiselt in Dorsch, Zollrecht, E Rz. 27, E II Rz. 5; dort auch Nachweise über die bezeichnete Rechtsprechung). Die aufgeworfenen Fragen bedürfen mithin nicht mehr der Klärung. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn diese Fragen noch in einer Vielzahl von Altfällen zu beantworten wären (vgl. Herrmann, Die Zulassung der Revision und die Nichtzulassungsbeschwerde im Steuerprozeß, 1986, Rdnr. 144; Klein/Ruban, Der Zugang zum Bundesfinanzhof, 1986, Rdnr. 62; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl. 1993, § 115 Anm. 12). Es ist jedoch nicht dargelegt worden, daß diese Voraussetzung zutreffe. Ihr Vorliegen ist auch nicht, was eine besondere Darlegung entbehrlich erscheinen ließe (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs vom 9. Mai 1988 IV B 35/87, BFHE 153, 378, 380, BStBl II 1988, 725), offenkundig. Dem Senat, der zur Entscheidung in Sachen der Einfuhrumsatzsteuer berufen ist, sind Parallelfälle nicht bekannt. Unter diesen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, daß eine Entscheidung über die Revision aus Gründen der Rechtsfortbildung oder im Interesse der Rechtseinheit geboten sei.
3. Auch der vom Kläger im Zusammenhang mit Art. 5 Abs. 2 VO Nr. 1697/79 -- Absehen von der Nacherhebung wegen Nichterkennbarkeit des zollamtlichen Irrtums für den Beteiligten -- aufgezeigten Frage kann grundsätzliche Bedeutung nicht beigemessen werden. Es ist nicht ersichtlich, daß diese Frage, hier bezogen auf die Voraus setzungen einer Anrechnung von Mehrwertsteuer, nach Wegfall der Einfuhr umsatzsteuer im innergemeinschaftlichen Verkehr (Nr. 2) noch Bedeutung für andere Eingangsabgaben haben könnte. Aber selbst wenn dies anzunehmen wäre, so bedürfte sie keiner grundsätzlichen Klärung. Die Würdigung, ob ein Anrechnungsbegehren des Zollbeteiligten auf Kenntnis oder, hier, Erkennbarkeit der entsprechenden Anrechnungsvoraussetzungen schließen läßt, ist einzelfallbezogen. Das würde selbst dann gelten, wenn ihr, wie der Kläger meint, eine denkgesetzliche Ableitung zugrunde läge, die für sich bei zulässiger Revision revisibel wäre.
Fundstellen