Entscheidungsstichwort (Thema)
Besorgnis der Befangenheit; Verlust des Ablehnungsrechts; Verfahrensverstoß grundsätzlich kein Ablehnungsgrund
Leitsatz (NV)
1. Ein Beteiligter kann aufgrund von Äußerungen des Vorsitzenden Richters in der mündlichen Verhandlung diesen nicht mehr wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnen, nachdem er einen Sachantrag gestellt hat.
2. Ein Verfahrensverstoß (hier: Ablehnung eines Protokollierungsantrags durch den Vorsitzenden Richter) begründet grundsätzlich nicht die Besorgnis der Befangenheit.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1; ZPO §§ 42-43, 160 Abs. 4
Tatbestand
Vor dem Finanzgericht (FG) ist ein Klageverfahren anhängig, in dem sich die Kläger, Antragsgegner und Beschwerdegegner (Kläger) dagegen wenden, daß der Beklagte, Antragsteller und Beschwerdeführer (das Finanzamt - FA -) Aufwendungen für Dienstreisen mangels Nachweises nicht berücksichtigt hat.
In der mündlichen Verhandlung am . . . wurde die Abziehbarkeit der Reisekosten erörtert. Der Vorsitzende Richter schlug den Beteiligten eine außergerichtliche Einigung des Inhalts vor, daß die Reisekosten auch ohne Arbeitgeberbescheinigung zum Teil anerkannt werden sollten. Er wies außerdem darauf hin, daß das Gericht im Falle einer streitigen Entscheidung zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen gelangen könne. Der Vertreter des FA lehnte den Einigungsvorschlag ab und bestritt die Schätzungsbefugnis des Gerichts. Er verwies auf die gerichtliche Ermittlungspflicht und äußerte die Ansicht, der Senat wolle offenbar, wie es bei ihm öfter vorkomme, den Sachverhalt nicht näher aufklären. Bei der Aufnahme der Sachanträge lehnte der Vorsitzende Richter es ab, eine ,,Aufklärungsrüge" des Beklagtenvertreters zu protokollieren. Daraufhin beantragte dieser, den Vorsitzenden Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.
Zur Begründung führte er aus, in der mündlichen Verhandlung habe der Vorsitzende die Anträge der Beteiligten zu Protokoll zu nehmen. Aufgrund der Weigerung des Vorsitzenden Richters, eine Aufklärungsrüge zu protokollieren, sei er (der Beklagtenvertreter) davon überzeugt, daß der Vorsitzende sein eigenes Verhalten einer Überprüfung entziehen und das Recht des FA, eine Überprüfung durch den Bundesfinanzhof (BFH) herbeizuführen, einschränken wolle. Der Vorsitzende wolle nicht objektiv entscheiden, sondern subjektive Überzeugungen an die Stelle der Tatsachenfeststellung setzen.
Der Vorsitzende Richter hat in dienstlichen Äußerungen zu dem Ablehnungsgesuch erklärt, er halte sich nicht für befangen. Die Aufklärungsrüge des Beklagtenvertreters habe er nicht gemäß § 160 Abs. 4 der Zivilprozeßordnung (ZPO) zu Protokoll genommen, weil deren Protokollierung wegen Unerheblichkeit habe unterbleiben können (§ 160 Abs. 4 Satz 2 ZPO) und sie im übrigen als rechtsmißbräuchlich habe angesehen werden müssen.
Das FG hat das Ablehnungsgesuch zurückgewiesen. Es könne dahinstehen, ob der Vorsitzende Richter den Antrag auf Protokollierung einer Verfahrensrüge zu Recht abgelehnt habe, da eine zu Unrecht erfolgte Ablehnung des Protokollierungsantrags einen Rechtsfehler darstellen würde, der bei der Entscheidung über einen Befangenheitsantrag nicht zu prüfen sei.
Mit seiner Beschwerde begehrt das FA sinngemäß, den Beschluß des FG aufzuheben und den Vorsitzenden Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Zur Begründung führt es im wesentlichen aus:
Besorgnis der Befangenheit liege vor, wenn der Vorsitzende Richter des Kerngehalt des finanzgerichtlichen Verfahrens durch offensichtliche und eindeutige Mißachtung der gerichtlichen Aufklärungspflicht zu Lasten des Beklagten verletze und die Rüge dieses Verhaltens verhindere, indem er die Protokollierung der Aufklärungsrüge, mit der die Nichterhebung des Beweises über die allein streitigen Tatsachen gerügt werden solle, eigenmächtig ohne Beschluß des Senats als unerheblich und rechtsmißbräuchlich zurückweise.
Die Kläger haben sich nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet. Das FG hat zu Recht das Ablehnungsgesuch des FA zurückgewiesen.
Gemäß § 51 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in Verbindung mit § 42 ZPO kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Richter tatsächlich voreingenommen ist. Entscheidend ist vielmehr, ob der Beteiligte, der das Ablehnungsgesuch angebracht hat, von seinem Standpunkt aus bei Anlegung eines objektiven Maßstabes Anlaß hat, Voreingenommenheit des Richters zu befürchten (Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 51 Anm.37 m.w.N.).
1. Soweit das FA das Ablehnungsgesuch damit begründet, der Vorsitzende Richter habe trotz der klaren Rechtslage auf die Schätzungsbefugnis des Gerichts hingewiesen und damit Anlaß zu der Besorgnis gegeben, er wolle unter Verletzung der Aufklärungspflicht zu Lasten des FA entscheiden, kann es dahingestellt bleiben, ob tatsächlich ein Ablehnungsgrund vorliegt. Denn das FA hat insoweit sein Ablehnungsrecht durch das Verhalten seines Sitzungsvertreters im Termin verloren. Nach § 43 ZPO kann eine Partei einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Grund für seine Ablehnung geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat. In der mündlichen Verhandlung vom 14. November 1991 hat nach dem Rechtsgespräch zwischen dem Gericht und den Beteiligten, bei dem auch die Frage der Sachverhaltsermittlung erörtert wurde und der Vorsitzende sich in der vom FA gerügten Weise äußerte, der Sitzungsvertreter des Beklagten zunächst einen Sachantrag (auf Klageabweisung) gestellt. Damit aber ist hinsichtlich der bisherigen Äußerungen die Ausschlußwirkung des § 43 ZPO eingetreten, die auf der unwiderleglichen Vermutung beruht, daß eine Partei dem Richter trotz eines ihr bekannten Ablehnungsgrundes das Vertrauen im Hinblick auf die angestrebte Sachentscheidung nicht entzieht (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 50. Aufl., § 43 Anm.2B).
2. Der Umstand, daß der Vorsitzende Richter im Anschluß an die Aufnahme der Sachanträge den Antrag des Beklagtenvertreters zurückwies, eine Aufklärungsrüge zu protokollieren, vermag das Ablehnungsgesuch des FA nicht zu begründen. Zwar widersprach, wie das FA zutreffend ausführt, das Verhalten des Vorsitzenden Richters der Vorschrift des § 160 Abs. 4 Satz 2 und 3 ZPO, wonach die Zurückweisung eines Protokollierungsantrags durch das Gericht (hier: den Senat) zu erfolgen hat. Verfahrensverstöße oder sonstige Rechtsfehler eines Richters sind jedoch grundsätzlich kein Ablehnungsgrund (vgl. Beschlüsse des BFH vom 24. August 1989 IV B 59/89, BFH/NV 1990, 308, und vom 26. Juli 1989 IV B 106-109/88 BFH/NV 1991, 165 m.w.N.). Sie können eine Besorgnis der Befangenheit ausnahmsweise nur dann rechtfertigen, wenn Gründe dargetan sind, die dafür sprechen, daß die Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber den ihn ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht (vgl. Zöller, Zivilprozeßordnung, 17. Aufl., § 42 Rz.28). Denn durch das Institut der Richterablehnung soll eine unparteiische Rechtspflege gesichert, nicht aber die Möglichkeit einer Überprüfung einzelner Verfahrensverhandlungen eröffnet werden (vgl. BFH-Beschluß vom 17. Juli 1974 VIII B 29/74, BFHE 112, 457, BStBl II 1974, 638).
Das Verhalten des Vorsitzenden Richters während der mündlichen Verhandlung läßt entgegen der Annahme des FA eine unsachliche Einstellung diesem gegenüber nicht erkennen. Auch die kontroverse Erörterung von Fragen der Sachverhaltsermittlung bietet hierfür keinen Anhaltspunkt. Dies gilt um so mehr, als der Vorsitzende Richter nach seiner dienstlichen Äußerung in der Sitzung erklärte, daß der Senat die Auffassung des Beklagtenvertreters zur Kenntnis genommen habe, der Sachverhalt sei - sofern nicht ohnehin nur eine Klageabweisung in Betracht komme - noch aufklärungsbedürftig. Daß der Vorsitzende Richter zuvor die Bemerkung des Beklagtenvertreters zurückgewiesen hatte, der Senat wolle, wie es bei ihm öfter vorkomme, den Sachverhalt gar nicht näher aufklären, läßt nicht auf eine unsachliche Haltung schließen. Eine Vermutung, bei einem Richter sei Befangenheit zu besorgen, sobald ihm von einem Prozeßbeteiligten in massiver Form pflichtwidriges Handeln vorgeworfen werde, besteht nicht.
Fundstellen
Haufe-Index 418901 |
BFH/NV 1993, 318 |