Entscheidungsstichwort (Thema)
Divergenz; Einspruchsrücknahme; Sachaufklärung, Amtsermittlung; hinreichende Urteilsgründe; rechtliches Gehör; fehlerhafte Rechtsanwendung
Leitsatz (NV)
1. Die gerügte Divergenz liegt nicht vor, wenn sich die angeführten BFH-Urteile zu anders gelagerten Sachverhalten verhalten und nicht ‐ wie erforderlich - dieselbe Rechtsfrage betreffen.
2. Ob das Schreiben eines Stpfl. als Rücknahme seines Einspruchs anzusehen ist, hat das FG als Tatsacheninstanz unter Beachtung der Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB und Berücksichtigung der Begleitumstände zu beurteilen.
3. Wird eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht in Gestalt des Unterlassens einer Amtsermittlung gerügt, sind zur Darlegung genaue Angaben und Ausführungen zu bestimmten Punkten erforderlich; dabei ist der ‐ auf einer anderen Tatsachenwürdigung basierende - maßgebende materiell-rechtliche Standpunkt des FG zu berücksichtigen. Die (vermeintliche) “Übernahme der behördlichen Auffassung” stellt keine Verletzung der Amtsermittlungspflicht dar.
4. Ein Verstoß gegen § 119 Nr. 6 FGO, § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO liegt nicht vor, wenn die Entscheidungsgründe des FG-Urteils hinreichend erkennen lassen, auf Grund welcher Erwägungen das FG zu dem von ihm gefundenen Ergebnis gelangt ist.
5. Zur Gewährung rechtlichen Gehörs obliegt es dem Gericht nicht, der von einem Beteiligten vertretenen Rechtsansicht zu folgen, insbesondere auch dann nicht, wenn die vom Kläger vertretene Rechtsansicht auf einer vom FG abweichenden Sachverhaltswürdigung beruht.
6. Werden letztlich ‐ aufgrund einer anderen Sachverhaltswürdigung und darauf basierenden Rechtsansicht - mit der Verletzung von Auslegungsgrundsätzen und der Nichtbeachtung des Rechtsschutzgedankens eine fehlerhafte Rechtsanwendung durch das FG, also materiell-rechtliche Fehler des Urteils, gerügt, kann damit die Zulassung der Revision nicht erreicht werden.
Normenkette
AO §§ 354, 357 Abs. 1-2, § 362; BGB §§ 133, 157; EigZulG § 11 Abs. 5; FGO § 76 Abs. 1, § 96 Abs. 2, § 105 Abs. 2 Nr. 5, § 115 Abs. 2 Nrn. 2-3, § 116 Abs. 3 S. 3, § 118 Abs. 2, § 119 Nr. 6; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
Hessisches FG (Urteil vom 18.08.2008; Aktenzeichen 7 K 620/05) |
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Es ist schon zweifelhaft, ob ihre Begründung den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entspricht; jedenfalls liegen die von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vor.
1. Eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. FGO) ist nicht erforderlich. Es bleibt offen, ob die Kläger die tragenden Erwägungen der angefochtenen Entscheidung und der (vermeintlichen) Divergenzentscheidungen (BFH-Urteile vom 2. August 1955 I 186/54 U, BFHE 61, 345, BStBl III 1955, 331; vom 20. Januar 1967 VI 371/65 (BFHE 88, 274, BStBl III 1967, 380; vom 10. Juli 1980 IV R 11/78, BFHE 131, 267, BStBl II 1981, 5; vom 3. April 1984 VII R 18/80, BFHE 141, 81, BStBl II 1984, 513) so herausgearbeitet und gegenübergestellt haben, dass eine Abweichung im Grundsätzlichen erkennbar wird.
Jedenfalls liegt die gerügte Divergenz nicht vor. Denn die vorstehenden BFH-Urteile verhalten sich zu anders gelagerten Sachverhalten und betreffen nicht --wie erforderlich-- dieselbe Rechtsfrage (zur Divergenz vgl. BFH-Beschlüsse vom 15. Dezember 2005 IX B 98/05, BFH/NV 2006, 768; vom 29. April 2008 IX B 15/08, BFH/NV 2008, 1350, unter 3., m.w.N.), sondern Fragen des Rechtsmittelverzichts: in der nach § 94 der Reichsabgabenordnung erteilten Zustimmung eines Steuerpflichtigen zur Änderung eines Steuerbescheids liegt kein stillschweigender Rechtsmittelverzicht (BFH-Urteile in BFHE 61, 345, BStBl III 1955, 331, und in BFHE 88, 274, BStBl III 1967, 380); die Erledigungserklärung (zur Hauptsache) kann nicht zugleich als (Rechtsmittel-)Verzicht auf die Anfechtung eines weiteren Änderungsbescheides angesehen werden (BFH-Urteil in BFHE 88, 274, BStBl III 1967, 380); der Rechtsmittelverzicht muss nach § 354 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) in einer gesonderten Erklärung ausgesprochen werden (BFH-Urteil in BFHE 141, 81, BStBl II 1984, 513). Im Streitfall geht es hingegen um die Rücknahme eines Einspruchs nach § 362 AO, der wegen der --hier maßgebenden-- inhaltlichen Anforderungen auf § 357 Abs. 1 und 2 AO verweist (und nicht auf § 354 AO). Entsprechend der insoweit einschlägigen BFH-Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteile vom 8. Juni 2000 IV R 37/99, BFHE 193, 85, BStBl II 2001, 162; vom 7. November 2001 XI R 14/00, BFH/NV 2002, 745) hat das Finanzgericht (FG) als Tatsacheninstanz das Schreiben der Kläger vom Dezember 1999 unter Beachtung der Auslegungsregeln der §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches und Berücksichtigung der Begleitumstände als (konkludente) Einspruchsrücknahme beurteilt. An eine solche Würdigung einer Willenserklärung wäre der BFH mangels Verstoßes gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze auch revisionsrechtlich gebunden (vgl. § 118 Abs. 2 FGO).
2. Die geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) liegen nicht vor. Insbesondere kann in der (vermeintlichen) Divergenz zu den BFH-Urteilen in BFHE 61, 345, BStBl III 1955, 331, und in BFHE 88, 274, BStBl III 1967, 380 kein solcher Verfahrensmangel gesehen werden.
a) Soweit die Kläger eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) als Verfahrensmangel in Gestalt des Unterlassens einer Amtsermittlung rügen, fehlt es bereits an genauen Angaben und Ausführungen zu bestimmten Punkten (vgl. zu den Darlegungsanforderungen z.B. BFH-Beschlüsse vom 21. März 2006 X B 94/05, BFH/NV 2006, 1142; vom 9. Januar 2007 VIII B 180/05, BFH/NV 2007, 751); zudem berücksichtigen sie bei ihren --auf einer anderen Tatsachenwürdigung basierenden-- Ausführungen nicht den maßgebenden materiell-rechtlichen Standpunkt des FG (vgl. BFH-Beschlüsse vom 25. Februar 2005 III B 13/04, BFH/NV 2005, 1065; vom 27. August 2008 IX B 207/07, BFH/NV 2008, 2022, unter 4. a). Auch die (vermeintliche) "Übernahme der behördlichen Auffassung" stellt keine Verletzung der Amtsermittlungspflicht dar.
b) Ein Verstoß gegen § 119 Nr. 6 FGO i.V.m. § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO (dazu BFH-Beschluss vom 27. März 2008 IX B 36/07, BFH/NV 2008, 1149, unter 4. a, m.w.N.) liegt nicht vor. Die vorliegenden Entscheidungsgründe (s. FG-Urteil S. 8 bis 11) lassen hinreichend erkennen, auf Grund welcher Erwägungen das FG zu dem von ihm gefundenen Ergebnis gelangt ist. Geht man zudem mit dem maßgebenden Standpunkt des FG von einer (zumindest konkludenten) Rücknahme des Einspruchs aus, bedurfte es keiner weiteren Ausführungen zur Änderungsbefugnis nach § 11 Abs. 5 des Eigenheimzulagengesetzes und dem BFH-Urteil vom 28. Juni 2002 IX R 37/01 (BFHE 199, 385, BStBl II 2003, 119).
c) Zur Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) obliegt es dem Gericht u.a., den Beteiligten, die im Streitfall auf mündliche Verhandlung verzichtet haben, Gelegenheit zur Äußerung zu geben und ihre Ausführungen sowie Anträge zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (z.B. BFH-Beschluss vom 6. September 2007 III S 27/07, BFH/NV 2007, 2327, m.w.N.). Indes ist es nicht geboten, alle im Einzelfall gegebenen Umstände im Urteil zu erörtern, zumal im Allgemeinen davon auszugehen ist, dass ein Gericht auch denjenigen Akteninhalt in Erwägung gezogen hat, mit dem es sich in den schriftlichen Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich auseinandergesetzt hat (z.B. BFH-Beschluss vom 15. September 2006 IX B 209/05, BFH/NV 2007, 80, unter 3. c, m.w.N.). Das Gericht ist naturgemäß nicht verpflichtet, der von einem Beteiligten vertretenen Rechtsansicht zu folgen. Dies gilt gerade auch dann, wenn die von den Klägern vertretene Rechtsansicht --wie vorliegend-- auf einer vom FG abweichenden Sachverhaltswürdigung beruht. Danach liegt im Streitfall eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht vor.
3. Letztlich rügen die Kläger --größtenteils nach Art einer Revisionsbegründung und aufgrund einer anderen Sachverhaltswürdigung und darauf basierenden Rechtsansicht-- mit der Verletzung von Auslegungsgrundsätzen und der --wegen der Annahme einer konkludenten, also stillschweigenden Einspruchsrücknahme gegebenen-- Nichtbeachtung des Rechtsschutzgedankens eine fehlerhafte Rechtsanwendung durch das FG, also materiell-rechtliche Fehler des Urteils; damit kann jedoch die Zulassung der Revision nicht erreicht werden (vgl. BFH-Beschluss vom 30. August 2007 IX B 104/07, BFH/NV 2007, 2144).
Fundstellen