Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit eines Antrags auf einstweilige Anordnung
Leitsatz (NV)
1. Vorläufiger Rechtsschutz gegen Steueränderungsbescheide wird regelmäßig durch Aussetzung der Vollziehung gewährt.
2. Auch ein Steuerbescheid ohne Leistungsgebot kann vollziehbar i. S. des § 69 FGO sein.
Normenkette
FGO § 114 Abs. 5, § 69 Abs. 3
Tatbestand
Streitig ist im Verfahren einer einstweiligen Anordnung, ob die Veräußerung sämtlicher Anteile an einer GmbH durch deren nicht wesentlich beteiligte Gesellschafter einen Gestaltungsmißbrauch darstellt, wenn der Erwerber der Anteile anschließend an den Erwerb der GmbH liquidiert, die Gewinne voll ausschüttet und eine ausschüttungsbedingte Teilwertabschreibung auf Null vornimmt.
Die Antragstellerin wurde zunächst für 1990 erklärungsgemäß unter dem Vorbehalt der Nachprüfung mit Bescheid vom 7. Mai 1991 veranlagt. Die festgesetzte Körperschaftsteuerschuld betrug . . . DM. Die Abrechnung wies nach Abzug von Kapitalertragsteuer und anrechenbarer Körperschaftsteuer und einer geleisteten Zahlung einen Erstattungsanspruch in Höhe von . . . DM aus. Zur Auszahlung dieses Erstattungsbetrages kam es jedoch nicht. Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) erließ vielmehr bereits am 17. Mai 1991 einen Körperschaftsteueränderungsbescheid, der weiterhin unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stand. Dieser wies ein zu versteuerndes Einkommen von . . . DM und eine festgesetzte Körperschaftsteuer von null DM aus. Mit Schreiben vom 17. Mai 1991 begründete das FA die Änderung des Körperschaftsteuerbescheides mit der Annahme einer Steuerumgehung. Wie im Körperschaftsteueränderungsbescheid angekündigt, erließ das FA am 19. Juni 1991 eine geänderte Abrechnung, in der nur noch die von der Klägerin geleistete Zahlung als Überzahlung ausgewiesen wurde.
Am 31. Mai 1991 legte die Antragstellerin Einspruch ein mit dem Antrag, den Körperschaftsteueränderungsbescheid aufzuheben.
Mit Schriftsatz vom 10. Juli 1991 beantragte die Antragstellerin beim Finanzgericht (FG), im Wege der einstweiligen Anordnung zu bestimmen, daß das FA den Körperschaftsteuerbescheid 1990 vom 17. Mai 1991 mit der Maßgabe aufhebt, daß durch die Aufhebung der Körperschaftsteuerbescheid 1990 vom 7. Mai 1991 mit einem Erstattungsanspruch von . . . DM Gültigkeit behalte.
Das FG lehnte den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung als unzulässig ab, weil gemäß § 114 Abs. 5 i. V. m. § 69 der Finanzgerichtsordnung (FGO) für das Begehren auf Auszahlung des im Erstbescheid ausgewiesenen Erstattungsbetrages eine Aussetzung der Vollziehung die statthafte vorläufige Rechtsschutzform sei.
Gegen die Ablehnung des Antrags auf einstweilige Anordnung legte die Antragstellerin Beschwerde ein.
Die Antragstellerin beantragt, im Wege der einstweiligen Anordnung ohne Anordnung einer Sicherheitsleistung zu bestimmen, daß das FA den Körperschaftsteuerbescheid und die Anrechnungsverfügung 1990 vom 17. Mai 1991 und 19. Juni 1991 mit der Maßgabe aufhebt, daß der Körperschaftsteuerbescheid 1990 und die Anrechnungsverfügung vom 7. Mai 1991 mit einem Erstattungsanspruch von . . . DM Gültigkeit behielten. Darüber hinaus präzisiert sie den Antrag dahingehend, daß im Wege der einstweiligen Anordnung dieser Gültigkeit folgender Inhalt gegeben werde:
- Der Erstattungsanspruch könne in Höhe von . . . DM ausschließlich als Zahlungsmittel oder Sicherungsmittel für Steuerschulden - auch bei anderen FÄ - verwendet werden.
- Der verbleibende Erstattungsanspruch könne ausschließlich als Sicherungsmittel für Steuerschulden - auch bei anderen FÄ - verwendet werden.
Den von der Antragstellerin zugleich an das FG gestellten Antrag, über § 69 Abs. 3 Satz 5 FGO die Beschwerde gegen die Versagung der Aussetzung der Vollziehung zuzulassen, lehnte das FG ab. Eine Zulassung der Beschwerde sei über eine Beschlußänderung gemäß § 69 Abs. 3 Satz 5 FGO nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nicht zulässig. Im übrigen habe die Antragstellerin keine veränderten oder im ursprünglichen Verfahren nicht geltend gemachten Umstände dargetan.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet. Das FG hat zu Recht die Unzulässigkeit des Antrags auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung bejaht.
Begehrt ein Steuerpflichtiger die Beseitigung eines Änderungsbescheides, um die Rechtswirkung des geänderten Bescheides wieder herzustellen, ist vorläufiger Rechtsschutz grundsätzlich durch Aussetzung der Vollziehung des Änderungsbescheides, nicht durch einstweilige Anordnung zu erlangen.
Soweit vorläufiger Rechtsschutz im Wege der Aussetzung der Vollziehung nach § 69 FGO verfahrensrechtlich möglich ist, fehlt für eine einstweilige Anordnung das Rechtsschutzinteresse. Dies ergibt sich aus § 114 Abs. 5 FGO, wonach die Absätze 1 bis 4 dieser Norm nicht für die Fälle des § 69 FGO gelten (vgl. z. B. BFH-Beschluß vom 11. Januar 1984 II B 35/83, BFHE 139, 509, BStBl II 1984, 210; Tipke / Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 114 FGO Tz. 3). Im Streitfall kommt verfahrensrechtlich sowohl für den Körperschaftsteueränderungsbescheid wie für die geänderte Anrechnungsverfügung eine Aussetzung der Vollziehung in Betracht.
1. Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Sätze 1 und 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen. Der Antrag kann schon vor Erhebung der Anfechtungsklage gestellt werden (§ 69 Abs. 3 Satz 2 FGO). Wie insbesondere den in § 69 FGO verwendeten Begriffen ,,angefochtenen Verwaltungsakt", ,,Anfechtungsklage" zu entnehmen ist, wird für den Fall, daß es sich in der Hauptsache um eine Anfechtungsklage handelt, vorläufiger Rechtsschutz grundsätzlich nur durch Aussetzung der Vollziehung gewährt (vgl. auch Gräber / Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 69 Rdnr. 21; Tipke / Kruse, a. a. O., § 114 FGO Tz. 2 m. w. N.). Vorläufiger Rechtsschutz durch eine einstweilige Anordnung kommt hingegen in Betracht, wenn das Klageziel im Hauptsacheverfahren mit einer Verpflichtungs-, Leistungs- oder Feststellungsklage verfolgt wird oder verfolgt werden kann (vgl. Gräber / Koch, a. a. O., § 114 Rdnr. 18 m. w. N.; Tipke / Kruse, a. a. O., § 114 FGO Tz. 2). Die Art des vorläufigen Rechtsschutzes korrespondiert mit der Klageart in der Hauptsache (vgl. z. B. BFH-Beschluß vom 19. April 1988 VII B 167/87, BFH/NV 1989, 36 m. w. N.).
Das Ziel der Antragstellerin im Hauptsacheverfahren ist durch ein Anfechtungsbegehren zu erreichen. Dementsprechend begehrt sie, wie bereits ihrem Antrag im Einspruch und im Verfahren über den vorläufigen Rechtsschutz zu entnehmen ist, die Aufhebung von Änderungsbescheiden im Rahmen des anhängigen Einspruchsverfahrens. Nach der Legaldefinition des § 40 Abs. 1, 1. Alternative FGO ist damit das von der Antragstellerin erstrebte Ziel nur durch eine Anfechtungsklage zu erreichen. Zwar könnte die Antragstellerin in der Hauptsache beantragen, das FA zum Erlaß eines dem Erstbescheid entsprechenden Änderungsbescheides zu verpflichten. Eine derartige Verpflichtungsklage wäre allerdings unzulässig, da es an der für die Verpflichtungsklage vorgeschriebenen Beschwer fehlen würde. Gemäß § 40 Abs. 2 FGO müßte nämlich die Antragstellerin geltend machen können, durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsaktes in ihren Rechten verletzt zu sein (vgl. auch § 100 FGO). Im Streitfall liegt aber die behauptete Rechtsverletzung der Antragstellerin gerade im Erlaß von (Änderungs-)Verwaltungsakten.
Es kann dahingestellt bleiben, welche Art vorläufigen Rechtsschutzes der Antragstellerin zu gewähren wäre, wenn Gegenstand der Hauptsache der Erstbescheid mit dem Inhalt des Änderungsbescheides wäre. Bei Aufhebung oder Änderung von Bescheiden sind selbst dann die Rechtswirkungen der Änderungsbescheide durch Aussetzung der Vollziehung vorläufig zu suspendieren, wenn gegen einen Erstbescheid desselben Inhalts vorläufiger Rechtsschutz nur durch einstweilige Anordnung gewährt werden könnte. Dementsprechend hat der BFH schon vor seiner Rechtsprechungsänderung zum vorläufigen Rechtsschutz bei negativen Gewinnfeststellungsbescheiden (vgl. Beschluß vom 10. Juli 1979 VIII B 84/78, BFHE 128, 164, BStBl II 1979, 567; Beschluß des Großen Senats vom 14. April 1987 GrS 2/85, BFHE 149, 493, BStBl II 1987, 637) bei Änderung oder Aufhebung eines Gewinnfeststellungsbescheides zuungunsten eines Steuerpflichtigen die Aussetzung der Vollziehung des Änderungsbescheides gemäß § 69 FGO als das zulässige vorläufige Rechtsschutzverfahren angesehen (vgl. BFH-Beschluß vom 28. November 1973 IV B 33/73, BFHE 110, 506, BStBl II 1974, 220; bestätigt durch Beschluß vom 10. November 1977 IV B 33-34/76, BFHE 123, 412, BStBl II 1978, 15; BFH-Beschluß vom 14. April 1976 IV B 82/75, BFHE 119, 9, BStBl II 1976, 598; vgl. auch BFH-Beschluß vom 10. November 1987 VII B 137/87, BFHE 151, 128, BStBl II 1988, 43).
Diese Auslegung des § 69 FGO entspricht grundsätzlich auch dem Interesse des vorläufigen Rechtsschutz Begehrenden, da die Voraussetzungen einer einstweiligen Anordnung insbesondere wegen der Notwendigkeit der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes strenger als die einer Aussetzung der Vollziehung sind.
Die Unzulässigkeit des Antrags auf einstweilige Anordnung im Streitfall ergibt sich auch noch daraus, daß das Begehren der Antragstellerin bereits in diesem vorläufigen Verfahren auf Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsakte gerichtet ist. Diese Aufhebung würde jedoch der Entscheidung in der Hauptsache vorgreifen. Im Verfahren über den vorläufigen Rechtsschutz darf das Ergebnis der Hauptsache jedoch grundsätzlich nicht vorweggenommen werden (vgl. z. B. BFH-Beschluß vom 20. September 1988 VII B 129/88, BFHE 154, 31, BStBl II 1988, 956 m. w. N.; Gräber / Koch, a. a. O., § 114 Rdnr. 16). Die ,,präzisierten" Anträge der Antragstellerin enthalten zwar eine Einschränkung über die Verwendung der angeblichen Erstattungsansprüche. Aber auch sie setzen zunächst die Aufhebung der Änderungsbescheide und damit die Vorwegnahme der Hauptsache voraus.
Dem Verfahren nach § 69 FGO steht auch nicht entgegen - wie die Antragstellerin meint -, daß der Körperschaftsteueränderungsbescheid kein Leistungsgebot enthält. Er ist gleichwohl vollziehbar i. S. des § 69 FGO. Vollziehung ist nicht nur die Erhebung oder Beitreibung einer festgesetzten Steuer. Jegliche Verwirklichung des Regelungsgehaltes eines Verwaltungsaktes ist Vollziehung (vgl. Tipke / Kruse, a. a. O., § 69 FGO Rdnr. 4; Gräber / Koch, a. a. O., § 69 Rdnr. 179). Die Rechtswirkung eines Steueränderungsbescheides erschöpft sich nicht nur in der Festsetzung einer höheren oder niedrigeren Steuer, sondern bewirkt zugleich den Verlust der Rechtswirkungen des Erstbescheides (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 29. Januar 1970 IV 162/65, BFHE 99, 157, BStBl II 1970, 623). Letzteres wird aufgrund der Besonderheiten des Streitfalles relevant.
Kann danach durch Aussetzung der Vollziehung des Körperschaftsteueränderungsbescheides dem vorläufigen Rechtsschutzbegehren Rechnung getragen werden, ist ein Antrag auf einstweilige Anordnung unzulässig.
2. Für die geänderte Anrechnungsverfügung gilt das für die geänderte Steuerfestsetzung Gesagte entsprechend.
Die Anrechnungsverfügung ist ein Verwaltungsakt, dessen Rechtswirkungen im Ausweis eines Leistungsgebots oder eines Erstattungsanspruchs liegen (vgl. BFH-Urteile vom 16. Oktober 1986 VII R 159/83, BFHE 148, 4, BStBl II 1987, 405; vom 14. November 1984 I R 232/80, BFHE 142, 408, BStBl II 1985, 216). Insoweit ist sie vollziehbar i. S. des § 69 FGO wie ein nach § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) ergangener Abrechnungsbescheid (vgl. hierzu BFH in BFHE 151, 128, BStBl II 1988, 43). Die Rechtswirkungen der die Antragstellerin belastenden geänderten Anrechnungsverfügung lassen sich damit verfahrensrechtlich durch eine Aussetzung der Vollziehung vorläufig suspendieren. Daß gegen eine solche geänderte Anrechnungsverfügung im Gegensatz zur Steuerfestsetzung nicht der Einspruch, sondern die Beschwerde als außergerichtlicher Rechtsbehelf gegeben ist (vgl. BFH in BFHE 142, 408, BStBl II 1985, 216), hat auf die Möglichkeit einer Aussetzung der Vollziehung keinen Einfluß.
Fundstellen
Haufe-Index 418412 |
BFH/NV 1992, 683 |