Entscheidungsstichwort (Thema)
Abschließende Regelung der Wiederaufnahmegründe in §§ 579, 580 ZPO
Leitsatz (NV)
Die Wiederaufnahme eines finanzgerichtlichen Verfahrens kann nur aus den Gründen der §§ 579, 580 ZPO stattfinden, auf die die FGO verweist. § 550 ZPO ist im Finanzprozeß nicht anwendbar.
Normenkette
FGO §§ 134, 142; ZPO §§ 550, 579-580
Tatbestand
Der Antragsteller beabsichtigt, eine Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des Finanzgerichts (FG) zu erheben, mit dem die Klage auf Wiederaufnahme mehrerer Verfahren abgelehnt worden ist.
Zu diesem Zweck begehrt der Antragsteller die Gewährung von Prozeßkostenhilfe (PKH). Er trägt vor, das FG habe die Nichtbeachtung der §§ 76, 102 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in den wiederauf zunehmenden Verfahren nicht als Wiederaufnahmegrund i. S. der §§ 579, 580 der Zivilprozeßordnung (ZPO) betrachtet. Zu Unrecht habe es aber auch die Anwendung des § 550 ZPO abgelehnt und sich geweigert, die Frage nach der Anwendbarkeit dieser Vorschrift dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. In Fällen eindeutiger Rechtsverletzung müsse § 550 ZPO jedoch zur Wiederaufnahme führen, denn es könne nicht rechtens sein, wenn die Verletzung von Formfehlern zur Wiederaufnahme führe, nicht aber die sehr viel schwerer wiegende Verletzung materiellen Rechts.
Der Antragsteller hat eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt und beantragt, ihm PKH zu gewähren.
Der Antragsgegner (das Finanzamt) beantragt, das PKH-Gesuch abzulehnen, denn die beabsichtigte Nichtigkeitsklage habe keine Aussicht auf Erfolg.
Entscheidungsgründe
Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist nicht begründet und deshalb abzulehnen.
Nach § 142 FGO i. V. m. § 114 Satz 1 ZPO erhält ein Prozeßbeteiligter bei Vorliegen bestimmter persönlicher Voraussetzungen PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussichten liegen dann vor, wenn bei summarischer Prüfung eine gewisse Wahrscheinlichkeit für den Eintritt des Erfolges spricht (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl. 1993, § 142 Rz. 7, m. w. N.). Eine derartige Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg der beabsichtigten Nichtzulassungsbeschwerde besteht nicht.
1. Nach § 115 Abs. 3 Satz 1 FGO kann die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde angefochten werden, mit der geltend zu machen ist, daß die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO vorliegen, nämlich grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Abweichung von einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) oder ein Verfahrensmangel. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist dabei nur zulässig, wenn in der Beschwerdeschrift die grundsätzliche Bedeutung dargelegt, die Entscheidung des BFH, von der das FG-Urteil abweicht oder der Verfahrensmangel bezeichnet wird (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO).
Wird PKH für die beabsichtigte Erhebung einer Nichtzulassungsbeschwerde begehrt, so ist streitig, ob aus dem Entlastungszweck der Begründungspflicht für die Nichtzulassungsbeschwerde folgt, daß auch das von einem vor dem BFH nicht postulationsfähigen Antragsteller angebrachte PKH-Gesuch ein Mindestmaß an einschlägiger rechtlicher Begründung enthalten muß, insbesondere ob dargetan werden muß, welcher Zulassungsgrund mit der Beschwerde geltend gemacht wird (vgl. BFH-Beschlüsse vom 13. Oktober 1989 V S 3/89, BFH/NV 1990, 450; vom 8. August 1990 X S 18/90, BFH/NV 1991, 185; vom 23. Januar 1991 II S 17/90, BFH/NV 1991, 338; vom 7. Juli 1994 VIII S 1/94, BFH/NV 1995, 92; Gräber/Ruban, a.a.O., § 142 Rz. 14). Im Streitfall kann der Senat diese Frage allerdings unentschieden lassen, denn der Antragsteller hat laienhaft dargestellt, welches Begehren mit der beabsichtigten Nichtzulassungsbeschwerde verfolgt werden soll. Aus seinem Vorbringen ergibt sich, daß er weder eine Divergenz noch einen Verfahrensmangel rügen will, sondern eine Entscheidung des BFH zu der Frage herbeiführen möchte, ob § 550 ZPO in Fällen einer eindeutigen Verletzung materiellen Rechts als Grund für eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 134 FGO angesehen werden kann. Dieser Frage mißt der Antragsteller grundsätzliche Bedeutung zu.
2. Der Senat kann sich der Auffassung des Antragstellers indessen nicht anschließen. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, deren Klärung das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und der Handhabung des Rechts berührt. Die Rechtsfrage muß klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar sein (ständige Rechtsprechung, vgl. die Nachweise bei Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 7 ff.). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage dann nicht, wenn sie sich ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten läßt bzw. wenn sie offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das FG getan hat (BFH-Beschluß vom 18. Januar 1991 VI B 140/89, BFHE 163, 204, BStBl II 1991, 309, 310, m. w. N.).
a) Vorliegend ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz, daß § 550 ZPO keinen Wiederaufnahmegrund darstellt. Nach § 134 FGO kann ein rechtskräftig beendetes Verfahren nach den Vorschriften des Vierten Buchs der ZPO wieder aufgenommen werden. Das Vierte Buch der ZPO trägt die Überschrift "Wiederaufnahme des Verfahrens" und beginnt mit § 578 ZPO. § 550 ZPO gehört danach bereits formal unzweifelhaft nicht zu den Vorschriften, auf die § 134 FGO verweist. Darüber hinaus ergibt sich die Unanwendbarkeit im Finanzprozeß auch aus dem Inhalt des § 550 ZPO. Die Vorschrift regelt, wann eine Gesetzesverletzung vorliegt, die ihrerseits einen Revisionsgrund im Zivilprozeß darstellt (§ 549 ZPO). Für den Finanzprozeß enthält die FGO eigenständige Regelungen zu den Revisionsgründen, so daß eine entsprechende Anwendung des Zivilprozeßrechts insoweit ausscheidet (§ 155 FGO).
b) Soweit der Antragsteller geltend macht, die Wiederaufnahme müsse erst recht bei materiellen Rechtsfehlern möglich sein, wenn sie schon für Formfehler zugelassen sei, verkennt er die Funktion des Wiederaufnahmeverfahrens. Das Verfahren gestattet nur ausnahmsweise die Durchbrechung der Rechtskraftwirkung einer mit ordent lichen Rechtsbehelfen nicht mehr anfechtbaren Entscheidung, weil das Gesetz in bestimmten gravierenden Mängeln des Verfahrens oder bei unvollständiger oder unrichtiger Urteilsgrundlage von einer nicht hinzunehmenden Unbilligkeit ausgeht. Deshalb sind die in §§ 579, 580 ZPO gesetzlich geregelten Wiederaufnahmegründe entweder überhaupt nicht analogiefähig (so die herrschende Meinung, vgl. z. B. Baumbach/Lauterbach/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 55. Aufl. 1996, Grundz. § 578 Rdnr. 3 f., m. w. N.; Gräber/von Groll, a.a.O., § 134 Rz. 5) oder nur in sehr engen Grenzen erweiterbar (vgl. z. B. Braun in Münchener Kommentar zur Zivilprozeßordnung -- MünchKomm --, Vor § 578 Rdnr. 7 und § 580 Rdnr. 54 ff.; Tipke/Kruse, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl. 1996, § 134 FGO Tz. 2). Für den Streitfall würde selbst nach der am weitesten gehenden Meinung keine Durchbrechung der Rechtskraft im Hinblick auf materielle Rechtsfehler in Betracht kommen, denn sie wird nur für möglich gehalten bei Entscheidungen, die in irgendeiner Weise inhaltlich oder zeitlich geringere Rechtskraft entfalten als "normale" Endentscheidungen des Gerichts (vgl. etwa Braun in MünchKomm, a.a.O.: "Vorausentscheidungen"). Vorliegend trägt aber weder der Antragsteller vor noch ist sonst zu erkennen, daß die wiederaufzunehmenden Verfahren mit Entscheidungen abgeschlossen worden wären, die in dem erwähnten Sinne geringere Rechtskraft entfalteten.
Fundstellen
Haufe-Index 421988 |
BFH/NV 1997, 303 |