Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsätzliche Bedeutung bei auslaufendem Recht
Leitsatz (NV)
- Eine Rechtsfrage hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie für die Zukunft richtungsweisend sein kann. Dies ist für auslaufendes Recht nur dann der Fall, wenn die streitige Rechtsfrage noch für eine Vielzahl von Fällen entscheidungserheblich ist.
- Rügt der Beschwerdeführer, das FG habe einen Sachvortrag nicht zur Kenntnis genommen und dadurch sein Recht auf Gehör verletzt, so setzt die schlüssige Begründung einer derartigen Verfahrensrüge voraus, dass der Beschwerdeführer aufzeigt, weshalb sein nicht berücksichtigtes Vorbringen geeignet war, auf der Grundlage der vom FG vertretenen materiellen Rechtsauffassung eine andere Entscheidung herbeizuführen.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 3 S. 3, § 96 Abs. 2; GG Art. 103
Tatbestand
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) beantragte unter dem 23. Juli 1996 für das Wirtschaftsjahr 1995/96 u.a. die Gewährung einer Investitionszulage für 337 Färsen aus eigener Produktion. Mit Bescheid vom 22. November 1996 gewährte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) eine Investitionszulage für 220 Tiere. Für 117 der von der Klägerin hergestellten Tiere, die vor dem 1. Januar 1993 und nach dem 30. Juli 1992 geboren worden waren und nach dem 31. Dezember 1994 abgekalbt hatten, versagte das FA die Investitionszulage. Mit ihrer nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage machte die Klägerin im Wesentlichen verfassungsrechtliche Bedenken gegen den in § 3 Satz 1 Nr. 2 des Investitionszulagengesetzes 1993 (InvZulG 1993) festgelegten Fertigstellungszeitraum geltend.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) war ebenfalls der Auffassung, der Klägerin stehe nach dem Gesetzeswortlaut für die Herstellung der 117 Kühe keine Investitionszulage zu, da deren Herstellungszeitraum mehr als zwei Jahre umfasse. Bei diesen Tieren habe der Herstellungsbeginn vor dem 1. Januar 1993 gelegen, die Fertigstellung sei nach dem 31. Dezember 1994 erfolgt.
Eine verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässige Gesetzesergänzung durch die Rechtsprechung scheide im Streitfall aus, da eine Gesetzeslücke in Form einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes nicht gegeben sei. Der Gesetzgeber habe auch in früheren Investitionszulagengesetzen mögliche Härten für manche Wirtschaftszweige gesehen und in Kauf genommen. So seien auch nach § 4b Abs. 2 Satz 1 InvZulG 1982 nur solche Investitionen begünstigt gewesen, die innerhalb von zwei Jahren (bewegliche Wirtschaftsgüter) oder höchstens drei Jahren (Gebäude) angeschafft oder hergestellt worden seien.
Die im Streitfall maßgebliche Regelung verstoße auch nicht gegen das Gleichheitsgebot des Art. 3 des Grundgesetzes (GG). Bei der Gewährung von Subventionen habe der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum. Maßgeblich sei dabei allein, dass die Regelung nicht willkürlich getroffen werde. Mit der Vorgabe kurzer Investitionszeiträume habe der Gesetzgeber offensichtlich kurzfristige Investitionsanreize schaffen wollen. Hiervon seien nicht nur der Klägerin vergleichbare Unternehmen betroffen, sondern alle Unternehmen, deren Wirtschaftsgüter langen Entwicklungs- und Herstellungszeiten unterlägen (z.B. umfangreiche und technisch komplizierte Betriebsvorrichtungen). Gerade im Zulagenrecht habe der Gesetzgeber oftmals bewusst einfache Regelungen getroffen und damit Ungereimtheiten oder sogar Härten in Kauf genommen.
Die Revision ließ das FG nicht zu. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde, die sie auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und auf Verfahrensfehler stützt. Die Klägerin möchte in einem Revisionsverfahren die verfassungsrechtliche Frage der Anwendung von § 3 Satz 1 Nr. 2 InvZulG 1993 für ein landwirtschaftliches Unternehmen geklärt wissen, bei dem der in dieser Vorschrift genannte Investitionszeitraum mit den biologischen Besonderheiten der Aufzucht von Milchkühen nicht voll kompatibel sei. Es sei zum einen zu prüfen, ob § 3 Satz 1 Nr. 2 InvZulG 1993 in sachlich nicht zu rechtfertigender, also willkürlicher Art und Weise bestimmte Investitionstatbestände landwirtschaftlicher Unternehmen, die die Aufzucht von Milchkühen betrieben, von der Investitionszulage ausschließe. Außerdem stelle sich die Frage, ob der Gleichheitssatz verletzt sei, weil kapitalkräftige landwirtschaftliche Unternehmen durch die Anschaffung von Kälbern und Jungrindern, die alsdann belegt würden, ohne Mühe in den Genuss der Investitionszulage kämen, weil für sie die Einhaltung der in § 3 Satz 1 Nr. 2 InvZulG 1993 genannten Frist kein Problem darstelle, während weniger kapitalkräftige Unternehmen oder solche, die die Leistungskriterien für die Milchkuhaufzucht innerhalb ihres Bestandes erfüllt sähen, aus biologischen Gründen von der Investitionszulage ausgeschlossen seien. Ein weiterer Aspekt ergebe sich aus der gesetzlichen Festlegung weiterer Investitionszeiträume in § 3 Satz 1 Nr. 3 a InvZulG 1993 bzw. § 3 Satz 1 Nr. 3 InvZulG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 1996 (JStG 1996) vom 11. Oktober 1995 (BGBl I 1995, 1250, 1390, BStBl I 1995, 438, 578).
Das FG habe schließlich ihren, der Klägerin, Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, indem es sich nicht mit dem Inhalt des der Klagebegründung beigefügten und in Bezug genommenen Schriftsatzes von Prof. Dr. X vom 4. November 1997 auseinandergesetzt habe. In der Entscheidung werde ausschließlich auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 9. August 1989 X R 30/86 (BFHE 158, 45, BStBl II 1989, 891) Bezug genommen. Die Begründung des BFH sei hierbei global und undifferenziert und im Hinblick auf das im Streitfall anzuwendende Investitionszulagenrecht und die vorgetragene Problematik nicht unbedingt einschlägig. Die mit dem genannten Schriftsatz vorgetragenen Bedenken seien nicht erwähnt worden, so dass angenommen werden müsse, dass das Gericht diese Ausführungen nicht zur Kenntnis genommen habe, bei Kenntnis aber eine zu ihren Gunsten ausfallende Entscheidung möglich gewesen wäre.
Die Klägerin beantragt, die Revision zuzulassen. Das FA ist dem entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unzulässig. Sie legt die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen dar (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 3, Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung ―FGO a.F.―).
1. Die Beschwerde trägt keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache vor.
Die nach § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO a.F. notwendige Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss erwarten lassen, dass eine Entscheidung im angestrebten Revisionsverfahren geeignet ist, im Hinblick auf weitere Streitfälle Rechtsklarheit zu schaffen, zur Wahrung der Rechtseinheit beizutragen oder die Rechtsfortbildung zu fördern. Es muss also über den vorgelegten konkreten Fall hinaus ein Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt sein (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 25. November 1999 I B 8/99, BFH/NV 2000, 752, und vom 19. Oktober 1993 VII B 154/93, BFH/NV 1994, 835).
Die Rechtsfrage, deren grundsätzliche Bedeutung die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde geltend macht, betrifft die Anwendung und Auslegung des § 3 Satz 1 Nr. 2 InvZulG 1993. Diese Vorschrift wurde jedoch durch Art. 18 JStG 1996 geändert. § 3 Satz 1 Nr. 2 InvZulG 1993 ist deshalb heute ausgelaufenes Recht. Durch die Verlängerung des Investitionszeitraums stellt sich, worauf auch die Klägerin zutreffend hinweist, das angesprochene Problem, die mögliche Benachteiligung von landwirtschaftlichen Unternehmen, die die eigene, langwierige Aufzucht von Milchkühen betreiben, gegenüber finanzstarken landwirtschaftlichen Betrieben, die Kälber und Jungtiere anschaffen und zu Milchkühen heranziehen, nicht mehr.
Nach ständiger Rechtsprechung kommt Rechtsfragen, die ausgelaufenes oder auslaufendes Recht betreffen, regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO a.F. mehr zu (vgl. BFH-Beschlüsse vom 24. März 1998 I B 105/97, BFH/NV 1998, 1255; vom 30. Januar 1989 V B 123/86, BFH/NV 1989, 706; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 115 Anm. 12, m.w.N.).
Die Beschwerde legt keine Gründe dar, die ausnahmsweise ein Abweichen von dieser Regel rechtfertigen. Dafür genügt nicht, dass möglicherweise noch Fälle abzuwickeln sind, in denen § 3 Satz 1 Nr. 2 InvZulG 1993 anzuwenden ist. Erforderlich wäre vielmehr, dass sich die als klärungsbedürftig aufgeworfene Frage der Auslegung des § 3 Satz 1 Nr. 2 InvZulG 1993 noch für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft weiterhin stellen kann, wie dies bei Fragen aus fortgeltendem Recht regelmäßig der Fall ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 22. April 1999 V B 163/98, BFH/NV 1999, 1451, und vom 22. November 1999 III B 58/99, BFH/NV 2000, 748). Die Beschwerde hat eine solche Bedeutung für eine Vielzahl von Fällen nicht einmal behauptet.
Die Darlegung einer über das individuelle Interesse des Beschwerdeführers hinausgehenden Bedeutung der zu klärenden Rechtsfrage ist bei ausgelaufenem Recht auch nicht offenkundig mit der Folge, dass ein konkreter Vortrag verzichtbar wäre (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1994, 835, und vom 29. Juni 1998 I B 87/97, BFH/NV 1999, 36).
2. Der von der Klägerin gerügte Umstand, das FG habe den mit der Klageschrift eingereichten Schriftsatz von Prof. Dr. X vom 4. November 1997 nicht zur Kenntnis genommen und sich in keiner Weise mit den Ausführungen zu den Besonderheiten der Aufzucht von Milchkühen sowie den verfassungsrechtlichen Fragen auseinander gesetzt, stellt keinen Verfahrensmangel dar. Dem Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2 FGO, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) entspricht zwar eine Verpflichtung des Gerichts, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen. Das Gericht ist jedoch nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in der Begründung ausdrücklich zu befassen; grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen hat (BFH-Beschluss vom 20. Dezember 1994 V B 3/94, BFH/NV 1995, 946; Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Dezember 1995 1 BvR 1463/89, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1996, 153). Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt deshalb nur vor, wenn sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalles deutlich ergibt, dass das Gericht Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (BFH-Beschlüsse vom 26. April 1995 I B 166/94, BFHE 177, 451, BStBl II 1995, 532; vom 22. Dezember 1997 X B 23/96, BFH/NV 1998, 726). Das ist hier nicht der Fall. Das FG ist zudem auf die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Regelung in § 3 Satz 1 Nr. 2 InvZulG 1993 eingegangen. Die Tatsache, dass das FG die Auffassung der Klägerin hierzu nicht teilt, bedeutet nicht, dass das FG ihren Sachvortrag nicht zur Kenntnis genommen hat.
Fundstellen
Haufe-Index 585679 |
BFH/NV 2001, 923 |