Entscheidungsstichwort (Thema)
Dienstliche Äußerung bei Richterablehnung
Leitsatz (NV)
Ein abgelehnter Richter hat sich über den Ablehnungsgrund dienstlich zu äußern. Das bedeutet, daß er zu den für das Ablehnungsgesuch entscheidungserheblichen Tatsachen Stellung nimmt, soweit ihm das notwendig und zweckmäßig erscheint (Anschluß an BFH-Beschluß vom 7. Mai 1986 I B 70/85, BFH/NV 1987, 653). Inhalt und Umfang der dienstlichen Äußerung richten sich nach dem jeweils geltend gemachten Ablehnungsgrund. Eine Darstellung des Sachverhalts aus der Sicht des Berichterstatters ist, sofern sich dieser bereits aus einem Urteil ergibt, entbehrlich. Eine Äußerung zu den einzelnen Beanstandungen der Sachverhaltswürdigung würde auf eine Rechtfertigung der Entscheidung hinauslaufen. Die Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines Urteils ist dem Rechtsmittelverfahren vorbehalten.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1 S. 1, § 128; ZPO §§ 42, 44 Abs. 3
Tatbestand
Im Klageverfahren vor dem Finanzgericht (FG), das die Klägerin, Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) und ihr mit ihr zusammenveranlagter Ehemann wegen Einkommensteuer 1974 und 1975 führten, lehnte die Klägerin den Berichterstatter wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Sie machte geltend, in einem vorangegangenen Rechtsstreit betreffend den Einheitswert einer ihr gehörenden Wohnung habe der Berichterstatter als Einzelrichter, anstatt eine ordnungsgemäße Sachverhaltsfeststellung durchzuführen, mit einem bloßen, aus seiner persönlichen Fantasie entsprungenen Sachverhalt, der mit der Wirklichkeit nichts gemein habe, gearbeitet. In dem Urteil werde das Gebiet der X- Straße als "reines" Wohngebiet bezeichnet. Dies sei unwahr; denn gemäß dem Bebauungsplan der Stadt A handle es sich um ein "allg. Wohngebiet". Eine von ihr im Rechtsstreit vorgelegte Wohnlagenkarte, aus welcher sich ergebe, daß die Stadt A zwischen der Y-Straße, in der sie früher in einem eigenen Haus gewohnt habe, und der Z-Straße einen Unterschied von einer Stufe annehme, sei nicht in den Tatbestand des Urteils eingegangen. Außerdem werde in dem Urteil bemerkt, ihre Eigentumswohnung habe ein "sehr gutes Bad". Diese Unterstellung finde in den Akten keine Stütze. Sie sei auch in der mündlichen Verhandlung nicht angesprochen worden. In Wirklichkeit besitze ihre Wohnung lediglich einen kleinen kombinierten Raum, Bad mit WC ohne separate Dusche. Es sei also maximal die Klassifizierung "deutliche Tendenz zu mittlerer Badausstattung" angebracht. Schließlich verfüge die Wohnung auch nicht über eine zentrale Warmwasserversorgung. Wegen einer Fehlkonstruktion in der Hausplanung müsse sie das erforderliche Warmwasser mittels eines unter der Küchenspüle montierten Durchlauferhitzers selbst herstellen. Schließlich habe der Berichterstatter nicht einmal der Nichtzulassungsbeschwerde abgeholfen, um seine Fehler zu korrigieren. Das durch diese Beispiele belegte Fehlverhalten könne nur mit einer unbegreiflichen Voreingenommenheit ihr gegenüber erklärt werden. Sie könne nicht das Vertrauen haben, daß der abgelehnte Richter in dem jetzigen Verfahren zu einer anderen Verhaltensweise bereit sein werde.
Der Berichterstatter hat sich zu dem Ablehnungsgesuch dienstlich geäußert: "Nach meiner Auffassung sind die von der Klägerin vorgetragenen Gründe nicht geeignet, mich wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Nach ständiger Rechtsprechung stellt das Institut der Richterablehnung (§51 Abs. 1 FGO i. V. m. §42 Abs. 2 ZPO) kein taugliches Mittel dar, sich gegen unrichtige bzw. für unrichtig gehaltene Rechtsauffassungen eines Richters zu wehren, gleichgültig, ob diese Ansichten formelles oder materielles Recht betreffen. Für ein unsachliches Verhalten meinerseits im Verfahren ... liegen keine Anhaltspunkte vor."
Das FG hat den Antrag auf Ablehnung des Berichterstatters abgewiesen. Es führt im wesentlichen aus, die von der Klägerin vorgetragenen Ablehnungsgründe beinhalteten die Behauptung von Verstößen gegen formelles und materielles Recht durch den Berichterstatter in einem vorangegangenen Rechtsstreit. Vermeintliche Rechtsverstöße, die in einem vorangegangenen Rechtsstreit unterlaufen sein sollen, rechtfertigen keine Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit. Anhaltspunkte für eine unsachliche Einstellung oder ein willkürliches Verhalten des Berichterstatters im laufenden Klageverfahren gegenüber der Klägerin seien nicht ersichtlich. Da das Ablehnungsgesuch schon aus diesem Grund abzuweisen gewesen sei, könne dahingestellt bleiben, ob die von der Klägerin geltend gemachten Verstöße gegen formelles oder materielles Recht in dem vorangegangenen Rechtsstreit überhaupt gegeben gewesen seien.
Mit ihrer Beschwerde macht die Klägerin geltend, das FG habe nicht begründet, weshalb eine unsachliche Einstellung bzw. Willkür des abgelehnten Richters nicht ersichtlich sei. Da dem abgelehnten Richter nicht vorsätzliches Verhalten zu ihrem Nachteil, etwa im Sinne einer Rechtsbeugung, unterstellt werden könne, bleibe als Ursache für dessen unbegreifliche Fehlleistungen nur Voreingenommenheit ihr gegenüber. Es sei Willkür, eine Klage abzuweisen, ohne den Sachverhalt festzustellen und nicht einmal zu begründen, wie es zu den Unterstellungen im tatsächlichen Bereich gekommen sei. Der Eindruck der Willkür hätte noch korrigiert werden können, wenn der abgelehnte Richter nach Eingang der Nichtzulassungsbeschwerde die Revision zugelassen hätte. Darüber hinaus habe er keine ordnungsgemäße, seiner gesetzlichen Verpflichtung entsprechende dienstliche Äußerung abgegeben und dadurch ihr die Gelegenheit genommen, ihren Ablehnungsantrag abschließend zu begründen. Deshalb verstoße der angefochtene Beschluß auch gegen Art. 103 des Grundgesetzes (GG). Die dienstliche Äußerung beschränke sich auf Rechtsausführungen und auf Erwägungen, die ausschließlich um die Zulässigkeit und/oder Begründetheit des Befangenenheitsantrags kreisten. Die Beantwortung der Frage, ob er sich selbst befangen fühle, habe der abgelehnte Richter bezeichnenderweise umgangen. Daß der Beschluß über das Ablehnungsgesuch am Tag vor der mündlichen Verhandlung ergangen sei, stelle keine rechtsstaatlich angemessene und zulässige Verfahrensweise dar.
Die Klägerin beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und ihrem Befangenheitsantrag stattzugeben, hilfsweise, die Sache zwecks Neubescheidung an das FG zurückzuverweisen.
Der Beklagte, Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist zulässig.
Das Rechtsschutzbedürfnis für die Beschwerde ist nicht dadurch entfallen, daß das FG unter Mitwirkung des erfolglos abgelehnten Richters zur Hauptsache entschieden hat (vgl. Beschluß des Großen Senats des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 30. November 1981 GrS 1/80, BFHE 134, 525, BStBl II 1982, 217).
2. Die Beschwerde ist aber unbegründet und deshalb zurückzuweisen.
a) Entgegen der Auffassung der Klägerin wird ihr Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, §96 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) nicht dadurch berührt, daß nach Abgabe der ihr bekanntgegebenen dienstlichen Äußerung der Berichterstatter keine weitere dienstliche Äußerung abgegeben hat (vgl. BFH-Beschluß vom 7. September 1994 II B 70/94, BFH/NV 1995, 414, unter 1.).
b) Es entspricht rechtsstaatlichen Grundsätzen, daß der erfolglos abgelehnte Richter des FG schon vor Rechtskraft der Entscheidung über die Beschwerde an der Entscheidung zur Hauptsache mitwirkt. Der Senat verweist insoweit auf den BFH-Beschluß in BFHE 134, 525, BStBl II 1982, 217.
c) Im Ergebnis zutreffend hat das FG dem Ablehnungsgesuch nicht stattgegeben.
Nach §51 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. §42 der Zivilprozeßordnung (ZPO) kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Ein derartiger Grund ist gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus, jedoch nach Maßgabe einer vernünftigen objektiven Betrachtung, davon ausgehen kann, der Richter werde nicht unvoreingenommen entscheiden (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluß vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555). Der Ablehnungsgrund ist nach §51 Abs. 1 Satz 1 FGO i. V. m. §44 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen. Es müssen somit hinreichend substantiiert und nachvollziehbar Tatsachen vorgetragen werden, die bei objektiver Betrachtung die Besorgnis rechtfertigen können, der Richter werde nicht unvoreingenommen entscheiden (vgl. Senatsbeschluß vom 30. August 1995 XI B 114/95, BFH/NV 1996, 225, m. w. N.).
Ein Ablehnungsgesuch kann grundsätzlich nicht auf Verfahrensverstöße oder fehlerhafte Entscheidungen des Richters etwa in einem früheren Verfahren gestützt werden. Das gilt auch, soweit behauptet wird, einem Richter seien bei der Beurteilung eines Sachverhalts Fehler unterlaufen oder er sei dem Tatsachenvortrag des Beteiligten nicht gefolgt (vgl. Senatsbeschluß in BFH/NV 1996, 225, m. w. N.).
Ausnahmsweise kann die Rüge von Rechtsverstößen allerdings dann die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, wenn Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, daß das mögliche Fehlverhalten auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegenüber der ablehnenden Partei oder auf Willkür beruht. Die Fehlerhaftigkeit muß ohne weiteres feststellbar und schwerwiegend sein sowie auf unsachliche Erwägungen schließen lassen (BFH-Beschlüsse vom 27. Juli 1992 VIII B 59/91, BFH/NV 1993, 112, und in BFH/NV 1995, 414, m. w. N.).
Die von der Klägerin genannten Gründe erfüllen diese Voraussetzungen nicht; sie rechtfertigen nicht ihr Ablehnungsgesuch.
aa) Die behaupteten Rechtsverstöße sind -- soweit überhaupt feststellbar -- jedenfalls nicht schwerwiegend.
Die Einstufung der Z-Straße als "reines" Wohngebiet ergab sich aus der Bodenrichtwertkarte 1992 der Stadt A. Die Klägerin beanstandet darüber hinaus im wesentlichen nicht, daß der Berichterstatter den Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt hat, sondern daß er ihn anders gewürdigt hat als sie. Ob es hinsichtlich der zentralen Warmwasserversorgung einer weiteren Sachverhaltsermittlung bedurft hätte, kann dahinstehen; denn die Güte der Ausstattung war nicht entscheidungserheblich. Der Vorwurf der Klägerin, daß der Berichterstatter zu Unrecht ihrer Nichtzulassungsbeschwerde nicht abgeholfen habe, geht fehl; der BFH hat die Nichtzulassungsbeschwerde als unbegründet zurückgewiesen.
Die von der Klägerin beanstandeten Feststellungen und Wertungen des Berichterstatters sind nicht geeignet, dessen Unparteilichkeit in Frage zu stellen. Die Klägerin hat keine Gründe angegeben, die bei vernünftiger und objektiver Würdigung auf eine unsachliche Einstellung des Berichterstatters hindeuten könnten.
bb) Die Einwände der Klägerin gegen die dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters vermögen ebenfalls nicht Zweifel an dessen Unvoreingenommenheit ihr gegenüber zu begründen.
Ein abgelehnter Richter hat sich über den Ablehnungsgrund dienstlich zu äußern (§51 FGO i. V. m. §44 Abs. 3 ZPO). Das bedeutet, daß er zu den für das Ablehnungsgesuch entscheidungserheblichen Tatsachen Stellung nimmt, soweit ihm das notwendig und zweckmäßig erscheint (vgl. BFH-Beschluß vom 7. Mai 1986 I B 70/85, BFH/NV 1987, 653). Inhalt und Umfang der dienstlichen Äußerung richten sich nach dem jeweils geltend gemachten Ablehnungsgrund (vgl. BFH-Beschluß vom 7. April 1988 X B 4/88, BFH/NV 1989, 587).
Die Klägerin stützt ihre Ablehnung des Berichterstatters ausschließlich auf behauptete Verstöße gegen formelles Recht bei der Urteilsfindung und -- vermeintliches -- Fehlverhalten bei der Beurteilung der Nichtzulassungsbeschwerde. Eine Darstellung des Sachverhalts aus der Sicht des Berichterstatters war hier im Hinblick auf das vorliegende Urteil entbehrlich. Eine Äußerung zu den einzelnen Beanstandungen wäre auf eine Rechtfertigung der Entscheidung hinausgelaufen. Die Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines Urteils ist dem Rechtsmittelverfahren vorbehalten.
Entgegen der Auffassung der Klägerin läßt sich den Ausführungen des Berichterstatters in der dienstlichen Äußerung eindeutig entnehmen, daß er sich nicht für befangen hält.
Fundstellen
Haufe-Index 67056 |
BFH/NV 1998, 861 |