Entscheidungsstichwort (Thema)
Gegenstand der die Revisionszulassung rechtfertigenden Prüfung
Leitsatz (NV)
1. Der Gegenstand der nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO vorzunehmenden Prüfung, ob die Revision zuzulassen ist, richtet sich danach, ob einer für die Entscheidung über die Revision (in der Sache selbst) maßgebende Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung zukommt. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision kann daher nicht auf die Frage gestützt werden, welches von zwei in der FGO vorgesehenen Rechtsmitteln statthaft ist, nämlich die Nichtzulassungsbeschwerde nach § 115 Abs. 3 FGO oder die auf Verfahrensfehler des FG gestützte Revision gemäß § 116 Abs. 1 FGO.
2. Die schlüssige Rüge der Verletzung des Rechts auf Gehör erfordert u. a., daß der Beschwerdeführer im einzelnen substantiiert darlegt, wozu er sich nicht hat äußern können und was er bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte.
3. Die schlüssige Rüge mangelnder Sachaufklärung erfordert u. a. die Darlegung, daß die ungenügende Sachaufklärung bereits vor dem FG gerügt worden sei oder daß eine derartige Rüge nicht möglich gewesen sei.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; FGO § 96 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3, Abs. 3 S. 3, § 116 Abs. 1 Nr. 5
Tatbestand
Streitig ist, ob ein dem Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) gehörendes bebautes Grundstück als Einfamilienhaus, als Zweifamilienhaus oder als gemischtgenutztes Grundstück zu bewerten ist. Das Grundstück war auf den 1. Januar 1982 als Zweifamilienhaus bewertet worden; es wurde zum 1. Januar 1983 dem Kläger zugerechnet. Seit dem Bezug des Hauses durch den Kläger betreibt dieser im Erdgeschoß eine Zahnarztpraxis und hat für die Praxis auch im Keller gelegene Räume in Anspruch genommen. Das Obergeschoß und das Dachgeschoß nutzt er im wesentlichen für eigene Wohnzwecke; lediglich ein Raum des Obergeschosses dient ihm als Arbeitszimmer. Durch Bescheid vom 21. Februar 1991 bewertete der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) das Grundstück auf den 1. Januar 1985 als Einfamilienhaus. Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen erhobene Klage als unbegründet zurück; mit ihr hatte der Kläger begehrt, den Einheitswertbescheid vom 21. Februar 1991 aufzuheben, hilfsweise, das FA zu verpflichten, die Grundstücksart gemischtgenutztes Grundstück festzustellen. Das FG führte u. a. aus:
Zutreffend habe das FA das Grundstück des Klägers als Einfamilienhaus bewertet. Im Haus des Klägers habe nur eine Wohnung Wohnzwecken gedient. Die übrigen Räume des Hauses seien entweder ausschließlich beruflich genutzt worden oder hätten der einen Wohnung als Nebenräume gedient. Bei dieser eindeutigen Nutzungssituation komme es auf alle Abgrenzungsprobleme, die der Kläger hinsichtlich der Wohnungsgröße und des Vorhandenseins von Küchenanschlüssen aufgeworfen habe, nicht an, weil sich diese Fragen nur im Zusammenhang mit der Nutzung von Räumen zu Wohnzwecken bei einer zweifelhaften baulichen Gestaltung stellten. Da die Räume im Keller des klägerischen Hauses jedoch nicht zu Wohnzwecken, sondern zu betrieblichen Zwecken oder als Nebenräume der einen Wohnung genutzt würden, könnten sie keine -- fiktive -- zweite Wohnung bilden.
Es handle sich auch nicht um ein gemischtgenutztes Grundstück i. S. des § 75 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 des Bewertungsgesetzes. Eine entsprechende Bewertung hätte nur dann zu erfolgen, wenn die berufliche Mitbenutzung des Hauses die Eigenart des Grundstücks als Einfamilienhaus wesentlich beeinträchtigen würde. Ob dies der Fall sei, hänge vom Umfang der freiberuflichen Nutzung, dem äußeren Erscheinungsbild des Grundstücks und der inneren Gestaltung des Gebäudes ab. Dabei werde eine freiberufliche Nutzung in der Regel nur dann der Beurteilung als Einfamilienhaus entgegenstehen, wenn sie den Umfang der Nutzung zu Wohnzwecken erreiche oder übersteige. Im Streitfall sei den der Bewertungsakte beiliegenden Fotografien zu entnehmen, daß das Haus äußerlich einem als Einfamilienhaus oder Zwei familienhaus nutzbarem Wohnhaus gleiche und die freiberufliche Mitbenutzung die äußere Gestaltung und das Erscheinungsbild des Hauses nicht erkennbar präge. Nach den Bauplänen sei auch die innere Gestaltung des Hauses nicht durch die einliegende Praxis so verändert, daß der Wohnzweck gegenüber dem betrieblichen Zweck zurücktrete. Schließlich seien auch die Flächenverhältnisse des Hauses so, daß die zu Wohnzwecken genutzten Flächen die betrieblich genutzten Flächen überwögen. Dem Einwand des Klägers, daß die Raumnutzungsverhältnisse im Jahr 1985 ganz andere gewesen sein könnten als im Jahr 1993, könne das Gericht keine Bedeutung beimessen, da er diesen Einwand durch keinen substantiierten Hinweis auf zwischenzeitlich erfolgte bauliche oder sonstige Nutzungsveränderungen substantiiert habe. Soweit der Kläger die Fläche seines Arbeitszimmers, das im Obergeschoß im räumlichen Zusammenhang mit seiner übrigen Wohnung liege, zu der beruflich genutzten Fläche des Hauses gerechnet habe, vermöge der Senat dem nicht zu folgen.
Gegen das Urteil des FG hat der Kläger Revision unter dem Aktenzeichen ... gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO) eingelegt; sie ist vom erkennenden Senat mit Beschluß vom heutigen Tage als unzulässig verworfen worden. Daneben hat der Kläger die Nichtzulassung der Revision in dem finanzgerichtlichen Urteil mit der Beschwerde angefochten, die er auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und Verfahrensmängel stützt.
Grundsätzliche Bedeutung mißt der Kläger folgender Frage zu: "Hat das FG ein gewichtiges Angriffs- bzw. Verteidigungsmittel des Klägers, das auch in Rechtsausführungen bestehen kann, in seinen Entscheidungsgründen nicht verarbeitet, so daß dadurch gegen Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verstoßen wurde, ist dann ein Fall des § 115 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 Nr. 3 FGO oder des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO gegeben?" In der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) werde, so führt der Kläger weiter aus, unterschiedlich gewürdigt, ob das teilweise Nichtverarbeiten von Vorgetragenem in den Entscheidungsgründen des Urteils eines FG insoweit § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO oder § 115 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 Nr. 3 FGO ausfülle. Diese Rechtsfrage sei aus drei Gründen klärungsbedürftig: Ehe das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) dieserhalb angegangen werde, sei dem BFH aufgrund der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde Gelegenheit zu geben, selbst zur Rechtsvereinheitlichung beizutragen. Dazu sei es geboten, den Großen Senat des BFH anzurufen. Dies deshalb, weil es verfassungsrechtlich unverhältnismäßig sei, den Steuerbürger vorsorglich Revision und Nichtzulassungsbeschwerde einlegen zu lassen, weil dieser in den Fällen des gerügten Artikels 103 Abs. 1 GG nicht das Risiko eingehen möchte, ansonsten je nach Rechtsauffassung des Senats mit seinem Rechtsmittel als unzulässig zurückgewiesen zu werden. Der gerügte Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG durch das FG sei nach der Rechtsprechung des BVerfG gegeben, weil das FG erhebliche Rechtsausführungen, die wiederholt im FG-Verfahren schriftsätzlich und in der mündlichen Verhandlung vorgetragen worden seien, in den Entscheidungsgründen nicht verarbeitet habe.
Der gerügte Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG sei jedenfalls ein "geltend gemachter Verfahrensmangel" i. S. des § 115 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 Nr. 3 FGO. Die angefochtene Entscheidung beruhe auch darauf. Wenn das FG die vom Kläger vorgetragene Rechtsprechung des II. Senats des BFH verar beitet hätte, hätte das FG zu dem Ergebnis kommen müssen, daß ein Zweifamilienhaus vorliege. Würde man entgegen dieser Auffassung kein Zweifamilienhaus annehmen, dann müßte man zu dem Ergebnis kommen, daß, wie der Kläger stets vorgetragen habe, ein gemischtgenutztes Grundstück vorliege. Nach dem Vortrag des Klägers in der Klageschrift übersteige die der Zahnarztpraxis zuzuordnende Fläche die der Wohnung zuzuordnende Fläche erheblich; auf das äußere Erscheinungsbild komme es dann für die Einordnung als gemischtgenutztes Grundstück nicht mehr an. Folge man dem Vortrag des FA, so übersteige die Wohnfläche die der Zahnarztpraxis zuzurechnende Fläche, so daß es nach der Rechtsprechung des BFH auf das äußere Erscheinungsbild ankomme. Daher hätte das FG, wenn es kein Zweifamilienhaus annahm, der Frage nachgehen müssen, ob die Berechnung des Klägers und die des FA zutreffend ist. Das FG hätte gemäß § 76 FGO auch den Sachverhalt dahingehend zu ermitteln gehabt, ob die anläßlich der aus ertragsteuerrechtlichen Gründen angeordnet gewesene Betriebsprüfung ermittelten Flächen auch bewertungsrechtlich so ohne weiteres übernommen werden können und ob vor diesem Hintergrund die klägerische Berechnung oder die des FA zutreffend war oder nicht.
Das FA hält die Beschwerde für unbegründet.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unzulässig; ihre Begründung entspricht nicht den Anforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO.
a) Soweit der Kläger die Nichtzulassungsbeschwerde darauf stützt, es sei von grundsätzlicher Bedeutung, ob ein Verstoß des FG gegen Art. 103 Abs. 1 GG die zulassungsfreie Revision nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO eröffne oder ob hierin ein Verfahrensfehler i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO liege, der die Revision zum BFH nur dann eröffnet, wenn auf die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision die Revision zugelassen worden ist, wird nicht, wie nach § 115 Abs. 3 Satz 3 erforderlich, schlüssig dargelegt, daß der Rechtssache i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO grundsätzliche Bedeutung zukomme. Die vom Kläger aufgeworfene Frage, welches von zwei in der FGO vorgesehenen Rechtsmitteln statthaft ist, nämlich entweder die Beschwerde nach § 115 Abs. 3 FGO gegen die Entscheidung des FG, die Revision nicht zuzulassen, oder die (auf Verfahrensfehler des FG gestützte) Revision gemäß § 116 Abs. 1 FGO gegen die Entscheidung des FG in der Sache selbst, ist nicht Gegenstand der nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO vorzunehmenden Prüfung, ob die Revision zuzulassen ist. Denn dies richtet sich danach, ob einer für die Entscheidung über die Revision (in der Sache selbst) maßgebende Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung zukommt, die eine Überprüfung des finanzgerichtlichen Urteils in einem Revisionsverfahren rechtfertigt (vgl. BFH-Beschluß vom 14. Juli 1987 VII B 45/87, BFH/NV 1988, 212).
b) Unzulässig ist die Beschwerde auch insoweit, als der Kläger geltend macht, daß das FG das Recht auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt habe. Der damit geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 96 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) ist nicht in einer den Anforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechenden Weise bezeichnet. Die schlüssige Rüge der Verletzung des Rechts auf Gehör erfordert, daß der Beschwerdeführer im einzelnen substantiiert darlegt, wozu er sich nicht hat äußern können und was er bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 119 Rz. 13, mit Nachweisen aus der Rechtsprechung). Derartige Ausführungen enthält die Beschwerdeschrift nicht. Mit dem Vorbringen, das FG habe das von ihm Vorgetragene bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt, räumt er vielmehr ein, daß er sich hat umfassend äußern können. Ein Verfahrensfehler i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, der das prozessuale Vorgehen des Gerichts betrifft, wird damit nicht bezeichnet. Soweit sich der Mangel des rechtlichen Gehörs, wie der Kläger meint, in einer ungenügenden Beachtung des von ihm Vorgetragenen in der rechtlichen Begründung des finanzgerichtlichen Urteils niedergeschlagen haben sollte, könnte dies nicht im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde wegen eines das Verfahren betreffenden Fehlers berücksichtigt werden, sondern nur im Rahmen des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO, soweit dadurch der Inhalt der Entscheidungsgründe derart berührt würde, daß die Entscheidung nicht mehr als mit Gründen versehen beurteilt werden könnte.
c) Den Anforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO genügt auch nicht die Rüge mangelnder Sachaufklärung, mit der der Kläger geltend macht, das FG habe es pflichtwidrig unterlassen zu prüfen, welche Flächenberechnung zutreffend sei. Insbesondere hat der Kläger nicht dargelegt, daß er dies bereits vor dem FG gerügt habe oder daß ihm eine derartige Rüge nicht möglich gewesen sei. Darlegungen dieser Art sind für die Zulässigkeit der Rüge mangelnder Sachaufklärung aber erforderlich, weil gemäß § 155 FGO i. V. m. §§ 295, 531 der Zivilprozeßordnung die Verletzung einer das Verfahren betreffenden Vorschrift nicht mehr gerügt werden kann, wenn der Beteiligte den Mangel nicht gerügt hat, obgleich er dazu Gelegenheit gehabt hätte und ihm der Mangel bekannt war oder hätte bekannt sein müssen. Von dem Erfordernis, daß der Verstoß bereits in der Vorinstanz hätte gerügt werden müssen, kann im Streitfall auch nicht deshalb abgesehen werden, weil es offensichtlich sei, daß der Kläger weder Anlaß noch Gelegenheit zur Rüge gehabt habe. Vielmehr hätte der Kläger den nunmehr vorgetragenen Mangel bereits in der mündlichen Verhandlung vor dem FG rügen können und müssen. Denn jedenfalls die Erörterung der Streitsache in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht (§ 93 FGO) hätte bei ihm zu der Erkenntnis führen müssen, daß das Gericht trotz des Vorbringens des Klägers im Klageschriftsatz, daß entgegen der Beurteilung des FA die der Zahnarztpraxis zuzuordnende Fläche die Wohnfläche übersteige, eine Überprüfung der Flächen nicht ins Auge fasse.
Fundstellen
Haufe-Index 421915 |
BFH/NV 1997, 493 |