Entscheidungsstichwort (Thema)
Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit
Leitsatz (NV)
1. Ein Ablehnungsgesuch, das auf Besorgnis der Befangenheit eines Richters gestützt wird, ist für unbegründet zu erklären, wenn der die Ablehnung geltend machende Beteiligte von seinem Standpunkt aus, aber bei objektiver und vernünftiger Betrachtungsweise nicht davon ausgehen kann, daß der Richter unvoreingenommen entscheiden werde.
2. Das Rechtsinstitut der Richterablehnung soll die Beteiligten nicht vor Irrtümern der Richter in Rechtsfragen schützen.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1 S. 1; ZPO § 42 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Auf Grund einer Betriebsprüfung, an deren Ende eine Schlußbesprechung nicht stattgefunden hatte, hat das FA die USt-Veranlagung des Kl. für 1976 bis 1978 geändert. Mit der Klage beantragt der Kl. den Änderungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Sache an das FA zurückzuverweisen, hilfsweise, die USt neu festzusetzen.
Der Berichterstatter beim FG schrieb am 28. Mai 1984 wie folgt an die Prozeßbevollmächtigten des Kl.:
In . . . weise ich vorsorglich darauf hin, daß m. E. im vorliegenden Verfahren eine Aufhebung der angefochtenen Steuerbescheide und eine Rückverweisung an das Finanzamt nicht in Betracht kommt. Zur Förderung der Sache werden Sie daher gebeten, im einzelnen unter Vorlage der entsprechenden Unterlagen und Angabe der Beweismittel zu dem Schriftsatz des Finanzamtes vom 4. Mai 1984 bis zum 5. Juli 1984 Stellung zu nehmen.
Die Prozeßbevollmächtigten beantragten eine Verlängerung der Frist bis zum 30. September 1984. Zur Begründung führten sie an, ihr Büro sei während der nächsten drei Monate urlaubsbedingt nur zu zwei Dritteln besetzt. Der Berichterstatter setzte daraufhin mit Verfügung vom 7. Juni 1984 eine neue Frist zum 15. September 1984, und zwar mit ausschließender Wirkung gemäß Art. 3 § 3 VGFGEntlG.
Im Anschluß hieran hat der Kl. mit Schriftsatz vom 6. September 1984 den Berichterstatter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Zur Begründung machte er geltend, aus seiner Sicht bestehe der Verdacht, daß der Berichterstatter einseitig zugunsten des FA Stellung bezogen habe. Hierfür sprächen die Verfügung vom 28. Mai 1984 sowie die Behandlung des Fristverlängerungsantrags. Die Äußerung des Inhalts, eine Aufhebung der Steuerbescheide und eine Zurückverweisung der Sache an das FA komme nicht in Betracht, enthalte eine Bewertung des Klagebegehrens, die nicht dem Berichterstatter, sondern allein dem Senat zustehe. Die Bestimmung einer Ausschlußfrist gemäß Art. 3 § 3 VGFG EntlG sei zwar an sich nicht zu beanstanden. Gerügt werde aber, daß der Berichterstatter bei Fristverlängerungsanträgen des FA nicht in gleicher Weise reagiert habe.
Der Berichterstatter hat eine dienstliche Erklärung des Inhalts abgegeben, er fühle sich nicht befangen.
Das FG hat - ohne Mitwirkung des Berichterstatters - das Ablehnungsgesuch als unbegründet zurückgewiesen.
Mit der Beschwerde macht der Kl. geltend: Das Schreiben des Berichterstatters vom 28. Mai 1984 enthalte nicht bloß eine Meinungsäußerung. Vielmehr stelle sich die Erklärung des Berichterstatters, eine Zurückverweisung komme keinesfalls in Betracht, als vorweggenommene Entscheidung des Gerichts dar. Überdies habe der Berichterstatter mit dem Hinweis darauf, vom FA sei eine Schlußbesprechung angeboten worden, einen streitigen Tatsachenvortrag der Gegenseite als richtig unterstellt; das rechtfertige die Schlußfolgerung, daß der Berichterstatter seinen (des Kl.) Prozeßvortrag nicht zur Kenntnis nehme. Für die Befangenheit des Berichterstatters spreche ferner, daß das gegen den Kl. eingeleitete staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden sei. Die Einstellung beweise, daß das FA die Fahndungsmaßnahmen und das Ermittlungsverfahren als eine Maßregelung ihm gegenüber eingesetzt habe. Die dabei vom FA verwendete Argumentation habe der Berichterstatter ungeprüft übernommen.
Schließlich macht der Kl. geltend, die Bemerkung im angefochtenen Beschluß treffe nicht zu, daß eine Verlängerung der gesetzten Ausschlußfrist durch den Berichterstatter möglich geblieben sei. Der Berichterstatter habe vielmehr einen diesbezüglichen Antrag der Prozeßbevollmächtigten vom 16. August 1984 überhaupt unbeschieden gelassen. Hierzu hat der Kl. inzwischen geltend gemacht, das FG habe erklärt, das Schreiben mit dem Fristverlängerungsantrag nicht erhalten zu haben. Ein Postnachforschungsantrag sei erfolglos geblieben. Er, der Kl., sei jedoch weiterhin der Meinung, daß das Schreiben mit dem Fristverlängerungsantrag beim FG eingegangen sei. Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde wird als unbegründet zurückgewiesen. Das FG hat zu Recht das Ablehnungsgesuch, mit dem der Kl. Besorgnis der Befangenheit des Berichterstatters geltend macht, für unbegründet erklärt.
1. Wegen Besorgnis der Befangenheit kann ein Richter abgelehnt werden, wenn Gründe vorliegen, die geeignet sind, Mißtrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen (§ 51 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO). Solche Gründe sind dann anzuerkennen, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt, aber bei objektiver und vernünftiger Betrachtung davon ausgehen kann, daß der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde. Unerheblich ist es dabei, ob die Entscheidung wirklich von Voreingenommenheit beeinflußt ausfallen würde (vgl. BFH-Beschluß vom 21. September 1977 I B 32/77, BFHE 123, 305, BStBl II 1978, 12). Derartige Gründe liegen hier nicht vor.
2. Das Schreiben des Berichterstatters vom 24. Mai 1984 konnte nach Form und Inhalt für den Kl. kein Grund sein, der Unparteilichkeit des Berichterstatters zu mißtrauen.
a) Mit dem Schreiben hat der Berichterstatter den Kl. darauf hingewiesen, daß seines Erachtens nach eine Zurückverweisung der Sache an das FA unter Aufhebung der angefochtenen Steuerbescheide nicht in Betracht komme, und hat zugleich vorsorglich zur Förderung der Sache den Kl. unter Fristsetzung gebeten, zu einem näher bezeichneten Schriftsatz des FA Stellung zu nehmen, entsprechende Unterlagen vorzulegen und Beweismittel anzugeben. Es trifft nicht zu, daß der Berichterstatter dabei zum Ausdruck gebracht hätte, eine Zurückverweisung komme ,,keinesfalls" in Betracht, wie der Kl. mit der Beschwerde geltend macht.
Entgegen der Darstellung des Kl. in der Beschwerde ist der Berichterstatter in seinem Schreiben nicht auf die streitige Frage eingegangen, ob dem Kl. durch das FA die Abhaltung einer Schlußbesprechung angeboten worden und der Kl. nur unter bestimmten Bedingungen zur Teilnahme bereit gewesen sei. Die vom Berichterstatter vertretene Rechtsauffassung setzt auch nicht voraus, daß der Berichterstatter von der Richtigkeit des Vortrages des FA ausgegangen sein müsse (vgl. § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO; dazu nachst.). Angesichts dessen kann nicht die Rede davon sein, daß der Berichterstatter insoweit dem Tatsachenvortrag des FA ohne Beweisaufnahme einfach gefolgt sei.
Es fehlt ferner jeglicher Anhaltspunkt für die Deutung des Schreibens durch den Kl. dahin, daß der Berichterstatter in seinem Hinweis nicht nur seine Rechtsansicht zum Ausdruck gebracht habe, sondern die Entscheidung des Senats habe vorwegnehmen wollen. Eine solche Interpretation ist bei verständiger Würdigung schon deshalb ausgeschlossen, weil der Berichterstatter sogar in zweierlei Weise (,,vorsorglich"; ,,m. E.") klargestellt hat, daß seinem Hinweis lediglich die eigene Meinung, nicht die des Senats zugrunde liege, und daß es letztlich auf die Auffassung des Senats ankommen werde.
Ebenfalls nicht als Grund für Besorgnis der Befangenheit kann die dem Schreiben des Berichterstatters zugrunde liegende Rechtsansicht angesehen werden. Nach § 201 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 ist über das Ergebnis der Außenprüfung eine Besprechung abzuhalten (Schlußbesprechung), es sei denn, daß sich nach dem Ergebnis der Außenprüfung keine Änderung der Besteuerungsgrundlagen ergibt oder daß der Stpfl. auf die Besprechung verzichtet. Hierzu wird in Schrifttum und Rechtsprechung die Ansicht vertreten, daß der in einer gesetzwidrig unterbliebenen Schlußbesprechung zu sehende Verfahrensfehler zu einer Zurückverweisung der Sache an die Finanzbehörde gemäß § 100 Abs. 2 FGO führen könne, wenn der Stpfl. vor Gericht Einwendungen gegen den vom FA zugrunde gelegten Sachverhalt erhebt, die in der Schlußbesprechung auszuräumen gewesen wären (vgl. Tipke/Kruse, AO, 11. Aufl., § 201 Rdnr. 1 m.w.N.).
Es muß dahingestellt bleiben, ob sich der erkennende Senat der wiedergegebenen Auffassung anzuschließen vermöchte, und weiter, ob er unter den im vorliegenden Fall gegebenen Umständen dementsprechend eine Zurückverweisung an das FA für notwendig halten würde. Selbst wenn dies der Fall wäre, und wenn sich demgemäß die Ansicht des Berichterstatters vom Standpunkt des erkennenden Senats als fehlerhaft ansehen ließe, dürfte der Kl. hieraus nicht die Besorgnis herleiten, daß der Berichterstatter befangen sei. Ein Befangenheitsantrag kann grundsätzlich nicht darauf gestützt werden, daß ein Richter eine dem Beteiligten nachteilige Unrichtige Rechtsauffassung vertritt. Das Ablehnungsverfahren soll die Beteiligten nicht vor Irrtümern der Richter in Rechtsfragen schützen. Insoweit stehen die gewöhnlichen Rechtsbehelfe zur Verfügung. Die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit, einen Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, hat allein den Zweck, die Beteiligten davor zu bewahren, daß an der Entscheidung ihrer Streitsachen Richter mitwirken, die aus bestimmten in ihrer Person liegenden Gründen den betreffenden Beteiligten gegenüber unsachlich eingestellt sind (vgl. BFH-Beschluß vom 14. Januar 1971 V B 67/69, BFHE 101, 207, BStBl II 1971, 243).
3. Der Berichterstatter hat dem Kl. ferner keinen Grund zur Besorgnis der Befangenheit durch die Behandlung des Fristverlängerungsantrags vom 6. Juni 1984 gegeben. Mit diesem Antrag haben die Prozeßbevollmächtigten des Kl. darum nachgesucht, die zum 5. Juli 1984 gesetzte Frist bis zum 30. September 1984 zu verlängern. Diesem Antrag hat der Berichterstatter im wesentlichen entsprochen, indem er die Frist bis zum 15. September 1984 erstreckt hat. Die - gemessen an der Dauer der gewährten Frist - relativ geringe Abweichung der gesetzten von der beantragten Frist kann auf mannigfaltige Beweggründe und Überlegungen beim Berichterstatter zurückzuführen sein, etwa auf Gesichtspunkte der Arbeitsplanung. Auch ohne daß insoweit den Einzelheiten nachgegangen wird, läßt sich feststellen, daß die Bescheidung des Fristverlängerungsantrags, was die Dauer der gewährten Frist anbelangt, keineswegs als Indiz für fehlende Unparteilichkeit beim Berichterstatter angesehen werden kann.
Besorgnis der Befangenheit beim Berichterstatter kann der Kl. ebenfalls nicht auf den Umstand stützen, daß der Berichterstatter die Bescheidung des Fristverlängerungsantrags mit der Bestimmung einer Ausschlußfrist gemäß Art. 3 § 3 VGFGEntlG verbunden hat. Eine solche der Verfahrensbeschleunigung dienende Maßnahme erscheint im Hinblick auf die bisherige Verfahrensdauer (Klageerhebung: 29. November 1982) als vertretbar und läßt nicht auf Parteilichkeit schließen (was der Kl. an sich auch einräumt). Wenn der Kl. hierbei aber darauf hinweist, daß Fristverlängerungsanträge des Finanzamts vom Berichterstatter nicht gleichfalls zum Anlaß genommen worden seien, eine Ausschlußfrist zu setzen, so bringt er insoweit Unvergleichbares in einen Zusammenhang.
Die prozessualen Verhältnisse bei vorausgegangenen Fristverlängerungsanträgen des FA einerseits und bei dem vom Kl. gestellten Antrag andererseits sind so verschieden, daß aus der unterschiedlichen Behandlung durch den Berichterstatter nichts für eine Besorgnis der Befangenheit hergeleitet werden kann. Bezeichnenderweise hat der Kl. davon Abstand genommen, einen bestimmten Fristverlängerungsantrag des FA herauszugreifen und an dessen Behandlung durch den Berichterstatter die seiner, des Kl. Meinung nach gegebene Befangenheit aufzuzeigen. Der Kl. hat diesen Punkt in der Begründung des Ablehnungsgesuchs und der Beschwerde vielmehr ganz allgemein gehalten. Wollte man dem Kl. insoweit folgen, so liefe dies letztlich auf die nichtvertretbare Auffassung hinaus, daß beim erstmaligen Einsatz des Verfahrensförderungsmittels der Ausschlußfrist gemäß Art. 3 § 3 VGFGEntlG in einem Rechtsstreit der betroffene Beteiligte mit dem Hinweis gehört würde, die erste Ausschlußfrist habe nicht bei ihm gesetzt werden dürfen, sondern hätte beim Prozeßgegner bestimmt werden müssen.
4. Die bisher einzeln erörterten Umstände rechtfertigen auch nicht in ihrer Gesamtheit und ebenfalls nicht in Verbindung mit den weiteren vom Kl. vorgebrachten Gründen die Annahme, daß der Kl. zu Recht besorgt wäre, der Berichterstatter könnte ihm gegenüber befangen sein. Soweit der Kl. hierzu auf die Einstellung des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens und auf den Verlust einer Postsendung mit einem weiteren Fristverlängerungsantrag hinweist, sind die diesbezüglichen Überlegungen abwegig.
Fundstellen
Haufe-Index 414006 |
BFH/NV 1986, 162 |